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Episode 14: Volksdroge Nr. 1
ОглавлениеIch hoffe, Sie denken bei der Volksdroge Nr. 1 nicht fälschlicherweise an Heroin oder Kokain, sondern an die in der Realität gefährlichste, weitverbreitetste – wenn auch gesellschaftlich nicht nur akzeptierte, sondern als „Kulturgut“ gefeierte – Droge – den Alkohol. Als beliebtestes Rausch- bzw. Realitätsentrinnungsmittel der Nation der Dichter und Denker, deren kulturelles Schaffen im Ausland so trefflich durch die Ballermänner- und -frauen auf einer bekannten Ferieninsel (beinahe 17. Bundesland!) repräsentiert wird, erscheint der Alkohol und seine Folgewirkungen natürlich auch in einer Unzahl von Redewendungen, von denen hier nur einige wenige behandelt werden können.
Vielleicht genehmigen Sie sich beim Lesen dieser Zeilen ja auch gerade ein alkoholisches Getränk, wobei sicherlich bei den kultivierten Lesern und Leserinnen edlere Getränke dieser Art, wie z.B. erlesene Weine, überwiegen, anstatt des primitiven Dosenbiers, mit dem man sich so kosteneffizient die Hucke vollsaufen kann. Die besagte „Hucke“ steht für „Rücken“ oder „Buckel“ bzw. eine „Rückentragelast“ und meint im übertragenen Sinne, daß man so viel getrunken hat, daß man sehr schwer daran zu tragen hat bzw. es schon problematisch ist, sich mit der vollen Hucke zu erheben. Der einst auch für einen Rückentragekorb oder ein Bündel (eines Hausierers) stehende spätmittelhochdeutsche Hucke-Begriff ist im Zusammenhang mit dem Betrinken wahrscheinlich erst im 20. Jahrhundert in die deutsche Sprache eingegangen, während andere Vollhucke-Redewendungen schon viel früher üblich geworden sind. Für diesen Zustand des Vollseins hat natürlich eine Trinkernation, wie unsere, diverse veranschaulichende Ausdrücke parat: Man ist dann voll bis zum Eichstrich, voll wie eine Strandhaubitze, ... wie ein Eimer, ... wie ein Hamster oder einfach nur blau: Dieser Ausdruck geht wohl auf die ältere Redewendung „Es wird einem blau vor Augen“ zurück. Angesprochen ist hierbei der bei Schwindelgefühlen mit eventuell folgender Ohnmacht kurzzeitig entstehende blaue Schleier vor den Augen. Und da der Rauschzustand u.a. von gewissen Schwindelgefühlen begleitet wird, kam man zum Blausein als Bezeichnung für den Zustand der Trunkenheit. Heutzutage verwendet man übrigens bei Schwindelgefühlen eher die gesteigerte Version „Es wird einem schwarz vor Augen“, während sich im Zusammenhang mit der Trunkenheit die Farbe Blau gehalten hat. Ein anderer Erklärungsansatz zum Blausein geht von einer Anspielung auf die bläuliche Färbung der Nase eines Trinkers aus. Jedenfalls gibt es zum Thema Blausein wieder diverse ergänzende Erläuterungen: Blau sein wie ein Veilchen, ... wie ein Eckhaus, ... wie (zehn)tausend Mann, ... wie eine Frostbeule, usw.
In manchen Kreisen gilt es ja sogar als schick und männlich (emanzipierte Frauen ziehen aber langsam nach), wenn man saufen kann wie ein Bürstenbinder, ... wie ein Loch, ... wie eine Senke, ... wie ein Schwamm, ... wie ein Kapuziner, ... wie ein Pferd, etc. Nur der Bürstenbinder bedarf einer Erklärung: Dieser fast ausgestorbene Handwerker gilt schon seit jeher als trinkfest, aufgrund einer sprachlichen Fehlannahme. Das frühneuhochdeutsche Verb „bürsten“ stand im übertragenen Sinne auch für „viel trinken“ bzw. „zechen“. Und wer viel Ahnung von Bürsten hat, weil er sie herstellt und vertreibt, der mußte doch mindestens genauso viel Ahnung vom Bürsten im Sinne von „saufen“ haben, so die neuzeitliche Logik. Die redensartliche Diffamierung des Bürstenbinders als Säufer deutete Johann Fischart (1546/47-1591) im „Trunken Gespräch“ seiner „Geschichtklitterung“ (1575) an. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622-1676) nannte in „Trutz Simplex“ (1670) Redewendung und Problematik beim Namen: „Darneben beflisse ich mich aufs höchste, alle meine Weibliche Sitten auszumustern, und hingegen Mannliche anzunehmen; ich lernte mit Fleiß fluchen wie ein anderer Soldat, und darneben Sauffen wie ein Bürstenbinder, ...“
Ich möchte hier aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als wenn ich mich darüber lustig machen würde, daß manche Personen ihr Leben halt nur im Suff ertragen können. In den meisten Fällen kann ich dies voll und ganz nachvollziehen!
