Читать книгу Violet Socks - Celine Ziegler - Страница 10
Kapitel 7
ОглавлениеSchon seit geschlagenen drei Minuten halte ich vorsichtig die Gardine vom Wohnzimmer zur Seite, damit ich den perfekten Blick auf die Straße vor unserem Haus habe. Jeden Augenblick könnte Brandon mit seinem Auto kommen, um mich abzuholen. Denn heute ist Freitag und das bedeutet, heute ist endlich unser lang ersehntes Date. Ich habe die ganze Woche kaum noch was gegessen, damit ich bloß keinen Blähbauch habe, wenn wir unterwegs sind. Zwar musste ich dadurch auf ein paar Tortenstücke von Tante Giselas Geburtstag verzichten, aber das war es mit Sicherheit wert. Ich fühle mich dünn und gut. Zumindest so gut, wie es geht, denn ich bin extrem nervös.
„Oh, Gott, er kommt!", kreische ich auf, als ich Brandons weißen Wagen sehe, der vor unserem Gartenzaun hält. Schnell schiebe ich die Gardine wieder vor und renne zum Spiegel im Flur.
Mom kommt hektisch aus der Küche gelaufen. „Okay, hast du alles? Tampons, Puder, Kondome?"
Ich sehe sie mit riesigen Augen an, während ich meinen Dutt noch mal richte. „Mom! Ich sagte doch, dass ich heute noch nach Hause komme!"
Sie ist nicht weniger nervös als ich, so wie immer, wenn es um Kerle geht. Vor allem, wenn es um einen Kerl wie Brandon geht. „Ich will doch nur, dass du auf Nummer sicher gehst, Liebling!"
Es klingelt.
Hektisch atmend sehen wir uns an.
Und plötzlich überkommt mich eine riesige Angst. „Oh, Gott", flüstere ich verzweifelt. „Mom, ich werde das nicht packen! Ich werde mich hundert pro blamieren oder ihm ein Getränk über den Schoß kippen!"
Doch Mom schiebt mich zur Tür. „Nein, wirst du nicht. Du wirst einen tollen Abend mit diesem Jungen haben und ihr werdet Spaß haben."
Noch bevor ich die Tür öffnen kann, drehe ich mich zu ihr und umarme sie schnell. „Ich hab dich lieb, Mom."
Sie lächelt. „Ich hab dich auch lieb, mein Schatz. Du siehst toll aus und deswegen schnappst du dir jetzt diesen Hengst."
Ich werde wieder rot. „Mom!"
Sie lacht und geht in die Küche. „Viel Spaß!"
Ich öffne mit flatterndem Herzen die Tür und grinse breit, als ich den hübschesten Kerl der Schule sehe, der lässig am Türrahmen angelehnt auf mich wartet und sein coolstes Lächeln auf den Lippen trägt.
„Hi", grüßt Brandon mich mit seiner samtigen Stimme und mir fällt auf, dass seine Haare heute anders gestylt sind. Sie sind etwas nach hinten hinter seine Ohren gewischt und ich liebe es.
Mein Grinsen ist wie festgetackert und ich atme aus, weil ich ständig die Luft anhielt. „Hi."
Er stützt sich von dem Türrahmen ab und hält mir seine Hand hin. „Komm, lass uns gehen."
Überglücklich ergreife ich seine Hand. Brandon ist so verdammt anziehend, es macht mich irre.
„Du siehst übrigens hübsch aus", sagt er beiläufig, als wir Hand in Hand zu seinem Auto laufen.
Ich lächle zu ihm nach oben, weil er ungefähr einen Kopf größer ist als ich. „Danke. Du, äh, auch."
Brandon lacht leise und gleichmäßig heben sich seine Mundwinkel. „Danke, Viv… Violet."
Er öffnet mir wie ein wahrer Gentleman die Tür seines Autos und ich erröte noch mehr, weil ich so aufgeregt bin. Brandon Brown öffnet mir die Tür zu seinem Auto. Das Nichtessen die ganze Woche hat sich definitiv gelohnt.
