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Natürlich konnte man sich mit einem Berufskiller nicht einfach in seiner Stammkneipe verabreden, wenn man einen Auftrag durchsprechen wollte. An einem Ort, an dem es die Tresennachbarn gewohnt waren, sich Schulter klopfend in jedes Gespräch einzumischen und jede noch so sinnlose Bemerkung mit bedauernden Blicken oder dreistem Grinsen zu bedenken. Besser wäre schon eine Berufskiller-Feierabend-Kneipe gewesen, wo sich die Killer nach dem letzten Mord des Tages auf ein gemütliches Glas Bier trafen und über unanständige, blutfreie Witze lachten.

Aber solche Kneipen kannte Vitali nicht.

Deshalb hatte er eine andere Idee gehabt, als er zum ersten Mal für die Familie einen Mord in Auftrag geben durfte. Er hatte sich überlegt, in der Abgeschiedenheit der Provinz, abseits von jeglicher Aufmerksamkeit, ein Treffen vorzubereiten. Dazu hatte er sich aus dem Internet ein Hotel nicht weit von Hamburg herausgesucht, der Stadt, in der der Mord stattfinden sollte. Nah genug am Ort des Geschehens, dass man diesen ohne viel Aufwand erreichen konnte. Weit genug weg, so dass niemand einen Aufenthalt in diesem Hotel mit einem Mord im fernen Hamburg in Zusammenhang bringen würde. Der Killer würde am Abend zuvor mit dem Flieger aus Moskau in Düsseldorf eintreffen, am Flughafen einen Leihwagen erhalten und dann hier übernachten. Am nächsten Morgen würde Vitali sich mit ihm treffen. Er würde ihm das Geld für den Auftrag übergeben und noch einmal letzte Details absprechen. Er würde ein Foto von dem Opfer mitbringen und sogar einige Notizen zu seinen Lebensgewohnheiten zu Papier gebracht haben.

Nach dem Treffen würde der Killer nach Hamburg fahren, seinen Auftrag ausführen, und vielleicht bliebe ihm sogar noch etwas Zeit zum Shoppen. In Hamburg konnte man gut einkaufen, fand Vitali. Er hatte extra noch einen Zettel mit Adressen dabei, wo man die besten Goldkettchen, Rolex-Uhren und Armani-Sonnenbrillen kaufen konnte. Für den Fall, dass der Killer ihn danach fragen würde. Dann würde dieser den Wagen zurückbringen und noch in derselben Nacht zurückfliegen. Wenn man die Leiche finden würde, wäre er längst über alle Berge. Niemand würde ihn in Hamburg bemerkt haben. Niemand würde ihn verdächtigen können. Niemand würde auch nur auf die Idee kommen, dass er etwas mit einer hässlichen Leiche zu tun haben würde.

Der Plan war perfekt.

Vitali war begeistert, dass er diesmal einen so guten Plan gehabt hatte. Denn er musste zugeben: er und sein Zwillingsbruder Wladimir standen innerhalb der Familie nicht unbedingt in dem Ruf, gute Pläne zu haben. Sie galten als eher ungeschickt. Auch wenn Vitali das nicht gerecht fand. Als sie beispielsweise neulich die Leiche im Main verschwinden lassen sollten und diese fachgerecht mit Zementfüßen versehen hatten, wie konnten sie da ahnen, dass es in dem schicken Laden für Künstlerzubehör auch wasserlöslichen Zement zu kaufen gab? Und als sie aus einer weiblichen Leiche eine anonyme Tote machen sollten, hatten sie Stunden damit zugebracht, dass man Fingerabdrücke und Zähne nicht zur Identifizierung der Toten heranziehen konnte. Sie hatten wirklich gute Arbeit geleistet. Was konnten sie dafür, dass die Polizei keine 20 Minuten gebraucht hatte, um die Leiche anhand der Registriernummern ihrer Brustimplantate zu identifizieren?

