Читать книгу Die kunstlichen Paradiese - Charles Baudelaire - Страница 4
Teil 1
Das seraphische Theater
ОглавлениеWas empfindet man? Was sieht man? Wunderdinge? Ausserordentliche Schauspiele? Ist es herrlich? Ist es schrecklich? Ist es sehr gefährlich? Mit solchen Fragen treten gewöhnlich die Unwissenden an die Adepten heran.
Es ist oft wie kindliche Wissbegierde, gleich jener von Stubenhockern, die einem Menschen gegenübertreten, der aus fernen unbekannten Ländern zurückkehrt. In ihrer Vorstellung ist der Haschischrausch ein Wunderland, ein grosses Zauber- und Gaukeltheater, in dem alles geheimnisvoll und unvorhergesehen ist. Das ist ein Vorurteil, eine vollkommene Verkennung. Und da für gewöhnlich die Leser und Frager mit dem Wort Haschisch die Gedanken einer seltsamen und auf den Kopf gestellten Welt verbinden, – wunderbare Träume erwarten, – oder besser: Halluzinationen (die im übrigen seltener sind als man glaubt), will ich von vornherein den wichtigen Unterschied festlegen, der die Wirkungen des Haschisch von den Erscheinungen des Schlafes trennt. Im Schlaf, dieser abenteuerlichen, allabendlichen Reise, liegt etwas entschieden Wunderbares; es ist ein Wunder, dessen ständige Wiederkehr das Geheimnisvolle abgestumpft hat. Es gibt zwei Arten menschlicher Träume: die einen enthalten sein gewöhnliches Leben, seine Gedanken, seine Wünsche, seine Laster, vereinigen auf mehr oder weniger bizarre Art die am Tage erblickten Gegenstände, die sich auf der grossen Leinewand seines Gedächtnisses aufdringlich fixierten, – so der natürliche Traum! Der sinnlose, unerwartete Traum, der keine Beziehungen noch Verbindung mit dem Charakter, dem Leben und den Leidenschaften des Schläfers hat,– jener Traum, den ich hieroglyphisch nennen möchte, weist ohne Zweifel auf die übernatürliche Seite des Lebens hin, und just, weil er sinnlos war, hielten ihn die Alten für göttlich. Da er auf natürliche Weise nicht erklärbar ist, haben sie seinen Ursprung ausserhalb des Menschen gesucht; und noch heute gibt es, ohne von den Traumdeutern sprechen zu wollen, eine philosophische Schule, die in solchen Träumen bald einen Vorwurf, bald einen Rat sieht, zusammenfassend: ein symbolisches und moralisches Gemälde, das im Geist des Schlafenden entstand. Es ist ein Wörterbuch, das man studieren muss, eine Sprache, zu der die Weisen den Schlüssel finden können.
Nichts dergleichen im Haschischrausch. Wir werden den natürlichen Traum nicht verlassen. Freilich wird der Rausch während seiner ganzen Dauer, dank der Intensität der Farbe und der Schnelligkeit der Konzeption, nur ein ungeheurer Traum sein; aber er wird immer die dem einzelnen eigentümliche Färbung behalten. Der Mensch wollte träumen, der Traum wird den Menschen regieren; aber dieser Traum wird durchaus der Sohn seines Vaters sein. Der Müssiggänger grübelte darüber nach, wie er künstlich das Übernatürliche in sein Leben und seinen Geist bringen könnte; aber er bleibt nach allem und trotz der zufälligen Energie seiner Empfindungen derselbe gesteigerte Mensch, dieselbe zu sehr hoher Potenz gehobene Zahl. Er ist bezwungen; aber zu seinem Unglück nur durch sich selbst, das heisst durch die in ihm bereits dominierende Eigenschaft: Er wollte zum Engel werden, er wurde ein Tier, das im Augenblick sehr mächtig ist. Wenn immer man eine ausserordentliche Empfindlichkeit, die abzustimmen und auszubeuten man nicht in der Lage ist, Macht nennen kann.
