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Die Lutherische Kirche in Genf seit 1707

Nachdem Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Nantes widerrufen hatte und somit den in Lyon ansässigen Lutheranern die Ausübung ihres Glaubens verboten war, beantragten sechs als Händler tätige bei der Pastorenvereinigung und der Genfer Regierung, ihren Gottesdienst in Genf abhalten zu können – im «protestantischen Rom», dem Hauptort des Calvinismus; eingerahmt von seinen befestigten Mauern und im Stadtbild beherrscht durch die Kathedrale Saint-Pierre in der Altstadt auf der linken Seite der Rhône und durch die Kirche Saint-Gervais auf der rechten Flussseite. Eine Bewilligung war nicht selbstverständlich, denn die beiden Richtungen der protestantischen Konfession hatten sich im 16. Jahrhundert voneinander getrennt. Die Pastorenvereinigung gab jedoch am 22. April 1707 ein zustimmendes Votum, das die Genfer Regierung übernahm. So konnte am 28. August 1707 der erste lutherische Gottesdienst in Genf gefeiert werden, geleitet vom Berliner Pastor Anton Schulz in einem zu diesem Zweck gemieteten Saal.

Versammlungen im Haus von Madame Bergeon von 1707 bis 1766

Es handelte sich um einen Nebenraum im zweiten Stock eines Hauses, das an der Ecke der Rue de la Cité und der Rue Basse-Dessus, genannt Rue des Allemands (heute: Rue de la Confédération) gelegen war. Das Haus gehörte dem «Bürger und Händler» Antoine Bergeon (oder Berjon), nach seinem Tod im Jahr 1715 seiner Witwe Anne Mallet (1652–1730), später den Nachkommen. Nun wurde es von den Lutheranern als Gottesdienst- und Versammlungsort verwendet, bevor am 9. Februar 1766 die bis heute genutzte Kirche am Place du Bourg-de-Four eingeweiht wurde.

Vermerken wir noch, dass die Genfer Lutheraner seit 1720 unter dem Schutz des Herzogs Friedrich II. von Sachsen-Gotha standen, ehe im Juli 1874 das Patronat für ihre Kirchengemeinde auf den deutschen Kaiser Wilhelm I. überging.

Kauf des Château de Coudrée im Jahr 1762

Ein Erlass, der am 15. Mai 1762 im amtlichen Register veröffentlicht wurde, gibt nähere Erläuterungen. Er stammt aus der Feder von Jean-Louis Grenus (1711–1782), Syndic (Prokurator der Exekutive), Genfer Regierungsrat und erster Präsident der Société des Arts (Kunstgesellschaft):

«Lutherische Kirche. Ein Haus, um darin Gottesdienst zu feiern. Syndic Grenus, der für die deutschen calvinistischen und lutherischen Gemeinden zuständig ist, hat Folgendes berichtet: Die Lutherische Kirche feiert ihre Gottesdienste im Haus Bergeon am Fuss der Stadt. Sie fürchtet, dass dieses Haus verkauft werden wird und nicht mehr für ihre Gottesdienste genutzt werden kann. Daher hat sie vor einigen Jahren erwogen, das Haus von Herrn [Ami] Marchand [ca. 1670–1752] zu erwerben, das am Grand Mézel gelegen ist. Sie hatte dafür am 9. Februar 1751 die Erlaubnis des Genfer Rats erhalten, unter der Bedingung, dass dieses Haus von einer Privatperson gekauft würde. Dieses Projekt konnte nicht realisiert werden, aber da heute das Haus aus der Erbschaft Flournoy [oder Flournois] zu verkaufen sei, genannt Château de Coudré[e] und gegenüber dem Spital gelegen, haben sie daran gedacht, es mit Genehmigung des Rates und unter der gleichen Bedingung zu erwerben. Der lutherische Pastor und der Herr Beurlin, langjähriges Mitglied der Kirche, haben sich an ihn gewandt und ihn gebeten, die Erlaubnis zu erfragen. Nach Zustimmung wurde die Weisung erteilt, denen, die zur Lutherischen Kirche gehören, die Erlaubnis zu geben, unter dem Namen einer Privatperson das Haus, das Château de Coudré[e] genannt wird, zu erwerben und es für den Gottesdienst der genannten Kirche einzurichten.»

