Читать книгу Eine wählerische junge Lady - Catherine St.John - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеDer nächste Morgen sah Lady Hertwood tatsächlich etwas erholter; mit rosigen Wangen und mutwillig funkelnden Augen saß sie ihrem Gemahl bei einem ausgedehnten Frühstück gegenüber. Cecilia stellte fest, dass auch ihr Bruder so rosig und verschmitzt wirkte, und überlegte, dass sich zwischen Eheleuten des Nachts doch recht angenehme Dinge abzuspielen schienen, wenn sie dann morgens so zufrieden wirkten.
Nun ja, sollte sie einen einigermaßen klugen, vornehmen und vermögenden Gemahl finden, würde sie ja wohl herausfinden können, was genau diese rosigen Wangen und das Funkeln der Augen hervorrief… vielleicht Küsse…?
Einige Stunden später sahen sie sich im Pantheon Bazaar um, beide mit großen Augen, denn auch Cecilia hatte ja dieses Etablissement noch nie mit eigenen Augen gesehen – diese Fülle, dieser Reichtum an allem Möglichen, womit man sich hochmodisch aufputzen konnte!
Und zwischen den Tischen und Verkaufsständen bewegten sich zahlreiche vornehme Damen, zumeist mit einer Zofe im Schlepptau, der man die Päckchen dann überreichen konnte. Nun, Melinda hatte ja ihre Hazel auch dabei – ausgesprochen praktisch!
Ein Tisch mit hübschen Schals aus federleichtem Kaschmirgarn zog sie magisch an, auch wenn Melinda sie diskret darauf verwies, dass sie doch schon eine ganze Schublade voller Schals habe.
„Mit einem Schal kann man jedes Kleid verändern“, argumentierte Cecilia und trat an den Stand heran, um sich rosa Schals vorlegen zu lassen. Der Verkäufer verneigte sich und präsentierte die passenden Stücke, nicht ohne Hazel interessierte Blicke zuzuwerfen. Melinda registrierte Hazels Erröten und versuchte dann, ebenfalls Interesse für die Schals zu entwickeln. Sie besaß einen in zartem Blau, einen in einem kühlen Rosaton (noch von Mrs. Reilly in Ascot) und einen in einem Cremeton, der einen bestickten Rand in verschiedenen Grautönen aufwies.
„Vielleicht in einem Lavendelton“, überlegte sie dann halblaut.
„Gewiss, Ma´am. Sofort, Ma´am.“
„Mylady!“, rügte Hazel sofort.
„Oh, ich bitte Euer Ladyschaft um Vergebung! In Lavendel – eine ausgezeichnete Wahl, Mylady! – hätte ich hier eine recht schöne Auswahl…“ Er öffnete eine kunstvoll bemalte Schachtel und zupfte die Schals heraus, um sie auf der Theke auszubreiten.
„Dieser, Mylady!“, rief Hazel sofort und zog einen Schal zu sich heran, der auf dem naturgemäß blasslila Fond zarte weiße Stickereien aufwies. „Eine sehr hübsche Arbeit. Und so zartes Material!“
Cecilia favorisierte dagegen ein Modell mit feinen weißen und violetten Streifen auf lavendelfarbenem Grund und so sah sich Melinda in ein Dilemma gestürzt. Beide gefielen ihr ausgezeichnet – und passten nicht nur zu weißen, sondern auch zu blassblauen und grauen Gewändern! – und beide sollten auch das gleiche kosten, nämlich neun Guineas. Viel Geld, fand sie in Erinnerung an ihre karge Jugend, aber sie wusste, dass Cecilia darüber nur lachen würde. Wahrscheinlich lachte ihre kleine Schwester Jane mittlerweile auch darüber, nachdem auf Lynet nun ein neuer, großzügigerer Wind wehte…
Sie entschloss sich zu einer noblen, einer Lady Hertwood angemessenen Geste und verkündete: „Ich werde sie beide nehmen!“
„Eine ausgezeichnete Idee, Mylady!“ Das kam zweistimmig – von Hazel und dem Verkäufer, der sofort eine Hilfskraft herbeiwinkte, damit sie ein hübsches Päckchen aus den beiden Schals verfertigte.
Cecilia lachte zufrieden: Melinda fügte sich wirklich von Tag zu Tag besser in ihre neue Position als Lady Hertwood!
