Читать книгу Flügelschlag des Phönix - Cathreen Fischer - Страница 8

Оглавление

Kapitel 3

Als Gabriel den kleinen Bahnhof betrat, war noch weit und breit keine Spur von den Mädchen. Nachdem Jenna und Amy die letzten Wochen immer mal wieder seltsame Dinge angedeutet hatten und auch Shana sich in ihrer letzten Unterhaltung widersprach, wollte er dem Ganzen auf den Grund gehen. Völlig allein auf dem Bahnsteig studierte er den Fahrplan und tatsächlich! Zu seiner Überraschung hielt in einer knappen halben Stunde noch ein Zug. Das ist der Einzige, den Shana und die Anderen nehmen können. Doch die gähnende Leere auf dem Steig fing an ihn zu beunruhigen. Vielleicht habe ich es auch falsch verstanden und sie fahren erst morgen früh? In dem Moment tauchte Shana mit einer für sie viel zu großen Tasche und Faolan im Gepäck auf. Als sie ihn bemerkte wich sie erschrocken einen Schritt zurück, doch sie fing sich schnell wieder. „Gabriel, was für ein Zufall! Was machst du denn hier?“ Ihre Stimme klang belegt, irgendwie zu hoch und zu schrill.

Sofort beschlich Gabriel ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimme hier nicht. Und er wollte herausfinden was es war, daher entschied er sich mitzuspielen. „Du bist heute Mittag so schnell weg gewesen, da dachte ich, ich verabschiede euch drei.“ Log er, dankbar darüber, dass sie kein Vampir war. „Damit habe ich gar nicht gerechnet! Du bist doch nicht der Typ für lange Verabschiedungen oder?“ Langsam ließ er seinen Blick über sie wandern und bemerkte wie steif sie auf einmal war. Er hatte recht, irgendetwas war hier faul! „Du weißt vieles nicht über mich. Apropos wo sind die anderen Grazien denn?“ Gespielt ahnungslos schenkte er ihr ein Ich-hab-keine-Ahnung-Grinsen woraufhin ihr Puls in die Höhe schoss. „Wer?“„Na Jenna und Amy.“ Gabriel spürte, wie sein Unbehagen wuchs als Shana ungeduldig von einem auf den anderen Fuß trat um seinen Blick auszuweichen. „S-sie kommen gleich noch. Bestimmt haben sie was vergessen und machen sich gleich auf den Weg.“ „Dann müssen sie sich aber ganz schön beeilen. In noch nicht ganz fünfzehn Minuten fährt der letzte Zug für heute.“ Oft verfluchte er sie aber heute dankte er seiner zwanghaften Paranoia, dass sie ihn hierhergetrieben hatte. „J-ja stimmt.“ Unberührt von alldem lag Faolan auf dem kühlen Steinboden während seine Herrin sich um Kopf und Kragen log. Für einen Augenblick standen sie schweigend nebeneinander und Gabriel beobachtete wie Shana ungeduldig an ihrer Nagelhaut knibbelte. Er konnte deutlich spüren, was sich unter ihrer dünnen Haut verbarg. Sie wird mir nichts verraten. Das einzige was bleibt ist die Konfrontation!

Noch einmal atmete er durch, wappnete sich für alle möglichen Worst Case Szenarios. „Shana was ist hier los?“ Gabriels Worte waren nicht mehr als ein leises Flüstern im Wind. Seelenruhig verharrte sein Blick auf ihr, während sie unbeirrt in die Ferne starrte. „Nichts, ich warte nur auf Jenna und Amy und…“ Ihm war ganz und gar nicht entgangen wie sie scharf die Luft eingesogen hatte, genauso wenig wie ihr wild gewordener Herzschlag. „Du bist eine miserable Lügnerin. Raus damit.“ Ihre Augen glommen förmlich vor Trotz. „Wer sagt denn, dass ich lüge?“ Herrgott, dein Ernst?! Schnaubend baute er sich vor ihr auf. „Ich. Dein Herz verrät es mir mit jedem Schlag. Und außerdem knibbelst du dir wieder deine Finger blutig.“ Gabriel nickte in ihre Richtung und für einen kurzen Augenblick nahm ihn das frische Blut gefangen. „Wann kaperst du endlich, dass du mich nicht belügen kannst? Also tu uns beide den Gefallen und heb dir das Ganze für jemanden auf, der kein wandelnder Lügendetektor ist und sag mir was Sache ist!“ Völlig genervt verschränkte sie die Arme vor der Brust, stellte sich ihm entgegen. Im Augenwinkel sah Gabriel, dass der faule Wolf noch immer komplett auf unbeteiligt tat. „Wenn du es unbedingt wissen willst, schön! Amy und Jenna werden nicht mehr kommen, ich fahre alleine weg!“ In ihrem Blick lag wieder genügend Zündholz für einen handfesten Streit doch er zwang sich zur Ruhe. „Soweit konnte ich eins und eins auch schon zusammenzählen. Und wohin geht’s?“ Gabriel blieben nur noch wenige Augenblicke, bis der Zug einfuhr und noch war seine Neugierde nicht gestillt.

„Gabriel kann das nicht warten? Ich sehe schon den Zug und…“ Was dachte sie was das war? Ein Spiel? „Verdammt nein, kann es nicht! Zu mindestens nicht, wenn du diesen verdammten Zug erwischen willst! An deiner Stelle würde ich mich lieber sputen, sonst fährt er noch ohne dich los!“ Damit wirst du jetzt leben müssen! Gabriel bemerkte wie Shanas Gesicht rot anlief. Oh, sie ist wütend. Gut dann macht es mehr Spaß! „Ich geh meine Mum suchen und selbst du kannst mich nicht davon abbringen. Lässt du mich jetzt in Frieden?!“ Shanas Augen sprachen Bände. Gabriel wusste ganz genau, dass sie es nicht leiden konnte, wenn etwas nicht so lief wie geplant. Und er hatte gerade ihr sorgfältig gehütetes Geheimnis auffliegen lassen. Doch das was sie vorhatte, zog ihm schier den Boden unter den Füßen weg. „Du tust was?!“ Gabriel war fassungslos. Er hatte bereits vermutet, dass sie wieder zurück in ihre alte Stadt fährt, um dort jemanden zu besuchen, den Luca nicht guthieß aber das war noch ein Zacken schärfer. Und weitaus gefährlicher! „Noch mal für Taube: Ich gehe meine Mum suchen!“ Ihre zarte Stimme wurde von dem einfahrenden Zug übertönt. Hat sie jetzt vollkommen den Verstand verloren?! „Ich hatte dich schon beim ersten Mal verstanden. Ich kapier nur nicht wie ein so kluges Mädchen wie du auf so eine bescheuerte Idee kommt!“ Quietschend bremste das Ungetüm aus Metall und Plastik ab. „Ist das nicht offensichtlich? Keiner will mir etwas sagen, jeder schließt mich von Dingen, die mich betreffen aus! Ich habe die Nase voll wie ein Kleinkind behandelt zu werden. Ich bin fast siebzehn und bin sehr wohl in der Lage meine eigenen Entscheidungen zu treffen!“ Um ihre Wut zu unterdrücken atmete sie tief durch. „Und das hier…“ Demonstrativ zeigte sie auf das qualmende Fahrgerät. „Ist meine Entscheidung! Keiner wird mich davon abbringen können in diesen Zug zu steigen, nicht einmal du Gabriel!“

Der Lärm, den der alte Zug verursacht hatte war bereits einem leisen Zischen gewichen. Wie auf Kommando öffneten sich die Türen und Shana warf sich ihre Tasche um und bedeutete Faolan aufzustehen. Wortlos erhob sich der Wolf und trottete Richtung Tür. Nun stand sie direkt vor ihm. Gabriel konnte ihre Entschlossenheit in ihren Augen sehen, es war wie ein Feuer, dass einen ganzen Wald zu verschlingen drohte. „Es ist mein Leben, meine Zeit und mein Problem! Ich werde meine Mum finden, ganz egal ob es gefährlich wird oder nicht! Das hier ist der Weg, für den ich mich entscheide Gabriel. Du musst es nicht verstehen, nicht akzeptieren und schon gar nicht gutheißen! Es ist das was ich tun muss!“ Ihre Stimme bebte. Gabriel war noch immer von ihrem Plan wie erschlagen, doch was ihn in Wirklichkeit hatte verstummen lassen, war die überdeutliche Verzweiflung in ihren Worten. Die ganze Zeit über wollte Shana nur jemanden, der an sie glaubt und vertrauen in sie hat. Mit einem Mal fiel das ungute Gefühl wie eine zu klein gewordene Haut ab. Ohne sich noch einmal umzudrehen stieg Shana mit Faolan ein. Gabriels Herz zog sich schmerzhaft zusammen als sich die Türen langsam schlossen. Nein! Instinktiv hechtete er durch die schließenden Schiebetüren. Auf keinen Fall würde er sie alleine gehen lassen. Sie braucht dich!

Vollkommen außer Atem suchte er nach ihr, schaute in jedes Abteil hinein. Immer wieder wiederholten sich ihre Worte in seinem Kopf. Abrupt hielt er inne als er die schöne Irre dabei beobachtete ihre Tasche zu verstauen. Habʼ ich dich! Ohne Vorwarnung riss Gabriel die Türe des Abteils auf und erschreckte Shana fast zu Tode. Mit weit aufgerissenen Augen fuhr sie herum und starrte ihn an. „G-Gabriel w-was?!“ Ohne große Mühe nahm er die schwach glitzernde Spur auf ihren Wangen wahr. „Was denkst du denn was ich hier mache? Ich gehe mit dir.“ Wie angewurzelt blieb Shana stehen. Langsam setzte sich der alte Zug knackend und knirschend in Bewegung. Das Pfeifen der Druckventile klang mit einem Mal weit entfernt. „Warum?“ Nachdem sie Gabriel einfach so hatte stehen lassen, fühlte er ganz deutlich wie sehr seine Anwesenheit in ihr die gemischtesten Gefühle auslöste. „Weil ich dich unmöglich alleine gehen lassen kann.“ Er machte eine kurze Pause, ging auf sie zu und Shana schnappte nach Luft. „Ich…“ Mit einem lauten Knall fiel die Türe ins Schloss, trennte die beiden von der Außenwelt. Jetzt stand er unmittelbar vor ihr, sodass er ihren schnelleren Atem auf der Haut spüren konnte. „Niemals könnte ich mir verzeihen, wenn dir etwas zustößt. Deswegen werde ich dich auf deiner Suche beschützen.“ Sinnlich wie noch nie zuvor hauchte er die Worte und Shana blieb jeglicher Protest im Halse stecken.

