Читать книгу Eine wählerische junge Lady - Catherine St.John - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеDer Mittwoch brachte als ersten Höhepunkt Sebastians Eröffnung, er habe eine Loge im Covent-Garden-Theater gemietet, und zwar für die ganze Saison. Gleich an einem der nächsten Abende gebe es eine amüsante Komödie.
Melinda, die noch nie im Theater gewesen war, war sprachlos vor Entzücken; Cecilia kommentierte die Nachricht nur mit „Oh, sehr gut!“ und überlegte weiter, was sie am heutigen Abend tragen wollte.
Sebastian schlug weiterhin vor, eine kleine Ausfahrt zum St. James Palace und nach Whitehall zu unternehmen und anschließend ein wenig im St. James Park zu promenieren.
Dies wurde dann auch nach dem Lunch in die Tat umgesetzt, wobei Cecilia allerdings bemängelte, dass sich kaum Spaziergänger in dem Park befanden, der von einem Kanal durchquert wurde und in der einen Richtung auf den recht renovierungsbedürftigen Buckingham Palace, in der anderen auf die Kaserne der berittenen Wachregimenter zeigte.
Melinda dagegen gefielen besonders die Kühe, die im Park gemolken wurden, so dass die Passanten ein Glas kuhwarmer Milch trinken konnten.
„Es gibt, so habe ich gehört, Überlegungen, den Park etwas gefälliger zu gestalten. Nun, vielleicht wird sich Nash dieser Sache eines Tages annehmen, er ist ja sehr darum bemüht, die Stadt etwas zeitgemäßer umzugestalten und auch neue Häuser und neue Wohnungen zu schaffen. Schließlich wächst London unaufhaltsam!“
„Aber Nash interessiert sich wohl kaum für Wohnungen für die Armen, oder?“, kritisierte Cecilia, die immer noch etwas gereizt wirkte.
„Das wohl weniger“, gab Sebastian zu, „ich denke, es geht ihm um repräsentative Straßen und Gebäude, die unserem Zeitgeschmack entsprechen. Man muss ja leider sagen, dass manche Bezirke Londons ausgesprochen deprimierend wirken.“
„Vor allem Whitechapel, nach dem, was man so hört“, ließ sich Cecilia vernehmen.
„Ja, dort müsste tatsächlich etwas geschehen. Aber es gibt durchaus Privatinitiativen, die sich für eine Verbesserung der Verhältnisse einsetzen. Du solltest dich darüber einmal mit Ben unterhalten, er kennt einige dieser Wohltäter.“
Das nahm Cecilia sich fest vor, denn dafür interessierte sie sich wirklich.
„Schaut mal!“, mischte sich Melinda nun ein, „der Park scheint sich zu füllen! Vielleicht nehmen viele Menschen ihren Lunch etwas später als wir?“
Cecilia hakte sich bei Melinda ein und sie bewunderten gemeinsam so unauffällig wie möglich die Roben der entgegen kommenden Damen.
Eine zierliche Dunkelhaarige mit winzigem Strohhut, schokoladenbraunem Nachmittagskleid und darüber einem cremefarbenen Spenzer gefiel ihnen am besten.
„Vielleicht promenieren die Ladies erst jetzt, weil das Umkleiden so lange gedauert hat?“, schlug Sebastian vor, was ihm spöttische Blicke aus zwei Augenpaaren eintrug.
„Die meisten Gentlemen brauchen mindestens so viel Zeit wie ihre Damen“, behauptete Cecilia dann, von ihrer Schwägerin unterstützt: „Alleine das Binden der Krawatte kann sich ja in die Länge ziehen, nicht wahr?“
Das konnte er nicht bestreiten, denn Melinda hatte heute Morgen persönlich verfolgen können, wie viele Leinentücher er verdorben hatte, bis er mit der Halsbinde endlich zufrieden gewesen war. Er zog seine Frau kurz an sich und hauchte einen Kuss auf ihre Wange.
Cecilia unterdrückte einen gerührten Seufzer, als sie das beobachtete: Ob es ihr jemals gelingen würde, so glücklich zu sein? Nun, vielleicht traf sie heute Abend ja die Liebe wie ein Blitzschlag? So wie in diesem Roman, den sie kurz vor der Abreise noch auf Herrion verschlungen hatte…
Danach sah es freilich nicht aus, als sie gegen neun Uhr das Haus von Mrs. Ramsworth erreichten, ein hübsches, freistehendes georgianisches Haus am Berkeley Square. Natürlich war der Weg von der Straße bis zum Portal mit Fackeln erleuchtet, wie es der gute Ton verlangte, Mrs. Ramsworth stand oben an der Treppe, ein älteres Ehepaar aus ihrer Verwandtschaft zur Seite, und die Gäste stammten aus der allerersten Gesellschaft.
Alle waren erlesen gekleidet, aber Cecilia fand, ihre bronzefarbene Robe mit goldener Schärpe und kleinen künstlichen Topasen konnte sich ebenfalls sehen lassen. Und Melinda, in zartem Blaugrün und obendrein mit den Herrionschen Diamanten geschmückt, sah aus wie ein feenhafter Traum… kein Wunder, dass Sebastian neben ihr vor Stolz strahlte und immer wieder verliebt auf sie herabsah.
Amelia Ramsworth umarmte Cecilia ganz unzeremoniell: „Wie schön, dass Sie London wieder einmal beehren! Und hier haben wir Ihre junge Schwägerin? Seien Sie mir herzlich willkommen, Lady Hertwood!“ Auch Melinda wurde umarmt, was von den anderen Gästen sorgfältig vermerkt wurde.
Sebastian küsste der Gastgeberin ehrerbietig die Hand und dankte für die Einladung, was Mrs. Ramsworth zu leisem Gelächter anregte: „Ich möchte doch auch einige Gäste haben, die ich gut leiden kann!“
Melinda, die dies gerade noch hören konnte, gluckste halblaut.
Der Ballsaal, nicht allzu groß, aber wohlproportioniert, war bezaubernd geschmückt, mit grünen Topfpflanzen, weißen Rosensträußen – wohl den letzten des Jahres – und silbernen Schleifen an Stühlen und Portieren. Im Hintergrund befand sich, halb verdeckt, der Tisch mit den Erfrischungen – und dahinter ging es in den Speisesaal für das Mitternachtssouper, wie durch eine angelehnte Tür zu erkennen war.
Auf der Empore war das Orchester gerade mit den Vorbereitungen beschäftigt – und im Saal promenierten schon einige Herrschaften auf und ab, die sich beim Eintritt der Herrions sofort neugierig umwandten.