Zugleich spürte sie in diesem Moment, dass ein forschender Blick auf sie gerichtet war. Sie sah sich um und entdeckte schräg gegenüber, an einem Verkaufstisch für Pelzwaren, eine Dame in mittleren Jahren, die sie durch ein Lorgnon betrachtete und sich dann naserümpfend abwandte.
Was fiel dieser Person denn nur ein? Sie betrachtete die Dame, eine eher kleine und recht rundliche Person in nichtssagendem Grau, etwas diskreter als diese es soeben getan hatte, und überlegte, wer sie sein konnte. Erneut hob die Dame ihr Lorgnon, ein schweres goldenes Gerät mit Rubinen rund um das Glas… das kannte sie doch noch von ihrer Saison damals? Lady Ruby, hatte sie jemand getauft, sie hörte das spöttische Geflüster noch, das in irgendeinem Ballsaal an ihr Ohr gedrungen war… Lady Ruby… Lady Sasson, genau! Die Gemahlin von Sir Ambrose Sasson, einem steinreichen Wollhändler, den König George wegen seiner Verdienste um die britische Wirtschaft in den Adelstand erhoben hatte. Sasson war den Gerüchten zufolge reich wie Krösus. So reich, dass zum Beispiel Sebastian, aber auch Benedict de Lys sich daneben nur verstecken konnten.
Ben… er wusste bestimmt Einzelheiten! Schade, dass er wohl auf Lynet nach dem Rechten sah. Nach dem, was Sebastian erzählte, schien der Besitz es auch noch immer bitter nötig zu haben.
Lady Sasson seufzte weithin hörbar, ließ das Lorgnon an Cecilias Gruppe entlang wandern und schnaubte schließlich naserümpfend. Was hatte diese dahergelaufene Person denn bitte? Cecilia spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. Die Frau eines gerade erst geadelten Wollhändlers – eines Wollhändlers! – schwang sich zur Richterin über Gemahlin und Schwester des elften Barons Hertwood auf? Wobei obendrein die Damen sehr viel dezenter und geschmackvoller gekleidet waren als diese dubiose Lady Sasson: War diese düstere Kleidung etwa noch mit Jettperlen bestickt? Nun, vielleicht war sie in Trauer? Aber dann so viel Schmuck? Und bei der Pelzauswahl im Pantheon Bazaar anzutreffen statt in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Heims?
Sehr, sehr seltsam… Sie gönnte der Dame ein kühles Nicken und drehte sich dann wieder zu Melinda und ihrer Zofe, die über einen zartgelben Schal mit langen Fransen diskutierten und schließlich davon abkamen. „Recht hast du: Gelb passt nicht zu blonden Haaren – aber mir könnte er gut stehen!“
Hazel drapierte ihn ihr eilfertig, der Verkäufer brach in Begeisterungsrufe aus, wie nicht anders zu erwarten, und Melinda nickte nach kurzer Musterung. „Ja, für dich ist er das Richtige. Wen hast du vorhin so lange beobachtet?“
„Später.“ Cecilia nickte dem Verkäufer zu, der sofort auch diesen Schal hübsch verpacken ließ.
Auf dem Weg zu weiteren Verkaufstischen teilte Cecilia Melinda kurz mit, wie sich Lady Sasson benommen hatte – und prompt ließ Melinda wieder einmal den Kopf hängen: „Wahrscheinlich ist es wegen des Skandals um Lynet.“
„Ja, mag sein. Aber der ist nicht deine Schuld – und was die Frau eines erst kürzlich geadelten Wollhändlers von uns hält, kann uns wirklich egal sein. Krittelsüchtige alte Weiber gibt es in London reichlich und wenn es nichts zu klatschen gibt, erfinden sie eben etwas. Du machst alles richtig – und ich habe die alte Fregatte nur sehr kühl gegrüßt.“
„Und wenn wir auf einen Ball gehen und man schneidet uns?“
„Großer Gott, keinesfalls! Ich bitte dich, Lady Hertwood und Miss Herrion? Vornehm, wohlhabend und gut aussehend – auch wenn ich das von mir selbst wohl nicht sagen sollte? Die alte Sasson hat zu solchen Bällen auch bestimmt keinen Zutritt.“
„Ein schwacher Trost… oh, sieh nur: Schmucknadeln!“
Die nächste Viertelstunde verging wie im Fluge, denn die Nadeln – teils für die Frisur, teils, um sie ans Kleid zu stecken – waren ausgesprochen reizend, mit Steinen oder mit kleinen Seidenblumen besetzt, zum Teil auch mit einem Stoff bezogen, der wiederum mit funkelnden Perlchen bestickt war. Und es gab sie in allen nur erdenklichen Farben!