Als Shana ihre stumme Zustimmung gab, setzte sich Gabriel gegenüber von ihr neben Faolan, der fast die ganze Bank einnahm, sodass Gabriel um ein bisschen Platz kämpfen musste. Das betretende Schweigen zwischen ihnen war unerträglich. Schon jetzt verfluchte sich Gabriel für seine dumme Spontanität. Diese Stille macht mich noch wahnsinnig! Wenn das die ganze Fahrt bis nach… Gabriel stockte. Wohin fuhren sie eigentlich? „Sag mal Shana, wohin fahren wir eigentlich?“ In dem Moment wich jegliche Farbe aus ihrem Gesicht, ihre Züge ließen nichts Gutes erahnen. „Also, ähm es ist so…“ Bitte nicht! „Der Zug fährt bis Aralei und…“ „Im Klartext: Du hast keinen blassen Schimmer, was?“ Stille. Wieder einmal hatte er voll ins Schwarze getroffen. Na Klasse! Genau das hatte er befürchtet. „Natürlich habe ich den! Was glaubst du denn…“ Ihre Stimme war viel zu Schrill und ließ seine Ohren klingeln. Hastig sprang er auf, führ sich dabei nervös durchs Haar. „Nein Shana, die Frage ist was glaubst du eigentlich?! Deine gottverdammte Sturheit bringt dich noch ins Grab!“ Mit einer wegwerfenden Bewegung funkelte sie ihn herausfordernd an und musterte ihn von oben bis unten. „Ich habe dich nicht gebeten mitzukommen!“ Überrascht zog er die Brauen hoch, damit hatte er nicht gerechnet. Gabriel zwang sich zur Ruhe, Brüllen brachte bei ihr nichts und obwohl er das ganz genau wusste war es für ihn unglaublich schwer sich daran zu halten. Shana war einfach viel zu begabt darin ihn zur Weißglut zu bringen. „Sei mir lieber dankbar dafür. Selbst wenn du deine Mutter finden würdest – was ich nicht glaube – wärst du die letzte, die ihr helfen könnte.“ In dem Moment hielt sie inne, mit weit aufgerissenen Augen als würden seine gepressten Worte sie erreichen. Gabriel wollte schon Aufatmen als sie auf ihn zustürmte – die Hände zu Fäusten geballt. „D-du Arsch! Du mieser Oberarsch, nein Ultraoberarsch!“ Ultraoberarsch? Es kostete ihn einiges an Zurückhaltung trotz dieser Prekären Situation nicht loszulachen.

Wie kam sie nur immer auf solche Sachen?

Wie wild schlug sie auf ihn ein und auch wenn es ihm nicht körperlich wehtat, so versetzten die begleitenden Flüche ihm tiefe Wunden. „Was weißt du schon von mir! Du kennst mich nicht, keiner tut das!“ Plötzlich wurden ihre Angriffe schwächer, nur noch langsam traf sie seine Brust. Gabriel blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete wie die erste Träne über ihre geröteten Wangen lief. Zärtlich zog er sie in seinen Arm, strich sanft über ihr schokobraunes Haar und Shana wehrte sich nicht einmal. Ihr unverwechselbarer Duft umgab sie und beruhigte Gabriels aufgebrachtes Herz. Schluchzend krallte sie sich in sein Hemd und er spürte wie der dünne Stoff feucht wurde. Langsam atmete er durch und dort wo sein Atem ihre nackte Haut traf erschauerte sie. „Bitte entschuldige. Was ich gesagt habe war nicht fair.“ Mit dem Gesicht an seiner Brust gepresst schüttelte Shana den Kopf. „Nein du hast ja recht. Es war dumm von mir zu denken ich könnte ausnahmsweise jemanden helfen, der mir viel bedeutet.“ Wenn du nur wüsstest wie oft du mich schon gerettet hast! In dem Moment biss er sich auf die Lippe. Natürlich hatte sie ihn falsch verstanden, so dämlich wie er sich auch ausgedrückt hatte. „So meine ich das nicht. Ich musste nur an die erste Begegnung mit Emilian denken und der Gedanke allein hat mir eine Heidenangst eingejagt, mich nicht mehr losgelassen. Was wäre, wenn er dich findet bevor du sie gefunden hast?“ Er spürte Shanas Puls auf der Haut, er war schnell aber nicht mehr so panisch wie zuvor. Gabriel senkte noch etwas mehr den Kopf, sodass seine Lippen ihre Ohren fast berührten. „Bevor ich dich beschützen kann?“ In dem Moment sog sie scharf die Luft ein, Shana bebte am ganzen Körper und Gabriel wünschte sich sehnlichst genug Mut zu haben und sie zu fragen warum. Doch er blieb stumm, wartete darauf aus diesem Albtraum zu erwachen. Anderseits genoss er den Moment, sog so viel von ihrer Nähe ein wie er konnte. „Und was mache ich jetzt?“ Ihre Stimme war brüchig und viel höher als sonst. Hundert Punkte an das Gefühlswrack Gabriel di Lusatis!!! Er seufzte tief. Wann verstand sie endlich, dass er sie nicht alleine ließ?!

„Du meinst was machen wir jetzt.“ Plötzlich löste sie sich von ihm und die Leere in seinem Arm erschlug ihn fast. „Du willst mir immer noch helfen?“ Gabriel nickte, schließlich hatte er nicht vor einen Rückzieher zu machen. „I-ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung.“ Völlig unsicher ließ sie sich auf neben ihrer Tasche nieder, den Blick gesenkt. Und mit einem Mal traf ich der Blitz. „Hast du einen Fahrplan von dem Zug?“ Wieder voller Elan setzte er sich neben sie wartete gespannt darauf, dass sie ihm ein oft gefaltetes Stück Papier entgegenstreckte. Sorgfältig studierte Gabriel den Plan. Hoffentlich irre ich mich nicht! „Volltreffer!“ Neugierig rutschte sie näher heran und suchte nach der Information, die Gabriel erhofft hatte. „Was hast du entdeckt?“ Inzwischen hatte Shana aufgehört zu weinen aber ihre Stimme klang trotzdem noch sehr nasal. „Wir steigen in Tamani aus und reisen gegeben Falls weiter nach Ria.“ Mit hochgezogenen Brauen verschränkte sie die Arme vor der Brust und betrachtete die Karte als wäre sie eine Höhlenzeichnung. „Was wollen wir denn in Tamani? Oder in Ria?“ Erleichtert faltete er es wieder zusammen und steckte es sich in seine Jackentasche. „Ein guter Freund von mir lebt in Tamani. Er kann uns mit Sicherheit helfen und wenn nicht, können das sicher seine Kontakte in Ria.“ Unbehagen machte sich in ihm breit. Gabriel hoffte seine Entscheidung nicht im Nachhinein doch noch zu bereuen.

Sie kennt diese Welt nicht. Es ist sicherer für sie, wenn ich sie im Auge behalten kann. Gabriel kannte das alles bereits, er wusste was auf sie zukam. Shana hingegen war vollkommen ahnungslos, was ihn mehr beschäftigte. Er war sich sicher, dass sie es schaffen würde ihre Mutter zu finden aber zu welchem Preis? Die Gefahr bleibende Schäden in ihrer Seele zu hinterlassen machte Gabriel nervös. Auf keinen Fall wollte er zulassen, dass sie schaden nahm – weder physisch noch psychisch. „Wie weit ist es denn bis nach Tamani?“ Angestrengt schaute er hinaus, um sich eine Orientierung zu verschaffen. Die Landschaft zog angenehm schnell an ihnen vorbei, machte es jedoch dadurch schwierig die Orientierung zu behalten. „Schwer zu sagen. Wir sind noch nicht mal in Salem. Ich schätze morgen früh werden wir in Tamani ankommen.“ „Oh.“ Gabriel spürte wie Shanas Körper an Spannung verlor und ihr Puls nach den Anstrengungen ruhiger wurde. Bei jedem Ruckeln streifte sie seinen Arm und löste unglaubliches in ihm aus. „Ruh dich etwas aus. Ich wecke dich, sobald wir da sind.“ In dem Moment machte sein Herz einen Satz als sie sich an ihn schmiegte. „Danke Gabriel, für alles.“ Dann wurde sie still, sodass er sich auf den Klang ihres Lebens konzentrierte.

Shana fühlte sich ordentlich durchgeschüttelt. Nicht, weil der Zug auf den rostigen Schienen hin und her tuckerte, sondern weil ihr Traum sie zusätzlich aufgewühlt hatte. Sie konnte sich kaum noch an den Inhalt erinnern, aber die Tränen auf ihrer Haut ließen nichts Gutes erahnen. Vorsichtig öffnete sie die verweinten Augen und hoffte dadurch klarer zu sehen. Im ersten Augenblick wusste Shana nicht wo sie war und fühlte sich fremd. Sie war immer noch müde. Diese kleine Auszeit hatte ihr mehr Kraft gekostet als welche geschenkt. Als sie endlich den letzten Schlaf aus ihren Augen beseitigt hatte, merkte sie, dass etwas Lebendiges ihre Lehne war. Shana stockte der Atem. Gabriel saß mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen neben ihr. Sein pechschwarzes Haar schien länger geworden zu sein und fiel in sein blasses Gesicht. Er sieht so friedlich aus als wäre er mit sich und der Welt im Einklang. Shana musste unwillkürlich an ihre erste Begegnung denken. Ob sein Herz dieses Mal auch stehen geblieben ist?