„Cecilia! Meine Liebe!“
„Lady Eloise…“ Cecilia reagierte deutlich gedämpfter auf das Wiedersehen nach der Begegnung im Hyde Park. Der Bruder der Lady gesellte sich zu ihnen und bat sofort darum, sich in die Tanzkarten der Damen eintragen zu dürfen. Melinda gewährte ihm einen Ländler (den ersten Walzer hatte sie bereits Sebastian reserviert), Cecilia einen Kotillon. Sebastian revanchierte sich und bat Lady Eloise um einen Tanz, der freundlich gewährt wurde.
Sir Archibald verbeugte sich vor der Gruppe und wusste nach einigen Floskeln der Begrüßung zu berichten, dass der Berkeley Square nach dem dritten Baron Berkeley of Stratton benannt sei, der sein Stadthaus am Piccadilly an den ersten Herzog von Devonshire verkauft habe, und zwar im Jahre 1696, noch unter der Herrschaft von William III und Mary…
Melinda hörte höflich zu, sie war ja immer begierig, ihre Allgemeinbildung zu erweitern. Cecilia dagegen ließ unauffällig ihre Blicke schweifen und gab nur gelegentlich zustimmende Geräusche von sich.
Ben eilte herbei und gab seiner Freude Ausdruck. „Melinda, dich bitte ich lieber nicht um einen Tanz, immerhin bin ich dein Onkel – das sähe vielleicht doch etwas albern aus, nicht wahr? Aber Cecilia, von Ihnen hätte ich gerne einen Walzer…“
„Aber gerne!“ Cecilia reichte ihm ihre Karte und er trug sich schwungvoll ein.
„Kommen Sie, Cecilia, setzen wir uns dort hin“, drängte Eloise. Cecilia war erstaunt: „Warum haben Sie es so eilig? Ich möchte erst noch weitere Gäste begrüßen und ein wenig mit ihnen plaudern – und ich bin sicher, meinem Bruder und meiner Schwägerin geht es nicht anders. Aber Sie können sich ja gerne schon setzen, wir kommen dann später zu Ihnen, nicht wahr?“
Eloise zog eine verdrießliche Miene und blieb ebenfalls auf der Tanzfläche stehen. In diesem Moment eilte ein sehr ansehnlicher junger Mann herbei, begrüßte Sebastian und bat um den Vorzug, den Damen vorgestellt zu werden, was Sebastian gerne übernahm. Lord Ruffleby beugte sich formvollendet über Melindas Hand und verneigte sich tief vor Cecilia, die ihn freundlich anlächelte und ihm ihre Tanzkarte reichte.
Danach sah er sich leicht desorientiert um, entdeckte Lady Eloise und begrüßte sie höflich – ohne sie um einen Tanz zu bitten.
Ben winkte einem Freund zu, der sich als Mr. Claremont entpuppte und mit seiner Frau am Arm sogleich näher kam und die Herrions freundlich begrüßte. Mrs. Claremont murmelte zu Cecilia: „Welch albernes Ritual diese Bälle eigentlich darstellen, nicht wahr? Ein regelrechter Heiratsmarkt.“
Cecilia musste lachen. „Ein wahres Wort, Mrs. Claremont!“
„Dorothy, bitte. In ein, zwei Jahrhunderten gibt es hoffentlich intelligentere Möglichkeiten, wie sich Damen und Herren kennenlernen können.“
„Vielleicht spielen die Regeln der sogenannten guten Gesellschaft dann keine so große Rolle mehr“, hoffte Cecilia.
Dies hatte Ben gehört. „Planen Sie wieder einmal die Revolution, Cecilia?“
„Dorothy tut das dauernd – und hat sie etwa nicht Recht?“, wandte Mr. Claremont ein.
„Denkst du das sogar jetzt noch, Rupert? Dein Vater ist doch immerhin gerade geadelt worden?“
„Für seine Verdienste um die Wirtschaft des Landes“, präzisierte Mr. Claremont. „Deshalb halte ich immer noch einen beträchtlichen Teil des Adels für eher nutzlos. Du siehst das jetzt wohl anders, nachdem du zum Viscount avanciert bist?“
„Nicht doch! Wofür hältst du mich nur? Ich bin damit beschäftigt, Lynet wieder ertragreich zu machen und damit die Bauern dort zufrieden zu stellen. Wer zufrieden ist, wandert nicht in die Fabriken ab.“
„Das halte ich für durchaus vernünftig“, mischte sich Sebastian ein. „Schließlich tue ich genau das Gleiche auf Herrion, wenn ich auch nicht derartige Vernachlässigung wieder gut machen muss.“
Hinter Ihnen räusperte sich ein Gentleman. „Meine Herren, denken Sie wirklich, dass sich diese Themen für einen Ballsaal ziemen? Das muss die Damen doch langweilen!“
Cecilia starrte ihn erbost an, so dass er sich auf seine Manieren besann und sich etwas steif verbeugte: „Alistair Frogton, zu Ihren Diensten, Miss…?“
„Miss Herrion.“
„Sie sind Wolves, nicht wahr?“, fragte Sebastian mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Oh, natürlich. Und Sie müssen dann – Hertwood sein?“
Die Pause vor dem Namen wirkte etwas befremdlich auf die Gruppe um Cecilia. Hertwood war schließlich kein falscher Titel: Sebastian war der elfte Baron, also waren sie eine alte und wohlbekannte Familie!
„Gewiss“, antwortete Sebastian dementsprechend, „dies scheint Sie zu erstaunen, Wolves?“
„Nicht doch, nicht doch, Hertwood! Ich war nur einen Moment verblüfft… Ihre Schwester?“
„Ich liebe es ja sehr, wenn man über mich spricht, als sei ich gar nicht anwesend“, bemerkte Cecilia sotto voce zu Melinda.
„Oder als seist du zu dumm, um selbst zu antworten“, antwortete diese ebenso leise, aber durchaus hörbar. Lord Wolves betrachtete sie beide mit hochgezogenen Augenbrauen.
„So, und warum dürfen wir uns nicht für die Landwirtschaft Englands interessieren – Mylord?“, fragte Cecilia in kriegerischem Ton, gerade, dass sie die Hände nicht in die Hüften stemmte.
Wolves verneigte sich etwas steif. „Die Damen der Gesellschaft haben doch wohl ihre eigenen Themen, nicht wahr? Kinder, Mode…“
„… und anderen Firlefanz? Ich denke, da gibt es Wichtigeres.“
„Kinder sind kein Firlefanz!“
„Nein, natürlich nicht. Aber ich bin noch nicht verheiratet und meine Schwägerin hat noch keine Kinder, also füllt uns dieses Thema nicht wirklich aus.“
„Ihre Schwägerin?“ Er verbeugte sich genauso steif vor Melinda, während Sebastian und Benedict einen vielsagenden Blick tauschten.
