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Donnerstag, 21. April 2005

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Unsere Stunde null beginnt am 21. April 2005 mit dem Tag der Darmspiegelung im EVK in Bergisch Gladbach, und der Diagnose durch Dr. Kaminski. FAP nennt sich der Hammer, der auf den Amboss haut, auf dem dein Leben liegt. Genauer gesagt: familiäre adenomatöse Polyposis, oder schlicht Darmkrebs im Stadium vier. »Bereiten sie sich darauf vor, sie werden sterben. Ohne Chemotherapie schon in ein paar Monaten«, sagt der Arzt ohne Umschweife. Das ist nicht, was wir erwartet haben. Es ist wie ein unvermittelter Schlag ins Gesicht, macht uns sprachlos, und fühlt sich an, als ob wir vor eine Wand laufen. Taubheit beginnt uns zu füllen. Erste Risse bilden sich in unserer Welt.

FAP ist eine vererbte Krankheit. Es beginnt mit einem Polypenrasen im Darm, der im Laufe des Lebens irgendwann, langsam aber unaufhaltsam zu Krebs mutiert. Bei Claudia nennt sich das »heterozygote Detetion von 2 Nukleotiden in Codon 1250 des APC-Gens«. Die Bezeichnung der Mutation lautet c.3749_3750delAA in Codon 1250. Sie führt zu einer Verschiebung des Leserasters. Nach 4 falschen Aminosäuren kommt es zu einem vorzeitigen Stop-Codon und somit zur Bildung eines verkürzten, nicht funktionsfähigen APC-Proteins. Eine kühle Beschreibung für einen todbringenden Zustand.

Die Polypen, und der irgendwann daraus resultierende Krebs, entwickeln sich extrem langsam, aber unaufhaltsam. Die einzige Rettung besteht derzeit in der frühzeitigen Entfernung des Dickdarms, was das Krebsrisiko nicht ausschließt, aber auf rund 50 % reduziert. Für Claudia kommt diese Erkenntnis zu spät, viel zu spät. Bei ist er irgendwann im Frühjahr/Sommer 2004 unbemerkt ausgebrochen.


Nach der Diagnose Darmkrebs wurden zusätzlich Lebermetastasen festgestellt. Kurze Zeit später kamen die Ärzte zu dem Schluss, es handelt sich doch nur um harmlose Blutschwämmchen. Tage später wurden die Lebermetastasen dann doch bestätigt. Das war eine Achterbahn der Gefühle. Am 11. Mai 2005 erfolgte eine Operation, in welcher der Dickdarm entfernt wurde. Es hieß »dauert die Operation nur kurz, ist das ein schlechtes Zeichen. Dauert sie lange, dann wird übergangsweise ein künstlicher Darmausgang gelegt, und das ist ein gutes Zeichen«.

Ich saß den ganzen Vormittag während der Operation im Warteraum, und zählte die Stunden. Nach rund sieben Stunden war das Warten vorbei: »Lange Operationsdauer, alles wird gut« dachte ich. Aber meine – unsere – Hoffnung wurde enttäuscht. Trotz der langen OP-Dauer hatte sie keinen künstlichen Darmausgang bekommen. Während der Operation wurde die Leber nochmals abgetastet und die Tumore bestätigt. Außerdem entfernten die Ärzte Krebsbefall im Lymphsystem des Bauchraums. Die Entlassung aus dem Krankenhaus erfolgte am Dienstag, den 24. Mai 2005, 33 Tage nach der Diagnose.

Die Lebenserwartung schätzen die Ärzte auf 12 bis 15 Monate, maximal drei Jahre, wobei sie sich mit solchen Festlegungen berechtigterweise schwertun. So ist das halt bei Metastasen. »Sag mir nix über meine Chancen!« – Wir ahnen beide, dass die Diagnose letztlich einem Todesurteil gleichkommt, sind aber fest entschlossen, uns nicht in Statistiken pressen zu lassen. Ich notiere in das Tagebuch: »Unsere Zukunft steht nicht geschrieben. Unsere Zukunft ist das, was wir daraus machen«. Jetzt lebe mal damit. Der Krebs frisst stetig an Claudias Leben, die Zellteilung stoppt nie.

Die Anzahl der Metastasen in der Leber schwankt, jeder erzählt etwas anderes. Fest steht, sie sind sauber über die ganze Leber verteilt. Dr. Kaminski schwärmt ausschweifend von einer fantastischen Leberschneidemaschine in der Uniklinik Bonn Venusberg. »Leber: kein Problem!« Wir bekommen eine Überweisung in Richtung Bonn. Claudia gibt sich kämpferisch. Sie will Philipps Einschulung noch erleben.

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