Vorsichtig tastete sie an seiner Brust nach der Stelle, wo sie sein Herz vermutete. Shana spürte selbst du die Kleidung seine Wärme, sein langsamer Herzschlag klopfte nur leicht gegen ihre Handfläche. Damals war er so kalt, als wäre er schon tot! Wie ist es möglich, dass ein und dieselbe Person sich so verändern konnte? Sein flacher Atem streichelte ihr Gesicht und löste in ihr unbegreifliche Regungen aus. Es war aufregend, fremdartig und interessant wie nichts Vergleichbares. Zu mindestens fiel ihr gerade nichts ein. Gabriel sieht wirklich wahnsinnig gut aus. Ich frage mich ob… Sein tiefes Seufzen ließ sie zurückschrecken wobei sie sich unsanft den Ellenbogen an dem harten Fensterbrett stieß. Der Schmerz ließ sie einen ungewollt lauten Schrei von sich geben. „Mist, verdammter!“ Ein weiterer Seufzer drang aus Gabriels Mund, lenkte ihre Aufmerksamkeit direkt zurück zu ihm. Ist er wach? Oder schläft er wie ein Toter? Die Frage ließ ihr keine Ruhe. Darauf bedacht sich so lautlos wie möglich zu bewegen, lehnte Shana sich zu ihm bis ihr Gesicht auf derselben Höhe war wie seine Schultern. Wie auf Zuruf drehte Gabriel sein Gesicht in ihre Richtung. Shanas Herz begann vor Aufregung zu rasen. Er war ihr so nah, seine Lippen waren nur wenige Zentimeter von ihren entfernt. Die wildesten Ideen kamen ihr in den Sinn. Bei Damon musste ich ihn nur küssen um herauszufinden, ob er schlief oder nicht… Sofort merkte Shana wie sie rot anlief und sich ihr Herz im gleichen Moment schmerzhaft zusammenzog. Es schien als würde alles in ihrem Körper rebellieren an Damon zu denken, wenn sie einem Anderem gerade nah war. Plötzlich setzte Shanas Verstand wieder ein und zwang sie ein wenig Raum zwischen sie zu bringen. Langsam entkrampfte sich ihre Brust wieder. Was habe ich mir nur dabei gedacht?! Drehst du jetzt völlig ab, Shana?! Brüllte sie den Teil von ihr an, dem es gefallen hatte. Du bist vollkommen Banane, total gaga! Machte sie weiter und wandte ihren Blick ab.

Ihre Brust schien erneut zu explodieren als sie bemerkte wie Faolan sie anstarrte. Oh nein, nicht auch noch das! „Hey Fao. Wie lange bist du denn schon wach, mein Großer?“ Der Wolf starrte sie ungläubig an, als wüsste er genau was sie gerade vorhatte. Nicht gut, gar nicht gut!! „W-wieviel hast du gesehen?“ Schnaubend wandte er sich ab und verdrehte dabei theatralisch die Augen. Also alles! Mit einem Mal versteckte sie ihr puderrotes Gesicht in ihren Handflächen. Das war´s! Tiefer kann ich nun wirklich nicht mehr sinken!! „E-es war nur… ich … er hatte was im Auge!“ Shana merkte schnell, dass sie sich das ja noch nicht mal selbst abnahm. Was im Auge? Ernsthaft? Wie sollst du denn sehen, dass er was im Auge hat, wenn er die Klötze zu hat?! Faolan ließ ein kehliges Knurren von sich und würdigte sein Frauchen keines Blickes. Shana seufzte tief und wandte sich der vorbeiziehenden Landschaft zu. „Ein Königreich für deine Gedanken.“

„Nächster Halt: Tamani Hauptbahnhof!“ Die dunkle Frauenstimme aus den knirschenden Lautsprechern ließ Shana hochschrecken. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen stand Gabriel auf und streckte sich. Ohne dass sie es wollte wanderte ihr Blick zu ihm und blieb kleben an dem dünnen Streifen nackter Haut zwischen Shirt und Hose. „Das ist unsere. Am besten nimmst du den Wolf an die Leine, Tamani ist eher eine Menschenstadt, die keine Ahnung haben. Es wäre für uns alle besser, das auch nicht zu ändern.“ Gabriels Blick schweifte auf das übergroße Tier, wofür sie mehr als dankbar war. Seitdem er aufgewacht war, brachte Shana keinen Ton mehr raus aus Angst er könnte irgendwie von ihrer peinlichen Aktion eben erfahren. „Was ziemlich schwer wird. Wie verstecken wir Faos zusätzlichen Schweife?“ Ihre Stimme war piepsig und ungewöhnlich hoch. Jetzt reiß dich mal etwas mehr zusammen! Wenn das so weiter geht wird er noch merken, dass irgendetwas nicht stimmt! Stirnrunzelnd beobachtete er sie, eine Hitzewelle durchfuhr jede ihrer Zellen doch Shana zwang sich seinem silbernen Blick stand zu halten. In dem Moment wo sich seine Lippen schwungvoll verzogen rutschte ihr das Herz in die Hose. „Hast du Haargummis dabei?“ Zögerlich nickte sie. Wusste er bereits was sie versucht hatte? Oder reagierte sie einfach viel zu sensibel? „Ja aber was soll das bringen?“

„Gib sie mir bitte. Es wird ihm zwar nicht gefallen, aber es ist die einzige Möglichkeit ihn etwas unauffälliger zu machen.“ Erleichtert darüber, dass er anscheinend doch nichts bemerkt hatte kramte sie in ihrer Handtasche nach der Leine und dem Gummiknäul. Ohne ein Wort gab sie es Gabriel, der bei dem Anblick in tiefes Schmunzeln verfiel. „Wofür brauchst du denn direkt so viele?“ Glücklich, auf ihre Freundin gehört zu haben räumte Shana die restlichen Sachen wieder ein. „Das war ein Tipp von Jenna. Sie meinte man könnte nicht genug Gummis dabeihaben also habe ich meinen Vorrat aufgestockt.“ In dem Moment prustete Gabriel los, riss Faolan aus seinem Nickerchen und stellte Shana erneut vor die Frage was mit ihm bloß nicht stimmte. Erst kam er nach wochenlanger Funkstille zum ungünstigsten Zeitpunkt an und wollte ein guter Freund sein, dann erwischte er sie wie sie reiß ausnahm und folgte ihr dann auch noch blindlings. Und zu allerletzt benahm er sich auch noch als hätte er das sagen. Wut keimte wieder einmal in ihr auf. „Was ist jetzt schon wieder so lustig?“ Auch wenn Shana versuchte sich zusammen zu reißen klang ihre Stimme schneidender als geplant. Jedoch schien Gabriel das entweder nicht zu bemerken oder gekonnt zu ignorieren. „Ich kann mich auch irren aber ich schätze Jenna meinte damit eine andere Art Gummi.“ Gabriels Klugscheißer Antwort trieb ihr wieder die Schamesröte ins Gesicht. Erst jetzt verstand Shana die zweideutige Bedeutung und verfluchte sich, es nicht früher verstanden zu haben.

Das gibt Rache Jenna verlass dich drauf!! „D-das weiß ich auch!“ Log sie und sah Gabriel zu wie er aus ihrem Dämonenwolf einen normalen weißen Hund in Übergröße machte. „Natürlich. Na, wenigstens war uns deine Unwissenheit ausnahmsweise Mal nützlich.“ Gabriel lachte, in dem Moment schien nichts von seiner sonst so griesgrämigen Art vorhanden zu sein und Shana beließ es dabei. Ein paar Mal knurrte Faolan doch ließ die unangenehme Prozedur über sich ergehen und wenige Minuten später war von seiner Magie nichts mehr zu sehen. „So, jetzt sieht er aus wie ein normales Haustier. Wehe du benimmst dich nicht dementsprechend!“ Plötzlich begann Faolan an zu schnauben und zu niesen, als würde er mit ihm schimpfen und Shana wurde das Gefühl nicht los für ihn zu sprechen. „Fao ist nicht dumm, er wird sich benehmen. Ich mache mir viel größere Sorgen darum, dass du dich benimmst.“ Grinsend bedachte er sie, brachte sie erneut aus der Contenance. „Wenn du meinst.“ Ohne Vorwarnung stand Gabriel auf und griff an ihr vorbei nach der Tasche. „Ich nehme die hier und du bist für unseren Schoßhund zuständig. Einwände?“ Hastig schüttelte sie den Kopf und verstand ein weiteres Mal die Welt nicht mehr.

Warum fühlte sie sich in seiner Nähe immer so seltsam?

Es war gerade erst früher Mittag, als Shana mit Gabriel und Faolan in Tamani ankam. Diese Stadt war bei weitem keine Schönheit, überall ragten riesige Betonklötze aus der Erde, egal wo überall stank es nach Abfall und an jeder Ecke hörte man Sirenen in Dauerschleife durch die Straßen heizen. Zu allem Überfluss schüttete es jetzt auch noch aus Eimern, womit der ganze giftige Smog sich wie ein Film auf ihre Haut legte. „Wie weit ist es zu deinem Freund?“ In dem Moment fuhr ein grauer Wagen an ihr vorbei und badete sie und den Wolf mit dem Smogwasser. Shana fluchte und blieb stehen. Konnte der Tag noch beschissener werden?! „Nicht mehr weit. Gleich die übernächste Straße rechts.“ Die ungewohnte Umgebung und das penetrante Starren der Leute machte sie zunehmend nervöser. Shana war es als würde sie mit dem Wolf an der Leine auffallen wie ein bunter Hund wobei Gabriel fast gänzlich mit der Masse verschmolz. Er schien kaum wahrgenommen zu werden als passe er perfekt hinein. Panik stieg in ihr auf als sie den Vampir nirgends entdecken konnte. Oh Gott, ich bin sowas von geliefert!

Vor Angst und Aufregung trommelte ihr Herz wie wild in ihrer Brust. Genau in dem Moment griff Gabriel nach ihrer Hand und zog sie so abrupt zu sich, dass sie gegen ihn stieß. Die unerwartete Berührung ließ sie erschauern, brachte ihr wieder etwas Ruhe. „Besser behalte ich dich an der Leine, bevor du mir noch stiften gehst.“ Shanas Blick folgte seinem schelmischen Ausdruck zu ihren verschränkten Händen und eine Woge von Geborgenheit flutete sie. Als aller erstes bemerkte sie wie klein und zierlich ihre Hand im Gegensatz zu seiner wirkte, wie gut sie hineinpasste. Ohne Probleme passte sich Faolan an die zügigen Schritte an und tippelte entspannt neben ihr. Shana hingegen hatte große Mühe mitzuhalten. Innerlich haderte sie, ob sie Gabriel wegen ihrer nassen Kleidung oder der zu schnellen Geschwindigkeit an maulen sollte, nur um sich nicht mehr so entblößt zu fühlen. Der Regen ist wohl das kleinere Übel, ich wähle das Tempo! „Gabriel, können wir vielleicht etwas langsamer gehen?“ Shana keuchte schon ganz schön, ihre Beine und Arme fühlten sich von dem kalten Schauer schon ganz taub ab. Gabriel bremste ab und passte sich ihrer Geschwindigkeit an. „Mein Fehler, es ist nur… Diese Typen hier sind nicht so sehr meine liebste Gesellschaft.“ In dem Moment wirkte er weitaus älter als neunzehn und Shana fragte sich, was er hier schon alles erlebt haben musste. Ihm also auch nicht! „Sagtest du nicht das hier ist eine Menschenstadt?“ Er holte tief Luft, fuhr sich durch das klitschnasse Haar. „Schon. Aber genau deswegen lungern hier viele unangenehme Gestalten meiner Art rum.“ Shana erwiderte nichts.