Von Hazel kundig beraten, erwarben beide Damen eine beträchtliche Anzahl dieser Nadeln und schenkten auch Hazel einige als Honorar für ihre Beratung.
Als sie weitergehen wollten, schwankte Melinda und musste sich auf einer der Sitzgelegenheiten niederlassen. „Was ist dir?“ Cecilia setzte sich sofort neben sie.
„Ich weiß es nicht, plötzlich wurde mir schwindelig. Wärst du sehr böse, wenn ich für heute genug hätte?“
„Nicht doch, wir können doch jederzeit wieder hierher kommen – und wir haben doch schon recht hübsche Beute gemacht, nicht wahr? Aber wir könnten auf dem Rückweg noch bei Gunter´s vorbeifahren…“
„Noch mehr Putz?“, fragte Melinda schwächlich.
„Nein, ich hätte eher an etwas Eis gedacht“, war Cecilias heitere Antwort. „Das könnte dich wieder munter machen, meinst du nicht?“
„Ja, das gefällt mir.“
„Und heute Nachmittag wird Seb mit uns in den Park fahren, damit alle wissen, dass wir wieder da sind.“
„Ach ja!“, machte Melinda beklommen, ließ sich von Hazel aufhelfen und zum Ausgang führen.
Bei Gunter´s gefiel es ihr sichtlich gut, und das Eis mit dem Geschmack nach italienischen Zitronen mundete ihr so gut, dass sie schon mit dem Gedanken an eine zweite Portion spielte. Cecilia lobte diesen Plan, aber dann wollte Melinda doch lieber nach Hause und ein wenig ruhen.
Sobald Melinda in ihrem Schlafzimmer untergebracht war, zog sich Cecilia, die ihre Einkäufe ihrer eigenen Zofe Florette übergeben hatte, in den Salon zurück und sah noch einmal die Einladungen durch, die sie bereits erhalten hatten. Da Melinda in London ohnehin niemanden kannte und Sebastian keine Vorlieben geäußert hatte, konnte sie wohl selbst entscheiden, wohin sie gehen sollten.
Zuerst tatsächlich zu Mrs. Ramsworth, die einfach eine reizende Person war. Ein kleiner Ball, nur sehr ausgewählte Gäste, das wäre auch genau das Richtige für Melinda, die doch wohl noch nie einen echten Ball mitgemacht hatte.
Und als nächstes… die Prestons? Sir Michael und Lady Preston, die immer vergnügte Laura, waren entzückende Gastgeber, daran erinnerte sie sich noch von ihrer Saison her. Und ihr Bekanntenkreis war erstklassig, man konnte alles bei ihnen antreffen, was Rang und Namen hatte.
Oder sollten sie den Ball in Pole House besuchen? Beim Earl und der Countess of Pole? Nein, dort waren bekanntermaßen die Musik und der Champagner schlecht – Pole war vornehm und reich, aber geizig, sagte man. Dazu wusste Sebastian bestimmt Genaueres! Nein, lieber zu den Prestons.
Sie sortierte weitere goldgeränderte Karten durch. Die verwitwete Countess of Milton… sehr vornehm, sehr angesehene Bekannte, aber auch viele krittelsüchtige alte Damen… aber bei der dritten derartigen Veranstaltung sollte Melinda damit schon zurechtkommen können.
Vielleicht veranstalteten die jungen Claremonts auch einen Ball? Rupert Claremont war mit Ben de Lys befreundet, soweit sie wusste. Eine Einladung gab es noch nicht… andererseits kannten die Claremonts die Herrions kaum, warum sollten sie sie also einladen?
Oh, hier, die Harringtons am Grosvenor Square! Damals hatten sie zwei wundervolle Bälle veranstaltet, um ihre Tochter Maria zu präsentieren, die sich auch prompt Lord Kilburn geangelt hatte und nun eine angesehene Viscountess war. Sie könnte sie besuchen, wenigstens Karten hinterlassen…
Andererseits hatten sie sich damals nicht ausstehen können, wenn auch der Austausch von persönlichen Spitzen und kleinen Gemeinheiten durchaus amüsant gewesen war. Nein, keine Karten… sie wollte lieber abwarten, ob sich im Park etwas ergab.
