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Luke

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Luke fand es passend, dass es an dem Tag regnete, an dem er aus dem Gefängnis kam. Er wusste sowieso nicht, wohin, die Welt war grau, kalt und leer und nicht einmal der liebe Gott hieß ihn mit Sonne und blauem Himmel willkommen in der Freiheit.

Viereinhalb Jahre hatte er abgesessen und er war sich sicher, dass er schon bald wieder einsitzen würde. Wo sollte er hin? Wer wollte ihn? Wer würde ihn einstellen?

Wie als Antwort auf seine düsteren Gedanken schoss ein kleiner schwarzer Sportwagen um die Ecke, hielt direkt vor ihm an, und eine dunkelhaarige Frau sprang heraus. Sie nahm ein Klemmbrett vom Beifahrersitz und Luke konnte ihren Knackpo in der engen schwarzen Hose bewundern, denn sie musste sich ziemlich tief bücken.

Wie auf Kommando hörte es auf zu regnen.

Sie kam mit wiegenden Hüften auf ihn zu. Sie trug eine Carmen Bluse, ebenfalls schwarz, die ihre Schultern freiließ und eine von diesen großen Designersonnenbrillen, die das halbe Gesicht verdeckten. Die hatte Luke schon in den Achtzigern sauhässlich gefunden, und jetzt war dieser Müll dank It-Girls wie Paris Hilton wieder modern.

Das Alter der Frau war schwer zu schätzen, aber er ordnete sie bei etwa dreißig ein, also seinem Alter, siebenundzwanzig, nicht allzu fern.

„Luke Malik?“, fragte sie nach einem prüfenden Blick auf ihr Klemmbrett mit einem Lächeln, dass durch die große Brille nur wenig herzlich wirkte.

„Ja. Wer sind Sie?“

„Sie können mich Samira nennen. Der Verein schickt mich.“

„Verein? Welcher Verein?“

„Der Verein zur Wiedereingliederung Krimineller in unsere Gesellschaft. VWKG. Haben Sie den Brief nicht bekommen?“ Sie runzelte die Stirn. Jedenfalls glaubte er das, da die Brille etwas verrutschte.

„Brief? Nein. Und wiedereingliedern … wer will schon einen Ex-Sträfling?“

„Ach, genau deswegen gibt es uns. Wir glauben, dass jeder noch eine Chance verdient.“

„Hm. Wie schön.“ Er schob seinen Rucksack mit den wenigen Habseligkeiten auf die andere Schulter.

„Unser Verein geht die Sache ganz anders an als … na, als unsere Gesellschaft eben. Wir glauben, dass in jedem Menschen ein guter Kern steckt. Und dass man den am besten mit Güte und Verständnis herauskitzelt, nicht mit Härte, Strafe und Ausgrenzung.“

Luke fuhr angewidert zurück. „Sie sind von so `nem Kirchenverein, oder?“

Er blinzelte irritiert, als sie den Kopf zurückwarf und schallend lachte. Ihr langes Haar hing ihr bis beinahe auf den Hintern, und nicht zum ersten Mal durchfuhr ihn Begehren. Er hatte immerhin seit mehr als vier Jahren keine Frau mehr gesehen, und die hier tauchte in hautengen Klamotten auf, zeigte viel Haut und nun wollte sie ihn zu einem Bibeljünger machen!

„Oh nein, Luke, wirklich nicht“, sagte sie jetzt und wischte sich die Lachtränen ab, wobei sie die Brille etwas anhob und er einen Blick auf dunkelgrüne Augen erhaschen konnte. „Aber wollen wir das nicht beim Essen besprechen?“

„Ich Ihrem … Vereinshaus?“

„Nein, bei mir. Wir nehmen die ehemaligen Strafgefangenen in unseren Häusern auf, lassen sie am normalen Leben teilhaben … das ist alles ganz legal und wird staatlich gefördert. Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie den Brief mit der Broschüre nicht bekommen haben! Aber das passiert öfter. Die Wärter möchten nicht, dass ihr Jungs diese Chance bekommt. Deswegen haben Sie wahrscheinlich auch noch nie davon gehört.“

„Das würde ich denen ohne Weiteres zutrauen!“

„Dann steigen Sie ein! Es fängt sowieso gleich wieder an, zu regnen. Sie wollen doch nicht, dass wir hier im Regen stehen und nass werden, oder?“

„Ich würde mir nie verzeihen, wenn Sie meinetwegen nass werden würden“, grinste Luke, denn seiner Meinung nach war diese Samira schon nass, wenn auch eher untenrum. So eine war das also. Hatte Geld, war wahrscheinlich von ihrem reichen Ehemann geschieden, gelangweilt und wollte einen starken Mann im Bett. Deswegen engagierte sie sich für diesen merkwürdigen Verein und nahm Ex-Knackis mit nach Hause. Nun, ihm sollte es recht sein!

