Читать книгу Redewendungen: Episoden 2003 - Carsten Both - Страница 4

Episode 38: Wer versiegelt luftdicht?

Оглавление

Was in der letzten griechisch-mythologischen Folge geschah: Zeus bandelte mit der hübschen Priesterin Io an. Dies gefiel seiner anrückenden Alten, der Göttin Hera, überhaupt nicht. Plötzlich stand die arme Io als weiße Kuh da, wobei sich die Gelehrten streiten, wer gezaubert hatte: Zeus, um seine Neue vor der Gattin zu verbergen, oder die eifersüchtige Hera, als Strafe für die läufige Nebenbuhlerin. Wie dem auch sei. Die schlaue Hera handelte ihrem chronisch untreuen Ehemann die Kuh ab und stellte den hundertäugigen Riesen Argus Panoptes als unüberwindbaren, weil nie vollständig schlafenden Wächter ein.

Und so geht die Story weiter: Da Zeus aufgrund der Argusaugen nicht mehr an seine neueste Errungenschaft herankam, beauftragte er einen seiner unzähligen Söhne, die biologische Blockade zu beseitigen und Io die Freiheit zurückzugeben. Der als Götterbote bekannte Hermes schläferte Argus mit Wiegenliedern und Hirtenflötengeflöte ein, wobei eine ganze Horde Sandmännchen [vgl. Episode 27] zum Einsatz gekommen sein muss. Als schließlich alle hundert Augen zugefallen waren, tötete der Zeus-Sohn hinterrücks den friedlich schlummernden Io-Hüter. Die zahlreichen Augen seines Mordopfers setzte Hermes in den Pfauenschweif ein. So kam der Pfau zu seinen schillernden Gefiederaugen.

Andere mythische Nachrichtenagenturen melden, dass es die Göttin Hera gewesen sein soll, die die Argusaugen an die Pfauenschwanzfedern heftete. Dem Pfau, ihrem heiligen Attribut, verschönerte sie auf diese Weise das Federkleid. Ferner ist noch die Version im Umlauf, Hera hätte einfach den kompletten toten Argus, quasi als Belohnung für treue Dienste, in einen Pfau verwandelt und die Augen wären so automatisch zum Gefiederteil geworden. (Diese Evolutionsthesen gelten aber allesamt als wissenschaftlich umstritten!)

So tragisch endete ergo die Karriere des allessehenden Aufpassers. Dabei hätte Argus schon etwas misstrauischer sein können oder sogar müssen. Denn es war bekannt, dass der mit Flügelsandalen, Heroldsstab, Geldbeutel und beflügeltem Reisehut ausgestattete Gott des sicheren Weggeleits auch Seelenführer ins Jenseits war! Darüber hinaus fungierte Hermes nicht nur als Patron der Reisenden, Diebe und Schelme (das geht ja noch), sondern er war außerdem der Schutzgott der Kaufleute! Und bei dieser kriminellen Bande ist Vertrauen praktisch immer tödlich!

Man sollte eher alles hermetisch abriegeln oder verschließen, wenn Kaufleute im Anmarsch sind, denn für den Verbraucher stellen sie sich meist als reine Verkaufleute heraus. (Sie können aber bei Haustürgeschäften und Kaffeefahrten innerhalb von zwei Wochen widerrufen.)

Der Interessenvertreter der Diebe und Kaufleute hat jedoch zunächst einmal nichts mit dem Wörtchen „hermetisch“ zu tun. Das Adjektiv bedeutet unzugänglich, völlig abgedichtet/verschlossen (z.B. gegen Luft) und undurchdringlich, meint aber auch geheimnisvoll/verborgen. Oft wird der Begriff zusammen mit den Verben „abriegeln“ und „verschließen“ verwendet, um Unzugänglichkeit und totale Abschottung zu verdeutlichen.

Vom neulateinischen Adverb „hermetice“ ausgehend soll der deutsche Begriff angeblich vom Arzt und Naturforscher Paracelsus (1493-1541) in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gebildet worden sein. Der Ausdruck selbst basiert auf einem Namensvetter des Götterboten: Hermes Trismegistos („der dreimal Größte“) nannten ihn die Griechen, man kennt ihn aber wohl eher unter seinem ägyptischen Rufnamen Thot (auch: Thoth).

Der ägyptische Mondgott Thot hatte unzählige besoldete Ämter und Schirmherrschaften inne. Er war quasi der alles notierende Oberbuchhalter, ein richtiger Vollblutbürokrat, das Idol sämtlicher antiker und moderner Staatsdiener und Bürgerquäler. Er galt als Erfinder der Schrift und der Hieroglyphen und Herrscher über alle Maße und Zahlen. Ferner war er Beschützer der Schreiber und Beamten (heute hat diese Aufgabe der Deutsche Beamtenbund übernommen – und das äußerst erfolgreich).

Aber als Begründer der alles lähmenden Seuche Bürokratie und Patron überflüssiger Behörden hat ihn eine gerechte Strafe ereilt: Thot wird meist mit einem Ibiskopf dargestellt.

Der merkwürdige Kopf kommt daher, dass jene Vogelart im alten Ägypten heilig war und deshalb auch so benannt wurde: Der Heilige Ibis (Threskiornis aethiopicus) wurde sosehr verehrt, dass die Tiere in Tempeln gehalten und des Öfteren sogar mumifiziert wurden. Diese „Verehrung“ führte aber gleichzeitig zur effizienten Ausrottung dieser Vogelart in ganz Ägypten.