Das genügte erst einmal, fand sie: Ramsworth und Prestons … diese Manie, an einem Abend drei bis vier Bälle zu besuchen und überall gerade einmal einen Ländler, einen Walzer und einen Kotillon zu tanzen, bevor man sich zum nächsten Stadtpalais aufmachte, fand sie albern. Und Melinda wäre damit bestimmt auch überfordert; sie war ja schon nach einem kurzen Besuch im Pantheon Bazaar erschöpft!
Vielleicht kein Wunder, wenn sie noch nie in London gewesen war – der Lärm, die vielen Menschen, die vielen Gerüche (um nicht zu sagen: der Gestank in manchen Gegenden und am Fluss), der Verkehr auf den Straßen - all dies konnte sie schon überfordern. Deshalb würden sie es langsam angehen, die Saison dauerte schließlich viele Wochen!
Sie selbst wollte zwar gerne einen Ehemann finden, aber sie war ja ausgesprochen wählerisch, also würde sie wahrscheinlich ohnehin keinen Erfolg haben….
Nach dem Lunch, zu dem Melinda einigermaßen erholt erschien und bei dem sie mit recht gutem Appetit aß, präsentierte Cecilia Bruder und Schwägerin ihre kleine Auswahl an Balleinladungen und traf auf Billigung.
Sebastian verkündete, er werde seinen Freund Ben aufsuchen und sich nach weiteren netten und angesehenen Familien erkundigen. Dies hielt Cecilia, die sich freute, dass Ben doch nicht auf Lynet weilte, für eine ausgezeichnete Idee und wies gleich auf die Claremonts hin.
Sebastian nickte. „Rupert ist ein guter Kerl und seine Frau eine sehr lustige Person. Sollten die beiden wirklich einen Ball veranstalten, könnte es sehr amüsant werden. Übrigens könnten wir ja auch einmal Vauxhall Gardens besuchen… etwas halbseiden in manchen Winkeln, aber wenn ich bei euch bin, kann ich schließlich auf euch aufpassen. Und sollten wir dort einen Gentleman sehen, der sich unangemessen verhält, bist du wenigstens gleich gewarnt, Cec.“
„Herzlichen Dank. Ich denke, wir werden ein wenig mit Paul spielen und gegen fünf in den Park fahren, nicht wahr? Seb, du begleitest uns doch?“
Das habe er gestern doch versprochen, erinnerte er sie.
Der kleine Paul freute sich über den hohen Besuch im Kinderzimmer, erlaubte den Tanten großzügig, ihm einem größeren Bauprojekt behilflich zu sein und verkündete schließlich, das Ergebnis sei das Schloss des Königs.
„Ach ja?“, fragte Melinda. „Nun, das Schloss wird dem König bestimmt sehr gefallen. Weißt du denn, was ein König ist?“
Paul überlegte. „Der hat eine Krone. Nanny hat mir ein Bild gezeigt. Und da ist noch einer, der hat ein ganz dickes Gesicht…“
Cecilia prustete dezent und tauschte mit Nanny in ihrem Schaukelstuhl einen amüsierten Blick.
„Welcher gefällt dir denn besser?“, fragte Melinda.
Paul überlegte, wobei er kurz den Daumen in den Mund steckte, dies aber auf ein Räuspern seiner Nanny schnell wieder ließ. „Der mit der Krone“, sagte er dann. „Die is aus Gold, nicht?“
„Richtig. Nanny, haben wir irgendwo buntes Papier und eine Schere?“
Nanny holte die Bastelkiste und Melinda schnitt eine schöne Krone mit Zacken rundherum aus, faltete sie zu einem Kreis und setzte sie auf das Schloss aus Bauklötzen. „So?“
Paul klatschte in die Händchen und kletterte auf Melindas Schoß, um zuzuhören, wie Cecilia eine Geschichte vorlas. Darin kam allerdings kein König vor, sondern ein Riese, der auf der Spitze einer Bohnenranke wohnte.
„Paul ist wirklich ein schlaues Kerlchen“, fand Melinda, als sie später auf dem Weg zu Melindas Zimmer waren, um zu überlegen, was sie bei dem Ausflug in den Park tragen sollte. Etwas aus Ascot musste es wohl sein, denn bis auf zwei Nachmittagskleider hatte Madame Fleuron naturgemäß noch nichts liefern können.
Cecilia sah die Garderobe ihrer Schwägerin stirnrunzelnd durch, von Hazel eifrig und von Melinda etwas bedrückt beobachtet, und zog schließlich ein blassbraunes Ausfahrkleid aus dem Schrank. „Dies wäre gut geeignet… hast du einen blauen Umhang?“
Hazel eilte, ihn herauszusuchen. „Und einen passenden Hut… am besten diese Strohschute, die ist ja auch blassblau aufgeputzt.“
Unaufgefordert legte Hazel auch blaue Handschuhe bereit und ein paar hellbraune Stiefelchen standen dann auch vor dem Schrank.
