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Ich danke für dieses Leben

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Meinen Eltern danke ich für dieses ereignisreiche, aber für mich nicht immer leichte Leben. Für ihr Dasein, ihre Liebe, Geben und die gut gemeinten Ratschläge. Auch wenn sie als Eltern nicht wahrhaben wollen, dass man sich schon lange abgenabelt hat und ein eigenständiges Leben führt. Wird es mir mit meinen Kindern auch so ergehen oder werde ich alles anders machen, da man ja nicht so wie die Eltern leben möchte?

Nun, kann man sich für ein Leben bedanken, das nicht immer geradlinig verlief und das von einer chronischen Erkrankung geprägt ist? JA, das kann ich und möchte dies mit diesem Kapitel tun.

Gerne erinnere ich mich an meine gut behütete Kindheit, an Sonntage mit der Familie bei gemeinsamen Spaziergängen, gehüllt in „Sonntagskleidchen“ mit weißen Kniestrümpfen und Lackschuhen. Meine Oma, Mama und ich sangen immer fröhliche Volkslieder.

Das Autowaschen mit meinem Vater am Flussufer der Queich, das heute Umweltschützer auf den Plan rufen würde. Die Autofahrten hoch zum Wald des Taubensuhl, der hoch genug liegt, um meinen durch einen chronischen Husten gebeutelten Bronchien wieder zum Durchatmen zu verhalfen.

Ich erinnere mich auch gut an die Nachmittagsbesuche mit Mama bei ihrer Freundin, die auch zwei Mädchen in meinem Alter hatte und nur dort konnte ich mich austoben, da wir in einem Mietshaus wohnten, wo das Schild „Betreten des Rasens“ schon von weitem zu erkennen war. Schrecklich waren diese Jahre dort und die Ängste vor den „alten Hexen“ im Haus, die mir immer drohten, sie würden mir mit der Schere die Ohren abschneiden.

Ganz unvergessen ist mir die Kindheit mit meiner Oma mütterlicherseits, bei der ich oft übernachten durfte, von der ich ein Stückchen Anpflanzbeet in ihrem Garten bekam und die mich ab und zu mit in den Urlaub in die Schweiz nahm. Meine Liebe zu ihr war innig. Doch sie wurde mir im Alter von 16 Jahren jäh genommen, nachdem sie auf der Heimreise von Italien einen Verkehrsunfall erlitten hatte. Heute noch erinnere ich mich genau an ihre Wohnung, an den gruseligen Keller (ehemaliger Bunkerkeller), die Fern-sehabende mit selbst hergestelltem Eierlikör, die dicken Daunendecken, in denen ich restlos versank, die nach Lavendel duftende Wäsche im Schrank und das Erlernen des Bügeln von Hemden. Eine wunderschöne, viel zu kurze Zeit!

Mein Vater arbeitete zu Beginn meiner Kleinkindjahre im Schichtdienst und ging nebenbei auf die Meisterschule. Daher bin ich trotz der französischen Herkunft meines Vaters nicht zweisprachig aufgewachsen, denn zum einen sah ich ihn wenig, zum anderen sprach meine Mutter kein Französisch und es war wichtig für ihn, die deutsche Sprache einwandfrei zu erlernen. Im zarten Alter zwischen 12 bis 14 Jahren weigerte ich mich permanent, da ich mit mir beschäftigt war und mich vor ihm schämte. Also lieber Papa, ich bin nicht schuld daran, dass ich kein Französisch spreche, die Lebensumstände gaben uns keine Möglichkeit.

Mein Bruder Patric kam im August 1971 auf die Welt. Das Wort Eifersucht zog in mein Leben ein, denn bis dato war ich die Nummer Eins. Zuerst schreiend und die Hälfte meines Zimmers in Anspruch nehmend, worauf später die üblichen Geschwisterkämpfe um Spielsachen folgte. Ich hatte immer das Gefühl, er bekäme mehr Aufmerksamkeit als ich. Wir sind grundverschieden, aber haben uns immer wieder berappelt in den vergan­genen Jahren und mögen uns doch, auch wenn wir es bis heute mit dem anderen immer besser meinen. Das Geschwister sein hat uns letztendlich zusammenwachsen lassen, wir akzeptieren uns, und unsere Kinder wachsen zusammen auf.

Meine Jugend war rebellisch, da ich viele Dinge erst spät oder gar nicht machen durfte. Die Jugend ist rebellisch, heute wie damals. Es ist gut so, wie es ist, man muss erst als Heranwachsender seinen Weg finden. Ich war ein sensibles Kind und diese Sensibilität habe ich bis heute nicht ablegen können. Auch wenn ich diese Fassade hinter Frohsinn, Humor und Lachen verstecke. Die Erziehung meiner Eltern war geprägt von Anstand, Respekt und Benehmen. Wir Kinder gehorchten fast bedingungslos und begegneten unseren Mitmenschen dementsprechend. Diese Meinungsfreiheit und kameradschaftliche Erziehung, die unsere Kinder heute fast alle kennen, gab es zu unserer Zeit wenig. Die „besseren“ Menschen sind wir auch nicht geworden. Aber wir hatten doch mehr Freiheit in der kindlichen Entwicklung und eine unbeschwerte Kindheit mit erfolgreichen Aussichten für eine Schul- und Berufswahl. In den meisten Fällen.

Zurück zu meiner Jugend. Wie peinlich war es, als mein Papa mich sonntags direkt vor der Tanzschule abholte, anstatt um die Ecke zu parken. Meiner Tochter werde ich dies im nächsten Jahr nicht antun, denn diese Schmach steckt mir heute noch in den Knochen! Schminken war ein Thema für meine Mama oder vielmehr überhaupt kein Thema für sie. Also schminkten meine Freundinnen und ich uns heimlich in der Schülertoilette und die Diskussion ging dann erst nach der Schule los. Auch die gut gemeinten Pausenbrote mit Butter unter der Wurst konnte ich meiner Mutter nicht abgewöhnen. Mit den selbst gewählten Freunden konnte ich bei meinen Eltern nicht punkten, heute immer noch nicht. Hier stellt sich die Frage, ob ich entweder unter Geschmacksverirrung leide oder meine Eltern intolerant sind. Meine Eltern wollten eben immer „das Beste“ für mich. Wir werden diese Frage nie lösen zur Zufriedenheit des einen, der beiden oder für mich. Also liebe Eltern, lasst uns keine Zeit mit unnötiger Eigensinnigkeit verschwenden!

Noch heute bin ich ihr „KIND“. Habt ihr denn nicht gemerkt, dass ich 45 Jahre alt bin, selbstständig, selbstbewusst, eigenverantwortlich, zwei tolle, gut erzogene Kinder habe, mit Geld umgehen kann, erfolgreich im Beruf war, ein Buch geschrieben habe, intelligent, bei vielen beliebt, hilfsbereit, streitsüchtig in Maßen, einen guten Geschmack habe, belesen bin, die Welt bereist habe und so vieles mehr?

All dies, liebe Mama und Papa habe ich von euch vererbt und mit auf den Lebensweg bekommen. Ihr habt doch etwas Tolles aus mir gemacht, voller Liebe, Entbehrungen und Einsatz.


1966

MS - Mein anderes Leben!

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