Ich würde Ihnen ja gerne ein bisschen mehr über Ibisse (Threskiornithinae) erzählen. Etwa, dass der in vielen Zoos ausgestellte, leuchtende Rote Ibis (Eudocimus ruber), der auch Scharlachibis oder Roter Sichler genannt wird, in freier Wildbahn nur in wenigen Gebieten vorkommt. Aber diesen Platz benötige ich zur weiterer Charakterisierung des ibisköpfigen Bürokraten:

I.d.R. ist der ägyptische Pedant mit seinen Folterinstrumenten abgebildet, einem Schreibgerät bzw. einer Palmrippe sowie einer Schreibunterlage, aus der sich später wohl das Formular entwickelt hat. Modernere Abbildungen zeigen ihn schon mit einem Notebook, Organizer, PDA, Blödding, Laptop, Tablet-PC oder wie die IT-Fuzzis ihre zu 90 % unnützen Gerätschaften gerade nennen.

Als Herr der Zeit und Rechner der Jahre schreibt Thot alles auf, was mit der Zeit zu tun hat. So bucht (und storniert?) er die Jahre der Menschen und verzeichnet die Jubiläen der Könige.

Thot ist auch Totengott, was exakt zur Bürokratie passt. Er notiert beim Jenseitsgericht das Urteil und begleitet den Verstorbenen als Seelenführer ins Nirwana. Thot ist jedoch auch der Gott der Wissenschaften und der Weisheit, was anderseits wiederum nicht zur Bürokratie passt, denn diese ist bekanntlich vom Wahnsinn beherrscht.

Die frühen Griechen verehrten Hermes Trismegistos überwiegend als Erfinder der Schrift- und Rechenkunst und Schöpfer aller Wissenschaften, wozu ehemals auch die Alchimie zählte. Als Hüter sämtlichen Wissens unterstanden ihm auch die Archive und Bibliotheken. Thot alias Hermes Trismegistos soll selber im sogenannten „Lebenshaus“ gewohnt haben, in dem alles Wissen gesammelt bzw. vor der neugierigen Masse verborgen war. Denn schon in der mythologischen Phantasiewelt galt die Devise der Machthaber, dass das einfache Volk nicht unbedingt alles wissen muss. Auch heute warten wir ja immer noch vergeblich auf die Informationsfreiheit für alle Bürger.

Dieses Talent des Thot bzw. Hermes Trismegistos nicht nur geheimes Wissen vor Neugierigen verbergen zu können, legte den Grundstein für das Wörtchen „hermetisch“. Er galt als Koryphäe was das Verheimlichen und Verbergen von Dingen betraf. Als Sagenalchimist konnte er alles unzugänglich machen und mit nicht brechbaren Siegeln Behältnisse jeglicher Art verschließen – und dies absolut luft- und wasserdicht. Die Legende berichtet von dem magischen Siegel des Hermes Trismegistos, mit dem eine Glasröhre luftdicht verschlossen werden konnte.

Bedauerlicherweise sehen sich viele Personen allzu oft mit „magischen Siegeln“ konfrontiert, wenn's ums Verstehen bestimmter Sachverhalte geht – und zwar gleich mit sieben, die ein bestimmtes Fachbuch unzugänglich machen. Für jemanden ist dann etwas ein Buch mit sieben Siegeln.

Dieses versiegelte Buch steht für etwas Unverständliches, für ein Geheimnis, für eine schwierig zu fassende Thematik, für etwas, was man aufgrund von Komplexität, Kompliziertheit oder mangelndem Interesse einfach nicht kapiert, nicht kapieren will oder kann.

Obwohl es gut zur obigen Schilderung passen würde, hat Thot bzw. Hermes Trismegistos mit dieser hermetischen Buchversiegelung nichts zu tun. Die Redewendung ist vielmehr der Bibel entnommen. In der Offenbarung des Johannes (5, 1) empfängt das Lamm ein rätselhaftes Buch: „Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln.“ (Luther '84)

Zurück zu der Sagenkarriere des Thot alias Hermes Trismegistos. Er wird später als Verfasser und Verkünder okkulter, theologischer und philosophischer Schriften angesehen, die dem 2./3. Jh. zugeordnet werden. Diese sogenannte „hermetische Literatur“ ist eine mystisch geprägte spätantike religiöse Offenbarungs- und Geheimlehre, die aus Traktaten in Brief-, Dialog- und Predigtform besteht. Die mystische Bewegung übte im 3. und 4. Jh. Einfluss auf die christliche Gnosis aus.

Zum Schluss ein Tipp für alle Leserinnen und Leser mit schlechtem Gedächtnis: Sie können getrost das bisher Skizzierte vergessen. Sie müssen sich lediglich auf die Seite derer schlagen, die behaupten, dass es eine strikte Trennung zwischen dem vogelköpfigen Thot der ägyptischen Mythologie, der von den Griechen Hermes Trismegistos gerufen wurde, und dem Argus-Meuchler und Zeus-Filius Hermes aus der griechischen Mythologie gar nicht gibt, zumindest ab einer bestimmten Periode nicht mehr. Laut Verfechter dieser ketzerischen Ansicht sollen die Griechen Thot ab dem 3. Jh. v.Chr. DOCH offiziell mit dem Götterboten Hermes gleichgesetzt haben, lediglich um ein paar ägyptisch-göttliche Zuständigkeiten beraubt.

Wenn Sie also dieser banalisierenden Lehrmeinung folgen, dann sieht alles schon viel einfacher aus: Das Adjektiv „hermetisch“ geht auf Hermes aus der griechischen Mythologie zurück. Dieser wurde in der ägyptischen Mythologie Thot genannt. Und der griechische Name für Thot ist Hermes Trismegistos.

cboth 04 03ep38v0

Redewendungen: Episoden 2003

Подняться наверх