Irgendwie schien alles was ihr in den Kopf kam nicht sonderlich klug zu sein, weshalb sie zur Abwechslung einfach mal den Mund hielt. Als sie in die vermeintliche Zielstraße einbogen, musste Shana sich fast übergeben. „Was ist das für ein ekelhafter Geruch?!“ Angewidert hielt sie sich die Nase zu und auch Faolan drehte mit einem Mal völlig ab. Schlagartig blieb Gabriel stehen und schaute emotionslos auf die schwarze Türe des Betonkomplexes. „Nach Tod. Komm, wir sind da.“ Mit einem kräftigen Ruck zog er das rostige Gitter zur Seite, um an die Klingel zu kommen. Genau in dem Moment ertönte aus der vollgesprayten Lautsprecheranlage eine aufreizende Stimme. „Gabriel di Lusatis! Was führt dich denn hier her?!“ Gabriel schnaubte und verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse. „Mach auf, bevor ich die verdammte Dreckstüre eintrete!“ Das Treppenhaus sah nicht mal ansatzweise so schlimm aus wie Shana vermutet hatte. Die Wände waren in einem zarten grün gestrichen, die Stufen waren mit schwarzem Fließ verkleidet. Nur an manchen Stellen platzte der Putz auf und brachte grauen Beton hervor. „Ganz oben!“ Aus irgendeinem Grund fühlte Shana sich hintergangen, lag es an der fremden Frau, die Gabriel ganz eindeutig zu kennen schien? Kommentarlos folgten sie Gabriel bis in den achten Stock. Oben angekommen war Shana nicht nur nass bis auf die Knochen, sondern schwitzte wie ein Schwein und war völlig außer Atem. Gabriel hingegen schien all das nichts ausgemacht zu haben. Zwar war er auch komplett durchnässt aber sonst sah er aus wie immer.

Im Türrahmen vor ihnen stand eine unglaublich attraktive Frau, die Shana auch noch den Rest ihres keuchenden Atems verschlug. „Ziemlich weit oben für meinen Geschmack.“ Ihre perfekten Mundwinkel zogen sich nach oben während sie Gabriel eingehend musterte. „Damit ich schon vorher sehe wer mich besuchen kommt.“ Mit einem inzwischen noch breiteren Grinsen, dass aussah wie das eines Engels schlang sie ihre filigranen Ärmchen um seinen Nacken während Gabriel die Umarmung erwiderte. Am liebsten wäre Shana im Erdboden versunken. Es fühlte sich nicht richtig an bei den beiden zu sein. Sie sehen aus wie ein Paar! Wie ein echt inniges Paar! Langsam flaute die Berührung ab doch ihre Blicke waren noch immer aufeinander gerichtet. „Lang nicht mehr gesehen.“ Gabriels sonst so harter Ton war weich und auch sein Gesicht war alles andere als grimmig. Shanas Blick wanderte zu der Frau vor ihr. Sie war kaum geschminkt, lediglich etwas Wimperntusche und Lidschatten zierten das quasi makellose Gesicht. Ihre dunkle Haut schimmerte seiden, ihr kurzes schwarzes Haar bildete einen perfekten Rahmen für ihr hübsches Gesicht. „Allerdings!“ Himmel, selbst ihr Lachen klang zuckersüß. Gabriels Freundin ist echt ein Kaliber für sich! In dem Moment wandte sich Mrs. Perfekt den anderen Anwesenden zu, natürlich noch immer zuckersüß. „Und du bist…?“ Zwar klang sie keineswegs arrogant aber die Tatsache, dass ausgerechnet sie diejenige welche war die ihnen helfen sollte, kotzte Shana an. Bevor sie auch nur ein Wort über die Lippen bekam, stellte Gabriel sie vor. Dabei wirkte er überhaupt nicht so unterkühlt wie sonst – nein – er strahlte die fremde Schöne aus vollem Herzen an. „Holly das ist Shana, Und das Vieh heißt Faolan.“

Schnell streckte sie ihre filigranen, perfekt manikürten Finger Shana entgegen und zeigte ihre strahlendweißen Zähne. „Holly Woods, freut mich dich kennen zu lernen.“ Einen kurzen Augenblick dachte Shana daran wie es sich anfühlen würde ihre Knochen brechen zu hören. Mit knirschenden Zähnen erwiderte sie den Gruß. „Mich auch.“ Hollys Hand war erstaunlich kalt, fast genauso wie Gabriels. Als Mrs. Perfekt sich dem Riesenwolf zuwandte, erwartete Shana seine Gegenwehr doch wieder einmal lag sie mit ihrer Einschätzung voll daneben. Faolan genoss Hollys Zuwendung so sehr, dass er sich prompt fallen ließ und auf den Rücken drehte. „Ja, das gefällt dir, was?“ Im nächsten Augenblick stand Holly auf und deutete auf die Eingangstüre. Ihre Augen weiteten sich von Rehkitz auf Alien Größe als ihr anscheinend klar wurde Faolan bettelte, weiter zu machen. „Oh ich drifte schon wieder ab, ihr seid ja klitschnass! Kommt schnell rein drinnen ist es warm.“ Ihre Mütterliche Sorge verschwand mit ihrem perfekt geformten Hinterteil in die Wohnung.

Wortlos tat Shana es ihr gleich, dicht gefolgt von Wolf und Vampir.

Die ganze Wohnung war sehr minimalistisch eingerichtet. In der großen Wohnküche, die gleichzeitig auch der Eingangsbereich war, standen ein bereits in die Jahre gekommene Couch mit einem vollkommen verlebten Budentisch. Lediglich ein brusthoher Tresen trennte die geräumige Küche vom Wohnbereich. Die Wände waren unverputzt und leer. Hier und da stand ein halbleeres Regal - wahrscheinlich mehr zur Zierde als zur Nutzung. Als Shana ihren Blick weiter schweifen ließ, bemerkte sie wie Holly in einer der Türen verschwunden war. Gabriel ließ sich hemmungslos auf die Couch fallen als wäre er regelmäßig hier. Faolan, den sie schon im Treppenhaus wieder angeleint hatte, zupfte unglücklich an seinem Schweif herum. Perplex von Gabriels Benehmen und ihrer eigenen Ratlosigkeit, beschloss sie erstmal dem armen Wolf zu helfen. Kurz darauf betrat Holly mit ein paar Handtüchern und Wechselkleidung den Raum – auf ihren Lippen noch immer das perfekte Lächeln. Herrgott hört sie damit niemals auf?! „Ich habe frische Handtücher und was Sauberes zum Anziehen!“ Das unbehagliche Gefühl nahm weiter zu als Shana beobachtete wie Holly Gabriel seinen Stapel Wechselkleidung gab. „Du bist ein Schatz.“ Zwinkernd legte sie ihm die Hand auf seine Brust. „Für dich doch immer gern.“ Innerlich brodelte es in ihr als er dieser wunderschönen Erwachsenen auch noch eines seiner seltenen Lächeln schenkte. Und zu allem Überfluss folgte sein Blick ihr auch noch als Holly sich ihr zuwandte. Wieder einmal hatte Shana das Gefühl nicht hier sein zu dürfen – nein - besser nicht hier sein zu wollen. Das was zwischen den Beiden vorging – was auch immer es war – schien besser ohne eifersüchtiges Publikum von statten zu gehen. „Hier, die Sachen müssten dir passen. Wenn du dich umziehen willst, das Bad ist gleich hier vorn!“ Zugegeben Holly war mehr als freundlich und so langsam überkam Shana Schuld. Tat sie der schönen Fremden mit ihrem Misstrauen vielleicht unrecht? Wenn ja, wieso wollte sie dann nicht Gabriel mit ihr alleine lassen? „D-danke.“ Ohne ein weiteres Wort stackste sie zu der Mintfarbenen Türe. Das Bad war relativ klein, allerdings mit der nötigen Ausstattung und auch von schrillen Kacheln hatte der Besitzer abgesehen. „Du kannst auch duschen, wenn du willst, steht alles drin.“ Ihr melodischer Singsang hallte selbst durch die Holztüre, genauso wie ihr aufreizendes Gekicher. Sie wusste zwar nicht warum, aber sie fühlte sich hier eindeutig nicht wohl. Durch die dünnen Wände hörte Shana ihre Stimmen, verstand allerdings kaum etwas. Hastig zog sie sich das viel zu große Shirt über und tauschte ihre schwarze Jeans gegen den schlabbrigen Jogger.