„Mylady…“
Melinda nickte freundlich und schenkte ihm ein eher sparsames Lächeln. Sofort wandte sich Wolves wieder dem Ehemann zu: „Sie haben erst kürzlich geheiratet?“
Cecilia und Melinda traten zwei Schritte zurück und Melinda murmelte: „Was für ein unangenehmer Mensch!“
„Dummer Besserwisser“, murmelte Cecilia zurück und fuhr zusammen, weil hinter ihr ein Quietschen ertönte: „Cecilia! Endlich bist du wieder einmal in der Stadt, wie schön!“
„Laura!“ Die beiden umarmten sich und Lauras Begleiter stellte sich mittlerweile Melinda als Sir Michael Preston vor, bevor er Wolves ein sehr kühles Nicken zuteilwerden ließ. Melinda gluckste leise. „Er ist nicht gerade Ihr bester Freund?“
„Dieser vorsintflutliche Langweiler? Gewiss nicht!“
Cecilia machte Laura und Melinda miteinander bekannt und Sir Michael trug sich in beide Tanzkarten ein. Das sah leider Lord Wolves, der prompt ebenfalls um den Vorzug bat, sich jeweils einen Tanz reservieren zu dürfen. Alle drei Damen lächelten etwas mühsam und reichten ihm ihre Karten.
Er bedachte Cecilia mit einem vielsagenden Augenaufschlag: „Würden Sie mir auch noch einen zweiten Tanz gewähren?“
„Ganz gewiss nicht, Mylord – das würde sich absolut nicht schicken. Nicht wahr, Melinda? Meine Schwägerin, müssen Sie wissen, Mylord, hat sehr, sehr strenge Vorstellungen von den guten Sitten.“
„Sehr strenge“, bestätigte Sebastian und zog die Hand seiner Gemahlin auf seinen Arm.
„Oh! Und doch wählen Sie Ihre Gesprächsthemen so absonderlich?“
Melinda beäugte ihn missbilligend, was ihr nicht ganz leicht fiel. „Ich muss doch sehr bitten, Mylord! Was Sie mit unseren Gesprächsthemen zu schaffen haben, ist mir nicht recht erfindlich…“
Eine erneute eher hüftsteife Verneigung war die Antwort, gefolgt von einem recht nachdenklichen Blick auf die junge Sittenrichterin, die prompt das Kinn hob und ihn mit erhabenem Blick maß.
Das funktionierte zu ihrer eigenen Verblüffung; Wolves verneigte sich erneut und wandte sich ab.
„Puh!“, machte Cecilia. „Ich glaube, wenn er zu seinem Tanz kommt, habe ich mir gerade den Fuß verletzt…“
„Das machst du nicht, Cec, das ist schlechter Stil“, rügte ihr Bruder. „Ich fordere auch ab und zu Damen auf, die ich nicht wirklich schätze – weil es die Höflichkeit erfordert. Und du weißt auch ganz genau, was du deiner Erziehung schuldig bist!“
Melinda staunte insgeheim über diese geradezu väterliche Attitüde, die Sebastian seiner Schwester gegenüber an den Tag legte.
Sebastian als Vater… eine eigenartige Vorstellung! Aber mit ihrem eigenen, wenig betrauerten Vater würde er keinerlei Ähnlichkeit haben, da war sie sich ganz sicher!
„Du wirkst plötzlich so gerührt?“, fragte Cecilia. Melinda schüttelte den Kopf, als wollte sie einen Gedanken vertreiben und lächelte dann. „Nein, es ist nichts. Dieser Ballsaal ist wirklich wunderschön, nicht wahr? Wer ist eigentlich Mrs. Ramsworth genau?“
Sie erfuhr nichts allzu Überraschendes: Mrs. Ramsworth war eine vornehme und sehr reiche Witwe, die wegen ihres reizenden Wesens und ihres untadeligen Geschmacks in höchstem Ansehen stand. „Wenn sie sich um eine - nun – nicht allzu anziehende Debütantin kümmert, kannst du sicher sein, dass sich sofort Heiratskandidaten einstellen – und zwar keine Mitgiftjäger!“
„Eine recht angenehme Position…“
Sebastian neigte sich zu ihr und flüsterte: „Möchtest du gerne Witwe sein?“
„Nein!“, rief Melinda sofort entsetzt und alle in Hörweite drehten sich überrascht um. Dabei merkte die verlegene Melinda erst, wie sehr sich der Ballsaal mittlerweile gefüllt hatte – und da war auch schon Mrs. Ramsworth, in Gold und Dunkelblau prachtvoll anzusehen, von ihren Verwandten flankiert. Alle Gespräche verstummten und die Gastgeberin begrüßte ihre Gäste noch einmal, erklärte den Ball für eröffnet und wies auch darauf hin, dass die Herren ihre Begleiterinnen für das Mitternachtssouper wählen sollten.
Die Herrions setzten sich – nicht neben Lady Eloise, obwohl in ihrer Nähe noch genügend Plätze frei gewesen wären. Bei den Claremonts und den Prestons fanden sie es eindeutig interessanter.
„Und ehrlich gesagt, Melly, haben wir es nicht nötig, uns bei langweiligen Leuten einzuschmeicheln. Unser Ansehen ist wirklich untadelig“, tuschelte Cecilia ihrer Schwägerin ins Ohr.
Melinda wunderte sich nicht zum ersten Mal, woher Cecilia ein solches Selbstbewusstsein bezog, dass sie sich auch Unhöflichkeiten leisten konnte. Aber einen Tanz zu verweigern: das würde sie doch wohl nicht wagen?
Die Kapelle setzte schwungvoll mit einem Walzer ein und die Herren eilten zu den Damen, während die Gastgeberin mit dem Earl of Walford, einem sehr angesehenen hartnäckigen Junggesellen, aufs Parkett schritt und den Tanz eröffnete. Alle anderen schlossen sich an und die Tanzfläche wurde zu einem Gewoge von Pastelltönen und dunkler Abendgarderobe. Cecilia ließ sich brav von Lord Carew herumwirbeln, der ihr im Übermaß Komplimente machte – zu ihren Tanzkünsten, ihrer Robe, ihrer geistreichen Konversation… Dabei hatte sie kaum mehr als „Oh, tatsächlich?“ und „Wie interessant!“ gesagt. Immerhin trat er ihr nicht auf die Füße, dafür musste man ja auch schon dankbar sein…
Sie tanzte danach (ungern) mit Lord Wolves, der schon wieder versuchte, ihr einen Vortrag über angemessene weibliche Gesprächsthemen zu halten, was glücklicherweise durch die Figuren des Tanzes so oft unterbrochen wurde, dass sie recht überzeugend Unverständnis vortäuschen konnte, und dann mit Ben de Lys, den sie wenigstens ehrlich mit ihrer Meinung über die anwesenden Hohlköpfe erfreuen durfte.
Schließlich gab es eine Pause; sie ließ sich von Ben zu ihrem Platz zurückgeleiten und stellte dort fest, dass Melinda recht blass aussah.
„Fühlst du dich nicht recht wohl, Melly?“, fragte sie sofort.
„Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Ein wenig schwindelig war mir – dieser Mr. Ortville hat mich sehr schwungvoll herumgewirbelt. Ein sehr guter Tänzer, ich bin mit meinen armseligen Fertigkeiten kaum hinterhergekommen.“ Sie fächelte sich heftig Luft zu.
Sebastian schlenderte mit Sir Michael heran und eilte die letzten Schritte an die Seite seiner Frau: „Melinda! Geht es dir nicht gut? Du bist so blass?“
Melinda wehrte die Besorgnis anmutig ab, kündigte aber an, die nächsten Tänze aussetzen zu wollen.
Die Musik setzte wieder ein und Lord Ruffleby verneigte sich elegant vor Cecilia, die ebenso anmutig seinen Arm nahm und ihm zur Tanzfläche folgte.
Melinda erhob sich, auf Sebastians Arm gestützt, und sah sich nach einem Platz in den hinteren Reihen um. Von dort winkte ihr eine alte Dame munter zu.
„Ach du lieber Himmel, die alte Lady Tenfield“, murmelte Sebastian und verneigte sich höflich.
„Sie sieht nett aus“, fand Melinda und winkte zurück. „Ich würde gerne ein wenig bei ihr sitzen.“
„Hertwood“, nickte Lady Tenfield, als sich die beiden jungen Leute bei ihr niederließen, „schön, Sie einmal wieder auf einem Ball zu sehen. Und das ist Ihre junge Frau? Sehr hübsch, meine Liebe! Gefällt Ihnen der Ball?“
Melinda äußerte sich begeistert und gab zu, dass dies ihr allererster Ball war, dass das Tanzen sie aber erschöpft habe.
„Die Ballsaison ist Schwerstarbeit für die jungen Damen“, nickte Lady Tenfield wieder und sah drein wie eine weise Eule, „gerade die ganz großen Bälle dauern ja oft bis zum Morgengrauen! Dann soll man am Vormittag schon wieder Einkäufe machen, um für den nächsten Abend gerüstet zu sein; am Nachmittag muss man sich herausgeputzt im Park sehen lassen, etwas Kultur wäre auch wünschenswert, wenigstens im Theater muss man gelegentlich gesehen werden, die Zeitung muss studiert werden, damit man nicht vollkommen unwissend wirkt…“ Sie seufzte in komischer Verzweiflung und Melinda lachte leise: „Ein hartes Leben, fürwahr… ich denke aber, die meisten jungen Damen gewöhnen sich schnell daran, nicht wahr?“
„Außerdem hat Melinda ihre Hauptaufgabe ja schon erfüllt“, warf Sebastian ein. „Einen Ehemann muss sie sich nicht mehr suchen.“
Nun kicherte die alte Lady so, dass die Perlenschnüre auf ihrer schwarzseidenen Brust tanzten. „Das muss ja sehr beruhigend sein! Lady Hertwood, Sie stammen aus Kent, nicht wahr?“
Melindas Gesicht verschloss sich ein wenig, als sie dies bestätigte.
„Na, das ist doch kein Grund, verlegen zu sein? Kent ist eine reizende Gegend; mein Lieblingsgroßneffe lebt auch dort, in der Nähe eines Örtchens namens Great Abbington. Davon haben Sie gewiss noch nie gehört, Kindchen?“
Melinda bekannte ihre Unwissenheit, erleichtert darüber, dass Lady Tenfield nicht in der Wunde des Lynet-Skandals herumstocherte.
„Sie sprechen von Mordale, Mylady?“, fragte Sebastian nach. „Ist er nicht Ihr einziger Großneffe?“
„Gewiss. Ach, dann dürfte ich wohl nicht Lieblingsgroßneffe sagen, als hätte ich eine eindrucksvolle Auswahl?“
„Das haben Sie gesagt, verehrte Lady!“
„Julian ist ein guter Junge und jetzt endlich auch unter der Haube.“
Melinda kicherte. „Ein hübsches Bild! Man sollte nur darauf achten, in seine Häubchen blaue Schleifen einzuziehen und sie nicht etwa rosa aufzuputzen.“
Das erfreute Lady Tenfield, die keckernd lachte. „Hertwood, da haben Sie einen guten Griff getan! Eine hübsche und geistreiche Frau, das findet man nicht so häufig…“ Sie sah sich beziehungsreich im Ballsaal um. „Hübsch sind ja viele, aber…“
„Und wann dürfen wir Sir Julian und Lady Mordale einmal hier in London begrüßen? Er ist ja ein anerkannter Forscher auf dem Gebiet der frühenglischen Geschichte, nicht wahr?“
„Und Sarah ist sehr beschlagen, was die römische Literatur angeht, ihre Eltern waren beide begeisterte Forscher. Aber die beiden haben wohl gar kein Interesse daran, nach London zu kommen – es sei denn, um hier die Bibliotheken zu durchstöbern oder Neuerscheinungen zu erwerben. Bei Hatchards trifft man sie wohl eher als bei Almack´s.“
„Das klingt doch sehr interessant“, fand Melinda, die nur hoffen konnte, nicht über die Themen dieser gewiss schrecklich klugen Leute ins Gebet genommen zu werden.
„Nun ja“, tat Lady Tenfield die Studien ihrer Verwandtschaft ab, „aber wir sind jetzt hier, in der Saison in London. Mir ist das Hier und Jetzt wichtiger als die alten Römer oder irgendwelche Umtriebe im alten Britannien. Und Miss Herrion sucht nun also nach einer passenden Partie?“
„Mehr oder weniger“, gab Sebastian zu. „Lieber keinen Ehemann als den falschen, das scheint ihre Devise zu sein.“
„Sehr vernünftig. Und wenn ich mich hier so umsehe… Amelia Ramsworth trifft ja durchaus eine kluge Auswahl, aber ich sehe immer noch etliche Hohlköpfe.“
„Ach ja? Hätten Sie da wohl einige Informationen für Cecilia, Mylady?“
Die alte Dame grinste eher unfein. „Sie tanzt gerade mit Ruffleby, sehe ich. Ein recht netter junger Mann – wie man hört, freilich etwas, nun, wenig anregend.“
„Ein Langweiler also?“
„Nun… ja. Aber es gibt Schlimmeres. Carew ist, sagt man, recht knapp dran. Ihre Schwester hat eigenes Vermögen?“
„Gewiss. Ein recht ansehnliches sogar. Sie meinen, er könnte unlautere Absichten verfolgen?“
„Wie man es auffassen möchte… sollte Ihre Schwester gerne eine Gräfin werden wollen und dafür bereit sein, ihr Vermögen in das Land der Carews stecken, dann mag das durchaus ein vernünftiges Geschäft sein. Solche Heiraten sind schließlich gar nicht so selten… und wenn beide Seiten wissen, worauf sie sich einlassen?“
„Ich fürchte, Cecilia stellt sich ihre Zukunft ein wenig anders vor“, bedauerte Sebastian nicht ganz aufrichtig.