„Danke", sage ich mit einer für meine Verhältnisse zu hohen Stimme und steige in sein Auto.
Er schmeißt die Tür wieder zu und mir kommt sofort ein ungewöhnlicher Geruch entgegen. Es riecht scharf, ein wenig nach Spirituosen. Ich kann es nicht genau zuordnen, aber ich denke mal, dass ihm hier drin wohl mal ein Getränk umgekippt sein muss. Es riecht nicht nach Kokos wie bei Harry, aber ich denke, bei keinem wahren Kerl riecht es nach Kokos.
Als Brandon die Tür zu Fahrerseite öffnet, wird mir klar, dass ich schon wieder Brandon mit Harry verglichen habe. Verdammt soll Harry sein. Ich will mich nur auf Brandon konzentrieren, nicht auf ihn und seinen seltsamen Fetisch, alles nach Kokos duften zu lassen.
Brandon fährt los und er schaltet das Radio aus.
„Wieso machst du die Musik aus?", frage ich ihn verwirrt.
Die Lichter der Laternen spiegeln sich in seinem Gesicht während er fährt und ich genieße jede Sekunde, in der ich sein schönes Profil betrachten kann. „Weil ich mich mit dir unterhalten möchte", sagt er. „Und Musik würde unsere Konversation stören."
Innerlich seufze ich schmachtend auf. Hach, Gott, Brandon. Für dich würde ich auch die nächsten zwanzig Jahre nichts essen.
„Dann sollten wir uns wohl unterhalten", sage ich und versuche, lockerer zu sein, denn sonst bin ich auch nicht so schüchtern.
Er schmunzelt. „Du hast recht. Erzähl mir etwas von dir, ich kenne dich ja kaum. Erklär mir doch mal, wieso du Gedichte von Goethe auswendig kannst."
Vor Scham halte ich mir die Hand vor die Augen und lehne den Kopf zurück. Er hat das alles im Englischkurs also doch mitbekommen. „Oh, ähm, ja ... Also ich stand schon immer total auf Epos und Lyrik und so was, weißt du? Literatur, Gedichte schreiben war schon immer voll mein Ding."
Beeindruckt nickt er. „Interessant. Also nehme ich an, dass ich eine wahre Poetin neben mir sitzen habe?"
Ich zucke schüchtern mit den Schultern und knibbel an meinen frisch lackierten Nägeln rum. „Ich weiß nicht. Wenn du es so nennen magst."
„Ich würde es gerne so nennen."
Ich sehe zu ihm. Er ist noch netter, als ich dachte. Er sieht nicht nur gut aus, sondern weiß auch noch, wie man freundlich und zuvorkommend ist. Der Abend verläuft besser, als ich dachte. Gerade wäre ich mit niemand anderem lieber hier als mit ihm.
„Was ist mir dir?", traue ich mich zu fragen. „Was machst du in deiner Freizeit?"
Brandon fährt sich wie ein Vogue-Model durch die blonden Locken. „Ich habe nicht sonderlich viel Freizeit. Mein Vater ist vor ein paar Jahren gegangen und seitdem muss ich oft auf meine kleine Schwester aufpassen, weil meine Mutter viel arbeitet."
„Oh", sage ich und fühle direkt mit ihm. „Ich kenne das. Mein Vater hat uns auch verlassen, als ich acht war und ich muss oft auf meine kleine Schwester aufpassen."
„Dann teilen wir ja sozusagen das gleiche Schicksal. Es ist schön, jemanden zu treffen, der einen versteht."
Ich lächle warm. „Ja, das ist es wirklich. Ich wette, du bist ein ausgezeichneter großer Bruder."
Kurz lächelt er mir zu. „Und ich wette, du bist eine ausgezeichnete große Schwester."
Brandon parkt neben dem Klub, wo ich schon von Weitem meine Freunde sehen kann. Charly, Benja, Oscar, Carla und Hardy stehen schon erwartungsvoll vor dem Eingang zwischen weiteren Leuten. Sie stechen überall heraus. Man sieht ihnen – bis auf Hardy – einfach an, dass sie hier nicht hingehören.
