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Aus „Die Fahrt der Beagle“
ОглавлениеIm Vorwort zur ersten Ausgabe dieser Arbeit wie auch in der ›Zoologie der Fahrt der Beagle‹ habe ich geschrieben, ich hätte auf den von Kapitän Fitz Roy geäußerten Wunsch hin, einen Mann der Wissenschaft an Bord zu haben, verbunden mit dem Angebot, einen Teil seiner Unterkunft abzutreten, meine Dienste angeboten, was durch die Freundlichkeit des Hydrographen, Kapitän Beaufort, die Billigung der Admiralität erhalten habe. Da ich der Auffassung bin, dass die mir vergönnte Gelegenheit zum Studium der Naturgeschichte der verschiedenen Länder, die wir besuchten, gänzlich Kapitän Fitz Roy geschuldet ist, hoffe ich, es sei mir gestattet, meinen Ausdruck der Dankbarkeit gegen ihn zu wiederholen und hinzuzufügen, dass ich während der fünf Jahre, die wir zusammen waren, seine herzlichste Freundschaft und beständige Unterstützung erfahren habe.
Es gibt nun viele Gesetze, welche die Veränderungen regeln, von welchen einige wenige sich dunkel erkennen lassen, und die nachher noch kurz erwähnt werden sollen. Hier will ich nur anführen, was man Wechselbeziehung der Entwicklung nennen kann. Eine Veränderung in Embryo oder Larve wird sicherlich meistens auch Veränderungen im reifen Tier nach sich ziehen. Bei Monstrositäten sind die Wechselbeziehungen zwischen ganz verschiedenen Teilen des Körpers sehr sonderbar, und Isidore Geoffroy St.-Hilaire führt davon viele Belege in seinem großen Werk an. Viehzüchter glauben, dass verlängerte Beine gewöhnlich auch von einem verlängerten Kopf begleitet sind. Einige Beispiele erscheinen ganz wunderlicher Art; so, dass Katzen mit blauen Augen allezeit taub sind. Farbe und Eigentümlichkeiten der Konstitution sind miteinander in Verbindung, wovon sich viele merkwürdige Fälle bei Pflanzen und Tieren anführen lassen. Aus den von Heusinger gesammelten Tatsachen geht hervor, dass weiße Schafe und Schweine von gewissen Pflanzengiften ganz anders als die dunkelfarbigen berührt werden. Unbehaarte Hunde haben unvollkommene Zähne; lang- und grobhaarige Tiere sollen geneigter sein, lange und viele Hörner zu bekommen; Tauben mit Federfüßen haben eine Haut zwischen ihren äußeren Zehen; kurzschnäbelige Tauben haben kleine Füße und die mit langen Schnäbeln auch lange Füße. Wenn man daher durch Auswahl geeigneter Individuen von Pflanzen und Tieren für die Nachzucht irgendeine Eigentümlichkeit derselben zu steigern gedenkt, so wird man gewiss meistens, ohne es zu wollen, diesen geheimnisvollen Wechselbeziehungen der Entwicklung gemäß noch andere Teile der Struktur mit abändern. Das Ergebnis der mancherlei entweder ganz unbekannten oder nur dunkel sichtbaren Gesetze der Variation ist außerordentlich zusammengesetzt und vielfältig. Es ist wohl der Mühe wert, die verschiedenen Abhandlungen über unsere alten Kulturpflanzen, wie Hyazinthen, Kartoffeln, Dahlien usw., sorgfältig zu studieren und von der endlosen Menge von Verschiedenheiten in Bau und Lebensäußerung Kenntnis zu nehmen, durch welche alle diese Varietäten und Subvarietäten voneinander abweichen. Ihre ganze Organisation scheint bildsam geworden zu sein, um bald in dieser und bald in jener Richtung sich etwas von dem elterlichen Typus zu entfernen.
Die HMS Beagle unter vollen Segeln, von achtern gesehen.