„Sie möchte aus Liebe heiraten? Nun, heutzutage wird dieser Wunsch immer häufiger… man fragt sich nur, was geschieht, wenn die anfängliche Liebe vergeht. Carew könnte gewiss ein angenehmer Gatte sein. Mehr allerdings wohl nicht…“
„Und das dürfte Cecilia nicht genügen“, sagte Sebastian.
„Mir wäre das mittlerweile auch nicht mehr genug“, fügte Melinda, zart errötend, hinzu. Sebastian zog ihre Hand auf seinen Arm und strich leicht darüber. „Mir ebenso wenig.“
„Ach!“ Die schwarzen Augen funkelten animiert. „Wie haben Sie beide sich eigentlich kennengelernt? Man hört ja nicht viel, aber auch dieses Wenige ist durchaus widersprüchlich. Ich könnte, wenn Sie mich ins Vertrauen ziehen, dafür sorgen, dass nur noch die richtige Version im Umlauf ist.“ Sie lächelte schlau.
„Ein unwiderstehliches Angebot“, gab Sebastian zu. „Aber eigentlich war es eher unspektakulär, und das wird den Klatschbasen wohl nicht genügen. Ich war bei Freunden in der Nähe von Lynham zu Besuch und traf beim Ausreiten mit einem dieser Freunde zufällig auf Melinda, die in der Nachbarschaft lebte, auf Lynet. Sie gefiel mir ausnehmend gut, ich erkundigte mich – und sie war zu meinem Glück schnell bereit, mir ihre Hand zu reichen, offenbar hatte sie auch Gefallen an mir gefunden.“
Melinda fand, ein zartes Kichern sei jetzt angebracht. „Er ist wie ein Ritter auf einem weißen Streitross aufgetaucht.“
„Sehr nett und romantisch“, lobte Lady Tenfield etwas enttäuscht; offenbar hatte sie sich etwas erheblich Saftigeres erhofft. „Und es gibt einen neuen Viscount Lynet, höre ich?“
„Gewiss, Mylady“, antwortete Melinda bemüht gelassen. „Er steht dort drüben, der Herr in dem schwarzen Abendanzug. Mein Onkel Benedict. Er hat seinen Bruder beerbt.“
„Der schwarze Abendanzug ist als Unterscheidungsmerkmal nicht gerade hilfreich“, kritisierte die alte Dame, „die Herren sehen doch alle gleich aus, wenn man keinen Blick auf die Weste werfen kann. Ist es der junge Mann, der sich gerade mit Claremont unterhält?“
„Ganz recht, Mylady.“
„Hübscher Kerl. Sicher hält er auch nach einer Viscountess Ausschau? Das kann ja eine hochinteressante Saison werden – ich sehe schon, die Familien Herrion und de Lys sind deutlich aufregender als mein lahmer Neffe und seine gewiss sehr nette Frau. Nun, vielleicht setzen die beiden ja bald einen Erben für Mordale in die Welt, um wenigstens etwas zu meiner Unterhaltung beizutragen.“
„Sie lieben kleine Kinder?“
„Ach, nun ja… man besichtigt sie und krault sie unter dem Kinn, sie quäken und man reicht sie schnell der Nanny zurück. Größere Kinder, die sich schon im heiratsfähigen Alter befinden, sind da doch deutlich interessanter… meinen Sie nicht, Lady Hertwood?“
„Nennen Sie mich doch einfach Melinda. Wir haben ja einen kleinen Neffen, Paul, und er ist mit seinen knapp vier Jahren durchaus unterhaltsam. Und frech.“
„Frech zu sein ist wichtig“, bestätigte Lady Tenfield. „So wird man auf jeden Fall nicht langweilig.“
In diesem Moment ließ sich Lady Eloise Whitfield auf dem Platz neben Melinda nieder, nickte Lady Tenfield nachlässig zu und wandte sich sofort an Melinda:
„Sie fühlen sich gewiss noch recht unsicher? Es heißt, Sie seien zum ersten Mal in London?“
„Lady Hertwood scheint schon recht gut zurechtzukommen“, warf Lady Tenfield ein und betrachtete Lady Eloise ohne Freundlichkeit. „Natürlich kann sie sich nicht mit Ihnen vergleichen… die wievielte Saison ist das für Sie gleich wieder?“
„Die vierte“, war die etwas verdrießliche Antwort.
„Eigenartig“, kommentierte die alte Dame und lächelte fein, „Sie sind doch durchaus einigermaßen anziehend, Lady Eloise? Dazu sind Sie Tochter und nun Schwester eines Grafen – was kann sich ein Heiratskandidat denn mehr wünschen?“
Melinda überlegte, woran es dieser Lady Eloise wohl noch fehlen konnte. Sie selbst fand sie nicht übermäßig sympathisch, aber das lag daran, dass sie sie von oben herab behandelt hatte – so würde sie doch mit Kavalieren nicht umspringen? Vielleicht war sie auch arrogant und tat es nicht unter einem Herzog oder doch wenigstens einem Marquess – das schränkte die Auswahl natürlich beträchtlich ein. Mit Cecilia müsste sie sich dann eigentlich recht gut verstehen, denn diese hegte ebenfalls die Ansicht, sie könne sich ihren Ehemann in den höchsten Kreisen suchen – und Melinda hatte bis heute nicht verstanden, warum: War es das persönliche Ansehen der Herrions? War es Cecilias muntere, manchmal freche Art? Das sollte konservativere Herren eigentlich eher abstoßen…
„Sicher hatten Sie schon einige Anträge, Lady Eloise? Aber natürlich wollten Sie nicht den Erstbesten heiraten…“, überlegte Lady Tenfield mit wohldosierter Bosheit.
„Nun, das mag so sein“, antwortete die junge Dame mit bewundernswerter Haltung, „aber eine Ehe ohne Zuneigung kommt für mich leider nicht in Frage. Dann bleibe ich doch besser ledig. Marcus wird ja in dieser Saison sicher eine passende Frau finden – und ich könnte mir Schlimmeres vorstellen als bei ihnen zu leben. Wir haben ein ganz reizendes Dower House… Sie haben meinen Bruder bereits kennengelernt, Lady Hertwood?“
Melinda gab dies zu, schließlich schuldete sie ihm noch einen Ländler – und sie verwies sogleich darauf, dass sie sich nicht recht wohlfühlte. „Vielleicht sind es noch die Nachwirkungen der Anreise…“
Bevor Lady Eloise sich dazu äußern konnte, endete die Musik. „Oh, dort kommt mein Bruder zurück! Und wer ist dieser Herr neben Cecilia Herrion und A-Lord Ruffleby?“
„Mein Onkel, Viscount Lynet“, antwortete Melinda artig.
