Читать книгу Im Banne von Felsen und Geistern: Eine Reise durch Utah - Carola Prigge - Страница 5

23. April

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In SLC

Sitze in der Lobby am Kaminfeuer und warte darauf, dass das Zimmermädchen fertig wird. Das Feuer tut gut, denn es ist heute sehr kalt. Der Himmel ist aber trotzdem wieder strahlend blau, was natürlich ganz wunderbar ist. Gestern, als wir vom Essen kamen, aus einem ganz vorzüglichen Thai-Restaurant, da war der Himmel auch noch genauso blau. Er leuchtete so wahnsinnig, und zum Horizont hin verfärbte er sich langsam orange. Solche Farben hat unser Himmel in Deutschland nicht. Während tagsüber das Fehlen von Wassertröpfchen und Staubpartikeln in den oberen Schichten der Atmosphäre verantwortlich für den blauen Himmel ist, ist die noch tiefere Färbung des Himmels gegen Abend darauf zurückzuführen, dass nun das Ozon für die Lichtbrechung zuständig ist. Sagt H jedenfalls. Ich verstehe es nicht ganz. Ich weiß nur, dass ich mir diese Farben vom Himmel pflücken und sie mir einverleiben möchte. Ich kann Yves Klein nun noch besser verstehen, der am Strand von Nizza liegend sagte, er erkläre den Himmel zu seinem ersten Kunstwerk. Und er hat es tatsächlich geschafft. Das Blau vom Himmel zu pflücken. Seine Skulpturen und Reliefs aus dem Klein’schen Blau üben eine ähnliche Faszination aus wie der blaue Himmel. Man versinkt beim Betrachten darin und in sich selbst, wie beim Betrachten des Himmels. Aber hier, über Utah ... da ist er noch tiefer, noch grenzenloser ... und ich denke an Yves Klein, dem das wohl auch gefallen hätte. Ist der Himmel ein Kunstwerk der Natur? Und Kleins Blau? Ist es nachgemachte Natur??? Ist Kunst in gewisser Hinsicht immer nachgeahmte Natur??? Und wird Natur durch Betrachtung zu Kunst??? Ist es ein künstlerischer Aspekt, wenn mich das Blau zu besonderen Gedanken anregt??? Ist Kunst überhaupt Kunst und nicht doch Natur, wo sie doch von natürlichen Wesen hergestellt wird??? Bin ich mir da sicher, dass es sich beim Menschen um ein natürliches Wesen handelt???

Unser Hotel ist wirklich schön. Jetzt wird gerade Girl from Ipanema im Hintergrund gespielt. Am Eingang steht ein riesiges Bouquet aus Lilien und Rosen – und die Lilien riecht man in der ganzen Lobby ...

Es ist eine komische Stadt, Salt Lake City, überall, auch in den Zeitungen, als SLC abgekürzt, so wie statt Mormonen nur LDS geschrieben wird, für Latter-day Saints, also Heilige der letzten Tage.

Waren die jungen Leute am Nachbartisch im Thai-Restaurant gestern wohl LDS? Sie sahen so brav, so uncool aus, und sie tranken nur Milch-Shakes, kein Bier, keinen Wein. Die jungen Frauen trugen lange Haare, mit dem einfachsten aller einfachen Haargummis zu einem langweiligen Pferdeschwanz oder einem langweiligen partiellen Pferdeschwanz zusammengefasst ... was bei ihnen irgendwie altbacken oder altmodisch wirkte. Das Wort „züchtig“ schießt mir in den Sinn ... sie wirkten insgesamt so, obwohl ihre Kleidung eigentlich nicht völlig unmodern war. Der eine junge Mann trug sogar eine Baseballkappe – wenn ich mich recht erinnere – sogar verkehrt herum. Wie schaffen sie es nur, trotz allem so total uncool auszusehen. Und waren das nun Mormonen? Ich würde sagen, ja. Aber ich hätte sie am besten fragen sollen, dann wären wir jetzt sicher ...