„Na, dann kommen Sie, Luke. Steigen Sie ein.“

Luke zögerte plötzlich. Das Lächeln der Frau zeigte zu viele Zähne. Sah eher aus wie ein humorloses Hai-Grinsen, fand er. Ihre Augen hinter der großen Brille waren unergründlich, das Gesicht blass, eine Masse eingefrorener Höflichkeit. Er spürte keine echte Sympathie hinter dem Lächeln. Eher etwas Lauerndes. Der Impuls, einfach wegzulaufen, war stark. Aber wo sollte er hin? Er konnte nur unter die Brücke, wie die anderen Ehemaligen, die man aus der Stadt vertrieben hatte. Denn Sexgangster wollte niemand in seiner Nähe haben. Warum nahm sie dieses Risiko freiwillig auf sich? Wer tat das schon?

Der kleine, elegante Sportwagen sah auf einmal wie ein im Sprung geducktes Raubtier aus.

Sie ist nur eine Frau, sie ist zierlich und schwach und ein saftiger Happen. Du musst sie nicht fürchten. Steig schon ein, du Trottel!

Stimmte wohl. Luke hatte schon vor dem Gefängnis trainiert und eine sportliche Figur gehabt. Im Knast war er zu einem Muskelpaket geworden. Man musste sich behaupten, und langweilig war es auch. Also schlug man die Zeit tot, indem man Gewichte stemmte. Er war fast zwei Meter groß, breit wie ein Kleiderschrank, kahl geschoren und ungeschickt tätowiert, wenn auch auf dem Rücken, wo man es nicht sah. Trotzdem - er sah aus wie der typische Knastbruder. Wenn sie keine Angst vor ihm hatte – er musste ganz sicher keine vor ihr haben!

„Haben Sie schon einmal von Thomas Norris gehört?“, fragte sie, als er den Türgriff berührte.

„Hä? Nee. Kenne ich nicht. War der auch im Knast?“

„Ist nicht so wichtig. Kommen Sie nun mit, oder wollen Sie lieber hier Wurzeln schlagen?“

Er stieg ein.

Im Wagen roch es nach Kräutern, eigentlich recht angenehm, wenn auch ungewöhnlich. Wenn das ein Lufterfrischer war, dann eine ganz neue Marke. Samira glitt anmutig in den Sitz neben ihn und startete den Wagen. Sie gab ordentlich Gas, wendete, und fuhr mit kreischenden Reifen davon. Sie hatte es wohl eilig, flachgelegt zu werden.

Luke wunderte sich. Er hatte erwartet, dass diese Samira in einem Haus am Rand der Stadt oder in einem schicken Apartment in der Innenstadt wohnte, aber sie ließ auch die Vororte hinter sich und preschte raus aufs Land.

„Sie wohnen aber ziemlich abseits.“

„Die Stadt nervt. Ich brauche Ruhe und Abgeschiedenheit.“

„Aha. Und was machen Sie so?“

„Ich schreibe Bücher.“

„Ach so! Habe ich mal eins davon gelesen?“

„Das bezweifele ich offen gesagt sehr.“

„Verstehe.“

„Auch das wage ich zu bezweifeln.“

Luke starrte sie an. Ein hämischer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie rauchte und steuerte lässig den schnellen Wagen. Ihn beachtete sie kaum noch. Sollte sie ihn jetzt nicht nach seiner Zeit im Gefängnis fragen? Nach seiner Therapie? Was machte sie so sicher, dass er kein Messer aus seinem Rucksack zog, sie zwang, anzuhalten, sie vergewaltigte und in kleine Häppchen schnitt? Ihre Ausbildung als Sozialarbeiterin war in so einer Situation keinen Pfifferling wert. Und ihr VWK-was-auch-immer-leck-mich-am- Arsch-Verein konnte ihr dann auch nicht mehr helfen. Komischer Verein. Wahrscheinlich gab es ihn gar nicht. Luke erschrak: was, wenn diese Samira eine Schwester oder Freundin eines seiner Opfer war? Und sich an ihm rächen wollte?

Er sah sie an. Sie hatte ein hübsches Profil, aber ihr Gesicht kam ihm mehr und mehr wie eine Maske vor. Sie lächelte wieder kalt. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin nicht auf Rache aus. Und außerdem, wo wollen Sie denn hin? Bei diesem Wetter?“

Wetter? Luke wollte es gerade fragen, da klatschten die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe.

Wieder musterte er die merkwürdige Frau neben ihm. Langsam wurde sie ihm unheimlich.

„Sind Sie eine Wetterhexe?“, fragte er jetzt grinsend, um die Stimmung etwas aufzulockern. Sie lachte wieder, ein wenig schrill, wie er fand.

„Wer weiß, Luke, vielleicht bin ich das. Hätten Sie dann Angst vor mir?“ Sie drehte den Kopf und sah ihn an. Ihre Zungenspitze glitt verführerisch über die tiefroten Lippen. Luke entspannte sich wieder.

„Vielleicht müssen Sie ja Angst vor mir haben, Samira. Zumindest nachts.“

„Nachts“, echote sie keck, „nachts brauche ich mehr was zum Ankuscheln, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nichts, was mir Angst macht.“

„Wie wär’s damit: Erst mache ich Ihnen Angst, dann können Sie sich ankuscheln.“ Er hob die Hand und fuhr sanft mit dem Zeigefinger über ihren Unterarm. Sie zog ihn nicht weg.

„Klingt gut, Luke, klingt wirklich gut.“

Die Hungrige Hexe

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