Читать книгу Rätselhafte Nachbarschaft - Catherine St.John - Страница 8

7

Оглавление

Sarah hatte tatsächlich, indem sie den Sonnenstand in Betracht gezogen und sich selbst etwas rechts davon gehalten hatte, den Wald durchquert und ihn an ungefähr der gleichen Stelle wieder verlassen, an der sie ihn betreten hatte – etwas müde und erhitzt von ihrem Abenteuer, aber doch sehr animiert.

Mordale… den Namen hatte sie schon gehört? Erst kurz bevor sie den Garten des Gutshauses wieder betrat, fiel es ihr ein: der arme Mann, den alle wegen dieses unseligen Duells schnitten!

Kein Wunder, dass er nicht allzu freundlich gewesen war. Vielleicht hatte er sogar geglaubt, sie habe sich absichtlich auf sein Land begeben, um das Ungeheuer zu besichtigen? Abscheulicher Gedanke…

Was tat dieser Mordale eigentlich auf seinem Schloss, wenn er keinen Kontakt zu seinen Nachbarn hatte? Durch den Wald zu reiten konnte nicht seine einzige Beschäftigung sein… nun, wahrscheinlich doch die Landwirtschaft?

Vielleicht las er gerne, überlegte Sarah auf den letzten Metern. Sie selbst hatte sich damit im Witwenhaus von Glanby Hall auch oft die Zeit vertrieben, wenn sie nicht gerade Haushaltsaufgaben für ihre Eltern zu erledigen hatte. Diese waren nicht übermäßig anspruchsvoll gewesen – entsprechend den bescheidenen finanziellen Verhältnissen, so dass ihr reichlich Zeit geblieben war, von antiken Epen bis zu modernen Romanen wie Northanger Abbey und ähnlichen Titeln alles zu lesen, was ihr in die Hände fiel. Lediglich die muffigen Bände voller uralter Predigten in den untersten Regalfächern hatte sie unberührt gelassen – nicht einmal abgestaubt.

War Mr. Mordale nicht recht einsam? Kamen ihn wenigstens ab und zu Freunde besuchen, die nicht ganz so engstirnig waren wie die Grundbesitzer hier in der Gegend?

Mr. Mordale – aber hatte Tante Letty nicht erzählt, er sei ein Baronet? Dann war er also ein Sir Wieauchimmer Mordale… ach, deshalb hatte er geglaubt, sie kenne ihn schon! Aber sie hatte doch nur aus Höflichkeit Sir gesagt? In diesem Fall natürlich auch ohne einen Vornamen, den sie ja ohnehin nicht kannte – oder?

Andererseits war es vielleicht kein Wunder, wenn der arme Mann etwas empfindlich geworden war…

Tante Letty stand in der Gartentür und winkte ihr zu. Sarah beschloss sofort, ihr Abenteuer im Wald zu verschweigen – sich zu verlaufen war doch auch wirklich zu albern! Schließlich war sie kein kleines Kind mehr.

Also erzählte sie, sie habe sich im Garten und auf dem Land dahinter umgesehen und den Waldrand erforscht, was ihrer Tante ein befriedigtes Nicken entlockte.

„Die Landschaft hier ist wirklich reizend, nicht wahr? Du musst nur etwas vorsichtig sein – der Wald gehört zum größten Teil zu Mordale Hall. Halte dich davon lieber fern.“

Sarah nickte. „Das ist der Nachbar, der wegen dieses Duells von allen geschnitten wird?“

„Nun… geschnitten ist vielleicht zu viel gesagt. Natürlich würden wir ihn grüßen, wenn wir ihn den einmal sähen. Abgesehen von den Tauntons natürlich.“

„Warum denn ausgerechnet die Tauntons?“, ließ Sarah sich sofort ablenken.

„Das weiß keiner so genau, aber Mr. Taunton scheint ihn vehement abzulehnen. Nun aber komm, der Lunch müsste gleich fertig sein!“

Sarah enteilte, um sich etwas frisch zu machen, und ärgerte sich. Sie hatte doch eigentlich fragen wollen, wie weit die Nachbarschaft diesen Mordale ignorierte – und jetzt hatte Tante Letty sie erfolgreich auf eine andere Fährte gesetzt!

Frisch frisiert und gewaschen betrat sie kurz darauf das Speisezimmer, wo die Grangers schon am Tisch saßen. Sarah nahm unter Entschuldigungen Platz und ihre Tante fragte, während die Suppe aufgetragen wurde, ob sie später mit ihr zu Mrs. Emmerden kommen wolle – sie brauche doch noch einige Kleider.