„Nun?“ Cecilia wandte sich zu Melinda, die lächelte. „Was täte ich ohne dich und Hazel? Meinst du, ich werde einen guten Eindruck machen?“
„Aber gewiss! Schau, es hat sich doch herumgesprochen, wie rasch ihr geheiratet habt, das macht die Leute natürlich ganz besonders neugierig. Sie wollen wissen, was dahinter steckt – und das werden wir ihnen natürlich nicht erzählen. Übe schon mal ein geheimnisvolles Lächeln, während ich mich umkleide!“
Damit eilte sie davon und Melinda ließ sich befehlsgemäß ausstatten und frisieren, so dass sie schließlich recht zufrieden mit sich in die Halle herunterkam, wo Sebastian schon wartete und auf den offenen Wagen hinwies, der vor dem geöffneten Portal zu sehen war.
Auch Cecilia fand sich pünktlich ein, in warmes Rosa gewandet, mit einem zartgrauen Umhang, einem grauen Hütchen, rosa aufgeputzt, und grauen Handschuhen.
„Ihr habt euch recht ähnlich gekleidet“, fand Sebastian. Cecilia lächelte ihrem Bruder übermütig zu: „Absicht, lieber Bruder! Du musst das strategisch sehen.“
„Aha… Na, dann kommt!“
Als sie durchs Tor rollten, herrschte im Park bereits lebhaftes Treiben; Spaziergänger (zumeist Herren), Reiter (darunter auch einige kühne Damen) und Wagen (vor allem mit Damen besetzt) bevölkerten die Wege, vor allem die mit Blick auf den Serpentine Lake.
„Hier gibt es einen See?“, staunte Melinda auch prompt. „Wie schön es hier ist! Wie heißt dieses Gebäude dort hinten?“ Sie zeigte nach Osten.
„Das ist Kensington Palace“, erklärte Sebastian sofort. „Früher war er recht prunkvoll, aber nun wird er kaum noch genutzt.“
Melinda wollte dies gerade kommentieren – so eine Verschwendung! -, als ihnen ein Wagen entgegenkam, in dem zwei Herren und eine Dame saßen. Beide Wagen hielten an; die Herren zogen ihre Hüte, die Dame rief: „Das ist doch Cecilia Herrion? Was führt Sie denn wieder einmal nach London?“
„Die Saison!“, rief Cecilia vergnügt, wenn auch wenig überraschend zurück. „Wie ist das Befinden, Lady Celia?“
Lady Celia Walby, die mit ihren beiden Brüdern, Lord Henry, dem Earl of Gowan, und Lord Leonard Walby, unterwegs war, strahlte. „Empfangen Sie morgen Nachmittag, Cecilia? Dann komme ich vorbei und erzähle Ihnen das Neueste. Und wer ist die Dame neben Ihnen?“
„Meine Gemahlin, Lady Hertwood“, mischte sich Sebastian ein. „Wir wollen sie mit London bekannt machen.“
„Lady Hertwood…“
Melinda winkte fröhlich zurück. „Lady Celia… wir freuen uns auf Ihren Besuch!“ Dafür gab es eine freundliche Geste mit einem bei diesem Wetter entbehrlichen, aber sehr niedlichen Sonnenschirm und zwei gezogene Hüte.
Die Pferde zogen wieder an.
„Lady Celia macht einen sehr freundlichen Eindruck“, merkte Melinda vorsichtig an. „Aber ja, sie ist reizend. Auch die Brüder sind nett.“
„Aha?“, machte Melinda und erlaubte sich ein wissendes Lächeln.
„Nein, Gowan, der Ältere, ist bereits verheiratet – und Len, der Jüngere, erbt nur einen ganz geringen Anteil am Familienvermögen. Also hat er sich mit der Tochter eines wirklich reichen Kaufherrn verlobt, soweit ich weiß.“
Sebastian grinste. „Sind deine Quellen so schlecht informiert? Wie heißt sie, wie sieht sie aus, was bekommt sie in die Ehe mit?“
„Viel, vermutlich. Sie ist das einzige Kind. Der Vater ist etwas sehr Wichtiges an den Docks. Mehr weiß ich noch nicht…“
„Und Lady Celia?“, erkundigte sich Melinda.