Dieser Akt ist Zeugnis der offenen Geisteshaltung Genfs, wo Voltaire ein Jahr später (1763) seinen «Traité sur la tolérance» veröffentlichen wird! Der Kaufvertrag für das Château de Coudrée, zum Preis von 7300 Genfer Silberpfund oder 25550 Genfer Gulden, wurde am 22. Mai 1762 unterzeichnet von Jean Henri DesGouttes sowie seiner Frau Marie Armand und dem Käufer George Amédée Beurlin, Mitglied der lutherischen Gemeinde, Händler und Bürger von Genf. Um die Abfolge der Vorbesitzer besser zu verstehen, verweisen wir auf das Kapitel über den Bourg-de-Four, in dem dieses Thema gestreift wird.

Beurlin unterzeichnete einzig zum Nutzen der Lutherischen Kirche in Genf, da dieser Kauf nur durch eine Privatperson getätigt werden durfte. Der Vertrag wurde durch eine Notariatsurkunde vom 4. August 1762 bestätigt. Der Kauf wurde vollzogen durch eine Urkunde der Subhastation (Auktion) vom 13. November und der Abschluss am 13. Dezember bestätigt für eine Summe von 7 336 Pfund oder 25 678 Gulden.

Unter den vielen Spendern befand sich Jean-Daniel Finguerlin (1702– 1772), Bürger von Bercher (damals Kanton Bern, danach Kanton Waadt) und Händler in Lyon, einer der wichtigsten Unterstützer, der in grossem Umfang zum Kauf und zur Errichtung des Bauwerks beitrug. Finguerlin war Lutheraner und kam aus keinem anderen Ort als Augsburg, wo der Kaiser Karl V. im Jahr 1530 die deutschen Fürsten zu einem Reichstag zusammengerufen hatte und das Augsburger Bekenntnis unterzeichnet wurde, das die Glaubensbasis der Lutherischen Kirche darstellt.


Auszug aus dem Plan Billon von 1726. An der Spitze der Gebäudeinsel wurden die Parzellen mit der Nummer 23 vom Château de Coudrée eingenommen.


Perspektivische Ansicht des Château de Coudrée, Zeichnung von Louis Blondel.

Kurze Beschreibung des Château de Coudrée

Auf dem 1726 von Billon gezeichneten Stadtplan erkennt man fünf mit der Nummer 23 gekennzeichnete, durch Mauern getrennte Grundstücke. Der Archäologe und Kunsthistoriker Louis Blondel (1885–1967) hat in seiner 1951 in Genava erschienenen Analyse eine eigene Zeichnung des Château de Coudrée beigegeben. Er beschrieb, dass der Hof Richtung Bourg-de-Four von Mauern mit Zinnen umgeben und dass das Gebäude zu Beginn des 14. Jahrhunderts von Jean du Vernay in eine Burg umgebaut worden war und noch 1548 als die «Burg des Herrn de Coudrée» bezeichnet wurde.


Skizze des Quartier de l’Hôpital, gezeichnet von Louis Blondel.

Das Gebäude besass zwei Kellergeschosse, darunter einen Gewölbekeller, der heute zum Teil noch existiert. Blondel stellt heraus, dass die Erhebungen der Jahre 1455 und 1464 ein Dutzend Mieter im Château und seinen Nebengebäuden feststellten und die Keller auf der Seite der Rue de la Fontaine bewohnt waren.

Ortsbeschreibung des Bourg-de-Four

Die Lutherische Kirche befindet sich auf dem Nordhang der Altstadt, unterhalb der Kathedrale Saint-Pierre, die über die Passage des Degrés-de-Poules zugänglich ist. Über ihr zur Linken befindet sich der Palais de Justice und zur Rechten das ehemalige Petit Hôpital, auf der Achse zum Brunnen des Bourg-de-Four. Dieser wurde 1817 ein letztes Mal umgebaut und nordwärts versetzt, als der Platz komplett umgestaltet wurde. Der Brunnen wurde 1921 unter Denkmalschutz gestellt, zur gleichen Zeit wie die Lutherische Kirche und der Palais de Justice.

Die Eigentümergeschichte des Bourg-de-Four, deren wesentliche Ergebnisse wir hier zusammenfassen, wurde von Louis Blondel und später von der Kunst- und Architekturhistorikerin Leïla el-Wakil ausgearbeitet. Wir verweisen auch auf den Genf behandelnden Band IV der Monuments d’art et d’histoire, der 2016 unter der Leitung von Isabelle Brunier erschienen ist, und die Kapitel, die den Spitalgebäuden gewidmet sind, welche das ehemalige Château de Coudrée umgaben.