Dieser Ansicht war Sarah eigentlich nicht, aber sie hatte in den letzten Tagen schon gelernt, dass Widerspruch zwecklos war.

„Peter hat mir geschrieben und sich zu einem Besuch angekündigt“, bemerkte Mr. Granger, den Suppenlöffel halb erhoben.

„Oh, wie nett“, freute sich seine Gemahlin und lächelte Sarah zu. „Dann hat unsere liebe Nichte doch auch einmal etwas junge Gesellschaft! Hat Peter auch geschrieben, wie lange er bleiben kann?“

„Nein, leider nicht. Aber ich denke, einige Tage werden es schon sein. Er hat auf Oakridge ja einen tüchtigen Verwalter…“

„Vielleicht könnten wir ein Picknick veranstalten“, überlegte Tante Letty, als die Suppe abgeräumt wurde. „Ich bin sicher, die Wiverns und die Tauntons würden auch gerne teilnehmen. Zumindest die junge Generation, nicht wahr? Ob die Anistons wohl immer noch verreist sind…?“

„Es soll regnen“, verdarb Onkel Thomas zu Sarahs stillem Amüsement diese Zukunftspläne. Immerhin war sie noch in Trauer!

„Hoffentlich nicht!“, entsetzte sich Tante Letty.

Es folgte eine Diskussion über die Bedeutung des Regens für Landwirtschaft und gesellschaftliche Ereignisse, während der Sarah stillvergnügt kalten Braten mit frischem Brot und gedämpftem Gemüse verzehrte.

Schließlich wurde sie aber zur Schiedsrichterin aufgerufen und musste dem Gutsherrn Recht geben.

„Du bist einfach viel zu vernünftig“, seufzte ihre Tante in komischer Verzweiflung. „Sehnst du dich denn gar nicht nach etwas Amüsement?“

„Später vielleicht, liebe Tante, aber ich habe doch gerade erst meine Mutter begraben!“ Sie richtete einen vorwurfsvollen Blick auf Mrs. Granger, der sofort Wirkung zeitigte: Diese seufzte kummervoll auf. „Ach ja – die arme Anne – aber du kannst dich doch nicht für alle Ewigkeit in der Stille vergraben!“

„Die Beerdigung liegt noch keine zwei Wochen zurück“, merkte Mr. Granger an, während er den Rinderbraten attackierte, „das ist wohl kaum die Ewigkeit.“

Tante Letty schwieg beleidigt – für fast fünf Minuten.

„Oder einen Ausflug“, sinnierte sie dann mit einem warnenden Blick auf ihren Göttergatten.

„Wohin?“, fragte Sarah interessiert,

„Wie wäre es mit Hever Castle? Sehr hübsch soll es dort sein.“

„Und sehr geschichtsträchtig“, stimmte Sarah zu. „War Hever Castle nicht das Schloss der Familie Boleyn?“

„Nun – äh…“ Mrs. Granger schien leicht verlegen. „Heute gehört es jedenfalls einer anderen Familie“, meinte sie dann munter, aber damit hatte sie keinen Erfolg.

„Anne Boleyn war schon eine sehr unglückliche Frau“, sinnierte Sarah, dieses Mal nicht ablenkbar.

„Sarah! Glaubst du, dieses Thema ist für ein junges Mädchen sehr passend?“

Sarah staunte. „Aber das ist doch Geschichte? Und König Heinrich ist wohl neben Queen Bess die bekannteste Persönlichkeit auf dem englischen Thron. Was daran erscheint dir denn unpassend? Im Übrigen bin ich schließlich kein gar so junges Mädchen mehr. Schon fast eine alte Jungfer…“ Sie lächelte spitzbübisch.

„Umso schlimmer“, grollte Tante Letty. „Du solltest dann umso mehr darauf achten, als unschuldiges junges Mädchen zu erscheinen – du möchtest doch wohl einen achtbaren Gatten finden?“

„Möchte ich das?“, echote Sarah nachdenklich. „Das weiß ich eigentlich gar nicht…“

„Aber jedes junge Ding möchte doch heiraten!“, rief Onkel Thomas, dem angesichts dieser ketzerischen Meinung die Gabel aus der Hand gefallen war.