„Hat den perfekten Gemahl noch nicht gefunden.“
„Genauso wie du.“
„Da hast du Recht. Nun, wer weiß, was diese Saison bringt…“
Ihnen kam eine sehr elegante, allerdings nicht mehr ganz neue Barouche entgegen, mit elfenbeinfarbener Seide und schokoladenbraunem Leder ausgeschlagen, darin ein ausgesprochen gut aussehendes Paar. Er zog seinen Zylinder, die Dame winkte, allerdings nicht gerade überschwänglich.
„Carew“, grüßte Sebastian freundlich, aber auch nicht gerade enthusiastisch. „Lady Eloise…“
„Herrion. Wieder einmal in der Stadt? Und…?“
Sebastian entsann sich seiner Manieren und stellte seine Gemahlin und seine Schwester vor. Lady Eloise stellte ebenfalls sofort einen Nachmittagsbesuch in Aussicht und stellte fest, sie würden gewiss gute Freundinnen werden. Dies belohnte Cecilia mit einem würdevoll-freundlichen Nicken.
„Du schätzt sie nicht sehr?“, fragte Melinda, sobald sie außer Hörweite gerollt waren.
„Ach, sie war immer schon recht amüsant und kennt den neuesten Klatsch“, wich Cecilia ein wenig aus.
„Und das ist ja sehr wichtig für dich, nicht wahr?“, neckte Sebastian seine Schwester.
„Wenn man über diese Dinge nichts weiß, sind Ballsäle ein gefährlicher Ort“, entgegnete Cecilia. „Man sagt schnell das Falsche oder spricht mit den falschen Leuten. Oder man ist so vorsichtig, dass man als ungemein langweilig gilt. Das ist auch nicht gerade erstrebenswert.“
„Aber wirklich sympathisch ist dir Lady Eloise nicht?“
Cecilia zuckte die Achseln. „Ich weiß es gar nicht recht. Sie ist ein wenig zu eifrig auf der Suche nach einem Ehemann. Dabei ist sie, glaube ich, zwei Jahre jünger als ich – und ich suche doch auch nicht verbissen nach einem geeigneten Kandidaten!“
„Wenn sie unbedingt heiraten will, ist das aber doch verständlich? Du kannst dir auch ein Leben als wohlhabende, vornehme unverheiratete Dame vorstellen, aber sie wohl nicht?“
„Na, eigentlich wäre ich auch ganz gerne verheiratet. Mit einem wirklich netten und passenden Mann. Das wird nicht ganz einfach, glaube ich. Es gibt hier zu viele Hohlköpfe, Mitgiftjäger und Männer ohne Rang und Verbindungen.“
Sebastian hörte dem Gespräch seiner beiden Damen mit stillem Amüsement zu und konnte seiner Schwester eigentlich nur Recht geben, was die Qualitäten der aktuellen Londoner Junggesellen betraf.
Aber einige vernünftige Männer in passendem Alter, mit genügend Vermögen und tadellosem gesellschaftlichem Ansehen musste es doch geben?
„Wie wäre es mit Carew?“, schlug er also vor.
„Dann wäre Eloise meine Schwägerin“, überlegte Cecilia ohne Begeisterung. „Nein, lieber nicht.“
„Aber er hat dich vorhin sehr interessiert betrachtet“, steuerte Melinda bei.
„Ich heirate nicht den Erstbesten, der ein wenig Interesse zeigt“, murrte Cecilia.
„Das musst du auch nicht. Wir haben bis jetzt noch keinen einzigen Ball besucht und gerade einmal mit den Insassen zweier Wagen kurz geplaudert“, versuchte Sebastian sie zu besänftigen.
„Vielleicht lernst du ja doch noch den einen oder anderen Gentleman kennen“, fügte Melinda hinzu, verschmitzt zwinkernd.
Tatsächlich tauchte schon der nächste auf – sehr elegant auf einem schimmernd schwarzen Wallach den Weg entlang trabend. Neben dem Wagen der Herrions hielt er an, zog den Hut und rief vergnügt: „Hertwood! Stell mich doch bitte vor!“
Sebastian seufzte. „Stephen Latymer, Lord Bolton. Meine Gemahlin, Lady Hertwood, meine Schwester, die Ehrenwerte Miss Herrion.“
Erneut wurde der Hut gezogen. „Mylady… Miss Herrion…“ Bei Cecilias Namen beschrieb der Hut einen deutlich schwungvolleren Kreis.