„Oh – ach ja! Ich habe davon gehört… Er ist recht überraschend in Erscheinung getreten, nicht wahr?“
„Tatsächlich? Uns kam es nicht so vor, schließlich wussten meine Eltern, meine Schwester und ich doch immer, dass dieser Bruder meines Vaters existierte“, widersprach Melinda ein wenig wahrheitswidrig.
„Aber niemand in der guten Gesellschaft kannte ihn vorher!“, insistierte Lady Eloise und beobachtete den näherkommenden Viscount mit einer steilen Falte zwischen den Brauen.
Dieser lächelte sie höflich an, woraufhin sie sich entspannte. Melinda verzichtete darauf, diese letzte Feststellung zu kommentieren, da Cecilia wie ein Wirbelwind in die Gruppe einbrach und einigermaßen elegant auf eines der Stühlchen sank. „Puh, ich wusste gar nicht mehr, wie anstrengend Tanzen ist! Lord Ruffleby, Sie haben wirklich bewundernswerten Schwung – aber ich brauche jetzt eine kleine Pause und etwas zu trinken…“ Sie strahlte ihren Tänzer an, der sofort zum Buffet eilte und in verblüffend kurzer Zeit mit zwei Gläsern Limonade zurückkehrte. Das eine reichte er mit einer anmutigen Verneigung Cecilia, das andere etwas förmlicher Melinda. „Lady Hertwood, nachdem ich schon mit Ihrer entzückenden Schwägerin getanzt habe, sollte ich mich wohl Ihnen und Ihrem Gemahl vorstellen: Mein Name ist Adrian Ruffleby. Baron Ruffleby.“
Melinda lächelte freundlich und bedankte sich für die Limonade, Sebastian fragte: „Ruffleby… Sie sind in Suffolk ansässig, nicht wahr?“
„Sie sind ausgezeichnet informiert, Hertwood. Ja, unser Besitz leidet zurzeit etwas unter den unsicheren Wetterverhältnissen… wie sieht es da bei Ihnen in Berkshire aus?“
Die beiden begannen sich über die Besonderheiten ihrer jeweiligen Feldfrüchte und deren Abhängigkeit vom Wetter zu unterhalten, was Cecilia etwas zu enttäuschen schien; Eloise dagegen starrte Ruffleby unentwegt an, bis er ihren Blick schließlich zu spüren schien und sie irritiert ansah, bevor er sich wieder Sebastian zuwandte.
„Miss Herrion, setzen Sie sich doch ein wenig näher zu mir“, lockte Lady Tenfield, „und erzählen Sie mir ein wenig von sich. Mit Ihrer reizenden jungen Schwägerin habe ich auch schon sehr nett geplaudert.“
Cecilia ließ sich gerne darauf ein – alles war besser, als sich mit Eloise zu unterhalten!
Melinda wunderte sich ein wenig über Eloises verzehrenden Blick, der auf die beiden Herren gerichtet schien, die immer noch eine recht landwirtschaftlich geprägte Konversation aufrechterhielten.
„Interessieren Sie sich für Verbesserungen in der Landwirtschaft?“, fragte sie also höflich, da alle anderen ja schon ins Gespräch vertieft schienen und das Orchester immer noch pausierte.
„Wie bitte?“ Lady Eloise starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren. Oder hörte die Dame ein wenig schwer – schon in so jungen Jahren?
Sie wiederholte ihre Frage also geringfügig lauter, was aber auch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führte: Der Blick der Dame wurde noch konsternierter und sie fragte: „Wie kommen Sie denn nur auf diese absurde Idee?“
„Ich dachte nur, weil Sie dem Gespräch meines Gemahls mit Lord - wie war sein Name, Ruffleby? – so interessiert zu lauschen schienen“, erklärte Melinda leicht verlegen.
Lady Eloise hob das Kinn und blickte aus halbgeschlossenen Augen müde auf Melinda herab. Schwierig war das nicht, denn diese war einen guten Kopf kleiner als sie. „Lord Ruffleby ist in der guten Gesellschaft hinreichend bekannt“, verkündete sie dann.
Melinda lächelte sie treuherzig an. „Ich habe heute so viele vornehme Herren kennengelernt, dass es mir noch etwas schwerfällt, mir die Namen alle zu merken.“
„Ach? Woher stammen Sie gleich wieder?“
„Meine Familie lebt in Kent - und seit unserer Heirat lebe ich in Berkshire.“
„Nun ja…“ Das klang sehr deutlich müde und gelangweilt, also verzichtete Melinda darauf, sich weiter mit der erhabenen Dame zu unterhalten. Lieber hörte sie ein wenig zu, wie Lady Tenfield Cecilia mit recht unorthodoxen Tipps für den Umgang mit Verehrern versorgte. Viel amüsanter!
„Glauben Sie mir, Cecilia, ich habe seinerzeit wirklich nichts ausgelassen, in den aufregenden Zeiten vor der Revolution in Frankreich – und ich habe mich nie vor einem Skandal gefürchtet!“ Sie kicherte meckernd. „Meine Familie da schon eher, wahrscheinlich fürchteten sie, sie könnten mich nie mehr anbringen… aber dann kam glücklicherweise Tenfield des Weges.“
„Heute wird man dagegen schon für Kleinigkeiten geächtet“, sagte Cecilia. „Natürlich nur die Damen – die Herren dürfen ja stets tun, wonach ihnen der Sinn steht“, fügte sie grämlich hinzu.
Das trug ihr einen spielerischen Schlag mit dem zugeklappten schwarzen Fächer ein. „Eine Kämpferin für Frauenrechte? Sehr lobenswert, aber lassen Sie das die Männer nicht hören! Vielleicht ist das Wirken im Stillen erfolgversprechender…“
„Wie könnte dieses Wirken im Stillen denn aussehen, Mylady?“
Das hätte Melinda auch interessiert, aber nun setzte die Musik wieder ein und ihr Onkel eilte herbei, um Cecilia zum Tanz zu führen. Auch vor ihr verbeugte sich jemand, aber sie lächelte zaghaft zu ihm auf: „Wären Sie sehr verstimmt, wenn ich Sie bäte, mir lieber noch ein Glas Limonade zu holen? Ich fühle mich recht schwindelig, offenbar muss ich mich erst langsam daran gewöhnen, so viel zu tanzen.“
Ihr Kavalier verbeugte sich, von Sebastian aufmerksam beobachtet, und eilte davon.
Melinda sah müßig zu, wie Benedict Cecilia gekonnt herumwirbelte. Offenbar hatte er auch während seiner Zeit als Geschäftsmann die Fertigkeiten eines Gentlemans nicht vernachlässigt. Vielleicht war das nur zu verständlich, schließlich hoffte er doch stets, eines Tages wieder als Teil der Familie de Lys auftreten zu können, vielleicht sogar Viscount Lynet zu werden…
Jedenfalls waren seine Tanzkünste untadelig. In dieser Hinsicht passte er eigentlich hervorragend zu Cecilia, die den Tanz sichtlich genoss.