So sollen denn die Weltleute und die Toren, die begierig sind, ausserordentliche Freuden kennenzulernen, sich ganz klar darüber werden, dass sie im Haschisch keinerlei Wunder finden werden, sondern nichts als die gesteigerte Natur. Das Hirn und der Organismus werden auch unter Haschischwirkung nur ihre gewöhnlichen individuellen Phänomene aufweisen, freilich an Zahl und Energie in gesteigerter Form, aber immer doch ihrem Ursprung getreu. Der Mensch kann dem Schicksal seines physischen und moralischen Temperaments nicht entschlüpfen. Der Haschisch wird für die Eindrücke und die dem Menschen eigentümlichen Gedanken zum Vergrösserungsspiegel, aber zu einem Spiegel eben nur. Hier seht ihr die Droge: Ein wenig grünes Konfekt in Grosse einer Nuss, merkwürdig riechend, so dass es einen gewissen Widerwillen und leichte Übelkeit hervorruft, wie es übrigens jeder feine und selbst angenehme Geruch täte, der auf sein Maximum von Kraft und Dichtigkeit sozusagen gebracht würde. Ich möchte nebenbei bemerken, dass diese Behauptung umgedreht werden kann, und dass der widerlichste und abstossendste Geruch vielleicht angenehm würde, wenn er auf sein Minimum von Menge und Verbreitung reduziert würde. – Das also ist das Glück! Es füllt den Fassungsraum eines kleinen Löffels, das Glück mit all seinen Räuschen, all seinen Tollheiten, all seinen Kindischkeiten! Ihr könnt ohne Furcht schlucken; man stirbt nicht daran. Eure physischen Organe bleiben unbetroffen. Später werdet ihr vielleicht weniger Mann sein als ihr es heute seid; aber die Strafe ist so fern und der künftige Zusammenbruch einer Natur so schwer zu bestimmen! Was wagt ihr? Morgen ein wenig nervöse Erregung, und wagt ihr nicht täglich grössere Strafen für kleinere Belohnungen? Also, nun ist es getan: Ihr habt sogar euren Extrakt in einer Tasse schwarzen Kaffees aufgelöst, um seine Verbreitung im Körper zu beschleunigen; ihr habt euch darauf eingerichtet, einen nüchternen Magen zu haben und eure Hauptmahlzeit auf neun oder zehn Uhr abends verschoben, um dem Geist alle Handlungsfreiheit zu lassen; frühestens in einer Stunde werdet ihr eine leichte Suppe löffeln. So seid ihr denn genügend für eine lange und merkwürdige Reise gerüstet. Der Dampfer hat gepfiffen, die Segel sind gehisst, und ihr habt den gewöhnlichen Reisenden das voraus, dass ihr nicht wisst, wohin ihr reist. Ihr habt es gewollt; es lebe das Verhängnis! Ich setze voraus, dass ihr vorsichtig genug wart, den Augenblick für euer Abenteuer gut zu wählen. Jede vollkommene Ausschweifung erfordert vollkommene Ruhe. Ihr wisst, dass der Haschisch nicht nur die Personen, sondern auch die Umstände und die Umgebung steigert; ihr habt keine Pflicht zu erfüllen, die Pünktlichkeit und Genauigkeit erfordert; keinen heimlichen Kummer; keine Liebesschmerzen. Das müsst ihr beachten. Dieser Kummer, diese Unruhe, diese Erinnerung an Pflicht, die euren Willen und eure Aufmerksamkeit zu bestimmter Stunde erfordert, würden wie eine Schiffsglocke durch eure Trunkenheit gellen und euer Vergnügen vergiften. Die Unruhe würde zum Alpdruck, der Kummer zur Pein. Wenn ihr alle diese Vorsichtsmassnahmen getroffen habt, das Wetter schön ist, ihr in einer günstigen Umgebung euch befindet, wie der einer malerischen Landschaft oder einer geschmackvoll eingerichteten Wohnung, wenn ihr überdies ein wenig Musik hören könnt, steht alles zum besten. Im Haschischrausch gibt es gewöhnlich drei unterscheidbare Phasen: Und es ist unterhaltend genug, die ersten Symptome der ersten Phase bei den Neulingen zu beobachten. Ihr habt vage von der wunderbaren Wirkung des Haschisch reden hören. Eure Einbildungskraft hat sich daraus ein wunderbares Bild geformt, wie etwa das einer idealen Trunkenheit: Ihr brennt darauf festzustellen, ob die Wirklichkeit ganz die Höhe eurer Hoffnungen erreichen wird. Das genügt, um euch von Anfang an in einen ängstlichen Zustand zu versetzen, der der erobernden und überschwemmenden Kraft ziemlich günstig ist. Die meisten Neulinge klagen ganz zu Anfang über die Langsamkeit der Wirkung. Sie erwarten sie mit kindlicher Ungeduld. Und wirkt die Droge nicht schnell genug auf sie, halten sie grosse ungläubige Reden, die lustig genug für die alten Eingeweihten sind, welche wissen, wie der Haschisch wirkt. Die ersten Anzeichen des Rausches kommen wie die Vorboten eines lang drohenden Gewitters und steigern sich innerhalb dieser Ungläubigkeit selbst. Zuerst befällt dich eine gewisse lächerliche, unwiderstehliche Heiterkeit. Diese Anfälle grundloser Lustigkeit, deren du dich beinahe schämst, wiederholen sich häufig und unterbrechen die Pausen, in denen du verblüfft versuchst, dich zu sammeln. Die einfachsten Worte, die alltäglichsten Gedanken erhalten ein neues und merkwürdiges Aussehen; du wunderst dich sogar, sie bislang so einfach gefunden zu haben. Ähnlichkeiten und Verwandtschaften unzusammenhängender Dinge, die man unmöglich voraussehen konnte, unaufhörliche Wortspiele, erste Andeutung komischer Dinge entsprudeln in einem fort deinem Hirn. Der Dämon hat dich gepackt, es ist nutzlos, gegen diese Heiterkeit anzukämpfen, die schmerzlich wie ein Kitzel ist. Von Zeit zu Zeit lachst du über dich selbst, deine Albernheit und deine Torheit, – und deine Freunde, wenn anders du welche hast, lachen gleichfalls über deinen Zustand und ihren eigenen. Aber da sie nicht boshaft sind, nimmst du es nicht übel.