Beim Blick in den Spiegel wurde ihre Befürchtung traurige Realität. Ich sehe aus wie ein neunziger Jahre Gangster! Ach, scheiß drauf! Schnell schnappte sie sich ihre eigenen Sachen und kämmte sich mit den Fingern noch schnell das Haar. Allzu lang wollte sie die Beiden auf keinen Fall alleine lassen - Hollys Kichern wurde von Sekunde zu Sekunde aufreizender. In dem Moment als Shana die Türe öffnete prustete Gabriel schon los und plötzlich bekam sie Lust, ihm gehörig eine zu scheuern. Auch Holly schien sich darüber köstlich zu amüsieren. Das verräterische Lächeln was sie Gabriel zuwarf war ihr nicht entgangen und selbst als sie ihre Kleidung in die Waschmaschine steckte wanderte Hollys Blick mehr als einmal zu ihr zurück. „Was ist daran so komisch?!“ Mit verschränkten Armen ließ sie sich auf dem anderen Ende der Couch nieder. „Das sind die Sachen meines Bruders. Ich habe sie dir gegeben, weil ich dachte sie würden besser zu dir passen.“ Streu noch Salz in die offene Wunde! „Schon gut.“ Mit einem Mal hatte sie keine Lust mehr darüber nachzudenken, schließlich war es eine nett gemeinte Geste und sie hatte ja selbst genug Kleidung dabei. Warum sie Hollys Angebot überhaupt angenommen hatte, war ihr ein Rätsel. Wahrscheinlich, weil Gabriel es auch getan hat! Ja aber er hat auch keine Sachen dabei, er hatte nämlich nicht geplant auf eine Reise zu gehen!! Shana knirschte mit den Zähnen. Dieser Tag konnte einfach nicht schlimmer werden. „Sicher? Du klingst etwas angespannt.“ Anmutig wie eine Fee setzte Holly sich auf die Couchlehne - natürlich in Gabriels unmittelbarer Nähe. Ach nee, was du nicht sagst! „Nein, nein alles gut!“ Im Augenwinkel sah sie Gabriels bohrenden Blick, der ihr verriet wie sehr er ihr diese kleine Notlüge glaubte. Ich bin ein verdammter Vampir, ich weiß immer, wenn du lügst also hör auf mit dem Scheiß! „Es war nur eine anstrengende Fahrt.“

Um ihre Aussage noch zu unterstreichen massierte Shana sich den Nacken. Erleichtert sprang ihre Gastgeberin auf und tappte zum Kühlschrank. „Habt ihr Hunger? Möchtet ihr was essen oder trinken?“ Das magere Frühstück im Zug war mehr als grässlich gewesen, da kam jeder noch so kleine Snack gerade richtig. „Ich nehme eine Cola, wenn du hast.“ Hollys Blick streifte Gabriel, der sich gerade die Haare trocken rubbelte. „Und für dich wie immer?“ Lächelnd nickte er und Shanas Neugier nahm neue maßen an. Was lief zwischen den beiden und warum wusste sie nicht davon?! In dem Moment als Shana schon fast wieder in ihren Grübeleien versunken war, gesellte sich Holly zu ihnen und setzte sich zwischen sie. Genüsslich nippte sie an dem großen Glas gefüllt mit roter Flüssigkeit - mit unverkennbarem Geruch. Sie ist also auch ein Vampir. „Also was führt euch beiden Turteltauben denn in so eine versiffte Stadt wie Tamani?“ Ihr Bein wippte im Takt während sie den Vampir mit einem spitzbübischen Blick musterte. Gute Frage, Gabriel? Beinahe wäre es ihr auch über die Lippen gekommen, doch Hollys bloße Anwesenheit ließ sie verstummen und Gabriels tiefes Lachen tat sein Übriges. „Wir sind alles andere als ein Paar Holly, das müsste doch offensichtlich sein! Und ich besuche euch gerne, wenn ich in der Stadt bin.“ Hollys volle Lippen verzogen sich zu einem verführerischen Lächeln. „So, so. Weil spontane besuche ganz und gar nicht dein Ding sind. Genauso wenig wie in weiblicher Begleitung zu reisen.“ Für einen kurzen Moment schenkte Holly ihr einen eisigen Blick bevor die Wärme zurückkehrte und sich wieder mit Gabriels Anblick beschäftigten. Shana schluckte schwer. Was war bloß mit dieser Frau?! „Also? Spuckst du es aus oder muss ich dir wieder jedes Wort aus der Nase ziehen?“ Ihre langen Fingernägel strichen über das kalte Glas und schlagartig wurde Gabriels Gesicht ernst. „Shana ist eine gute Freundin, die ihre Mutter sucht. Allerdings ohne Plan, Anhaltspunkte oder Verbindungen. Von Unterkünften ganz zu schweigen.“ Neugierig musterte Holly ihre Gegenüber. Shana konnte ihre Feindseligkeit förmlich greifen, zwang sich trotzdem den Blickkontakt aufrecht zu erhalten. Auf keinen Fall wollte sie noch mehr Schwäche zeigen. „Ihr seid also gemeinsam durchgebrannt u...“

„Sind wir nicht!“ Shanas Protest war zwar nicht mehr als ein Flüstern doch es reichte allemal um Hollys Gesichtszüge entgleisen zu lassen. Unbeirrt fixierte sie diese besserwisserische Frau. „Es war nie geplant, dass er mitkommt. Aufdrängen passt weitaus besser als durchbrennen.“ In dem Moment riss Holly ihre Rehkitzaugen auf und schenkte zur Abwechslung mal Gabriel diesen Blick. „Sie wollte alleine gehen und du bist einfach mit?!“ He, ich kann dich hören! Angespannt vergrub Shana ihre Hand in Faolans Fell. Noch eine Belehrungstirade von jemanden der keine Ahnung hatte konnte sie jetzt nun wirklich nicht mehr ertragen. Was das anging hatte Gabriel genug darauf rumgeritten. Achselzuckend stellte er das leere Glas auf den Tisch. Sofort wurde Shanas Blick von den wenigen roten Tropfen gefangen genommen. „Was hätte ich denn machen sollen?! Sie kennt diese Welt nicht, hat keinen blassen Dunst wo sie anfangen soll zu suchen und erzählt auch keinem Schwein davon! Als ich merkte, dass was faul war, wollte ich sie nur von dem Schwachsinn abhalten aber dieser verdammte Sturkopf meint ja blindlings gegen die Wand zu laufen! Wäre ich nicht kurzerhand mitgekommen, läge sie wahrscheinlich schon irgendwo in der Gosse!“ Bitte was?! Höre ich schlecht? Schnaubend richtete Shana sich Kerzengerade auf. „Jetzt reicht aber, wie oft noch! Ich habe vielleicht ein paar Dinge nicht gründlich genug bedacht aber ich habe dich mit keinem Wort gebeten mir sonst wo zu kleben!“ Gabriel schien nicht mal ansatzweise beeindruckt zu sein und winkte ihren bitterbösen Blick mitsamt den spitzen Worten weg. „Lass gut sein Shana, diese Diskussion hatten wir schon ein paar mal. Und jedes Mal musstest du erkennen, dass du einfach unrecht und ich recht hab!“ Sein trotzig funkelnder Blick schien sie zu fixieren doch Shana fühlte wie er schier durch sie hindurchsah. Nicht jetzt! „Sei nicht so hart zu ihr, Gab.“ „Werde ich, wenn die irren Psychos, die ihr auf den Fersen sind endlich Ruhe geben.“ In ihr kochte es. Nicht jetzt, nicht jetzt! „Der Blutbund?“

Genervt atmete der Vampir aus. Aus dem Augenwinkel ließ Shana ihn keine Sekunde unbeobachtet, was ihn entweder nicht zu stören schien oder es ihn schlichtweg nicht interessierte. „Schlimmer.“ In dem Moment wurden Hollys Augen groß und in ihr regte sich die Unruhe. Um bestmöglich ihre Nervosität zu verbergen beschäftigten sich ihre Hände mit der Coladose. „Schlimmer als der Blutbund?! Was um Himmels Willen gibt es denn schlimmeres?“ Plötzlich knallte Gabriel sein leeres Glas auf den Tisch, sodass beide Mädchen zusammenzuckten. „Wo ist eigentlich dein Bruder?“ Nach dem anfänglichen Schock normalisierte sich Hollys Körperhaltung. Anscheinend war sie diese Macke bereits gewohnt, was man von Shana nicht behaupten konnte. „Mason ist was erledigen. Spätestens heute Abend müsste er wieder hier sein.“ Ohne ein Wort stand Gabriel auf, warf sich die noch immer klitschnasse Jacke über und stampfte zur Tür. „Ich werde mich ein wenig umhören.“ Das feuchte Leder quietschte bei jeder seiner Bewegungen. Hastig sprang Shana auf. Auch wenn sie gerade alles andere als zufrieden mit seinem Benehmen war, so war Gabriels Anwesenheit ihr tausendmal lieber als mit Mrs. Perfekt allein zu bleiben. „Ich komm mit, warte ich…“

Fuchsteufelswild fuhr er herum sein gleißender Blick ließ Shana stoppen. „Teufel nein!“ Wenn man genauer hinsah mischte sich leichtes Rot in seine hellen Pupillen, ein deutliches Zeichen seiner Wut. „Ich geh allein. Sei ausnahmsweise mal brav und bleib bei Holly.“ Reizte er ohne sie auch nur anzuschauen. „Pass drauf auf, dass sie dir nicht stiften geht.“ Sowohl seine Stimme als auch seine Körperhaltung duldeten keinen Wiederspruch. Holly nickte zustimmend und schon war er weg. Shana saß da wie vom Blitz getroffen. Wut, Frustration und der ganze Stress der letzten Wochen prasselten auf sie ein. Sie wusste einfach nicht was sie tun geschweige denn denken sollte. Hat er vielleicht doch nicht gelogen und ist wegen Mason hier? Aber warum habe ich dann so ein seltsames Gefühl, wenn ich die zwei sehe? Fragen über Fragen türmten sich in ihrem Kopf. Plötzlich zerschnitt Hollys Stimme die Stille, wobei ihre Sirenenstimme nun mehr wie das Grollen eines Drachens klang. „Da er jetzt endlich weg ist, gibt es etwas zu klären: Woher kennt ihr euch? Und was seid ihr?“ Einen kurzen Augenblick lang war Shana sich nicht sicher, ob die junge Frau vor ihr die gleiche war wie noch Sekunden zuvor. Hollys sanften Züge waren nun steinhart, ihre betörend schönen Lippen waren nur noch eine dünne Linie. Und selbst ihre perfekt lackierten Fingernägel hatten sich zu rasiermesserscharfen Krallen entwickelt. „Wie bitte?“ Auch ihr Lachen hatte nichts mehr von dem süßen Mädchen von vorhin. Jetzt stand an ihrer Stelle eine berechnend kühle Frau.