Lady Eloise erhob sich mit einem unwilligen Laut und entfernte sich in Richtung des Buffets.
Von dort kehrte Sir Michael zurück und überreichte Melinda das gewünschte Glas Limonade, bevor er sich mit seiner Laura zu ihr setzte.
Cecilia tanzte den ganzen Abend hindurch, während Melinda nur noch zwei Tänze wahrnahm – einen Walzer mit Sebastian und einen Ländler mit Lord Wolves. Letzterer erörterte während des Tanzes zunächst mehr oder weniger im Selbstgespräch die Frage, ob sich verheiratete Damen nicht eigentlich von derartigen Lustbarkeiten fernhalten sollten.
„Warum?“, erlaubte Melinda sich zu fragen, die vor allem darauf achtete, nicht wieder in Schwindel zu verfallen. In dieser Hinsicht erwies sich Wolves gravitätische Art immerhin als recht erholsam! „Nun, verheiratete Damen haben doch andere Aufgaben, als sich künftigen Ehemännern zu präsentieren.“
„Nämlich?“
„Sie sollten den Haushalt leiten, die Kinder erziehen und Schönheit und Anmut in das Leben ihres Mannes bringen.“
Melinda wappnete sich mit etwas mehr Atem: „Aber die Ehemänner sind doch im Allgemeinen kaum zu Hause, wozu dann Schönheit und Anmut? Das wüsste doch niemand zu würdigen?“
„Oh!“ Lord Wolves kam kurz aus dem Takt, fing sich aber rasch wieder. „Aber eine anmutige und geschmackvoll gekleidete Ehefrau trägt doch zum Ansehen ihres Gemahls bei.“
„Wie das? Es sieht sie doch niemand, da sie doch das Haus nicht verlassen darf?“
Wolves runzelte die Stirn. „Wie kommen Sie denn darauf?“
Die Musik verklang und Melinda blieb stehen. „Sie darf keine Bälle besuchen und wahrscheinlich auch nicht in den Park ausfahren – wer sollte da ihren Putz bewundern? Das Personal? Die Nanny? Ich gehe doch nicht davon aus, dass eine Ehefrau nach Ihrem Geschmack ihre Zeit mit Besuchen bei Freundinnen vertändeln soll?“
Er reichte ihr sichtlich ungern seinen Arm und schlug die Richtung der Sitzplätze ein. „Sie missverstehen mich, Lady Hertwood. Ihre Schwägerin ist noch auf der Suche nach einem Ehemann, vermute ich?“
„Wenn sie jemanden findet, der ihr wirklich gefällt, dann ja.“
„Aber – sie muss doch heiraten!“
„Muss sie? Ich glaube, das sieht sie nicht so, Mylord.“
Vor ihrem Stuhl entzog sie ihm ihren Arm und knickste eher ironisch – was ihr in dieser merkwürdigen Gesellschaft täglich besser gelang, jedenfalls erschien es ihr so.
Wolves verbeugte sich steif und wandte sich ab; sie setzte sich rasch neben Lady Tenfield und äußerte ein wenig elegantes „Puh!“
„Wolves?“, zeigte die alte Dame Mitgefühl. „War er sehr albern?“
„Unbeschreiblich! Er würde seine Ehefrau wahrscheinlich zu Hause einschließen, denn es ist ja sinnlos, wenn sie sich noch auf Bällen herumtreibt, wo sie doch schon in die Falle geraten ist…“
„Das hat er gesagt?“ Lady Tenfield kicherte animiert.
„Ja – die Falle ist allerdings mein eigener Beitrag. Ich stelle fest, dass meine Fähigkeit zur Ironie von Tag zu Tag besser wird – anders kann man solchen Leuten ja kaum begegnen, nicht wahr?“
„Jedenfalls nicht mit Anstand. Ihnen deutlich zu sagen, dass sie offenbar den Verstand verloren haben, wäre doch ein wenig – nun, unhöflich.“
Melinda lachte. „Ja, leider! Das heißt – wenn sie jemals Verstand hatten.“ Sie lehnte sich zurück und betrachtete eine Zeitlang nur die Tanzenden, wobei sie und Lady Tenfield gelegentlich die Roben der Tänzerinnen kommentierten und dabei einen ähnlichen Geschmack konstatierten – besonders angesichts einer schockierend tief ausgeschnittenen Robe in einem Lilaton, der den Betrachterinnen die Augen tränen ließ. „Sehen Sie, wohin ihr Tänzer seinen Blick gerichtet hält?“, flüsterte Lady Tenfield. Melinda lachte auf. „Wohin sollte er angesichts einer derartigen Einladung denn sonst schauen? Sie wissen nicht zufällig, wer diese kühne Dame ist?“
„Zufällig weiß ist es doch. Es handelt sich um Lady Forthhurst, eine geborene Ehrenwerte Selina Cuffley. Nicht ganz aus der allerobersten Schublade, fürchte ich.“
„Wegen ihres allzu indezenten Geschmacks, meinen Sie?“
„Und wegen ihrer Familie. Lord Cuffley ist für seinen Beitrag zur Wirtschaft geadelt worden, habe ich gehört; dann allerdings stellte sich dem Vernehmen nach heraus, dass er sich mit Armeelieferungen recht schamlos bereichert hatte. Man tuschelt, Lord Forthhurst bereue diese Eheschließung sehr. Andererseits soll ihm die gute Selina eine recht eindrucksvolle Mitgift eingebracht haben…“
„Das ist ihm vielleicht ein Trost… und Lady Forthhurst ist offenbar keine Ehefrau nach dem Geschmack von Lord Wolves.“
Lady Tenfield lachte so laut, dass sich andere nach ihr umdrehten. Sogar Lady Forthhurst warf ihr einen pikierten Blick zu, denn die alte Dame voller Unschuld erwiderte.
Melinda fächelte sich Luft zu und sah harmlos lächelnd um sich, bis die Dame in Lila ihren Blick wieder auf ihren Tanzpartner richtete, der seinerseits immer noch in ihr Decolleté spähte.
Kurz vor Mitternacht tanzte sie noch einmal mit Sebastian und beobachtete dabei Cecilia, die sich glänzend zu amüsieren schien und mit ihrem Partner, einem gut aussehenden, nicht mehr ganz jungen Gentleman, eifrig diskutierte, soweit die Figuren des Tanzes das zuließen.