Sate Street, Salt Lake City, Utah

Die Stadt ist auf dem Reißbrett angelegt ... sie besteht aus einem Netz von riesig breiten, oftmals mehrspurigen Straßen, die sich in der Ferne verlieren und auf denen verhältnismäßig wenige Autos fahren. Man denkt eigentlich ständig, es müsste ein Sonntag oder Feiertag sein, so ruhig ist es auf den meisten Straßen. Selbst in der so genannten Innenstadt ist nicht viel los, nicht einmal am Tempel, wo ja in SLC alle Wege hinführen bzw. starten.

Meine Pläne für heute: Tempelführung, Pioneer Museum, Bibliothek, Whole Foods ... und dann ruhe ich mich aus ...

Gestern war ich bei Barnes & Noble und bin die neuen Schreibmagazine durchgegangen, von denen es in Amerika so viele mehr gibt als in Deutschland – aber dieses Mal interessierten mich die Themen nicht so sehr, so dass ich mir keins kaufte ... dafür erstand ich das neue Buch von Anne Tyler und einen Baltimore-Krimi von Laura Lippman. Der Geruch von Barnes & Noble ist überall gleich, ich kenne ihn aus Durham ... und er vermittelt mir auch hier ein sehnsuchtsvolles Gefühl. Ich bekomme Heimweh nach unsrem früheren amerikanischen Leben ... und das in diesem alles in allem ziemlich enttäuschenden Buchladen, was natürlich auch nicht überraschend ist, weil wir schon lange wissen, dass man dort fast nur noch Bestseller und Kochbücher kaufen kann.

Ob das immer so war, weiß ich nicht. Bei meinem ersten Besuch in New York war ich auch bei Barnes & Noble ... das war 1996 ... und ich war völlig hin und weg von der Größe des Ladens und von den vielen Büchern, die dort in den Regalen standen. Und auch von der Art der Präsentation. Sie schafften es, eine Art Bibliotheksatmosphäre zu schaffen, mit den dunklen, hohen Holzregalen, und dem Teppichboden, der die Geräusche schluckte, den grünen Schildern mit altmodischen goldenen Schrift, die das Genre bezeichneten, das im entsprechenden Regal zu finden war. Damals erschien der Laden mir mehr eine Art Bücherparadies zu sein. Und auch die Filiale zwischen Chapel Hill und Durham, die wir oft aufsuchten, als wir dort lebten, bot anfangs noch eine große Auswahl an Büchern an, sogar an Fachbüchern ... fast alles, was das Herz begehrte. Aber das hat sich im Laufe der Jahre gewaltig gewandelt. Der Bereich mit den elektronischen Medien ist jedes Jahr größer geworden, und die Regale mit den Bestsellern wachsen auch immer weiter ... manches Regal steht dort, das nur zig Exemplare ein- und desselben Buches ausstellt ...

Was geblieben ist, ist die Bibliotheksatmosphäre ... ist das nicht verrückt? Die dunklen, hohen Holzregale sind natürlich noch dieselben ... und die altmodische, goldene Schrift auf den grünen Schildern ... und natürlich der Geruch ... war das immer so künstlich???

Und so lässt sich die Nase täuschen ... und ich stehe mit positiven Gefühlen in einer Schein-Bibliothek. In Deutschland lasse ich mich manchmal sogar ganz freiwillig auf solch eine Täuschung ein. Manchmal, wenn ich ganz große Sehnsucht nach Amerika habe, dann suche ich einen Starbuck’s auf. Die riechen nämlich auch überall gleich, und die sehen überall gleich aus. Es gab eine Zeit, in der man in Amerika dort den besten Kaffee bekam. Mittlerweile gibt es verschiedene Kaffeehäuser in den amerikanischen Städten, ich würde sie nicht Cafés nennen, weil ihnen die Gemütlichkeit ein bisschen abgeht, aber man kann dort meistens einfach so herumhängen, lesen, am Laptop arbeiten, auch mit Freundinnen dort sitzen und quatschen. Also, guter Kaffee war es, der mich früher, in Amerika, in diese politisch nicht ganz korrekten Läden hineintrieb, und Sehnsucht ist es, die in Deutschland dasselbe vollbringt.

