Читать книгу Lauras Wunschkind - Cécile Tourin - Страница 6
Die Fachklinik am Elbeufer
Оглавлениеbefand sich in einem alten, rot verklinkerten denkmalgeschützten Lager- und Handelshaus aus dem 19. Jahrhundert mit herrlichem Blick auf die Elbe. Ein eher unscheinbares, hölzernes Schild wies auf die Privatklinik hin und die beiden waren sehr gespannt, was sie hinter den alten Mauern erwarten würde. Sie meldeten sich über die Sprechanlage an und es öffnete sich wie von selbst eine schwere Eichentür. In dem unerwartet hellen, hohen Raum dahinter befand sich ein modern geschwungener Tresen ganz aus mintfarbigen Glas. Von dort kam eine außergewöhnlich hübsche, dunkelhaarige junge Frau in einem weißen Hosenanzug lächelnd auf die Besucher zu. Während sie Laura ihre Hand entgegenstreckte sagte sie: „Hallo Frau Petri, guten Tag, ich freue mich, sie kennenzulernen, ich bin Kirsten Maiwald, wir hatten gestern miteinander telefoniert.“ Nachdem sie auch Martin begrüßt hatte, führte sie das Paar zu einem geräumigen Aufzug. „In der 2. Etage befinden sich die Praxisräume, Frau Dr. Teske erwartet sie dort.“ Leise summend setzte sich der Lift in Bewegung und am Ziel öffnete sich geräuschlos die Tür.
Eine weitere junge Frau, auch sie war dunkelhaarig und ganz in weiß gekleidet, erhob sich von einem Computerarbeitsplatz. „Guten Tag, Herr und Frau Petri, herzlich willkommen bei uns! Bitte kommen sie mit mir, Frau Dr. Teske wird sich gleich um sie kümmern.“ Sie führte die beiden in ein helles Zimmer mit drei bequemen Ledersesseln, die um einen runden Glastisch gruppiert waren. „Haben sie einen Wunsch, darf ich ihnen vielleicht etwas zu trinken bringen?“ Martin bestellte sich ein Mineralwasser und Laura wollte nichts. Als die Dunkelhaarige das Getränk gebracht hatte, stand Martin mit dem Glas in der Hand auf und ging zu der bodentiefen Fensterfront. „Super Aussicht hier, man schaut direkt auf den Schiffsverkehr, toll. Die haben scheinbar dieses ganze Gebäude entkernt und innen neu aufgebaut, eine Megaarbeit muss das gewesen sein!“
Es war Punkt vier Uhr, als es anklopfte, sich gleich darauf die Tür öffnete und eine schlanke, sehr sportlich wirkende Frau eintrat. Ihre zurückgekämmten, blonden Haare wurden in einem kurzen Pferdeschwanz zusammengehalten. „Guten Tag, Herr und Frau Petri, ich bin Cora Teske, ich freue mich, sie kennenzulernen.“ Sie gab beiden die Hand und bedeutete ihnen, dass sie sich wieder setzen sollen. „Lassen sie uns doch einmal gemeinsam darüber sprechen, weshalb sie hier sind, erzählen sie einfach mal so drauf los, was sie in Bezug ihres Kinderwunsches so bewegt. Wenn einer von ihnen allerdings das Bedürfnis haben sollte, mit mir allein zu reden, sagen sie es bitte. Ich weiß aus Erfahrung, dass manche Paare sich scheuen, spezielle Einzelheiten in der Gegenwart ihres Partners preiszugeben und dabei kommt es gar nicht darauf an, wie lange sich ein Paar schon kennt oder verheiratet ist. Für eine erfolgreiche Arbeit meinerseits ist es aber außerordentlich wichtig, dass wir alle einen vertrauensvollen Umgang miteinander pflegen, geht das für sie in Ordnung?“
Laura warf einen ermunternden Blick auf Martin, dementsprechend schaute auch die Ärztin aufmerksam auf ihn, aber mit einer kurzen Handbewegung spielte er den Ball zurück und bedeutete seiner Frau damit, dass sie anfangen solle zu erzählen. Zögernd begann Laura zu berichten, dass sie seit etwa einem Jahr immer stärker daran denken musste, wie schön es wäre, ein Kind zu haben. „War das ein Gefühl, das bei ihnen so mir nichts dir nichts von innen herauskam oder verstärkte es sich durch äußere Einflüsse?“ Laura überlegte kurz bevor sie sagte: „Eigentlich war es beides, heute kann ich jedoch gar nicht mehr genau sagen, was zuerst da war, der Wunsch oder das Beispiel von meinen Freundinnen, die alle nach und nach schwanger wurden, keine Ahnung.“