Robert Fitzroy (1805–1865), master and Commander. Als junger Captain bot er dem zweiundzwanzig Jahre alten Charles Darwin an, ihn auf der Fahrt der Beagle als Reisegefährte zu begleiten.
Nichterbliche Abänderungen sind für uns ohne Bedeutung. Aber schon die Zahl und Mannigfaltigkeit der erblichen Abweichungen in dem Bau des Körpers, sei es von geringer oder von beträchtlicher physiologischer Wichtigkeit, ist endlos. Dr. Prosper Lucas’ Abhandlung in zwei starken Bänden ist das Beste und Vollständigste, was man darüber hat. Kein Viehzüchter ist darüber im Zweifel, dass die Neigung zur Vererbung sehr groß ist: Gleiches erzeugt Gleiches ist sein Grundglaube, und nur theoretische Schriftsteller haben dagegen Zweifel erhoben. Wenn irgendeine Abweichung öfters zum Vorschein kommt und wir sie in Vater und Kind sehen, so können wir nicht sagen, ob sie nicht etwa von einerlei Grundursache herrühre, die auf beide gewirkt habe. Wenn aber unter Einzelwesen einer Art, welche offenbar denselben Bedingungen ausgesetzt sind, irgendeine seltene Abänderung infolge eines außerordentlichen Zusammentreffens von Umständen an einem Vater zum Vorschein kommt – an einem unter mehreren Millionen – und dann am Kind wieder erscheint, so nötigt uns schon die Wahrscheinlichkeit, diese Wiederkehr aus der Erblichkeit zu erklären. Jedermann hat schon von Fällen gehört, wo so seltene Erscheinungen, wie Albinismus, Stachelhaut, ganz behaarter Körper u. dgl., bei mehreren Gliedern einer und der nämlichen Familie vorgekommen sind. Wenn aber so seltene und fremdartige Abweichungen der Körperbildung sich wirklich vererben, so werden minder fremdartige und ungewöhnliche Abänderungen umso mehr als erblich zugestanden werden müssen. Ja, vielleicht wäre die richtigste Art, die Sache anzusehen, die, dass man jedweden Charakter als erblich und die Nichterblichkeit als Ausnahme betrachtete.
Die Gesetze, welche die Erblichkeit regeln, sind gänzlich unbekannt, und niemand vermag zu sagen, wie es komme, dass dieselbe Eigentümlichkeit in verschiedenen Individuen einer Art und in Einzelwesen verschiedener Arten zuweilen erblich ist und zuweilen nicht; wie es komme, dass das Kind zuweilen zu gewissen Charakteren des Großvaters oder der Großmutter oder noch früherer Vorfahren zurückkehre; wie es komme, dass eine Eigentümlichkeit sich oft von einem Geschlecht auf beide Geschlechter überträgt oder sich auf eines, und zwar dasselbe Geschlecht beschränkt. Es ist eine Tatsache von nur geringer Wichtigkeit für uns, dass eigentümliche Merkmale, welche an den Männchen unserer Haustiere zum Vorschein kommen, ausschließlich oder doch vorzugsweise wieder nur auf männliche Nachkommen übergehen. Eine wichtigere und, wie ich glaube, verlässliche Erscheinung ist die, dass, in welcher Periode des Lebens sich die abweichende Bildung zeigen möge, sie auch in der Nachkommenschaft immer in dem entsprechenden Alter, oder zuweilen wohl früher, zum Vorschein kommt. In vielen Fällen ist dies nicht anders möglich, weil die erblichen Eigentümlichkeiten z.B. in den Hörnern des Rindviehs an den Nachkommen sich erst im reifen Alter zeigen können; und ebenso gibt es bekanntlich Eigentümlichkeiten des Seidenwurms, die nur den Raupen- oder den Puppenzustand betreffen. Aber erbliche Krankheiten und einige andere Tatsachen veranlassen mich zu glauben, dass die Regel eine weitere Ausdehnung hat, und dass selbst da, wo kein offenbarer Grund für das Erscheinen einer Abänderung in einem bestimmten Alter vorliegt, doch das Streben vorherrscht, auch am Nachkommen in dem gleichen Lebensabschnitt sich zu zeigen, wo sie an dem Vorfahren erstmals eingetreten ist. Ich glaube, dass diese Regel von der größten Wichtigkeit für die Erklärung der Gesetze der Embryologie ist. Diese Bemerkungen beziehen sich übrigens auf das erste Sichtbarwerden der Eigentümlichkeit, und nicht auf ihre erste Veranlassung, die vielleicht schon in dem männlichen oder weiblichen Zeugungsstoff liegen kann, in der Weise etwa, wie der aus der Kreuzung einer kurzhörnigen Kuh und eines langhörnigen Bullen hervorgegangene Sprössling die größere Länge seiner Hörner erst spät im Leben zeigen kann, obwohl die erste Ursache dazu schon im Zeugungsstoff des Vaters liegt.