Cecilia lachte. „Mylord… Ihre gute Laune wirkt ansteckend.“
„Soll ich angesichts so reizender Damen nicht guter Stimmung sein? Und der Beginn der Saison ist doch immer der Höhepunkt des Jahres!“
„Dann wird man sich ja vielleicht bei einigen Anlässen wieder sehen“, stellte Cecilia vage in Aussicht und nickte Bolton gnädig zu, während der Wagen wieder zu rollen begann. Melinda lächelte und senkte den Kopf.
„Und?“, fragte Cecilia, sobald sie außer Hörweite waren. „Ist er so amüsant, wie es den Anschein hatte?“
Sebastian grinste. „Du solltest die Erfahrung selbst machen, er wird bei der ersten Gelegenheit in deinem Salon auftauchen. So viel immerhin: Warnen muss ich dich nicht vor ihm.“
„Also kein schräger Vogel?“
„Cecilia! Möchtest du hier als Wildfang gelten? In deinem Alter wird dir das nicht mehr so leicht verziehen!“
„Ja, Mama. Er ist schlimmer als eine Anstandsdame“, wandte sie sich zu Melinda, die nur kicherte.
„Ich war viel öfter in London als du, ich weiß, was hier noch als amüsant gilt und was als ausgesprochen unerzogen.“
„Warst du auf so vielen Bällen? Ich denke, wenn du dich in Herrenclubs aufhältst, erfährst du nicht, worüber sich die alten Damen erbosen.“
„Das wüsstest du wohl gerne?“
Sebastian feixte regelrecht, als er Cecilias zornrote Wangen betrachtete. Zwei Damen kamen ihnen entgegen, die eine in nahezu mittleren Jahren, die andere noch etwas zu jung für ein Debüt.
„Oh! Cecilia Herrion, nicht wahr?“
„Lady Franklyn, wie geht es Ihnen? Und das ist gewiss Miss Franklyn?“
„Meine Älteste, Mirabelle.“
Mirabelle knickste leicht, murmelte etwas und blickte dann zu Boden.
„Und wer ist die Dame neben Ihnen, Miss Herrion?“
„Meine Schwägerin, Lady Hertwood. Meinen Bruder Hertwood kennen Sie, nehme ich an?“
„Oh ja!“ Mirabelle knickste auf einen Puff ihrer Mutter hin erneut.
„Es gingen schon Gerüchte herum, Sie hätten recht überraschend geheiratet. Darf ich fragen, Lady Hertwood, woher Sie stammen?“
Melinda richtete sich noch etwas steifer auf. „Aus Kent. Mein Vater war der jüngst verstorbene Viscount Lynet.“
„Lynet…“, murmelte Lady Forthhurst und runzelte dabei die Stirn, als sei sie noch nicht faltig genug, „Lynet – darüber habe ich doch erst vor kurzem etwas gehört?“
Melinda lächelte nicht ohne Anstrengung freundlich. „Mein Onkel hat den Titel von meinem verstorbenen Vater geerbt, wahrscheinlich ist diese Nachricht tatsächlich bis hierher gedrungen.“
Cecilia nickte zufrieden: Melinda bewahrte bewunderungswürdig die Fassung!
„Richtig, so war es. Auch Provinzereignisse finden ihren Weg in die Hauptstadt.“
Sebastian grinste breit. „Die Provinz ist schließlich das Rückgrat des Landes, nicht wahr?“
Das trug ihm nur ein verkniffenes Lächeln und ein steifes Nicken ein, dann schritten die Damen davon.
„Dumme Pute“, verkündete Cecilia, sobald sie außer Hörweite gerollt waren. „Was geht es diese Person bitte an, was auf Lynet vor sich geht?“
„Nichts“, stimmte Melinda friedlich zu. „Lass sie doch, wenn sie es nötig hat, ihre Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken. Mama hat geschrieben, es geht ihnen gut und Benedict ist damit beschäftigt, das Gut wieder instand zu setzen. Er hat gesagt, erst kommen die Felder und die Cottages und dann das Herrenhaus – solange es da nicht durchregnet. Aber sie haben neue Kleider bekommen und es gibt genug zu essen. Und Benedict hat zwei Lakaien eingestellt, um den alten Walters zu entlasten. Damit bin ich schon sehr zufrieden.“
Sebastian tätschelte seiner Frau die Hand. „Du hast Recht. Wir könnten die drei aber für einige Tage nach London einladen. Deine Mutter könnte mit uns auf Bälle gehen und tagsüber zeigen wir Janey die Sehenswürdigkeiten. Und Benedict weiß sich hier ja ohnehin schon zu beschäftigen.“
Cecilia lachte. „Als neuer Viscount Lynet wird er in den Ballsälen auch hoch willkommen sein. Er geht doch auf Bälle?“
„Gewiss. Jetzt wollen doch alle den neuen Viscount sehen. Und eine Partie ist er schließlich auch. Wie wäre es denn mit ihm, Cecilia?“
Cecilia gab ein nicht ganz damenhaftes Geräusch von sich.