Außerdem gelingt es mir schon deshalb nicht völlig, mich von dem grölenden, biersaufenden Pöbel abzuheben, weil ich ab und zu auch nicht abgeneigt bin, einen zu zwitschern. (Natürlich nur zur Bewußtseinserweiterung, die es mir u.a. ermöglicht, Texte wie diesen zu verfassen.) Entweder bezieht sich diese Wendung explizit auf das Trinken eines Gläschens Zwetschgenschnaps, mit oder ohne entsprechend geräuschvollem Ausschlürfen des Schnapsglases, oder das Zwitschern soll eher auf die ausgelassene, lustige Stimmung eines sich Betrinkenden hinweisen, der schon mal ohne Vorwarnung wie ein Vogel draufloszwitschern kann. So genau weiß man dies nicht. Die zweite Variante scheint die wahrscheinlichere zu sein. Zumindest soll das Zwitschern schon im vorigen Jahrhundert als Bezeichnung des (gemäßigten) Alkoholkonsums verwendet worden sein; speziell für Berlin ist dieser Trink-Begriff für das Jahr 1880 belegt.
Andere Beschreibungen des Alkoholkonsums knüpfen an verklausulierte anatomische Details an: Wenn man sich einen hinter die Binde kippt oder gießt, ist damit der „Binder“ bzw. „Schlips“ gemeint. Und hinter diesem Männerhalstuch lag der Hals, in den man alles reinkippte. Diese Wendung, die um 1850 aufgekommen sein soll, ist also – wider den ersten Eindruck – gerade für Männer ausgelegt! Etwa für Wilhelm Busch (1832-1908), der einer „Tante“ per Brief gestand, „fast zwei ganze Gläser Portwein hinter die Binde gegoßen“ zu haben. Bei der Redewendung „sich den Kanal vollaufen lassen“ steht der Kanal für den Verdauungsweg vom Mund über die Speiseröhre bis hin zum Magen. Und wenn man als Folge dann einen in der Krone hat, so steht die besagte Krone nicht für den feudalen Kopfschmuck, sondern einfach im übertragenen Sinne für den Kopf, dessen potentiell vorhandener Inhalt ja bekanntlich durch den Alkohol vorübergehend negative Beeinflussung erfährt.
Kommen wir nun zum Tag nach dem ausgiebigen Drogenkonsum, der, außer so mancher Vaterschaftsklage und/oder HIV-Infektion, i.d.R. auch bewirkt, daß der Säufer einen Kater hat. Wenn Sie glauben, in dieser Redewendung hätten wir es ganz sicher mit der männlichen Ausführung einer Katze [vgl. Episode 10] zu tun, so liegen sie vermutlich (so genau weiß man dies schon wieder nicht) völlig falsch. Das Wort „Kater“ soll in diesem Zusammenhang seinen Ursprung in Sachsen haben, also der Region, die sich heutzutage „Freistaat“ nennt und nach der Eingemeindung 1990 offiziell zur Bundesrepublik gehört. Es hat sich vermutlich aus der vulgären sächsischen Ausspracheform des Wortes „Katarrh“ (= einfache Schleimhautentzündung) entwickelt. In der Volkssprache bedeutet dies soviel wie „Schnupfen“, „Kopfweh“ und „Unwohlsein“. Insbesondere die beiden letzten Bedeutungen passen also ganz genau zu dem Zustand nach einer ergiebigen Alkoholisierung. Erst später soll, vor allem in Regionen, in denen diese merkwürdige volkstümliche Aussprache nicht verständlich war (also im gesamten Rest der Welt), der „Kater“ aus Unkenntnis der sächsischen Sprachgewohnheiten mit der männlichen Katze gleichgesetzt und scherzhaft für den Zustand nach ausgiebigem Alkoholgenuß verwendet worden sein. Gleichwohl sollen es zuerst Leipziger Studenten gewesen sein, die Mitte des 19. Jahrhunderts die bei ihnen öfter aufgetretene leichte Alkoholvergiftung als Kater bezeichneten. So hat also die Volksgruppe, deren eigenwillige sprachliche Auslegung des Deutschen das Leben auf diesem Planeten um einiges lustiger macht, unbewußt die Grundlagen zu diesem heute allgemein gebräuchlichen Terminus gelegt – zumindest nach dieser Theorie des Ursprungs dieser Redewendung. Alle konkurrierenden Ansätze, die den Alkohol-Kater meist dennoch aus dem Katzenbegriff herzuleiten versuchen, sind aber weniger plausibel. Um so plausibler sind hingegen das Katerfrühstück, das zur Bekämpfung der alkoholischen Folgewirkungen beitragen soll, oder die Katerstimmung, welche man als recht ernüchternd beschreiben kann, denn auch seelisch und körperlich muß man für ein ordentliches Besäufnis i.d.R. schon einen gewissen Preis zahlen.
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