„Gewiss“, gab Sarah ihm Recht, „aus Angst vor der Zukunft. Nun gut, diese Angst sollte ich wohl auch verspüren. Aber die Erwähnung von Anne Boleyn würde mich doch wohl nicht als lose Person erscheinen lassen?“

„Sarah!“

Sarah gedachte im Stillen dankbar ihrer Eltern, die nie derartig an ihr herumerzogen, sondern sie ermutigt hatten, ihre Ansichten offen auszusprechen.

„Letty, sei nicht so altjüngferlich“, bat Mr. Granger, schon mit einem Blick auf das Dessert, das gerade auf den Tisch gestellt wurde. Er wartete, bis sich das Hausmädchen zurückgezogen hatte, und fuhr fort: „Sarah ist wirklich nicht mehr siebzehn und eine sehr gebildete junge Frau, nach dem, was ich bisher über sie erfahren habe. Ich denke, auch Peter wird sich nicht entsetzen, wenn sie etwas über Anne Boleyn sagt, die doch immerhin eine Zeitlang Königin von England war.“

„Und die Mutter von Königin Elizabeth, die England in eine Seemacht verwandelt hat“, warf Sarah ein, während sie sich mit einer kleinen Portion der süßen Creme bediente.

„Meinst du wirklich, Thomas? Ich möchte ja nur nicht, dass die jungen Herren hier in der Gegend Sarah für – nun – für etwas frei halten.“

„Etwas frei…“ wiederholte Sarah nachdenklich. „Das klingt doch eigentlich sehr hübsch – und doch beschreibt es ein Verhalten, das in der guten Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Seltsam, in der Tat.“

„Man kann nicht umhin zu bemerken, dass du bei deinen Eltern doch sehr entfernt von der Gesellschaft aufgewachsen bist, nicht wahr? Haben deine Verwandten denn gar keinen passenden Umgang gepflegt? Dein Onkel ist doch immerhin ein Viscount?“

„Gewiss, allerdings ein recht armer Viscount. Das wenige Geld, das vorhanden ist, wird darauf verwendet, Glanby Hall und die Ländereien wieder etwas ertragreicher zu machen.“

„Vernünftig.“

„Thomas, bitte! Nicht mit vollem Mund!“

„Entschuldige, Letty – aber Bauer bleibt Bauer, daran musst du dich endlich gewöhnen.“

„Du bist kein Bauer, Thomas, du bist ein Gutsbesitzer.“

„Das ist auch nur ein Bauer - mit einem größeren Hof. Uns geht es sehr gut, Sarah, das kann man nicht bestreiten, aber wir sind einfache Leute. Mit einem Viscount können wir nicht mithalten.“

„Das müsst ihr doch auch gar nicht!“, rief Sarah erschrocken. „Ihr seid so viel netter zu mir! Ich wollte natürlich nicht sagen, dass Onkel Victor und Tante Barbara nicht immer recht freundlich waren – und Lavvy und Selly sind wirklich reizende Mädchen. Aber sie hatten doch nun wirklich genügend eigene Sorgen, wenn man bedenkt, wie verschuldet Glanby Hall ist… Cousin Paul rackert sich Tag und Nacht ab, da blieb natürlicherweise für arme Verwandte, die zumeist in der Welt der Antike lebten, nicht viel übrig. Wenn ich dagegen überlege, wie liebevoll ihr euch um mich kümmert… was zählt da schon ein alberner Viscount-Titel?“

„Das ist sehr nett und großzügig von dir“, antwortete Onkel Thomas.

„Von mir?“, quietschte Sarah förmlich auf. „Ihr seid so nett und großzügig, mir bleibt da nur die Dankbarkeit – und ich bin euch von Herzen dankbar. Verwöhnt mich nur nicht zu sehr, ihr Lieben!“

Tante Letty wischte sich ein Rührungstränchen aus dem Augenwinkel und lächelte dann tapfer. „Wir wollen alles tun, damit es dir bei uns gefällt und du vielleicht auch einen netten, passenden Ehemann findest.“

„Richtig“, bestätigte der Hausherr und verhalf sich zu einer weiteren Portion der Creme.

„Thomas! Das ist nicht gut für dich!“, mahnte seine Frau prompt. „Sarah, möchtest du nicht noch etwas davon?“

„Ach, mir schadet sie also nicht?“ Sarah warf ihrer Tante einen spitzbübischen Blick zu. „Du musst etwas aufgefüttert werden – dein Onkel nicht. Im Gegenteil!“

Beide Damen betrachteten Mr. Granger, sein deutliches Doppelkinn und seine füllige Leibesmitte, soweit nicht vom Tisch verdeckt.