Von daher war es für Vitali eine mehr als freudige Überraschung gewesen, als sein Großvater ihn vor einigen Tagen beiseite genommen und ihm einen Zettel mit einer Telefonnummer in die Hand gedrückt hatte. Damit Vitali sich an der Lösung des Problems beteiligen konnte, das die Familie gerade hatte. Das Problem, um das es dabei ging, hatte etwas damit zu tun, dass die Familie sich inzwischen in Deutschland festgesetzt hatte und den Markt mit Drogen, Waffen und Falschgeld von Frankfurt aus beherrschte. Das Geschäft lief gut. So gut, dass die Familie begann, sich weiter nach Norden auszudehnen. Das war nicht einfach, denn von Hamburg aus beherrschte der Minsker Clan den Markt mit Drogen, Waffen und Falschgeld. Ebenfalls recht erfolgreich. So dass dieser begann, sich Richtung Süden auszudehnen.

Diese Konstellation hatte zu merklichen Differenzen geführt.

Daher hatte es im vorherigen Monat ein Treffen der Clanchefs gegeben, bei dem man sich gegenseitig seine Präferenzen dargelegt hatte. Es hatte eine lange Diskussion gegeben, allerdings hatte man sich nur in wenigen Punkten einigen können. Eigentlich war man sich nur in einem einzigen Punkt einig gewesen: Deutschland war ein schöner Markt, den man gern für sich allein hätte. Ohne die störende Konkurrenz.

Nach dem Treffen hatte die Familie das Problem daher intern weiter diskutiert. Und schon sehr bald war er dabei ins Gespräch gebracht worden: Stanilov.

Stanilov gehörte eigentlich nicht zur Familie sondern arbeitete freischaffend. Wenn es ein Problem gab, rief man ihn an, bezahlte ihn, und er löste dieses Problem. Und darin war er gut, verdammt gut. Stanilov hatte vermutlich einen größeren Einfluss auf die russische Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahrzehnte als der selbst gebrannte Wodka, und das hieß was. Man rief Stanilov an, und am nächsten Tag war die Person verschwunden, die das Problem dargestellt hatte. Auf ewig versenkt in der Neva, eins geworden mit der Betonmasse des neuen Einkaufszentrums oder in Portionen verpackt Teil der nächsten Auslieferung von Hundefutter in Konserven. Und wenn ihn die Polizei nach dem Mord aufspürte, hockte er zumeist an einem Strand auf der Krim und konnte felsenfest nachweisen, dass er den entsprechenden Strandabschnitt in den letzten drei Wochen kein einziges Mal verlassen hatte.

Auch wenn Stanilov unabhängig war, so arbeitete er dennoch zumeist für die Moskauer Familie. Das machte ihn schon fast zu so etwas wie einem Ehrenfamilienmitglied. Die Kinder bezogen ihn mit in ihre Abendgebete ein, die Erwachsenen plauderten über ihn wie über einen netten Großonkel. Und auch für Vitali war er seit seiner Kindheit das große Vorbild gewesen. So wie Stanilov wollte Vitali auch einmal werden. So berühmt, so cool, so effektiv. Auch wenn er Stanilov noch nie zu Gesicht bekommen hatte, dieses Privileg hatten nur wenige aus der Familie genießen dürfen. Er stellte ihn sich ein wenig vor wie John Wayne. Nur schlanker und jünger. John Wayne mit dem Körper von Arnold Schwarzenegger in Conan der Barbar. Eine Zeit lang hatte er sich daher John Wayne an die Wand seines Zimmers gepinnt und sich eingeredet, dass dies Stanilov sein würde. Es hatte aber nichts geholfen, es blieb John Wayne. Es wurde auch nicht besser, als er unter das Gesicht das geköpfte Foto von Schwarzenegger gehängt hatte.