Als ich gerade die Autotür öffnen will, springt Brandon schon nach draußen und öffnet sie mir, bevor ich überhaupt dazu komme. Wieder grinse ich breit und mein Puls geht schneller. Er ist so verdammt zuvorkommend, dass es beinahe unwirklich ist.
„Danke", sage ich wieder zu schüchtern für meine Art und steige aus, passe aber gleichzeitig auf, dass mein Rock nicht zu hoch rutscht. Er ist ebenfalls neu. Zwar ist er in einem Schwarz, doch ich wollte mich nicht seltsam anziehen, wenn ich schon mal mit Brandon unterwegs bin. Er soll denken, ich bin elegant und erwachsen. Dazu trage ich noch meine typischen Kniestrümpfe, ebenfalls in Schwarz und einen hautfarbenen Pullover. Allerdings mussten meine Boots ausreichen, denn hohe Schuhe besitze ich nicht und Charlys Schuhgröße habe ich nicht.
„Liebend gerne", lächelt Brandon und schließt die Autotür hinter mir. Er kommt zu mir und legt seinen Arm um meine Taille, um mich zum Klub zu bringen, was mein Bauch ein wenig zum Prickeln bringt.
Ich wusste gar nicht, dass er schon so in die Offensive geht, und das beim ersten Date. Aber mir soll es recht sein. Ich schmachte ihn seit Ewigkeiten an, besser kann es für mich kaum laufen.
Charly und die anderen entdecken uns auch endlich, als wir zum Eingang laufen, und winken heftig. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, denn sie wirken wie Bauerntrampel im Gegensatz zu den anderen. Aber ich liebe es, denn ich bin einer von ihnen.
„Da sind meine Freunde", sage ich zu Brandon, der wohl genauso wie ich Benja und die anderen entdeckt hat. „Sie wollen mit uns reingehen."
Jedoch hat Brandon einen anderen Plan, denn er zieht mich geradewegs an ihnen vorbei, ohne auch nur einen Blick zu ihnen zu werfen.
Verdutzt sehe ich von ihm zu Charly, die mir einen genauso verwirrten Blick zuwirft. Ich zucke nur mit den Schultern als Zeichen dafür, dass ich eigentlich gerne zu ihnen gekommen wäre, doch es heute nicht anders geht. Sie winkt daraufhin nur lässig ab und wendet sich an die anderen. Sie verstehen mich schon. Die Sache mit Brandon ist mir sehr wichtig.
„Wir werden den Abend mit meinen Freunden verbringen", sagt Brandon, als er einfach so gelassen an dem Türsteher vorbeigeht, denn er hat ja freien Eintritt.
„Oh." Ich bin etwas enttäuscht, allerdings ist es heute in Ordnung. Es stört mich nicht, neue Leute kennenzulernen, solange sie nett zu mir sind.
Brandon sieht zu mir. „Wenn das für dich in Ordnung ist, natürlich."
Ich nicke und versuche mein Widerstreben zu verstecken. „Ja, ist in Ordnung."
Er sieht wieder geradeaus und führt mich dann durch ein paar Leute in einen abgesperrten Bereich, wo ich schon Gesichter sehe, die ich nur ungern um mich habe. Clarissa, die Braue, chillt mit Florence auf einer weißen Couch und trinkt Sekt. Daneben ein paar Kerle, die ich zwar schon oft in der Schule gesehen habe, aber nie gesprochen habe. Sie sind eher die Partie Ethan und Harry, wenn ich mir ansehe, wie sie Florence und Clarissa anschmachten.
Die Musik ist auch nicht mein Geschmack und ich wette, Charly hätte jetzt genau das Gleiche gesagt. Diese Technobässe sind absolut nicht unser Ding und ich wünschte, es würde etwas Ruhigeres oder wenigstens etwas mit mehr Rock laufen. Aber damit muss man sich wohl in einem Klub zufriedengeben.