„Ich denke, Onkel Thomas ist stattlich. Wie es einem Gutsherrn auch zukommt, nicht wahr?“, rettete Sarah sich dann ins Diplomatische.

Der so Gelobte grinste sein Eheweib triumphierend an und leerte geruhsam seinen Dessertteller.

Tante Letty seufzte.

„Nun, morgen geht es erst einmal zur Kirche… hoffentlich sind nun alle Nachbarn wieder von ihren Reisen zurück. Am letzten Sonntag konntest du ja so gut wie niemanden kennenlernen, Sarah!“

Dies traf allerdings zu, überlegte Sarah, als sie sich alle erhoben. Nur Reverend Wivern hatte sie in Great Abbington ein wenig steif willkommen geheißen und sich entschuldigt, dass seine Schwester Elizabeth, die etwa in Sarahs Alter sein dürfte, sich noch bei einer Freundin aufhalte. Außerdem hatte man erfahren, dass die Tauntons einen Ausflug nach London unternommen hatten und die Anistons Verwandte besuchten – und damit war die Nachbarschaft schon einigermaßen umrissen.

Sarah schlenderte, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Tante ihrer nicht bedurfte, in den Garten hinaus und ließ sich auf einer der gemütlichen Steinbänke nieder. Gewiss, man sah weniger auf Rosensträucher, sondern eher auf ein wohlgepflegtes Salatbeet – aber war das nicht ohnehin viel nützlicher?

Sie zählte gedankenverloren die Salatköpfe, die prächtig heranzuwachsen schienen, und kam auf siebzig Stück, bevor sie überlegte, wozu sie das tat, und leise schnaubte: So etwas Albernes!

Warum eigentlich hatte sie ihrer Tante nicht erzählt, dass sie den Nachbarn von Mordale Hall im Wald getroffen hatte? War es, weil Tante Letty so viele Einzelheiten über Mordales unrühmliche Vergangenheit ausgebreitet hatte? Vielleicht; man konnte wenigstens sicher sein, dass sie den Kontakt ihrer Nichte zu diesem Mann nicht billigen würde. Sarah allerdings hätte sich einen Mann, der die Herrin des benachbarten Landsitzes verführt und ihren Ehemann im Duell erschossen hatte, etwas anziehender vorgestellt.

Nein, anziehend war nicht das rechte Wort, denn anziehend war er durchaus. Wenigstens sah er recht gut aus mit dem diesem schmalen, düsteren Gesicht.

Er war nicht gerade verbindlich gewesen, das traf es wohl eher. Nicht wirklich unfreundlich, aber doch etwas, nun ja, abweisend.

Weil sie sich ungebeten auf seinem Land aufgehalten hatte? Das war natürlich eine Möglichkeit, aber eine andere gefiel ihr noch weniger: Es war wohl nicht auszuschließen, dass er sie ganz einfach unsympathisch gefunden hatte.

Dabei war sie doch wirklich eine nette und höfliche junge Frau – oder? Sie seufzte ungeduldig: Warum dachte sie über Mordale nach? Wahrscheinlich sah sie ihn nie wieder, denn nun wusste sie ja, wie sie sich von seinem Land fernhalten konnte – und Mordale selbst verließ seine Ländereien auch nicht. Damit war diese Frage eigentlich nicht mehr wichtig.

Dieser Gedanke stellte sie sie nicht so zufrieden, wie sie es erwartet hatte – aber warum, war ihr selbst nicht klar.

Ach, das war doch nicht so wichtig – morgen würde sie alle anderen Nachbarn kennenlernen, und darüber würde Tante Letty sich freuen. Das war die Hauptsache, denn sie und Onkel Thomas hatten sie so reizend aufgenommen! Und sollte nicht auch Onkel Thomas´ Neffe zu Besuch kommen? Bestimmt ein sehr schätzenswerter junger Mann, wenn Onkel Thomas in so warmen Tönen von ihm sprach!

Und nun musste sie Tante Letty fragen, ob sie nicht doch etwas Hilfreiches tun konnte – auch wenn es bedeutete, ein Altartuch zu sticken. Sie würde sich jedenfalls große Mühe geben, ihre unzureichende Bildung auf diesem Gebiet zu verbessern. Machte Übung denn nicht den Meister?

Rätselhafte Nachbarschaft

Подняться наверх