Als der Großvater ihm daher den Zettel mit der Telefonnummer in die Hand gedrückt und ihm gesagt hatte, dass dies die Nummer von Stanilov sein würde, war Vitali aufgeregt wie nie zuvor in seinem Leben gewesen. Er durfte Stanilov anrufen. Den Stanilov. Den großen Stanilov. Es war ein großer Vertrauensbeweis gewesen, denn mit Stanilov zusammen arbeiten durfte nicht jeder. Und Vitali wusste, dass er diesmal das in ihn gesetzte Vertrauen erfüllen würde.

Als er bei Stanilov angerufen hatte, war er so aufgeregt gewesen, dass er kein einziges Wort herausgebracht hatte. Er hatte einige Sekunden vor sich hergestottert und dann den Hörer wieder aufgelegt. Er hatte einige Male tief eingeatmet und sich dann den Text aufgeschrieben, den er seinem Idol erzählen wollte. Anschließend hatte er nochmals angerufen, und es hatte funktioniert. Schon nach wenigen Sätzen waren die Worte nur so aus ihm herausgesprudelt, ohne dass er seine Niederschrift weiter beachten musste. Er war schon fast dabei gewesen, ihm sein ganzes Leben zu erzählen, als er bemerkt hatte, dass anstelle von Stanilov dessen Mutter am Apparat war. Bei der dieser scheinbar noch wohnte und die davon ausging, wie Vitali erfuhr, dass ihr Sohn als Vertreter für Kühlschränke in der Welt unterwegs war. Vitali konnte nur hoffen, dass er nicht zu viel ausgeplaudert hatte, bevor er diesen Irrtum bemerkt hatte.

Am nächsten Tag hatte er Stanilov aber endlich seine Pläne erläutern und eine Übereinkunft mit ihm treffen können, eine Begegnung zur Absprache für letzte Details. Und zur Übergabe des Geldes.

Vitali hatte sich bemüht, diesmal alles perfekt zu machen. Nicht nur, um der Familie zu zeigen, was alles in ihm steckte. Es ging auch darum, Stanilov zu imponieren. Wenn Stanilov ihn für die Perfektion seiner Arbeit loben würde, das wäre mehr wert als freundliches Schulterklopfen vom Großvater. Mehr als lobende Worte der Familiengrößen. Mehr als bewunderndes Gemurmel bei Tisch.

Vitali parkte seinen Mercedes hinter einem BMW am Straßenrand vor dem Gasthaus, in dem er sich mit Stanilov verabredet hatte. Er drehte dem Motor den Saft ab und nahm die Tasche vom Rücksitz des Wagens, die er erst kürzlich im Supermarkt im Sonderangebot erworben hatte. Nicht, dass er normalerweise die Sonderangebote der Supermärkte durchforstete. Doch so eine Supermarkt-Tasche sah schlichtweg unscheinbar aus. Da würde niemand auf die Idee kommen, dass sie 100.000 Euro enthielt. Gebündelt und in kleinen, gebrauchten Scheinen. Das Geld für einen kleinen Auftragsmord.

Vitali nickte seinem Zwillingsbruder Wladimir auf dem Beifahrersitz zu, und die Zwillinge stiegen aus.

„Gasthaus Zur fröhlichen Eiderente“, las Wladimir laut und mühsam. Lesen war nicht unbedingt seine Stärke. Wladimir war ohnehin der Meinung, dass man als guter Killer nicht wirklich ein guter Leser sein musste. Es war einfach besser, nach Fotos zu gehen als nach einem aufgeschriebenen Namen auf einem Zettel. Fotos waren eindeutiger. Die aufgeschriebene Adresse konnte falsch sein, das Zielobjekt konnte inzwischen umgezogen sein, was auch immer. Bei Fotos passierte einem so etwas nicht. Als Killer musste man daher nicht lesen können sondern einfach nur gute Augen zum Erkennen der Fotos und der Zielobjekte haben. Deshalb trainierte Wladimir seine Augenmuskulatur, in dem er jeden Tag eine halbe Stunde lang angestrengt auf einen Punkt starrte.