„Moment mal", sagt Florence, als Brandon und ich uns auf die weiße Couch zu den anderen in den Kreis setzen und er mich nahe an sich heranzieht. Sie zeigt missbilligend auf mich und lacht. „Berry-Loser ist dein Date?"
Brandon verstärkt seinen Griff um meine Hüfte. „Ja, ist sie. Das hat dich nicht zu interessieren, Florence."
„Natürlich hat mich das zu interessieren. Du kannst nicht einfach irgendeine deiner komischen Freundinnen hierherschicken und dann erwarten, dass wir das akzeptieren."
„Sie ist nicht eines meiner komischen Freundinnen. Und es ist mir eigentlich ziemlich egal, ob ihr das akzeptiert oder nicht. Ich sorge für die Getränke und den VIP-Bereich, also hast du es zu akzeptieren, ansonsten kannst du gehen."
Mein Herz springt, als Brandon diese Worte ausspricht. Er beschützt mich vor der Sockentitte. Und das, obwohl sie befreundet sind. Geht es eigentlich noch perfekter? Ich lächle ihn als Dankeschön an.
„Keine Sorge", flüstert er mir ins Ohr. „Ich achte darauf, dass dich niemand dumm anmacht."
„Warte nur darauf, bis Harry und Ethan kommen", blökt Florence wieder und rückt ihren Ausschnitt zurecht, der heute übrigens mal wieder fast nicht vorhanden ist, denn ohne Kleid gibt es auch keinen Ausschnitt. Es ist wirklich nur noch ein Stofffetzen. „Denen wird das auch nicht gefallen – oh, da kommen sie ja schon."
Ich folge Florences und Clarissas Blick nach rechts zu den Treppen, die zum VIP-Bereich führen. Und sofort trifft mein Blick Harrys, der sich gerade seine dunkelbraune Jacke über die Schultern zieht, worauf ein weißes T-Shirt zum Vorschein kommt. Mal wieder trägt er enge Jeans, jedoch heute eine hellere und keine schwarze mit Löchern. Es ist albern, dass ich ihn heute Abend als attraktiv einstufen kann. Aber zum Glück habe ich Brandon neben mir, der mindestens genauso attraktiv ist und noch dazu ein Jackett trägt, wogegen Harrys Street-Look abstinkt.
„Na, Baby", grüßt Florence Harry und zieht ihn, noch bevor er überhaupt die Chance hat, sich zu setzen, neben sich und drückt ihm direkt einen Kuss auf die Lippen.
Ich sehe weg. Das ist ja abartig. Sie muss ja nicht direkt jedem zeigen, dass sie vögeln.
„Heilige Scheiße", sagt nun Ethan, der sich neben Harry setzt, der aufgehört hat, mit Florence rumzumachen. Er scheint mich durch die flackernden Lichter kaum zu erkennen. „Ist das Borrymore?"
Diesmal traue ich mich nicht, gegen Ethan’ Dummheit etwas zu sagen, denn ich befinde mich alleine auf feindlichem Terrain. Außerdem ist Brandon mit Ethan befreundet, weswegen ich erst recht nicht für Stress sorgen sollte, wobei Brandon heute Abend meinen Beschützer spielt und ich es genieße, wenn er sich für mich einsetzt.
Was Brandon auch sofort tut. „Sie heißt Vivien. Also nenn sie auch so!"
Und vorbei ist es mit dem Wunsch, Brandon würde sich für mich einsetzen. Vor Scham schlucke ich und hoffe, dass niemand hier verstanden hat, dass ich nicht Vivien, sondern Violet heiße. Wahrscheinlich kennt mich sowieso niemand aus der Gruppe als Violet, sondern als Berry-Loser oder Borrymore. Deswegen halte ich inne und hoffe, dass sich die Situation von alleine klärt.