Am Ende des 12. Jahrhunderts gehörten die Grundstücke zum grossen Teil der Familie Clarier, später der Familie de Saint-Jeoire. In der Mitte des 16. Jahrhunderts, zu Beginn der unabhängigen, protestantischen Republik mit ihren von Jean Calvin verordneten «Ordonnances ecclésiastiques», erwarb diese neue Seigneurie (Obrigkeit) nach und nach Privatbesitzrechte, so auch durch Erbschaft einige Grundstücke der Familie d’Allinges-Coudrée.

Auf der Seite der Rue Verdaine wurde 1473 das Hôpital de Saint-Jeoire, im 15. Jahrhundert Hôpital Bolomier genannt, an das Clarissenkloster angebaut und 1535 zum Hôpital général gewandelt. Dieses wurde zwischen 1707 und 1712 nach den Plänen des französischen Architekten Jean Vennes (1652–1717) und in Zusammenarbeit mit dem französischen Architekten Joseph Abeille (1673–1756) und den Genfern Moïse Ducommun und Joseph Pechaubet umgebaut. Abeille baute zur gleichen Zeit das Hotel Lullin-de Saussure, das durch einen Balkon des Kunstschlossers Jean-Conrad Staib geschmückt wurde (siehe S. 23), der das Portal und das Gitter des Vorgartens der Lutherischen Kirche errichtete. Vennes baute den Temple de la Fusterie zwischen 1713 und 1715, nach seinen von 1708 stammenden Plänen. Seit 1858 beherbergt das ehemalige Hôpital général den Palais de Justice.


Auszug aus der perspektivischen Ansicht, die 1655 für Pierre Chouet gezeichnet wurde. Die Gebäudeinsel mit dem Château de Coudrée befindet sich unterhalb der Kathedrale Saint-Pierre, und links von ihm erhebt sich die Turmspitze des Hôpital général.

Auf der anderen Seite, zwischen der Kathedrale Saint-Pierre und der Rue du Boule (heute: Rue de la Fontaine), befand sich das Petit Hôpital, bis 1307 im Besitz des Stiftsherrn Rodolphe de Saint-Jeoire. Ihm wurde erlaubt, in die Ummauerung des grossen Klosters, das die Kathedrale umgab, eine Pforte einzufügen. Diese bildet den Ursprung der heutigen Passage des Degrés-de-Poules.

Am 15. Dezember 1609 kaufte die Seigneurie das oberhalb dieser Passage an das Petit Hôpital angrenzende Haus von Bernhard d’Allinges-Coudrée, um 1613 daraus die Scheunen des Hôpital zu erstellen: von Getreidespeichern überdachte Ställe und Wagenstellplätze. Die Fassade des Gebäudes zeigt eine Kartusche mit dem Erbauungsdatum unter dem Wappen der Republik.

Das Château des d’Allinges-Coudrée befand sich zwischen dem Hôpital de Saint-Jeoire und dem Petit Hôpital, von dem ein Gewölbesaal aus dem 16. Jahrhundert im Erdgeschoss erhalten ist. Wie auf der westlichen Seite der Rue de la Fontaine wurde Jean du Vernay Eigentümer des Château. Es ging nach 1410 in den Besitz seines Sohns Amédée über, danach an seinen Schwiegersohn, Guillaume d’Allinges, Seigneur de Coudrée, der Françoise, die einzige Tochter des Amédée du Vernay, geheiratet hatte.

Am 26. März 1659 musste Isaac d’Allinges aufgrund finanzieller Schwierigkeiten das Château de Coudrée für 6850 Gulden auf einer Auktion verkaufen. Nach einigen anderen Besitzern kaufte Gédéon Flournois (1671–1753) das Château im Jahr 1693, und die Seigneurie erwarb am 4. Mai 1729 die Rechte an der Bodenabgabe, um den Besitz in ein Lehen umzuwandeln. Als er starb, fiel das Château an seinen Sohn David Flournois (1706–1757), Händler und Genfer Bürger. Nach dessen Tod wurde seine Ehefrau, Marie Armand, seine Universalerbin. Als sie am 3. Juli 1761 zum zweiten Mal heiratete, brachte sie das Haus, unter Aufrecht erhaltung ihrer Besitzrechte, in die Ehe mit Jean Henri DesGouttes (1726–1791) als Mitgift ein.

Schliesslich, wie wir gesehen haben, setzten Jean Henri DesGouttes und seine Frau Marie Armand, verwitwete Flournois, das Château de Coudrée zum Kauf aus, und George Amédée Beurlin (1741–1801) kaufte es für die Genfer Lutherische Kirche.

Die Lutherische Kirche in Genf

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