„Komm, Bruder“, sagte Vitali, und gemeinsam schritten sie auf das Gasthaus zu und betraten die Empfangshalle der Eiderente.

Die Einrichtung in der Eingangshalle wirkte unmodern und eingestaubt. Nicht unbedingt so, wie es die Fotos im Internet hätten vermuten lassen. Vitali war sich nicht einmal sicher, ob die Fotos tatsächlich in dieser Eingangshalle gemacht worden sind. Was den Kronleuchter anging, so hätte er sich zumindest vorstellen können, dass der inzwischen geklaut worden war. Immerhin war er Russe. Aber es hätte auf jeden Fall eine Menge Arbeit machen müssen, den auf den Fotos erkennbaren Marmorfußboden zu entfernen.

In der Ecke stand ein ausgestopftes Tier, das für ihn entfernt Ähnlichkeit mit einem tuntigen Fischotter hatte.

Vitali betätigte die Klingel, die auf dem Tresen der Rezeption zu finden war, und stellte die Tasche neben der Rezeption ab.

„Was kann ich für Sie tun?“ fragte Hans-Günther freundlich, nachdem er sich aus einem der hinteren Räume kommend an den Tresen gesetzt hatte.

„Wir suchen Mann der hier hat Zimmer“, sagte Vitali mit seinem russischen Akzent. Er hatte lange an diesem Akzent geübt. Eigentlich war er bereits mit drei Jahren in die Gegend von Frankfurt gezogen. Von daher wäre ihm ein hessischer Akzent leichter gefallen als ein russischer. Aber ein Falls du noch einen letzten Wunsch hast, ist es zu spät dafür, denn diese Pistole wird dich jetzt zu bleihaltigem Sondermüll verarbeiten klang im breiten Hessisch nicht gut. Nicht ängstigend. Das brächte einem höchstens einen Comedy-Preis ein. Würde aber nicht dazu führen, dass der Gegenüber in Angstschweiß ausbrach. Da war der russische Akzent besser für geeignet, der wirkte brutaler, unberechenbarer. Stanilov-mäßiger. „Wir suchen Herrn…“

Vitali stutzte. Ja, wen denn eigentlich? Stanilov? Ein richtiger Killer würde bestimmt nicht unter seinem echten Namen einchecken, so blöd würde er nicht sein. Und ein Killer wie Stanilov erst recht nicht. Aber welchen Namen hatte er gewählt, um hier einzuchecken?

Vitali ärgerte sich über sich selbst. Er hatte diesmal alles richtig machen wollen, und dann war ihm doch ein so dermaßen blöder Anfängerfehler unterlaufen. Es war lächerlich. Natürlich hätte er zuvor mit Stanilov absprechen müssen, unter welchem Namen er hier absteigen würde, sonst würde er ihn in dieser Hotelanlage nicht finden können. Dazu war das Hotel mit all seinen Sportanlagen viel zu groß. Wie konnte er so etwas Wichtiges nur vergessen? Scheiße, scheiße, scheiße.

„Warum du hast nicht Namen aufgeschrieben, du Idiot?“ pflaumte er seinen Bruder an. Natürlich war es nicht dessen Schuld, denn dieser hatte bisher kein einziges Wort mit Stanilov wechseln dürfen. Doch Wladimir die Schuld zu geben war deutlich angenehmer als sich über sich selbst zu ärgern.

„Du hast telefoniert mit ihm“, schimpfte Wladimir zurück. „Warum du nicht Namen aufschreiben. Bist Arschgeige!“.

„Den Herrn Petersen vielleicht?“ fragte Hans-Günther entgegenkommend. Mehr Gäste hatte er schließlich nicht, im Moment.

„Ja, Herr Petersen“, erwiderte Vitali erleichtert. Der Name Petersen war gut. Der war von hier. An der Ortseinfahrt hatte eine Bäckerei so geheißen. Mit dem Namen würde man hier nicht auffallen. Das hatte ein Profi wie Stanilov sofort erkannt. Der war schon ein ganz Ausgebuffter, dass er auf solche Namen kam.