Ich sehe zu Harry, denn bei ihm weiß ich, dass er meinen richtigen Namen kennt. Ich bete, er hat es nicht mitbekommen, doch stattdessen sieht er Brandon mit amüsiert erhobener Braue an, während Florence an seinem Arm klebt und seine Schulter küsst. Bitte blamier mich nicht, Harry, bitte.
„Was soll denn der Mist jetzt?", meckert Ethan, was mich insgeheim aufatmen lässt, weil die Konversation weitergeht, ohne dass Harry etwas gesagt hat. „Du hast keinen Ton davon gesagt, dass du die mitbringst!"
„Muss ich auch nicht", spielt Brandon weiter den Beschützer und steht auf. Er hält mir seine Hand hin. „Komm, wir gehen an die Bar. Du könntest einen Drink gebrauchen, oder?"
Wieder geht mir das Herz auf. Zwar trinke ich keinen Alkohol, aber allein schon diese Geste erwärmt meinen Körper und lässt mich den Rest vergessen. Wie benebelt von seiner Schönheit nicke ich und ergreife seine Hand, wodurch er mich auf die Beine zieht.
Brandon dreht sich zu den anderen. „Wir gehen was trinken und stört uns bloß nicht."
Ich liebe es, wie er mich vor seinen Freunden beschützt, und das, obwohl es nur um mich geht.
Wir laufen gemeinsam die Treppen herunter und ungewollt wird mein Blick von Harrys aufgefangen. Er sieht uns hinterher, doch strahlt keine Emotion aus. Für ein paar Sekunden halten wir den Blick, als würden wir ein kurzes Gespräch führen. Ich sehe weg, als er sich zurücklehnt, um Florence in den Arm nehmen zu können. Gespräch beendet.
Heute Abend geht es nur um Brandon und mich und niemand anderen.
Brandon führt mich an der Hand durch die Menschenmenge, bis wir schließlich an der Bar ankommen. Ich fühle mich wohler, wenn ich mit ihm alleine bin, denn wahrscheinlich hätte ich keine weiteren fünf Minuten in der Ecke des Grauens mit Florence, der Braue und Ethan überlebt. Und Harry natürlich.
Brandon und ich setzen uns auf höhere Hocker und ungewollt fällt mein Blick zur Ecke des Grauens. Ich sehe Harry und wie Florence ihm etwas grinsend ins Ohr flüstert, während sie sich an ihn schmiegt. Allerdings sieht er diesmal nicht zu mir. Kaum zu glauben, dass er sich mit ihr abgibt. Früher hätte er so Mädchen wie sie verabscheut.
„Was möchtest du trinken?", holt mich Brandon wieder ins Hier und Jetzt. Er lächelt mich wieder so liebevoll an, was meine Gedanken an Harry fast vergessen lässt. „Wie wäre es mit Sekt? Oder Wodka?"
„Oh, nein, danke. Ich trinke ungern Alkohol. Bei mir reicht eine Cola."
Er nickt verständnisvoll, was mich überrascht. Wahrscheinlich hätte jeder andere Idiot von seinen Freunden mich blöd angeguckt, doch er tut es nicht. Brandon akzeptiert mich, wie ich bin. Und das bringt mich zum Schmunzeln, während er für sich und mich etwas zu trinken bestellt.
Brandon reicht mir meine Cola, während er sich sein Bier krallt. „Ich finde es beeindruckend, dass du keinen Alkohol trinkst. Jedes andere Mädchen hätte sich von mir jetzt den teuersten Cocktail spendieren lassen."
Ich zucke schüchtern grinsend mit der Schulter. „Na ja, du bekommst es doch sowieso umsonst, also macht es keinen Unterschied."
„Stimmt, du hast recht. Es tut mir übrigens leid, dass meine Freunde so ätzend zu dir waren. Normalerweise nehmen sie alle Leute gut auf."
Ich lache auf und drehe das Colaglas in meiner Hand im Kreis. „Du musst dich nicht entschuldigen. Florence und Ethan waren noch nie freundlich zu mir und ich habe es auch nicht erwartet."
„Wieso eigentlich?"