„Zu Beginn ihrer Ehe, war der Kinderwunsch damals von Anfang an schon bei ihnen im Hinterkopf?“ „Wir sind jetzt fast fünf Jahre verheiratet, also ich glaube, vor unserer Ehe und in den ersten zwei, drei Jahren war er noch nicht so ausgeprägt.“ „Und wie war das bei ihnen, Herr Petri?“ „Damals war es auch meiner Meinung nach nicht so, wir haben beide viel gearbeitet, jeder für sich hat eine kleine Karriere gemacht und eigentlich kaum an Nachwuchs gedacht.“ „Und heute, wie ist das bei ihnen selbst so, was hat sich im Laufe der Zeit geändert?“ Frau Teske blickte Martin interessiert an. „Ich verrate jetzt meiner Frau kein Geheimnis, wenn ich sage, dass mein Glück nicht unbedingt von einem Kind abhängt.“ Laura blickte ernst auf den Boden als ihr Mann das sagte. „Gut, dann ist es vermutlich so, dass sie, liebe Frau Petri, die Offensive ergriffen hatten, nicht mehr zu verhüten und es darauf ankommen ließen, schwanger zu werden, war das so?“ Laura stimmte zu: „Ja, aber mit dem Einverständnis von Martin.“ „Okay – das alleine blieb aber ohne den erhofften Erfolg und sie beide möchten nun herausfinden warum.“ Sie nickten.
Die Ärztin lächelte beide offen an und sagte: „Und das werden wir, machen sie sich keine Sorgen. Gestern am Telefon hatte ich ihnen, Laura, bereits kurz beschrieben, wie wir heute vorgehen werden, haben sie dazu noch Fragen?“ Laura schüttelte den Kopf, während ihr Herz begann, heftiger zu schlagen. „Bei ihnen, Martin, ist es so, dass wir zunächst nur ihre Samenflüssigkeit untersuchen werden. Was glauben sie, kommen wir auf dem normalen Weg zu einer Probe? Das würde ihnen nämlich ersparen, dass wir uns mit einer etwas unangenehmen Punktion direkt aus ihren Hoden bedienen müssten.“ Martin wurde rot. „Auf normalem Wege heißt also durch Masturbation, oder?“ „Ja genau, aber nur wenn sie kein Problem damit haben. Ich weiß, dass es für manche Männer unmöglich ist, es hier in der Praxis zu tun, aber je frischer das Sekret ist, desto genauer sind unsere Untersuchungsergebnisse.“ „Wird schon gehen“, murmelte Martin mit gesenktem Kopf. „Gut dann lassen sie uns beginnen. Laura, sie kommen bitte mit mir; Martin, sie werden gleich von meiner Assistentin Julia abgeholt.“
Die beiden Frauen verschwanden in einen Nebenraum und kurz darauf öffnete sich die Eingangstür und die junge Frau, die sie vorhin hier hineingeführt hatte, bat Martin ihr zu folgen. Er war immer noch ziemlich rot im Gesicht, als die Assistentin ihn in ein kleines Zimmer führte, das sehr dezent beleuchtet war. „Bitte entspannen sie sich und nehmen sie sich alle Zeit, die sie brauchen, die Untersuchungen bei ihrer Frau werden ja auch etwas dauern. Bevor sie beginnen, ziehen sie sich bitte dieses Paar Latexhandschuhe an. Falls sie eine Anregung brauchen sollten, was in dieser Umgebung nur allzu verständlich wäre, drücken sie auf dieser Fernbedienung eine der Tasten von 1 bis 9, dann erscheinen da vorn auf dem Bildschirm Fotos oder kurze Filme. Wir haben wirklich für jeden Geschmack etwas dabei.“ Julia’s schelmisches Lächeln begleitete ihre Erklärungen und die Übergabe eines kleinen weißen Kunststoffbechers an ihren Patienten. „Stellen sie den danach einfach dort drüben in die Durchreiche. Haben sie noch Fragen oder kommen sie zurecht? Ich könnte ihnen auch Kaffee oder eine Cola bringen.“ „Nein, nein es ist alles gut so, vielen Dank.“
Als die Assistentin gegangen war, kam Martin sich auf einmal ziemlich blöd vor. Wie ein pubertierender Schuljunge, der sich heimlich einen runterholte. Nur war es jetzt noch schlimmer, denn hier in dieser Praxis wussten alle, was er gleich machen würde. ‚Aber egal‘, sagte er zu sich, ‚da musst du jetzt durch, Alter, außerdem ist das für die hier sowieso nur Routine.‘ Und dann schloss er seine Augen, um sich zu entspannen und sah urplötzlich, ohne dass er etwa bewusst an sie gedacht hätte, Kim vor sich, genauso wie sie damals ausgesehen hatte, als die beiden noch ein Paar waren. Die Leidenschaft dieser Zeit war ihm plötzlich wieder gegenwärtig und sehr hilfreich dabei, hier in diesem fremden sterilen Raum seine Aufgabe zu erfüllen.