„Der Herr Petersen sitzt gerade drüben in der Gaststube“, sagte Hans-Günther und zeigte auf die Milchglas-Tür, hinter der sich die Gaststube befand.

Vitali blickte zur Tür und zurück zu Hans-Günther. Er hätte den Gastwirt in diesem Augenblick am liebsten umarmt vor Begeisterung, aber eine solche Tat hätte an seinem Image kratzen können. So zwitscherte er nur ein „Danke“ und täuschte wie ein erfahrener Football-Profi links an, um rechts an seinem Bruder vorbeizuziehen. Damit er als erster an der Tür und somit als erster bei Stanilov sein könnte.

Vitali öffnete die Milchglas-Tür und sah sich in dem Raum dahinter um. Es war ein Raum mit fünf rustikalen Tischen aus dunklem Holz, auf denen sich Plastiktischdecken und Plastikblumen befanden. Die Hälfte der Seitenwand wurde von einem Tresen eingenommen, neben dem eine Tür in die Küche führte. Vor dem ebenfalls mit Kunststoffblumen verzierten Fenster aus gelbem Glas hing eine schwere, hellrote Gardine, die nur von einer Holztür unterbrochen wurde, die direkt nach draußen zu führen schien. An den am weitesten voneinander entfernten Tischen saßen zwei Männer. Ein etwas dickerer Kerl mit einem falschen Schnurrbart und ein etwas Zerzauster mit strähnigen Haaren.

Stanilov würde sich vermutlich keinen Schnurrbart ankleben, der schon auf zehn Meter Entfernung unecht aussah, glaubte Vitali. Abgesehen davon konnte der Strähnige seine russische Natur trotz aller Verkleidung nicht vollständig verstecken: Er saß vor einer Flasche Wodka, aus der er sich eifrig bediente. Es war eindeutig, wer von den beiden Anwesenden Stanilov sein würde.

Mit klopfendem Herzen durchschritten die Zwillinge den Raum bis hin zu dem Wodkatrinker. Dieses unscheinbare Aussehen war großartig. Stanilov hatte sicherlich tausend verschiedene Masken, aber diese hier war perfekt. Niemand würde hinter diesem Looser-Gesicht den höchst bezahlten Auftragskiller Russlands vermuten.

Vitali wollte den Mann hinter der Wodkaflasche gerade auf Russisch ansprechen, als ihm bewusst wurde, dass dies im Angesicht der anwesenden Zeugen durchaus verdächtig werden könnte.

„Herr …äh... Petersen?“ fragte er daher.

„Ja, was ist?“ erwiderte Karl und sah erschrocken auf. Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Er war mit Lona zur Eiderente gekommen und wartete nun, dass sie in der Küche fertig werden würde, damit sie zusammen in den Wald fahren könnten. Denn in seinem Kofferraum lag noch immer eine Leiche, die entsorgt werden musste. Um seine Nerven zu beruhigen, hatte er sich von Franz, dem Barkeeper, eine Flasche Wodka geben lassen, aber irgendwie half die auch nicht weiter. Und jetzt kamen auch noch zwei seltsame Typen mit russischem Akzent und suchten nach ihm. Das war nicht gut.

Gar nicht gut.

Vitali griff mit beiden Händen die Hand von Karl und schüttelte sie ausgiebig.

„Ich Vitali. Ich muss sagen Ihnen, dass ich schon immer bin großer Bewunderer von Ihrer Arbeit“, sagte er freudestrahlend und hörte nicht damit auf, die Hand zu schütteln. Er überlegte, ob er vielleicht sein Hemd öffnen sollte, damit darunter das selbst gemachte I-♥-Stanilov-T-Shirt zum Vorschein kommen könnte.