„Aus unerklärlichen Gründen. Es wird immer ein Mysterium bleiben."
„Und Harry?"
Ich runzle die Stirn. „Harry?"
„Ja, was ist mit ihm? Ich weiß, dass ihr euch größtenteils ignoriert, aber wart ihr früher nicht mal unzertrennlich?"
Ich weiß nicht, wieso, aber in diesem Moment sticht etwas für einen Herzschlag in meiner Brust. Wahrscheinlich ist es das Wort „unzertrennlich“. Ich hasse dieses Wort, seitdem Harry und ich getrennte Wege gehen. Unzertrennlich wären wir gewesen, wenn er mir nicht einfach den Rücken zugedreht hätte, um jemand anderes zu sein. Wir waren nie wirklich unzertrennlich, denn im Nachhinein sind wir getrennt. Wegen ... Warum eigentlich? Und vielleicht ist dieses Unwissen der Grund, weshalb ich einen kurzen Schmerz spüre, als ich ein weiteres Mal an Harry denke, der gerade mit Ethan einen Shot runterkippt. Ich weiß nicht mal, wieso wir nicht unzertrennlich waren, und ich weiß auch nicht, wieso er sich so verändert hat. Diese Ungewissheit tut weh, aber es hält nicht lange an, als ich sehe, wie er Florence küsst.
Ich wende mich wieder an Brandon und versuche, Harry auszublenden. „Ich denke, wir haben uns mit der Pubertät einfach verändert. Er ist heute anders als früher und ich bin heute anders. Zumindest ein bisschen. Wahrscheinlich hat er dir schon jede Menge Mist über mich erzählt."
„Wieso sollte er das tun?"
„Weil er mich nicht ausstehen kann."
„Er kann dich nicht leiden, das weiß ich, aber er hat noch nie direkt ein Wort über dich verloren, soweit ich weiß. Zumindest nicht in meiner Gegenwart."
Ich blinzle total überrumpelt von dieser Tatsache. „Er hat nie über mich gesprochen? Kein einziges Wort?" Das kann ich nicht glauben.
„Nein, nie. Ich meine, du warst – bis auf die letzten Tage – nie ein großes Gesprächsthema in unserer Runde, aber trotzdem hat er nie über dich geredet."
Harry hat nie über mich gesprochen? Nicht mal im negativen Sinne? Wenn ich mir vorstelle, wie oft ich mit Benja und Charly gemeinsam über ihn hinter seinem Rücken gelästert habe, könnte ich fast ein schlechtes Gewissen deswegen haben. Er ist auch nicht Gesprächsthema Nummer eins bei uns, aber kam schon öfter zur Sprache, vor allem seitdem er so mit Florence rummacht. Und ich habe ihn in diesen Gesprächen mit Benja und Charly heftig beleidigt. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe das Gefühl, ich sollte mich deswegen schuldig fühlen.
„Aber Florence hat in letzter Zeit öfter über dich gesprochen", redet Brandon weiter. Er lächelt. „Deswegen habe ich dich angesprochen. Ich habe dich das erste Mal richtig wahrgenommen und musste dich sofort nach einer Verabredung fragen."
Ich lächle, obwohl mir dazu gerade nicht zumute ist. „Ich hoffe, du bereust es nicht."
„Absolut nicht. Ich hoffe, du bereust es nicht, den Abend mit mir, anstatt mit deinen Freunden zu verbringen."
Charly und Benja fehlen mir, aber einen Abend muss ich nun mal ohne sie auskommen. Gleich morgen werde ich ihnen alles berichten. Deswegen sage ich: „Ich bereue es auch nicht."
Wir halten für ein paar Sekunden unsere Blicke und ich verliere mich in seinen schönen braunen Augen. Er ist so hübsch, es ist kaum vorzustellen, dass ich wirklich mit ihm hier bin, während ich ihn doch vor ein paar Tagen noch heimlich im Unterricht beobachtet habe. Ich kann nicht verstehen, womit ich diesen Abend mit ihm verdient habe, auch wenn wir nur in einem Klub sitzen und nicht in einem schicken Restaurant.