„Oh, da sind sie ja schon, ist alles in Ordnung?“, das süße Lächeln der jungen dunkelhaarigen Schönheit machte ihn ein weiteres Mal verlegen. „Jetzt benötige ich nur noch etwas Blut von ihnen und dann sind sie schon erlöst. Kommen sie bitte einmal mit mir in das Labor hier nebenan.“ Er nickte kurz und folgte Julia. Nach der Blutentnahme ging er zurück in den ersten Warteraum, wo jetzt leise eine angenehme Instrumentalmusik spielte.
Unterdessen wurde Laura von der Ärztin in einem kleinen gemütlichen Büro zu weiteren Einzelheiten befragt. „Zu meinem eigenen Verstehen und um sie besser kennenzulernen, möchte ich ihnen gern noch einige Fragen stellen, ist das okay für Sie?“ Laura nickte und sah Frau Teske gespannt an. „Wenn sie sich eine Skala von 1 bis 10 vorstellen, wo würden sie den Wunsch nach einem Kind in etwa ansiedeln? Eins bedeutet eine niedrige und zehn eine hohe Priorität.“ „Ich würde sagen bei 8.“ „Nehmen wir einmal an, ihr Mann wäre biologisch nicht in der Lage ein Kind zu zeugen, wie groß wäre ihre Bereitschaft eine Fremdspende in Betracht zu ziehen?“ Laura war überrascht, denn über diese Frage hatte sie noch gar nicht nachgedacht. „Tja, schwer zu sagen, ich denke etwa bei 5, ja – so in der Mitte schwankend.“ „Nehmen wir den umgekehrten Fall an: Ihr Körper könnte keine befruchtungsfähigen Eizellen erzeugen, beziehungsweise sie wären nicht in der Lage einen Embryo auszutragen, wie hoch wäre ihre Bereitschaft über eine Leihmutterschaft nachzudenken?“ Laura schüttelte ihren Kopf und rief: „Aber das ist doch gar nicht erlaubt!“
„Sie haben Recht, in Deutschland ist es gemäß Embryonenschutzgesetz nicht gestattet, ein befruchtetes Ei von einer fremden Frau austragen zu lassen und gleichzeitig Rechte an einem so geborenen Kind zu erwerben. Von anderen juristischen Folgen einmal ganz abgesehen. Bei unseren Nachbarn in Belgien und Holland jedoch und in vielen anderen Ländern ist die sogenannte Fremdreproduktion allerdings erlaubt. Was meinen sie, käme das eventuell auch für sie in Betracht?“ Laura schien von der Frage leicht überfordert zu sein, denn sichtlich nervös überlegte sie eine ganze Weile, bevor ihre zögernde Antwort kam: „Also ich weiß nicht, es müsste schon etwas von mir oder Martin dabei sein denke ich, ansonsten würde ich es wahrscheinlich ablehnen.“ „Nun, Frau Petri, das ist bis jetzt ja nur reine Theorie. Ihre Antworten sollen mir auch nur helfen, ein klareres Bild von ihnen und ihren Wünschen zu bekommen. Wenn sie bereit sind, würde ich nun gerne mit der Untersuchung beginnen.“
Die Ärztin ging voran in ein sehr modern eingerichtetes Behandlungszimmer, das mit speziellen technischen Geräten ausgestattet war, die Laura bei ihrem Gynäkologen noch nie gesehen hatte. Frau Teske erklärte ihr, wie sie nun vorgehen werde. „Dieses Instrument hier trägt an seiner Spitze eine Kamera, damit werde ich ihre Gebärmutter und die Eileiter untersuchen und mir somit einen genauen Einblick von den Gegebenheiten in ihrem Inneren verschaffen. Gleichzeitig entnehme ich einige Proben und abschließend wird das andere Gerät dort drüben in einem Bogen einmal ganz langsam um ihren Oberkörper herumkreisen und Bildmaterial von der Lage aller Organe in ihrer Bauchhöhle erzeugen. Nach einer Blutabnahme durch meine Mitarbeiterin wären sie dann für heute fertig. Sobald die Auswertung der Ergebnisse vorliegt, also spätestens übermorgen, werden sie von mir umfassend informiert.“
„Aber übermorgen ist Sonntag!“ „Ich weiß, ich weiß, meine Liebe, aber wir arbeiten hier meist an sieben Tagen in der Woche, wenn nicht gerade Ostern, Pfingsten oder Weihnachten ist.“ Die Ärztin lächelte stolz. „Ich denke, die Schnelligkeit, die wir dadurch zu leisten in der Lage sind, kommt unserer Klientel sehr entgegen.“ Die kühle Freundlichkeit von Frau Teske, die auf eine ganz sonderbare Art gleichzeitig Kompetenz und Vertrauen ausstrahlte, ließen Laura ganz ruhig werden und sie gab sich allen Untersuchungen in einer überraschenden Gelassenheit hin.