Capitol-Theater, Salt Lake City, Utah

Nun will ich von unseren Musical-Abend berichten. Als wir an dem kleinen Theater von SLC vorbeikamen, kam mir der Gedanke, dass wir ja auch mal eine kulturelle Veranstaltung besuchen könnten. Hier könnten wir sogar ins Theater gehen, weil wir die Sprache beherrschen. Das Theater sah ganz schön aus, etwas altmodisch, im Jahrhundertwende-Stil, obwohl es bestimmt nicht so alt ist, wie es den Anschein geben möchte. Aber die Amerikaner lieben es ja, solche Gebäude im Stile irgendeiner längst vergangenen Königsära zu bauen ... wenn es nicht Tudor, viktorianisch oder gregorianisch ist, dann römisch oder griechisch ... Hauptsache, irgendwie historisch. Aber irgendwie haben die Gebäude dann doch einen ganz ansprechenden Charme. Ich bekam Lust auf ein Theaterstück. Ein Plakat sagt uns, dass in diesem kleinen Theater West Side Story gezeigt wird, ein Original-Broadway-Musical-on-Tour. Und wir beschließen auf der Stelle, es uns anzusehen, kaufen diese unverschämt teuren Karten, und ich beginne sofort, mich ganz kribbelig darauf zu freuen ... auf einen schönen Musical-Abend ...

Die kleine alte Frau an der Garderobe, die auch die dicken roten Kissen für die Kinder herausgibt, sagt zu mir, dass sie meinen Mantel schön findet ... ich trage meinen Zebramantel, der eben ein Zebramuster hat, recht eng geschnitten ist, mit überhängenden Schultern, wie bei manchen Militäruniformen ... keine Frage, er ist auch mein Lieblingsmantel ... und wenig später sagt sie noch einmal, dass sie ihn cool findet ... dabei finde ich den Rest meines Outfits auch ganz schön ... ich trage einen kurzen schwarzen Rock und darüber eine knallrote Tunika ... und I feel pretty ...

In diesem Theater fühle ich mich in eine andere Zeit versetzt oder in einen Kinofilm ... vielleicht in die 20er oder 30er Jahre. Alles ist voller rotem Plüsch ... und Chrom ... und Spiegel ... und Schnörkel ... es glänzt und schnörkelt. Und dann setzt sich noch eine Frau neben mich, die eine hoch toupierte Turmfrisur trägt, wie ich sie auch schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe. Und diese Frau ist nicht alt, sie ist jünger als ich, aber sieht aus wie eine Doppelgängerin von Dolly Parton. Ich dachte nicht, dass es so etwas noch gibt ... und die Klamotten ... alles Glitzer und Schnörkel ... und ihre kleine Tochter, die auf einem dieser dicken roten Kissen thront, sieht aus, als ob sie als Prinzessin auf einen Karnevalsball gehen wird. So sehen übrigens die meisten kleinen Mädchen in diesem Theater aus. Die Reihen sind sehr eng ... wie sich die armen fülligen Menschen da hineinquetschen müssen, unglaublich, ich würde Atemnot bekommen. Ich sehe, wie ein Mann ein paar Reihen vor uns seinen Arm um die Rückenlehne seines ebenso fülligen Freundes legt ... beide Arme hätten wahrscheinlich nicht in den Sitz gepasst ... sie tun mir echt Leid ...

So, nun werde ich ins Zimmer zurückgehen ... das Zimmermädchen müsste jetzt fertig sein ...

Im Banne von Felsen und Geistern: Eine Reise durch Utah

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