Brandon unterbricht unsere liebevollen Blicke und stellt sein leeres Bier auf die Theke. „Komm, lass uns tanzen."
Ich mache große Augen und frage mit krächzender Stimme: „Tanzen?" Um Himmels willen, der Abend ist geliefert.
„Ja, tanzen. Wir können doch nicht in einen Klub gehen, ohne mindestens mal kurz getanzt zu haben." Er steht auf und hält mir wieder seine große Hand hin. „Keine Angst, ich passe auf, dass dich niemand anfasst."
Und sofort klopft mein Herz schneller, als ich seine Hand ergreife, denn mir bleibt nichts anderes übrig. Tanzen tue ich normalerweise nur mit Benja und den anderen, weil ich weiß, dass sie genauso schlecht tanzen wie ich, aber ich wette, Brandon ist ein toller Tänzer. Neben ihm würde ich mich nur blamieren. Doch er sagte, er passe auf mich auf. Und nur deswegen lasse ich mich von ihm auf die Tanzfläche ziehen.
Und als würde das Schicksal auf unserer Seite stehen, läuft plötzlich ein langsameres Lied. Es ist nicht sehr langsam, doch im Verhältnis zu den Liedern davor langsam.
„Was ein Zufall", sagt Brandon, als wir inmitten der Tanzfläche zwischen zig Leuten stehen. Er dreht sich zu mir um und zieht mich urplötzlich an seine Brust. „Als hätte es Gott so gewollt."
Ich lache auf schüchterne und seltsame Art auf, als ich total verkrampft vor ihm stehe. Noch nie waren meine Gefühle so überfordert wie gerade. So schnell geht das alles also? Ich komme kaum hinterher.
„Mach dich locker", säuselt Brandon mir zu und legt seine Hände auf meine Hüften, was mich ein wenig beruhigt, doch nicht sonderlich viel. „Heute Abend sollst du Spaß haben."
Ich nicke und schlucke gleichzeitig. Unsicher lege ich meine Hände um seinen Nacken, während wir uns tief in die Augen blicken. Gott, ich bekomme weiche Knie. Mein Körper kann mit dieser Situation kaum umgehen.
Brandons Mundwinkel sind leicht gehoben, als wir uns sanft hin und her bewegen. „Du bist echt hübsch, Vivien", sagt er mit seiner samtigen Stimme. „Ich frage mich, wieso ich das nicht früher gemerkt habe."
Ich presse die Lippen aufeinander. Wieder nennt er mich Vivien. Dieses Vivien und die Tatsache, dass er nicht mal meinen Namen weiß, versaut so viel, obwohl ich das nicht will. Er sollte doch wenigstens meine Identität kennen, oder? Sonst wäre er perfekt.
„Weißt du", traue ich mich deswegen zu sagen, „eigentlich heiße ich ..."
„Violet", mischt sich jedoch eine tiefe Stimme ein und ich stocke.
Brandons und meine Blicke huschen nach rechts, wo Harry mit rot unterlaufenen Augen steht.
Ich runzle die Stirn und Brandon scheint genauso verwirrt über seine Anwesenheit zu sein.
Harrys Haare sind verwuschelter und er kommt – hin und her schwankend – auf uns zu. Er legt Brandon eine Hand auf die Schulter, um sich zu stützen. Jedoch ignoriert er mich vollkommen. „Ethan will, dass du uns zu Clarissa fährst", lallt er Brandon zu. „Und Vi-Vivien darfst du sogar mitnehmen."
Brandon verdreht genervt von Harry die Augen und haut seine Hand von seiner Schulter. „Ich fahre euch nicht. Ich bin gerade beschäftigt, siehst du's nicht?"
Als Brandon auf mich deutet, die noch immer ihre Hände um seinen Nacken hat, sieht Harry zu mir. Sein Blick ist total resigniert, gleichzeitig betrunkener denn je. Aber das wundert mich nicht. Er ist immer betrunken, wenn Wochenende ist.