„Du und Gabriel, du Dummerchen. Woher kennt er dich?“ Shana schluckte. „Aus der Schule. Wir sind im gleichen Kurs.“ Schlagartig verwandelte sie sich wieder in das Handzahme Mädchen zurück. „Ich verstehe, als seid ihr nur Klassenkammeraden.“ Aus irgendeinem Grund versetzte ihr das nur einen so heftigen Schlag, dass sie innerlich taumelte. Auch wenn Shana lieber auf Angriff gegangen wäre, zwang sie sich ruhig und gelassen zu klingen. „So ist es. Was ist mit euch?“ Kichernd winkte sie ab, stand auf und holte aus dem Kühlschrank eine Flasche mit rotem Inhalt. „Das ist eine ziemlich lange Geschichte.“ In dem Moment füllte das kühle Blut die Luft mit seinem metallischen Geruch. „Ich schätze ich habe etwas freie Zeit.“ Ohne sie anzuschauen lehnte Holly sich nach hinten und nahm erstmal einen tiefen Schluck. „Unsere Familien kennen sich schon ziemlich lange, wir sind sowas wie Bluthändler für die Reinblüterfamilien. Ab und an zwang mein Vater mich Lieferungen für die Di Lusatis Familie zu übernehmen und wie es dann so läuft lernten ausgerechnet Gabriel und ich uns besser kennen.“ Irgendwas in ihrer Mimik ließ Shana skeptisch werden. Trauer gemischt mit Wut tränkten ihre Züge und für einen kurzen Augenblick tat ihr die junge Frau leid. „Bei belanglosen Gesprächen blieb es aber nicht lange, oder?“

Jetzt schon verfluchte Shana sich für ihre grenzenlose Neugier doch als Holly dann auch noch nickte und leicht zu Lächeln begann wünschte sie sich an Amnesie zu leiden. „Stimmt. Es dauerte nicht lange bis ich mich in ihn verliebt habe. Danach führte eins zum anderen.“ Der Knoten in ihrem Magen schürte ihr alles ab. Shana konnte sich nicht daran erinnern, dass sie sich wegen jemand Fremden jemals so mies gefühlt hatte. Plötzlich kam ihr eine Idee wie sie das unliebsame Thema gekonnt unter den Tisch fallen lassen konnte. „Der Bluthandel ist bestimmt ein lukratives Geschäft unter Vampiren. Clever eigentlich, da muss man sich um den eigenen Vorrat keine Gedanken machen.“ Erschrocken und etwas überrumpelt musterte Holly sie und schlagartig versteifte sich Shanas Körper. „Was hat dir Gabriel von uns erzählt?“ Urplötzlich mischte sich wieder diese gewisse Härte in Hollys Mimik, was Shanas gereizte Nerven überstrapazierte. „Rein gar nichts! Und trotzdem zwang er mich ihm hinterher zu trotten als wäre ich ein Kind! Wenn es nach mir gehen würde, wäre er noch immer in Sodom und verschwendet seine Zeit mit was auch immer!“ Shanas Herz pochte so wild in ihrem Brustkorb, dass es bereits schmerzte. Doch dieser ungeplante Ausbruch hatte ihr auch einiges an Gewicht genommen. Ohne Vorwarnung hellte sich Hollys Gesicht auf. Ihr Lächeln schien so ehrlich, dass es ihr Schuldgefühle für ihren unnötigen Ausbruch aufzwang. „Also, so ist das. Jetzt verstehe ich.“ Sie seufzte leise, setzte das halbvolle Glas ab.

„Gabriel denkt Geheimnisse wären sexy – was sie natürlich auch sind – solange sie allerdings im Rahmen bleiben. Gabriel und ich, wir waren zusammen aber das ist schon ziemlich lange her. Zwischen uns ist einiges vorgefallen sodass es sehr schwer ist zu sagen, ob wir jemals wieder zueinander finden. Meistens besucht er uns nur um Mason zu sehen, wobei ich in dem Fall bloß Anhang bin.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem weichen Lächeln, jedoch erreichte es ihre Augen nicht. „Tut mir leid, dass ich eben so biestig war aber es ist nicht so einfach seine große Liebe mit einer anderen zu sehen.“ Von Schuldgefühlen getrieben stand Shana ohne nachzudenken auf, sodass ihr Knie mit dem massiven Holztisch kollidierte. Verdammter Mist! Keuchend ließ sie sich wieder nach hinten fallen und rieb sie sich die schmerzende Stelle. „Nein so ist das nicht, wir sind kein Paar! Es ist nur… in letzter Zeit ist einiges in meinem Leben passiert. Die Männer aus meinem Umfeld haben mich angelogen, weil sie dachten es wäre zu meinem Schutz. Selbst mein Freund…“ Shana stockte, schluckte den Kloß herunter.

„Mein Exfreund verhielt sich seltsam. Bis vor kurzem war ich ein normaler Mensch mit menschlichen Problemen, menschlichen Freunden und menschlichen Dingen. Jetzt ist alles anders und all diese Veränderungen zu begreifen ist echt hart. Gabriel ist der Einzige, der mich nicht anlügt auch wenn die Wahrheit beschissener ist. Wenn er jetzt auch noch angefangen hätte zu lügen wäre ich wahrscheinlich durchgedreht.“ Shana spürte wie die Stimmung kippte. „Früher dachte ich immer ein Mädchen zu sein ist schon schwer genug aber dazu noch Übernatürlich, Gott manchmal möchte ich mich nur noch erschießen!“ Ohne sich zurück zu halten prustete Holly los und Shana stimmte mit ein. Dankbar darüber, dass die Situation zwischen ihnen nicht mehr so komisch war entspannte sie. „Tut mir echt leid, ich wollte echt nicht unhöflich sein, es ist nur…“ „Etwas zu viel auf einmal.“ Beendete Holly den Satz und Shana nickte mit einem schiefen Grinsen. Anscheinend war ihr Gegenüber doch nicht so unausstehlich wie anfangs gedacht. „Ich nehmʼs dir nicht übel. Ich verstehe deine Situation sogar ziemlich gut. Auch ich war früher mal ein Mensch.“

Ziellos irrte Gabriel durch die Smog verseuchten Straßen. Mit ausgerechnet diesen beiden Frauen in einem für ihn viel zu kleinen Raum zu sein ließ ihn nicht klar denken. Zwei Frauen – eine die ich liebte wie wahnsinnig, die andere die ich wahnsinniger Weise liebe! Holly war so schön wie immer. Gabriel mochte es, wenn sie ihre schwarzen Haare kürzer trug, es betonte ihre weibliche Gestalt und vor allem ihre Rehkitzaugen. Und Shana…

Viel zu große Männerkleidung stand ihr zwar nicht so gut wie ihre eigene aber auch dort betörten ihn ihre natürlichen Reize. Die Tatsache, dass es Masons und nicht seine Sachen waren, ließ Gabriel schäumen und zu gleich fantasieren. Unbewusst dachte er daran, wie Shana nach dem Bettgeflüster auch Damons verschwitzte Kleidung getragen hatte. Eine Welle von Eifersucht stieg in ihm auf, übermannte ihn so sehr, dass er stehen blieb. Quäl dich doch noch weiter! Shana und er, das ist Geschichte also geh ran, dann zieht sie in Zukunft deine Sachen an! Mit dem nächsten Schritt verbannte Gabriel den Gedanken daran doch der bittere Beigeschmack blieb. Das miese Wetter schien genau Gabriels Stimmung wiederzugeben: Grau. Trist. Vernebelt. Tamani war wahrlich keine schöne Stadt, allerdings war sie das perfekte Versteck. In keiner anderen Stadt konnte man so gut untertauchen wie hier. Ungeduldig schaute er auf sein Handy, keine neue Nachricht von Mason. Unzuverlässiger Sack! Lustlos steckte er es wieder in die Tasche und bemerkte erst jetzt, dass er unbewusst auf die Kneipenstraße zusteuerte. „Wenn ich schon einmal da bin.“ Schulterzuckend gab er sich dem Bedürfnis des Vergessens nach und betrat die erstbeste Bar. „Whiskey auf Eis bitte!“ Die in die Jahre gekommene Kellnerin musterte ihn scharf, brachte ihm trotzdem seine Bestellung. Gedankenversunken nippte er an dem brennenden Zeug. Erstmal etwas runterkommen, danach kannst du immer noch zurückgehen.

„Wie kommt es dann, dass du es jetzt nicht mehr bist?“ Wieso sollten Menschen anderen Menschen das Blut stehlen nur um mit Vampiren Bluthandel zu betreiben? Instinktiv wich Holly ihrem Blick aus, griff erneut nach dem Glas und versteckte sich dahinter. „Das ist nicht wichtig.“ Shana zwang sich zur Ruhe. Eben hatte sie schon einen Einblick von dem bekommen, was Holly ebenfalls sein konnte. „Wenn man nicht gewillt ist Dinge ordentlich zu erklären sollte man gar nicht erst damit anfangen.“ Plötzlich wurden Hollys Gesichtszüge hart. „Wenn man nicht gewillt ist zuzuhören, kann der beste Lehrer nichts erklären.“ Zischte sie gepresst, ihre braunen Augen funkelten vor Angriffslust. Wie soll das denn bitte funktionieren? „Du hast damit angefangen, nicht ich. Wenn du von vorne rein nicht gewollt hast, dass ich es weiß hättest du besser den Mund halten sollen.“ Höhnisch lachte die Vampirin auf und donnerte das leere Glas auf den Tisch. „Du willst wissen warum? Pech gehabt! Ich musste Gabriel versprechen nett zu dir zu sein, dich mit offenen Armen zu empfangen, bla, bla, bla! Aber durch deine charmant nervtötende Art hast du es geschafft, dass mir die Hutschnur platzt! Ich wollte nur nett sein, okay?! Nichts von dem was ich sagte und vor allem wie ich es sagte war ernst gemeint! Ehrlich gesagt kann ich dich noch nicht mal ausstehen! Stolzierst durch die Welt und verlangst von allen Verständnis und Unterstützung nur, weil dir ein Furz quer hängt!! Wach auf Shana, die Welt ist keine bunte Blumenwiese, das war sie noch nie!“ Shana erschrak.

Mit so etwas hatte sie beim besten Willen nicht gerechnet. „I-ich…“ In dem Moment verzog sich Hollys schöne Gesicht in eine wutverzerrte Fratze. „Oh hat das süße Prinzesschen was zu sagen?! Spar es dir, ich er trag deine nervige Stimme keinen Augenblick mehr!“ Mit dem letzten Wort stand sie auf, zog sie sich an und marschierte zur Türe. „Wo willst du hin?“ Hollys Worte hatten sie tief verletzt aber das hieß nicht, dass sie schon mundtot war. „Geht dich nichts an, Prinzesschen! Sag den Jungs ich penn bei ’ner Freundin solange du hier bist! Ach, und zieh die verdammten Klamotten von meinem Bruder aus, du beschmutzt sie nur!“ Fauchte sie und knallte mit einem Schlag die Türe ins Schloss. Benommen und noch unschlüssig was sie tun sollte, starrte Shana der verschwundenen Furie hinterher.