Karl war etwas überrascht. Bisher war er noch nie für seine Arbeit gelobt worden. Bisher hatte ihm noch nie jemand erzählt, dass sein Brot oder sein Kuchen ausgesprochen lecker sein würde. Den Dorfbewohnern hier ging es beim Brot ohnehin nicht um den guten Geschmack. Es sollte einfach nur satt machen und den Magen soweit verstopfen, dass nicht weiteres mehr gepasst hätte, das war alles. Er hätte ihnen genauso gut eine Tasse vollgefüllt mit Vollkornmehl verkaufen können. Das ließ sich einfach nur schlechter transportieren. Das war der einzige Grund, weshalb die Leute in Hützel lieber Brot wollten.

Mit der Bäckerei hielt er sich insgesamt gesehen mehr schlecht als recht über Wasser. Die Bäckerei war noch nie gut gelaufen, deshalb hatte er sie auch gar nicht erst haben wollen. Nach der Schule und seiner Bäckerlehre war Karl deshalb nach Hamburg gegangen anstatt in der Bäckerei mitzuarbeiten. Das Provinzleben war ihm ziemlich auf den Keks gegangen (ein passendes Wortspiel für einen Bäcker). Und in Hamburg, so hatte er gehofft, würde er groß herauskommen können.

Zunächst hatte er dort allerdings sein Geld mit dem Verkauf von Kerzen verdient. Er war von Haustür zu Haustür gezogen und hatte diese dort feilgeboten. Er hatte Kerzen in Form von Hunden, von Kühen und von Schabrackentapiren im Angebot gehabt. Besonders die Schabrackentapire machten sich gut. Wegen des abgefahrenen Namens der Tiere und ihres fast schon ins Perverse tendierenden Aussehens.

Im Großen und Ganzen lief das Geschäft zufriedenstellend. Man lieferte ihm jeden Monat gegen Vorkasse 300 Kerzen nach Hause, die er an den Mann oder an die Frau bringen musste. Sechs Euro fünfzig kostete das Stück, die Hälfte davon war sein Gewinn. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn er ein paar Kerzen mehr hätte verkaufen können. Denn so standen bei ihm nach einem viertel Jahr rund 400 Kerzen in der Wohnung herum und nahmen Platz weg.

Es war eben nicht so leicht, Kerzen an der Haustür zu verkaufen. Und Karl musste sich eingestehen, dass er auch nicht unbedingt jemand war, der die Leute beschwatzen konnte. Ihm fiel es eher schwer, auf Leute einzureden. Und ihnen zu erzählen, dass sie unbedingt Kerzen brauchen würden. In Form von Tieren.

Nach einem Jahr standen bei ihm vielleicht 900 Kerzen herum, die er sogar schon im Kühlschrank unterbringen musste, da es woanders keinen Platz mehr gab. Er wusste, dass er es würde lernen können, seine Kerzen erfolgreich anzupreisen. Es war alles nur eine Frage der Übung. Und Übung hieß: er würde es nur lange genug versuchen müssen, dann würde er eines Tages richtig gut darin sein.

Nach eineinhalb Jahren hatte er Probleme, beim Duschen nicht ständig auf Hunde und Kühe zu treten. In seinem Bett wimmelte es auch schon von Kerzen. Sein Kühlschrank war voll damit, was aber in Ordnung war, da er sich ohnehin nichts leisten konnte, was er ansonsten in den Kühlschrank hätte legen können. Trotzdem kamen ihm zu diesem Zeitpunkt erste Zweifel, ob der Beruf eines Kerzenvertreters der richtige für ihn sein würde.

Als nach zwei Jahren sein Vater starb und es hieß, er müsste als einziger Sohn zurückkommen, um die seit Jahrzehnten von der Familie betriebene Bäckerei zu übernehmen, schien das ein Wink des Schicksals zu sein. Vielleicht sollte er sein Leben gar nicht als Kerzenverkäufer beenden müssen. Vielleicht hatte das Leben doch Größeres mit ihm vor. Als Bäcker. Auch wenn er das bislang noch nie so mitbekommen hatte.

