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Episode 13: Tierhüllen

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Nachdem ich mich in den vorangegangenen Folgen grundsätzlich mit ganzen, noch lebenden Tieren beschäftigt habe – sieht man einmal von dem Schicksal eines Hundes namens Hopf [vgl. Episode 11] und einer aus Versehen verhungerten Katze [vgl. Episode 10] ab –, werde ich mich nachfolgend mit Teilen von Tieren beschäftigen, denen sich der Mensch durch Aktivitäten bemächtigen muß, bei denen die betroffene Spezies schon mal draufgehen kann. Wer sich also zu der Gemeinde der Veganer zählt – also den oft militanten, sektenhaft übersteigerten Hardcore-Vegetariern, die jegliche Tierprodukte ablehnen, seien es Eier, Milch oder Kleidung mit Tierabstammung (lassen Sie sich von so einem ja nicht in einer Lederjacke erwischen ...!) –, sollte besser nicht weiterlesen.

Zunächst etwas aus der Rubrik vermutlich „Reine Schurwolle“: Wenn man jemandem das Fell über die Ohren zieht, so betrügt man jemanden (Stichwort: Gebrauchtwagenverkäufer), beutet andere aus (Stichwort: Arbeitgeberverbände) bzw. übervorteilt jemanden stark (Stichwort: Finanzminister). Die Redewendung bezieht sich eventuell auf eine Erntevariante der Schafwolle, bei der man das Schaf im Prinzip nicht schert, sondern das Fell am Bauch aufschneidet, um es dann in eins über den Kopf des Tieres abzuziehen. Ich war noch nie auf einer australischen Schaffarm und konnte somit auch nicht solch ausgeklügelte Techniken bestaunen. Ebenso ist mir unbekannt, ob dies überhaupt mit lebenden Tieren machbar ist oder mehr bei der Vollverwertung des ganzen Tieres zur Anwendung kommt. (Wenn Sie mir eine solche natürlich rein wissenschaftliche Bildungsreise finanzieren möchten, so wenden Sie sich bitte an die Geschäftsführung, die die milden Gaben hoffentlich an mich weiterleitet.) Jedenfalls raubt man dem Schaf einen wesentlichen Bestandteil, so daß es danach nackend dasteht bzw. daliegt – durch den Verlust der wärmenden Wolle wird die Ausbeutung visualisiert. Wem dieses Schafbeispiel nicht geheuer ist, der kann alternativ davon ausgehen, daß in dieser Wendung einfach die präferierte Ernteweise eines Jägers bzw. Kürschners aufgegriffen wird, der dem erlegten Pelztier das Fell (möglichst vollständig) über den Kopf – und damit die Ohren – abzuziehen versucht. Während die mutmaßliche Vorgängerversion mit dem Kopf (statt der Ohren) schon im Mittelalter bekannt war, wurde die präzisere Abziehtechnik wohl erst später eingeführt. Als betrügerische Redewendung lässt sich die heutige Ohrenfassung für das 18. Jahrhundert belegen.

Wenn jemand die bzw. seine Felle weg-, fort- oder davonschwimmen sieht, so ist dies kein gutes Zeichen, denn diese Person sieht alle Hoffnungen zerrinnen. Diese Redewendung hat ihren Ursprung bei den Lohgerbern, die früher ihre pflanzlich gegerbten Felle im fließenden Stadtbach wässerten. Bei Unachtsamkeit konnte es schon einmal passieren, daß die Felle im Wasser davontrieben und nur mühsam, wenn überhaupt, wieder ans Ufer geholt werden konnten. In der deutschen Literatur ist diese Gerber-Panne zumindest seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Heute nicht mehr gebräuchlich ist die Formulierung „Betrübt sein/aussehen“ bzw. „ein Gesicht machen wie ein Lohgerber, dem die Felle weggeschwommen sind.“, wie sie etwa Friedrich Spielhagen (1829-1911) im Roman „Hammer und Amboß“ (1869) verwendete. Theodor Fontane (1819-1898) ließ im Roman „Frau Jenny Treibel“ (1892) über Alternativen im „Sprach- und Bilderschatze deutscher Nation“ sagen: „Alle Wendungen, die wir als Ausdruck für Verstimmungen und Betrübnisse haben, haben einen ausgesprochenen Unterschichtscharakter, und ich finde da zunächst nur noch den Lohgerber, dem die Felle weggeschwommen.“