Gut gestimmt öffnete Laura danach die Tür zum Wartezimmer und winkte Martin fröhlich heraus. „So, fertig, bei dir auch alles okay?“ „Ja, alles gut soweit.“ „Na dann komm, wir erhalten schon übermorgen Bescheid, ist das nicht toll?“ Martin nickte und dann verabschiedeten sich beide von den freundlichen Assistentinnen und verließen das Haus. „Wollen wir gleich hier in Altona etwas essen oder lieber heimfahren?“ „Ach weißt du Laura, ich glaube wir machen es uns zu Hause gemütlich, wir haben doch alles da und den Wein, den ich gerne trinke, bekomme ich hier doch sowieso nicht.“ Seine Frau war einverstanden und so fuhren sie auf direktem Weg zu sich nach Hause.
Bei der Vorbereitung des Abendessens fragte Laura hintergründig: „Na – wie war es so bei dir?“ „Das kannst du dir ja wohl in etwa vorstellen, oder?“ „Eigentlich schon, ich hoffe nur, du brauchtest von der hübschen Dunkelhaarigen keine Hilfestellung, oder?“ Sie drohte ihm lächelnd mit ihrem Zeigefinger. „Also wenn du wissen möchtest, ob sie mir zur Hand gegangen ist, nein – ist sie nicht, mein Schatz.“ Beide mussten lachen, es war zwischen ihnen übrigens eine seit langem bewährte Methode, peinliches einfach wegzulachen. „Aber erzähl du doch mal.“ Martin blickte Laura gespannt an.
Sie erzählte ihm von den weitergehenden Fragen der Ärztin und dem Verlauf der Untersuchungen. „War das irgendwie unangenehm?“ „Nein, überhaupt nicht, ich war auch gar nicht mehr aufgeregt. Die Frau Teske hat eine irgendwie beruhigende Art – obwohl – ich weiß nicht, ob ich mit ihr so richtig warm werden könnte? Bei aller Kompetenz und Empathie, die sie einen fühlen lässt, geht irgendwie ein gewisses Distanzbedürfnis von ihr aus, aber so richtig kann ich es gar nicht erklären.“ „Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie sich auch von mir verabschieden würde, nachdem wir fertig waren, aber da hat sie sich ja nicht mehr blicken lassen.“ „Ach Martin, das ist doch nicht so wichtig, wahrscheinlich hat sie gleich mit den Laboruntersuchungen und der Auswertung der Aufnahmen begonnen.“
„Ziemlich aufregend finde ich, dass wir schon am Sonntag über alles Bescheid wissen sollen. Ich bin mir noch gar nicht darüber im Klaren, wie wir dann damit umgehen werden.“ „Laura, wir haben zunächst einmal abzuwarten, was sie überhaupt sagen wird und dann sehen wir weiter.“ „Ich wundere mich nur, dass sie heute schon nach meiner Meinung über eine Leihmutterschaft gefragt hatte, obwohl es in Deutschland für Ärzte unter Strafe gestellt ist, dabei mitzuwirken oder sogar zu vermitteln.“ Martin wurde plötzlich warm, denn an der Art, wie informiert sie darüber sprach merkte er, dass selbst dieses Thema für Laura kein Tabu mehr war. „Sie wollte damit bestimmt nur andeuten, dass es immer Wege gibt, unfreiwillig kinderlosen Paaren zu helfen. Ob das auch für uns in Betracht kommt, werden wir beizeiten gründlich überlegen, wenn es tatsächlich der einzige Ausweg sein sollte.“