„Ich auch großer Bewunderer“, sagte Wladimir und drängte Vitali beiseite, um auch einmal ausführlich Karls Hand zu schütteln.

Karl starrte ihn entgeistert an. Aber gut, wenn man ihn bewundern wollte, dann sollte man es tun. So schlecht waren seine Brote ja wirklich nicht. Manchmal aß er sie sogar selber.

„Hier wir können nicht reden in Ruhe“, sagte Vitali, um das in seinen Augen fast schon peinliche Begrüßungsritual zwischen Stanilov und seinem Bruder ein wenig abzukürzen, und warf einen kurzen Seitenblick auf den Mann mit dem falschen Schnurrbart. „Vielleicht gehen nach draußen. Mehr sicher.“

Karl hatte nicht die leiseste Ahnung, was die beiden von ihm wollten und worüber sie mit ihm reden wollten. Aber immerhin hatte die Tatsache, dass die Beiden ihn schon immer bewundert hatten, ein wenig von seiner anfänglichen Angst genommen.

Sie verließen die Gaststube durch die Tür an der Fensterfront, die direkt auf den Parkplatz hinter dem Haus führte. Es war der offizielle Gästeparkplatz. Da Hans-Günther allerdings aus Kostengründen auf ein entsprechendes Hinweisschild an der Straße verzichtet hatte, parkten die wenigen Gäste grundsätzlich am Straßenrand, so dass die Dorfbewohner den Parkplatz für sich verwenden konnten.

„Reise gut?“ fragte Vitali und zündete sich eine Zigarette an. Cabinet. Ohne Filter. Er brauchte einen Eisbrecher, auch wenn er sich nicht sicher war, ob ein Killer, der dermaßen cool war wie Stanilov, durch irgendwas zum Schmelzen zu bringen wäre. Doch er hatte das Bedürfnis, ein wenig auf Smalltalk zu machen, um Stanilovs Sympathien zu gewinnen.

„Welche Reise?“ fragte Karl verwirrt.

„Ah, ich verstehe“, erwiderte Vitali lächelnd und führte seinen ausgestreckten Zeigefinger vor den Mund. „Keine Reise.“

Vitali war begeistert. Er kannte Stanilov seit nicht einmal zwei Minuten und hatte bereits seine erste Lektion von ihm gelernt: Niemals etwas zugeben, was mit dem Auftrag in Zusammenhang stand. Auch nicht, wenn es offensichtlich war. Auch nicht, wenn der Gegenüber über den Auftrag Bescheid wusste. Oder sogar der Auftraggeber war.

Dennoch hätte Vitali noch gern etwas mit Stanilov geplaudert, bevor man zum Geschäftlichen überging. Vielleicht würde es seine einzige Chance auf Jahre sein, mit seinem großen Idol zu reden. Dummerweise fiel ihm jedoch nichts ein. Er hätte über die Shopping-Möglichkeiten in Hamburg reden können, aber das traute er sich im Augenblick nicht, da Stanilov bereits am Telefon hatte durchblicken lassen, dass er irgendwie keine Goldkettchen und keine Rolex-Uhren mochte. Nachdenklich betrachtete Vitali die drei Wagen, die auf dem Parkplatz standen. Ein alter Mercedes, ein ebenso alter Ford und ein Audi 100. Vitali überlegte, mit welchem Wagen davon wohl Stanilov gekommen war.

„Welche Ihr Wagen?“ fragte Vitali.

„Das da vorn ist mein Wagen“, erwiderte Karl und zeigte auf seinen Mercedes, der neben den Automobilen von Hans-Günther und Franz stand.

„Ah, gute Wagen“, erklärte Vitali fachmännisch, trat zu dem Auto und betrachtete die Rostlaube von allen Seiten. „Ich auch fahren Mercedes. Beste Wagen. Nie kaputt.“

Vitali hoffte, nun endlich ein unverfängliches Thema gefunden zu haben. In seinen Augen sah der Wagen zwar Schrott aus, aber es hätte ja auch schlimmer kommen können. Immerhin war Stanilov nicht mit einem Smart vorgefahren. Oder einem Lada.