Harry spricht wieder zu Brandon. „Aber niemand mehr von uns kann fahren."
„Harry, geh", knurrt Brandon und drückt Harry von uns weg und das so unsanft, dass er nach hinten stolpert. „Ich habe schon was getrunken und ihr müsst selbst klarkommen, wenn ihr euch so betrinkt."
Schwankend sieht Harry zu uns und nun kraust er auch seine Stirn. „Ist das dein Ernst? Du willst – wegen ihr?" Abwertend zeigt Harry auf mich.
Brandon schüttelt genervt von Harrys Verhalten den Kopf und dreht uns beide von ihm weg. „Verschwinde endlich. Dann fahrt halt besoffen, wenn ihr unbedingt noch zu Clarissa wollt."
Etwas in mir schreit Alarm. Vielleicht die Tatsache, dass jemand betrunken fahren will, oder vielleicht auch die Tatsache, dass Harry betrunken fahren will. Doch ich versuche, es zu ignorieren.
Weil ich Harry nicht mehr sehen kann, höre ich ihn nur vor sich hin fluchen und dann verschwindet er wieder in der Menge.
„Vergiss ihn", spricht Brandon mir zu, als ich versuche, über seine Schulter Harry hinterherzusehen. „Er ist ein Vollidiot, genauso wie die anderen. Jedes Wochenende ist es der gleiche Mist. Sie betrinken sich und ich darf sie umherkutschieren."
„Aber ihm zu sagen, dass er betrunken fahren soll, ist auch kein guter Ratschlag", weise ich Brandon an und meine es auch so. Auch wenn ich Ethan und Harry nicht mag, würde ich nie der Grund dafür sein wollen, dass sie einen Unfall bauen.
Brandon zieht mich enger an sich heran, was meinen Puls sofort wieder erhöht. Sein süffisantes Lächeln lässt alles um uns herum verschwimmen. „Ich weiß, so war es auch nicht gemeint. Aber ich wollte einfach mit dir alleine sein."
Ich kann mein verknalltes Grinsen nicht unterdrücken, weil ich immer noch nicht glauben kann, dass ich tatsächlich mit ihm hier bin. „Echt?"
„Ja, echt." Er hebt seine große Hand an und streicht mir eine Strähne von meinem Zopf hinter das Ohr, was meine Haut leicht kribbeln lässt. „Und außerdem wollte ich noch das tun."
Ich neige den Kopf ein wenig. „Was?"
Brandon kommt mir langsam ganz nahe und mir wird sofort klar, was gleich passieren wird.
Oh, mein verdammter Gott.
„Das", haucht er auf meine Lippen und küsst mich.
Er küsst mich so unerwartet, dass ich nicht mal richtig weiß, was ich tun soll. Doch trotzdem entfacht ein kleines Feuer in meinem Körper, während er sanft seine Lippen auf meinen bewegt. Der Geschmack von Bier macht sich in meinem Mund breit, doch das interessiert mich nicht.
Brandon aka Sexgott aka Gott der Geilheit aka hübschester Junge der Welt küsst mich! Nur das interessiert mich!
Nach ein paar Momenten, in denen meine Knie leicht schwach werden, lässt er von meinem Mund ab, hält aber noch immer liebevoll meinen Kopf zwischen seinen Händen.
Wir sehen uns in die Augen, auch wenn ich kaum etwas erkenne durch das flackernde Licht und die Dunkelheit.
Brandon lächelt. „Jetzt ist der Abend perfekt."
Und ich lächle, sage mit heiserer Stimme: „Oh ja."
Schöner könnte das Date mit Brandon wirklich nicht laufen. Er macht mir ein Kompliment nach dem anderen, beschützt mich vor seinen Freunden und küsst mich auch noch vor allen anderen, während ich doch eigentlich zu den Losern der Schule gehöre und er zum kompletten Gegenteil. Wir sind so unterschiedlich, aber genau das macht es so interessant.