Diese Heiterkeit, die bald schmachtend, bald packend ist, diese Unruhe in der Freude, diese Unsicherheit, dies Unbestimmte einer Krankheit dauern gewöhnlich nur kurze Zeit. Bald werden die Gedankenverbindungen so locker, der Faden, der deine Einfalle verbindet, so dünn, dass nur deine Genossen dich verstehen können. Und auch das lässt sich nicht nachweisen. Vielleicht glauben sie nur dich zu verstehen, und die Illusion ist eine gegenseitige! Diese Tollheit, diese Lachsalven erscheinen jedem, der nicht im selben Zustand sich befindet wie du, als wirkliche Verrücktheit, zumindest als Albernheit von Besessenen. Desgleichen erheitern dich die Weisheit, der Verstand und die Regelmässigkeit der Gedanken des vorsichtigen Zeugen, der sich nicht berauscht hat, und unterhalten dich wie eine besondere Art von Wahnsinn. Die Rollen sind vertauscht. Seine Kaltblütigkeit macht dich ironisch bis zum äussersten. Ist nicht für den, der sich nicht in die gleiche Umgebung brachte, die Situation eines Mannes, der sich einer unverständlichen Heiterkeit erfreut, eine merkwürdig komische Situation? Der Verrückte hat Mitleid mit dem Weisen und von diesem Augenblicke an dämmert am Horizont seines Verstandes die Idee seiner Überlegenheit. Bald wird sie wachsen, anschwellen und wie ein Meteor platzen. Ich war Zeuge einer solchen Szene, die sich bis zum äussersten auswuchs und deren Groteskheit nur denen verständlich war, die aus Beobachtung wenigstens die Wirkung des Haschisch und den ungeheuren Unterschied der Schwingungen kennen, die sie zwischen zwei als gleich vorausgesetzten Intellekten hervorbringt. Ein berühmter Musiker, der die Eigenschaften des Haschisch nicht kannte und vielleicht niemals von ihm hatte reden hören, fällt mitten in eine Gesellschaft, in der mehrere Mitglieder ihn genommen hatten. Man versuchte ihm die merkwürdigen Wirkungen zu erklären. Er hört gefällig lächelnd diese Ausführungen mit an wie ein Mann, der während einiger Minuten kein Spielverderber sein will. Sein Missverständnis wird schnell von diesen giftgeschärften Geistern durchschaut und ihr Lachen verletzt ihn. Diese Freudenausbrüche, diese Wortspiele, diese aufgeregten Gesichter, diese ganz ungesunde Atmosphäre irritieren ihn und bringen ihn vielleicht früher als er es wollte, dazu, zu erklären, dieses Theater sei schlecht, und im übrigen müsste die Rolle recht anstrengend für die sein, die sie spielen. Das Komische daran erhellte wie ein Blitz alle Geister. Das Gelächter verdoppelte sich: »Diese Rolle mag Ihnen vielleicht liegen, «sagte er, »aber ich danke dafür.« – »Die Hauptsache ist, dass sie uns liegt,« antwortete egoistisch einer der Kranken. Da er nicht wusste, ob er es mit wirklich Verrückten zu tun hatte oder mit Leuten, die simulieren, will unser Musiker sich zurückziehen. Aber jemand schliesst die Tür ab und steckt den Schlüssel ein, ein anderer aus der Gesellschaft kniet vor ihm nieder, bittet ihn im Namen der Gesellschaft um Verzeihung und erklärt ihm unverschämt, aber mit tränenden Augen, dass trotz seiner geistigen Minderwertigkeit, die vielleicht ein wenig Mitleid erweckt, alle voll freundschaftlichster Gefühle für ihn sind. Er entschliesst sich zu bleiben und erklärt sich sogar auf häufiges Bitten hin bereit, ein wenig zu spielen. Aber die Geigentöne, die durch die Wohnung wie eine neue Pest zogen, packten (das Wort ist nicht zu stark) bald den einen oder den anderen Kranken. Rauhe und tiefe Seufzer ertönten, plötzliches Schluchzen, Bäche stiller Tränen liefen. Der entsetzte Musiker hält ein und nähert sich dem, dessen Glück am lärmendsten war, fragt ihn, ob er sehr leide und ob er etwas tun könnte, ihn zu erleichtern. Einer der Anwesenden, ein praktischer Mensch, schlägt Limonade und Brom vor, aber der Kranke sieht sie ekstatischen Auges mit unsagbarer Verachtung an. Einen Menschen, der an Lebensüberfluss und an Freude krankt, heilen wollen.