Was zur Hölle war denn das? Wie gerufen riss sie ihr Klingelton aus der Starre. Blitzschnell sprang sie auf und griff nach ihrem Smartphone. „H-hallo?“ „Hey Shana wir sind’s! Wie geht es dir, läuft alles nach Plan?“ Jennas aufgeregte Stimme war Balsam für ihre aufgeriebene Seele und sie atmete erleichtert auf. Ihre Freundinnen kamen ihr wie gerufen! „Könnte man so sagen.“ Die kurze Stille machte ihr wieder klar wie weit weg ihre treuen Freundinnen doch waren. „Das klingt aber nicht so. Ist was dazwischengekommen?“ Amys Stimme war viel klarer und nicht so weit weg wie Jennas, was wahrscheinlich am Lautsprecher lag. „Nicht was, sondern eher wer!“ Shana seufzte, setzte sich neben Faolan auf die Couch und begann das große Tier zu streicheln. „Gabriel ist gestern Abend am Bahnsteig aufgetaucht. Als ihr dann nicht da ward wurde er skeptisch.“ „Oh, oh ist er ausgeflippt?!“ Es war keine Frage doch Shana nickte bis ihr klar war, dass weder Jenna noch Amy sie sahen. „So ziemlich. Er wurde richtig wütend, hat rumgetobt und so weiter.“ „Hat er dir wenigstens versprochen dicht zu halten? Bei uns hat noch keiner Verdacht geschöpft, von unserer Seite bist du safe.“ Im Hintergrund hörte sie wie ihre Freundinnen wieder begannen sich über Kleinigkeiten zu streiten. Lächelnd rollte sie mit den Augen. Dass die beiden sich auch nie ändern! „Schön wär’s! Er hat mich kurzerhand begleitet.“ Erstauntes Raunen kam durch den Hörer. „Er begleitet dich, ernsthaft?! Das hätt ich jetzt nicht gedacht!“ Shana lachte auf. Ich auch nicht! „Da haben wir wohl alle was dazu gelernt.“ Seufzte sie und verlagerte ihr Gewicht, damit Faolan seinen Kopf auf ihren Schoß legen konnte. „Wenn’s so ist kann man nichts daran ändern. Wo seid ihr denn jetzt man hört gar keine Zuggeräusche im Hintergrund.“ Shana wurde skeptisch.

Normalerweise analysierten ihre Freundinnen solche Situationen immer zu Tode, bevor es weiter im Text ging. Doch dieses Mal schienen sie äußerst schnell zufrieden gestellt zu sein. „In Tamani.“ Irgendeiner der beiden – Shana vermutete es war Amy – sog scharf die Luft ein. „Wieso seid ihr nicht durchgefahren? Wa-“ Ruckartig hörte Shana wie das Telefon fiel und fragte sich was ihre Freundinnen da bloß anstellten. „Jenna hier. Ist die Stadt echt so dreckig wie alle behaupten? Gibt’s da viele Freaks?“ Im Hintergrund meckerte Amy die Hexe an, wie wichtig Höflichkeit doch wäre. Und wieder einmal wurde es ihr wärmer ums Herz. „Gabriel hat hier Freunde, die uns helfen können. Außerdem fand er es klüger, unsere Spuren etwas zu verwischen. Desto höher sind die Chancen auf Erfolg und so weiter.“ In dem Moment schaute sie sich in der leeren Wohnung um und trotz Faolans Anwesenheit fühlte sie sich verloren. „Aber momentan bin ich mir nicht wirklich sicher, ob ich hier wirklich Hilfe bekomme.“ Wieder raschelte das Telefon. „Wieso denn?“ „Oh mein Gott, ist der Typ heiß?“ Und wieder einmal stritten sie sich. So langsam fragte sie sich ob es eine gute Idee war die beiden alleine wegfahren zu lassen. „Sein angeblicher Kumpel ist in Wahrheit seine Exfreundin, die nebenbei auch noch aussieht wie die Gewinnerin einer Misswahl! Und wirklich gut kommen wir nicht zurecht.“ Wieder erinnerte sie sich an Hollys aufbrausenden Abgang und sie schloss die schmerzenden Augen. „Oh das ist ja sowas von Mies! Ich verstehe warum du eifersüchtig bist aber sie ist bestimmt nicht um sonst seine Ex.“ Anscheinend hatte Jenna den Kampf ums Handy vorerst gewonnen, ihre Stimme war nun die Klarere. „Ich bin nicht eifersüchtig! Ich kann des Mädchens wegen ihrer Art nicht leiden, das ist alles.“ Aus dem Hörer kicherte es. „Deine Gefühle zu verdrängen bringt auf Dauer nichts. Lass dir von ihr nicht die Show stehlen, zeig was du hast!“ Plötzlich polterte es, gefolgt von Jennas Quietscherei.

„Jetzt mach aber mal einen Punkt. Shana? Ich bin’s Amy.“ Ertönte ihre Stimme näher. 1:1! „Hör nicht auf Jenna, sie braucht anscheinend wieder etwas männliche Zuneigung. Wie geht’s denn jetzt weiter?“ Jeden Moment dachte sie, dass ihre Hexenfreundin wieder dazwischen funkte aber es blieb still. „Gute Frage. Gabriel ist unterwegs um was herauszufinden. Außerdem soll Hollys Bruder gute Verbindungen haben, der sich allerdings auch irgendwo in der Stadt rumtreibt. Für mich bedeutet das erstmal abwarten.“ Faolan ließ einen zufriedenen Seufzer los und kuschelte sich noch mehr an sie heran. „Stress dich nicht so. Gabriels Idee war gar nicht schlecht und vielleicht weiß der eine ja etwas mehr. Du solltest die Zeit nutzen und dich etwas ausruhen. Du wirst deine Kräfte bestimmt noch bauchen, teile sie dir lieber etwas ein.“. „Wahrscheinlich hast du recht, danke. Hat bei euch alles geklappt?“ Amys Lachen wirkte so leicht, dass Shana sich wünschte sie hätte sie begleitet und nicht ein griesgrämiger Vampir. „Alles prima, wir sind noch im Zug. Wir werden erst heute Abend ankommen und bis dahin schöpft keiner Verdacht also entspann dich etwas, okay?“ Kein Wort der Welt hätte Shanas Dankbarkeit ausdrücken können. Tränen stiegen ihr in die Augen doch sie blinzelte sie schnell weg. „Danke Amy, das habe ich jetzt wirklich gebraucht.“ Leises Kichern ertönte. „Gern geschehen. Melde dich sobald du was Neues weißt, okay?“ „Mach ich, danke Amy. Passt auch auf euch auf, hört ihr?“ „Logisch, du aber auch.“ Bevor Shana den roten Hörer drückte hallten Jennas sinnfreien Ratschläge hinterher.

Lächelnd schüttelte sie den Kopf und vergrub ihre Stirn in Faolans Fell. Sein Puls ging genauso gleichmäßig wie seine Atmung und Shana konzentrierte sich auf das stetige Trommeln. Der Herzschlag eines anderen hatte eine solch beruhigende Wirkung auf sie, dass ihr fast wieder die Tränen kamen.

Aus heiterem Himmel Gabriel mit einem vollkommen betrunkenen Schönling in die Wohnung und schreckte sowohl Shana als auch den großen Wolf auf. Knurrend lehnte er sich auf, bis er bemerkte, dass Gabriel dabei war. In dem Moment wanderte ihr Blick zu dem jungen Mann, der Gabriel um ein ganzes Stück überragte. Der Typ war schlank, muskulös und sein Teint war deutlich dunkler als Hollys. „Isch sags dir, Alter, die Kleine wollte misch!“ Auf seinen glatten Wangen bildeten sich unglaublich süße Grübchen. „Wenn du einen Meter kleiner wärst, Brüste hättest und dein langes Haar im Wind wehen lässt. Ansonsten hattest du keine Chance.“ Nur kurz hatte Gabriel sie angesehen während er den stark betrunkenen Fremden auf die Couch bugsierte. „Schon zurück?“ Gabriel nickte, lächelte sogar ein wenig und deutete auf seinen Freund. „Ich habe ziemlich schnell gefunden, was ich gesucht habe. Das ist Mason, Hollys Bruder.“ Mit wenigen Schritten war er in der Küche und durchforstete den Kühlschrank um mit etwas non Alkoholischem wiederzukommen. Ich glaube es nicht, anscheinend hat die ganze Familie gute Gene! „Wo ist Holly?“ Shana wurde nervös, wie sollte sie ihm das alles erklären? „Sie ist zu einer Freundin gegangen.“ Schlagartig hielt er inne, musterte sie als wäre sie einfach abgehauen. „Und lässt dich einfach alleine?“ Mit einem Mal waren Gabriels Gesichtszüge wieder angespannt und auch wenn sie wusste das seine Wut dieses Mal nicht ihr galt war es ihr unangenehm. Stumm nickte sie und knibbelte an ihren Fingern. „A-also ich würde dich nicht alleine lassen.“

Seltsam posierend robbte Mason näher an sie heran. Plötzlich hellte sich sein Gesicht schlagartig auf und seine Hand legte sich auf ihre. „Alter Stadtverwalter! Gabriel sagte zwar schon, dass du scharf bist aber er erwählte mit keinem Wort, dass du das Symonin von scharf bist!“ Masons jungenhaftes Grübchen Lächeln mit den weißen Zähnen ließ ihr Herz beschleunigen. Gabriel sagte ich sei scharf? „Das heißt Synonym, du Sack!“ Als wäre er gar nicht da richtete Mason sich ein Stück auf und näherte sich ihr ohne Scheu. „Und in meinen Klamotten siehst du sogar noch heißer aus.“ Shana spürte seinen schnellen Atem an ihrem Ohr und sein sinnliches Gesäusel färbte ihre Wangen rot. Mason roch wie eine explodierte Brauerei und trotzdem machten sie seine Worte nervös. Auf eine ganz besondere Art nervös! „Jetzt ist Schluss, Möchtegern. Hau dich aufs Ohr.“ Gabriel stand wie eine genervte Mutter da und funkelte seinen Freund wütend an. „Ich bin aber noch nicht müde! Viel lieber…“ Sanft nahm er Shanas Hand und führte sie sanft zu seinen Lippen, dabei ließ er den Vampir nicht aus den Augen. Wie gebannt schaue sie mit an wie seine dunklere Haut auf ihre traf. „Viel lieber möchte ich noch etwas mit ihr spielen.“ Keine Sekunde später riss Gabriel seinen Freund von der Couch und drängte ihn in eins der Zimmer. „Geh pennen du Saufkopf! Und solltest du rauskommen ohne vollkommen nüchtern zu sein, werde ich mich persönlich darum kümmern, dass du sehr, sehr lange schläfst!“ Knallend fiel das Schloss in die Türe – schon zum zweiten Mal. Als er keinen weiteren Wiederstad erwartete, ließ Gabriel sich seufzend auf die Couch fallen. „Bitte entschuldige.“