„Mit wem tanzt Cecilia da?“
Sebastian sah sich bei der ersten Gelegenheit um. „Oh! Das ist Strathwick. Immerhin ein Graf… allerdings fast doppelt so alt wie Cecilia, aber ein gewandter Tänzer, wie man sieht. Und ein glänzender Redner. Strathwick strebt nach politischen Ämtern, vielleicht wird er in die nächste Regierung berufen.“
„Oh! Das könnte Cecilia gefallen, sie interessiert sich doch so für Politik. Sie könnte eine einflussreiche Gastgeberin sein…“
Sebastian lächelte. „Ein hübscher Gedanke, aber ich weiß nicht, ob Strathwick den Platz seiner Frau nicht anders sieht. Den Einfluss möchte er wohl eher in seiner Hand wissen. Nun, Cec hat doch noch viel Zeit, dies war ihr erster Ball. Hat er dir denn bis jetzt gefallen, mein Schatz?“
Sie schmiegte kurz ihre Wange an sein Kinn. „Ganz wunderbar, aber auch recht erschöpfend. Ich könnte nicht jeden Abend einen solchen Ball mitmachen. Und Lady Tenfield ist absolut köstlich! Cecilia sollte sie sich gewogen halten, ich denke, sie könnte ihr recht nützlich sein, weil sie alles über alle weiß.“
„Der Klatsch blüht? Ja, so ist es hier in dieser kleinen festgefügten Welt, in der man für den Rest des Landes wenig Interesse zeigt. Wenn Cec das kritisch sieht, hat sie meiner Meinung nach vollkommen Recht. Ich würde mich freuen, wenn ihr beide euch auch an Laura Preston, Dorothy Claremont und vielleicht Helen Prentice haltet.“
„Wer ist das?“
„Lady Helen ist die Frau von Sir Alan Prentice, der mit den Erfindungen seines Vaters und seinen eigenen Entwicklungen ein Vermögen erworben hat und sich sehr für Verbesserungen im East End einsetzt. Auf Bälle gehen sie zugegebenermaßen eher selten. Aber sie alle sind vernünftig und denken einigermaßen modern, ohne zu radikal zu werden.“
„Was hältst du von dieser Lady Eloise?“
Sie spürte sein Schulterzucken. „Ich kenne sie zu wenig. Sie wirkt zunächst ein wenig oberflächlich, aber vielleicht verbirgt sie ihre Qualitäten nur. Was denkst du?“
„Sie war recht unhöflich zu Lady Tenfield. Und sie drängt sich Cecilia geradezu auf, obwohl ich nicht weiß, warum eigentlich. Soll Cecilia ihr helfen, einen Gemahl zu finden?“
„Du wirst es herausfinden, es gibt schließlich noch mehr Bälle.“ Er lächelte auf sie herunter, während die Musik verklang, dann führte er sie fürsorglich zu ihrem Platz zurück. Einen Moment später gesellte sich Cecilia zu ihnen, die Hand zierlich auf dem Frackärmel des Grafen von Strathwick, der seinerseits Melinda und Sebastian etwas förmlich, aber sehr freundlich begrüßte und Cecilia als ausgesprochen anregende Gesprächspartnerin lobte.
Cecilia selbst lachte dazu nur: „Soweit uns die Figuren des Tanzes ein Gespräch ermöglicht haben, meinen Sie wohl, Mylord?“
Strathwick hob anerkennend die Brauen. „Schlagfertig… das findet man bei jungen Damen nicht so häufig, Respekt!“
Melinda beobachtete die Szene durchaus beifällig, aber dann irrte ihr Blick ab und fiel auf Lady Eloise, die Cecilia mit starrem Blick betrachtete – und freundlich wirkte dieser Blick nicht.
„Fühlen Sie sich nicht wohl, Lady Eloise?“
Die Angesprochene zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. „N-nein, danke, Lady Hertwood, ich habe nur gerade an etwas anderes gedacht. Miss Herrion ist wirklich sehr hübsch, nicht wahr?“
„Oh ja, das denke ich auch. Und sie hat obendrein ein reizendes Wesen und sehr viel Verstand.“ Das kam etwas schärfer heraus, als Melinda es beabsichtigt hatte, aber Lady Eloise schien das gar nicht bemerkt zu haben.
Ein Gong ertönte und Sebastian eilte an die Seite seiner Frau. „Darf ich dich zum Mitternachtssouper geleiten?“
Mrs. Ramsworth hatte beim Souper keine Kosten gescheut und die erlesensten Speisen aufgefahren. Cecilia allerdings schien sich an der festlichen Tafel nicht allzu wohl zu fühlen. Vielleicht lag das an ihrem Tischherrn – ausgerechnet Wolves hatte diesen Platz ergattert und es sah auch aus, als halte er ihr Vorträge über das richtige Verhalten junger Frauen – zu Hause sitzen und Taschentücher besticken, vermutete Melinda, die ihn unfreundlich musterte.
Cecilia hielt den Kopf gesenkt und spielte lustlos mit den Häppchen auf ihrem Teller herum, dann sah sie auf, direkt zu Melinda, und verdrehte recht deutlich die Augen.
Melinda lächelte mitfühlend, wusste aber auch nicht, wie sie Cecilia erlösen konnte. Sie hätte sich aber denken können, dass Cecilia sich selbst zu helfen wusste, erkannte sie, als Cecilia auf ihrem Stuhl zusammenzusinken schien und dabei wie beiläufig Wolves´ Weinglas umstieß, so dass sein Hemd vor roter Nässe glitzerte. Wolves sprang empört auf und Cecilia sank sehr überzeugend in Ohnmacht.
„Das ist doch…!“
Melinda umrundete eilig die Tafel und bemühte sich zusammen mit Mrs. Ramsworth, die Kranke wieder zum Leben zu erwecken. Diese kam auch sehr kunstvoll wieder zu sich, während Wolves recht töricht daneben stand und nur immer stammelte: „Was ist denn das…? Was soll ich jetzt…? Ist sie nicht gesund…?“
Mrs. Ramsworth sah leicht belästigt zu ihm auf. „Das ist der erste Ball der Saison, dabei werden die Anstrengungen oft unterschätzt.“
Dorothy Claremont murmelte: „Und Wolves´ Konversation ist ebenfalls gesundheitsschädlich.“ Ihre Umgebung lachte, was Wolves zu empörten Blicken in die Runde veranlasste. Cecilia erhob sich, von Melinda und Mrs. Ramsworth gestützt, von ihrem Stuhl und beteuerte mit schwächlicher Stimme, sich wieder ausgezeichnet zu fühlen.
„Nein“, wandte Melinda ein, „wir sollten nach Hause fahren, damit du dich richtig erholen kannst. So wundervoll der Ball war, Mrs. Ramsworth, hoffe ich doch, dass Sie uns diesen vorzeitigen Aufbruch verzeihen können?“
Diese lachte beruhigend. „Natürlich! Und ich bin sicher, wir werden uns nach auf vielen anderen Bällen treffen. Dort hat Miss Herrion hoffentlich etwas mehr Glück mit ihren Tischherren…“
Dies hatte sie offenbar nicht leise genug geäußert, denn Lord Wolves empörte sich sichtlich, wagte aber wohl nicht, sich deutlich gegen diese Unterstellung zu wehren.