Melinda sah sie erstaunt an. „Aber du hast dich doch mit ihm recht gut verstanden, als ich so wütend auf ihn war? Warum sollte er jetzt nicht in Frage kommen?“
„Ich weiß nicht. Ich denke nur, es müsste sich noch etwas Interessanteres finden lassen. Eine Saison mitzumachen und dann sozusagen einen Verwandten heiraten – das erscheint mir doch recht unromantisch.“
„Wir werden nach Ruinen mit wahnsinnigen Mönchen Ausschau halten“, versprach Sebastian. „Wäre das nach deinem Geschmack?“
„Nein“, murrte Cecilia, die sich natürlich auf den Arm genommen fühlte, „was soll ich mit einem Katholiken, der überhaupt nicht heiraten darf und wer weiß woher stammt? Einmal davon abgesehen, stelle ich mir einen wahnsinnigen Ehemann auch nicht sehr amüsant vor.“
„Gut erkannt. Romantik sollte man also auch nicht überbewerten, meinst du nicht?“
„Spiel hier nicht den großen Bruder, Sebastian, sag mir lieber, wer der Gentleman auf diesem riesigen Schimmel ist!“
Sebastian spähte in die angegebene Richtung. „Du lieber Himmel, Sir Archibald! Reitet er auf seinen Kutschpferden aus? Was ist denn das für ein schreckliches Vieh?“
Sir Archibald verneigte sich, sobald er nahe genug heran gekommen war, höflich aus seiner erhabenen Position, stellte sich selbst vor und wünschte den Damen einen angenehmen Nachmittag. Die Damen erwiderten diesen Wunsch anmutig und ignorierten dabei tapfer die beginnenden Nackenschmerzen; Sir Archibalds Anerbieten, ihnen die Geschichte des Hyde Parks zu erläutern, lehnten sie allerdings höflich ab, wobei Sebastian ihnen beisprang und darauf hinwies, dass man die Pferde nicht so lange stehen lassen dürfe, schließlich gebe es den Park schon seit dem Mittelalter.
„Vielleicht besuchen Sie uns einmal und berichten uns dann die Einzelheiten“, schlug Melinda schließlich freundlich vor. Diese Einladung wurde sehr enthusiastisch aufgenommen.
„Puh, ich glaube, dieser Sir Archibald ist ein ziemlicher Langweiler“, vermutete Cecilia einige Minuten später, sich den Nacken reibend.
„Ein wahres Ungeheuer von einem Gaul“, bestätigte Sebastian. „Und er ist kein Langweiler, er belehrt nur gerne andere Leute. Ihr werdet euch sehr jung fühlen, wenn er seinen Besuch macht, so, als wärt ihr noch im Schulzimmer.“
„Schrecklich“, fand Cecilia.
„Ich kann mir das recht nett vorstellen“, wandte Melinda ein, „ich habe doch im Schulzimmer auf Lynet so wenig gelernt.“
Cecilia staunte: „Du willst wirklich etwas über die Geschichte des Hyde Parks wissen? Wozu?“
„Vielleicht erfahre ich dann etwas Interessantes über die Geschichte Londons – oder gleich Englands?“
Cecilia schnaufte abfällig.
„Ich glaube, die ersten Wagen verlassen den Park“, lenkte Sebastian ab, „wir sollten auch nach Hause fahren, damit es nicht aussieht, als könnten wir uns gar nicht losreißen. Immerhin, einige Kontakte haben wir wieder geknüpft – und viele andere haben zur Kenntnis genommen, dass die Herrions in der Stadt sind.“
„Wir haben also unser Ziel erreicht?“, antwortete seine Frau.
„So könnte man es nennen. Übermorgen ist der Empfang bei Mrs. Ramsworth, nicht wahr, Cecilia?“
„Oh ja. Darauf freue ich mich schon. Mrs. Ramsworth ist eine so nette und zugleich so einflussreiche Frau. Sie wird dir gefallen, Melinda!“