Shana bemerkte wie er sich mehr als einmal mit seinen Händen durch die Haare fuhr. „Mason wird sehr anhänglich, wenn er trinkt. Normalerweise ist er höflich nur… selbst als Vampir verträgt er einfach keinen Alkohol.“ Tief durchatmend nahm er sein Glas und schüttete den Rest Blut hinein. „Vertragen Vampire denn in der Regel Alkohol?“ Mit aller Macht versuchte sie sich nicht anmerken zu lassen wie sehr sein Verhalten sie aus der Bahn gerissen hatte. „Eigentlich besser als Menschen aber Mason ist sozusagen die Ausnahme.“ Betretendes Schweigen machte sich breit. „Ist er der Freund, der uns helfen kann meine Mum zu finden?“ Gabriel nickte, trank etwas. Auch er roch nach Alkohol, wirte aber völlig klar. „Wenn er nüchtern ist, kann er sehr produktiv sein.“ Langsam entspannte Shana sich. Die Tatsache, dass Mason der unbekannte Helfer war und nicht seine zickige Schwester, ließ Shana hoffen. Das Einzige was ich von ihr bekommen würde, wären blöde Sprüche am laufenden Bande. Nein, Holly und sie würden sicherlich keine Freundinnen mehr werden – dafür waren sie zu verschieden.

„Was ist zwischen euch passiert?“ Urplötzlich beobachtete er sie so eindringlich, dass ihr Puls wieder beschleunigte. „Nichts.“ Log sie und er lachte. „Lüge.“ Abwehrend verschränkte sie die Hände vor der Brust und wich seinem Blick aus. „Dann geht es dich eben nichts an.“ Und wieder lachte er – und zwar aus vollem Herzen. „Das glaube ich aber schon. Los raus damit, was ist zwischen euch passiert?“ Jetzt war Shana richtig sauer. Konnte er es nicht einfach dabei belassen, dass sie weg war und Shana wie Dumm und Dümmer hier gewartet hat?! „Die Frage ist eher, was ist zwischen euch passiert!“ Überrascht musterte er sie. „Was?“ „Das heißt wie bitte.“ Aus jedem einzelnen Wort schnitzte sie eine Klinge doch der Vampir schien es noch nicht einmal wahr zu nehmen. „Von mir aus auch das. Was hat sie dir erzählt?“ Gabriel so überrumpelt zu sehen – du das schon zum zweiten Mal innerhalb Stunden – löste etwas Unerklärliches in ihr aus. Vielleicht war es aber auch nur sein Blick, seine nassen Haare, die wieder mal zerzaust und wild aussahen, die ihr Herz zum Rasen brachte. Seine silbernen Augen fixierten sie, Shana spürte seinen Atem ganz deutlich auf ihrer Haut. Verlegen schaute sie weg doch Gabriel zwang sie ihn anzusehen. Sachte wie immer legte er seine Finger unter ihr Kinn und hob es an. „Shana, benutzte Worte.“

Anscheinend hatte er bemerkt wie sie abdriftete und mit einem Mal brach der Damm. „Holly hat mir von euch erzählt, von eurer Zeit. Als ich fragte wieso jetzt nicht mehr, wurde sie sauer, beschimpfte mich und ging.“

Gabriels Augen weiteten sich und sie befürchtete gleich Opfer eines weiteren Wutausbruchs zu werden. Stattdessen war seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern, seine Finger strichen ganz leicht über ihre Haut. „Wieso möchtest du das so sehr wissen?“ Shana fühlte sich wie damals im Schwimmbad. Seine Nähe wühlte sie auf, brachte alles andere zum Erliegen. Es ist ein Teil von dir und deshalb möchte ich es wissen! „Wenn du eine unbekannte Geschichte hörst, dir aber das Ende verwehrt bleibt, bist du dann nicht auch neugierig?“ Gabriel nickte stumm und wandte sich von ihr ab, lehnte sich mit den Ellenbogen auf seinen Knien ab. Sofort fehlte ihr seine Nähe. „Und wenn es eine traurige Geschichte ist?“ Shana musste schmunzeln auch wenn es nicht angebracht war. „Hat nicht jeder so eine?“ Langsam lehnte sie sich ebenfalls nach vorne um hinter seinen Schleier zu sehen. „Du zum Beispiel bist gerade mitten in meiner.“ Seufzend fuhr er sich durchs Haar, drehte sich etwas zu ihr und schaute sie an. In Gabriels Augen schwamm ungeheure Trauer mit. Shana musste sich zwingen ihn nicht in den Arm zu nehmen und zu trösten. „Ihre Familie ist schon seit Generationen Bluthändler meiner Familie, nur Menschen dürfen diesen Job ausüben.“ Es war offensichtlich wie schwer ihm das ganze fiel und was diese Art von Vergangenheit in ihm angerichtet hatte. Ein zartes Lächeln legte sich auf seine Lippen, doch seine Augen blieben grau. „Wir verbrachten fast täglich Zeit miteinander und irgendwann verliebte mich in sie.“

„Und sie in dich.“ Hauchte Shana und er nickte. „Zuerst trafen wir uns heimlich aber mit der Zeit wurden wir unvorsichtiger. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis wir erwischt wurden. Als die Bombe dann geplatzt ist waren meine Eltern dagegen und wollten, dass sich es sofort beende.“ Eine lange Pause entstand. „Ich es hätte tun sollen. Aber das habe ich natürlich nicht. Und erhielt dafür die Quittung.“ Sein Gesicht wurde kreidebleich und es schien als würde er körperliche Schmerzen fühlen. „Sie ließen mich dursten und sperrten mich mit ihr ein. Ich habe sie angefleht Holly da rauszuholen, habe mit dem Kopf im Sand gebettelt wie ein Hund aber keiner kam um uns zu trennen.“ Seine Stimme brach, instinktiv legte sie ihre Hand auf seine und zeigte ihm mit leichtem Druck, dass sie da war. Zärtlich erwiderte er den Druck und atmete tief durch. „Holly drohte zu verdursten also gab ich ihr etwas von meinem Blut was sie mir mit ihrem zurückgab. Und dann verlor ich die Kontrolle.“ Schuldgefühle überfluteten sein Gesicht, ließen ihn leiden. Shana konnte sich nicht vorstellen wie sehr ihn das verletzt haben musste. „Es ist meine Schuld. Ich hätte wissen müssen, dass es für mich kein Entkommen gab. Es war so offensichtlich und trotzdem wollte ich es nicht wahrhaben.“ Er hielt inne und schluckte schwer. „Direkt nach ihrer Verwandlung wurden wir freigelassen aber da hatte sich schon alles verändert. Sie hatte sich verändert. Ich hatte mich verändert. Und unsere Beziehung litt darunter.“ Er atmete tief aus, schloss die Augen und damit die Erinnerungen. Shana war sprachlos. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass hinter dieser harten Schale eine so tragische und schmerzhafte Geschichte steckte. Sie bezweifelte nicht im Geringsten, dass das der Grund seiner verschlossenen Art war. Ein betretenes Schweigen setzte ein. „Was ist aus Mason und ihren Eltern geworden?“ Eigentlich schämte sie sich den verletzten Gabriel so auszufragen aber diese offene Stille war weitaus schlimmer zu ertragen. „Als ihre Eltern davon erfuhren schlossen sie Holly aus. Mason wollte nicht, dass seine Schwester alleine dieses Schicksal erleiden musste. Deswegen bat er mit darum ihn auch zu verwandeln. Von dem Zeitpunkt an waren beide für ihre Eltern gestorben.“

Mit einem Mal wurde ihr ganz übel. Erst jetzt verstand sie Hollys seltsame Abneigung ihr gegenüber. Sie hatte einfach nur Angst, dass ich ihr auch noch den Rest ihrer Familie wegnehme. „Was ist denn so schlimm daran, ein Vampir zu sein? Ich meine, wenn sie schon mit Vampiren arbeiten, wieso ist es dann so schlimm sei, einen Vampir als Tochter zu haben?“ Heftig schüttelte er den Kopf und entzog sich ihr. „Du hast da was falsch verstanden, Shana. Bluthändler arbeiten nicht mit Vampiren, sie arbeiten für Vampire. Es ist eine Art Sklaverei, die nur auf eine Art erlischt – und zwar mit dem Tod. Unter solchen Umständen wärst du auch nicht begeistert, deine einzigen Kinder an die zu verlieren, die du abgrundtief hasst.“ „Es ist trotzdem nicht fair.“ In dem Moment lachte er doch der Humor darin fehlte. „Natürlich ist es das nicht aber manche Dinge im Leben sind nun mal nicht fair.“ Mit verschleiertem Blick ließ er seine Hände in den Schoß fallen. So langsam befürchtete sie, dass es nicht die einzige traurige Gesichte in seinem Leben war. „Bitte lass uns das Thema wechseln.“ Shanas Herz schlug schneller. Worüber sollte sie mit ihm reden? „Über was möchtest du denn reden?“ Achselzuckend wanderte sein Blick nach draußen. Noch immer regnete es wie aus Eimern und verhagelte ihnen weiterhin die Stimmung. Plötzlich knurrte ihr Magen so laut, dass selbst Mason es gehört haben musste. Irritiert von dem Geräusch schaute Faolan sich um und Shana wünschte sich im Erdboden zu versinken. „Ich schätze was zu essen wäre angebracht, was?“ Doch als Gabriel in schallendes Gelächter ausbrach war es ihr egal, dass er über sie lachte. War auch egal wo sie grad waren und wie Hoffnungslos sie sich im Grunde fühlte. In dem Moment war ihr nur wichtig, dass er lachte. Und zwar aus vollem Herzen.

Flügelschlag des Phönix

Подняться наверх