Kommen wir nun zu einer Redewendung, die eine meiner Lieblingsbeschäftigungen nett umschreibt: Auf der Bärenhaut liegen heißt nämlich faulenzen. Der Ursprung dieser Wendung ist bei den alten Germanen zu suchen. Diese sollen nach einer etwas überspitzten Passage aus dem Werk „Germania“ (um 100) des römischen Geschichtsschreibers Publius Cornelius Tacitus (um 55 - um 120), wenn sie nicht gerade Krieg führten oder jagen mußten, am liebsten faul auf Fellen herumgelungert und großzügig alle Arbeit den Frauen überlassen haben. Das waren noch Zeiten! Am berühmt-berüchtigten Fleiß des deutschen Mannes sind also nicht unsere unkultivierten Vorfahren schuld, dieser Unsinn kann nichts mit Abstammung zu tun haben und muß uns in der Neuzeit selber eingefallen sein. Nur dem Staatswesen und seinen Bediensteten – und mir – ist es lange Zeit gelungen, sich von solchen Zumutungen freizuhalten. Es müssen Humanisten gewesen sein, die das Bärenhautliegen im 16. Jahrhundert in die deutsche Sprache und Amtsstuben einführten, schon weil Tacitus in der Faulheitspassage überhaupt keine Bärenhaut erwähnt hatte. Im 17. Jahrhundert war das Soldatenschimpfwort „Bärenhäuter“ für einen Mann geläufig, der lieber auf der eigenen und der Tierhaut lag, anstatt zu kämpfen. Vom faulen Nichtstuer hat auch die Erzählung „Der erste Beernhäuter“ (1670) ihre Heldenbezeichnung; in anderen Werken wie „Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch“ (1668) und „Der seltzame Springinsfeld“ (1670) prägte Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622-1676) ferner die Formulierung „(müßig) auf der faulen Bärenhaut liegen“, welche er „Bernhaut“ oder „Beerenhaut“ drucken ließ. Ohne „faul“ ist die abwertende Müßiggang-Wendung für das 18. Jahrhundert belegt. Allgemein bekannt wurde das angeblich germanische Bärenhautliegen wohl spätestens im 19. Jahrhundert, nachdem im studentischen Sauflied „Tacitus und die alten Deutschen“ ausdrücklich behauptet wurde, daß die alten Deutschen bei Trinkgelagen auf Bärenhäuten lagen – unter zweifelhafter Berufung auf den vermeintlichen Zeugen Tacitus.

Zuletzt etwas Versöhnliches, damit ich nicht tatsächlich Opfer eines Terroranschlags einer militanten Splittergruppe der Veganer werde – wie übrigens schon so mancher Bio-Fleischer (!). Bei der Redewendung „Das geht auf keine Kuhhaut“ muß nämlich das Tier eigentlich nicht geschlachtet werden, obwohl sich eine abgezogene und ausgebreitete Kuhhaut sicherlich besser beschreiben ließe; leider wurde das in diesem Fall auch wieder gemacht, aber von diesem Akteur konnte man auch nichts anderes erwarten. Die Wendung geht nämlich auf den mittelalterlichen Aberglauben zurück, daß der Teufel – dessen Wirken ich übrigens schon einmal in einer gesonderten Folge gewürdigt habe [vgl. Episode 2] – einem kurz vor dem Ableben Stehenden dessen Sündenregister auf einem aus Kuhhaut gefertigten Pergament vorhält. Und da die Haut einer ausgewachsenen Kuh relativ groß ist, vor allem in Relation zu den früher eigentlich zur Pergamentfertigung verwendeten Häuten von Schafen und Kälbern, zeugt es von besonders großer Schlechtigkeit, wenn noch nicht mal alle Sünden auf diesem überdimensionierten Blatt Platz finden! Das ursprüngliche Märchen war wohl um 1200 von einem Priester gegen das Schwatzen in der Kirche unters Volk gebracht worden: Der Teufel schreibt angeblich alles auf Pergament mit, das bei großer Geschwätzigkeit entsprechend größer ausfällt. In der Kirchenkunst des späten Mittelalters mußten natürlich insbesondere schwatzende Weiber abgebildet werden, die einen mitschreibenden Teufel (über)forderten. Heute drückt man mit dieser Redewendung seine große Empörung aus, z.B. über die Frechheiten oder Gemeinheiten bestimmter Personen. Die Ungeheuerlichkeit ist so unfaßbar groß und unbeschreiblich, daß selbst eine so große Schreibfläche wie die Kuhhaut nicht ausreicht, sie der Nachwelt in Worten zu hinterlassen. Seit dem 17. Jahrhundert ist dieser Empörungssatz belegt, nachdem das zu kleine Kuh-Pergament schon längere Zeit redensartlich für zu viel stand.

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Redewendungen: Episoden 1999

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