Liebevoll klopfte er dem Mercedes auf den Hintern, was in diesem Fall der Kofferraum war. Vitali wäre durchaus bereit gewesen, ein noch intimeres Verhältnis zum Hinterteil des Wagens zu entwickeln, wenn dieses Klopfen nicht bereits mehrere miteinander zusammenhängende Ereignisse zur Folge gehabt hätte.

Erstens: Der defekte Kofferraum reagierte auf das Klopfen, in dem er sich kurzerhand öffnete.

Zweitens: In das Bewusstsein von Karl, der noch immer darüber nachgrübelte, ob die beiden Russen einfach nur verrückt waren, sickerte nach wenigen Augenblicken die Tatsache, dass sich in eben diesem Kofferraum derzeit eine in einen Teppich gerollte Leiche befand.

Drittens: Von dieser Erinnerung durchtränkt sprang Karl augenblicklich vor, knallte die Haube des Kofferraumes zu und setzte sich vorsichtshalber auf diese.

Viertens: Die beiden Russen starrten ihn verblüfft an.

„Äh... ich...äh... schönes Wetter heute, nicht wahr?“ stammelte Karl und blickte demonstrativ in den Himmel, in dem es inzwischen ziemlich grau und eintönig zuging. Er versuchte, den Blick seiner Gesprächspartner möglichst weit weg von dem Kofferraum zu lenken. Was aber nicht wirklich gelang.

Denn die starrten demonstrativ auf den Kofferraum.

„Wunderbar“, flüsterte Vitali. Der Flieger aus Moskau war gemäß Flugplan erst vor fünfzehn Stunden in Düsseldorf gelandet, und schon hatte Stanilov, quasi im Vorübergehen, einen kleinen Auftrag erledigt. Und wartete dann cool seinen Wodka trinkend auf den nächsten Auftrag. Seine Bewunderung für Stanilov stieg noch mehr. So würde er gern einmal sein. Auch wenn er sich eingestehen musste, dass er vermutlich niemals so cool wie dieser Kerl werden könnte.

„Wir Ihnen helfen, Leiche weg machen“, verkündete Vitali hoffnungsfroh. Bei Stanilovs knappen Zeitplan war klar, dass er bisher noch keine Zeit gefunden hatte, die Leiche loszuwerden. Und bis zum Abend vielleicht auch nicht mehr dazu kommen würde. Also würde er ihm helfen können. Auf dem Weg hierher war Vitali an einem großen Wald vorbeigekommen, der gleich hinter dem Ort begann. Dort würde man, so glaubte er, die Leiche problemlos vergraben können.

„Was?“ fragte Karl.

„Wir Leiche vergraben in Wald. Sie sich keine Sorgen machen.“

Es freute Vitali gewaltig, dass er eine Möglichkeit gefunden hatte, Stanilov einen Gefallen tun zu können. Stanilov würde es zu schätzen wissen, wenn man ihm behilflich war. Freundlichkeiten unter Kollegen. Vielleicht würde dies ja der Beginn einer großen Freundschaft werden. Wie bei Bogart. In Casablanca.

„Nicht vergraben!“ Ein gewisses Maß an Panik machte sich in Karl breit. Vergraben war nicht genau das gewesen, was Lona mit ihrem Ehegatten geplant hatte. Soweit er sich erinnerte.

„Kein Problem“, sagte Vitali fröhlich. „Wald groß. Niemand wird finden Leiche.“

„Aber…“

„Sie uns tun Gefallen. Wir Ihnen tun Gefallen.“

Breit lächelnd grinste Vitali Karl an, so dass dieser die Goldzähne des Russen sehen konnte.

„Los, Bruder, lass dir geben Wagenschlüssel und steig ein in Wagen.“

„Was für Wagenschlüssel?“ fragte Karl resignierend.


Jägerschnitzel

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