Ich habe den Fall der Rückkehr zur großelterlichen Bildung erwähnt und in dieser Beziehung noch anzuführen, dass die Naturforscher oft behaupten, unsere Haustierrassen nähmen, wenn sie verwilderten, zwar nur allmählich, aber doch gewiss, wieder den Charakter ihrer wilden Stammeltern an, woraus man dann geschlossen hat, dass Folgerungen von zahmen Rassen auf die Arten in ihrem Naturzustand nicht zulässig seien. Ich habe jedoch vergeblich auszumitteln gestrebt, auf was für entscheidende Tatsachen sich jene so oft und so bestimmt wiederholte Behauptung stützte. Es möchte sehr schwer sein, ihre Richtigkeit nachzuweisen; denn wir können mit Sicherheit sagen, dass sehr viele der ausgeprägtesten zahmen Varietäten im wilden Zustand gar nicht leben könnten. In vielen Fällen kennen wir nicht einmal den Urstamm und vermögen uns daher noch weniger zu vergewissern, ob eine vollständige Rückkehr eingetreten ist oder nicht. Jedenfalls würde es, um die Folgen der Kreuzung zu vermeiden, nötig sein, dass nur eine einzelne Varietät in die Freiheit zurückversetzt werde. Ungeachtet aber unsere Varietäten gewiss in einzelnen Merkmalen zuweilen zu ihren Urformen zurückkehren, so scheint mir doch nicht unwahrscheinlich, dass, wenn man die verschiedenen Abarten des Kohls z.B. einige Generationen hindurch in einem ganz armen Boden zu naturalisieren fortführe (in welchem Falle dann allerdings ein Teil des Erfolges der unmittelbaren Wirkung des Bodens zuzuschreiben wäre), dieselben ganz oder fast ganz wieder ihre wilde Urform annehmen würden. Ob der Versuch nun gelinge oder nicht, ist für unsere Folgerungsreihe ohne große Erheblichkeit, weil durch den Versuch selber die Lebensbedingungen geändert werden. Ließe sich beweisen, dass unsere kultivierten Rassen eine starke Neigung zur Rückkehr, d.h. zur Ablegung der angenommenen Merkmale an den Tag legen, wenn sie unter unveränderten Bedingungen und in beträchtlichen Massen beisammen gehalten würden, sodass freie Kreuzung etwaige geringe Abweichungen der Struktur infolge ihrer Durcheinandermischung verhütete – in diesem Falle wollte ich zugeben, dass sich aus den zahmen Varietäten nichts hinsichtlich der Arten folgern lasse. Aber es ist nicht ein Schatten von Beweis zugunsten dieser Meinung vorhanden. Die Behauptung, dass sich unsere Wagenund Rassepferde, unsere lang- und kurzhörnigen Rinder, unsere mannigfaltigen Federviehsorten und Nahrungsgewächse nicht eine fast endlose Zahl von Generationen hindurch fortpflanzen lassen, wäre aller Erfahrung entgegen. Ich will noch hinzufügen, dass, wenn im Naturzustand die Lebensbedingungen wechseln, Abänderungen und Rückkehr des Charakters wahrscheinlich eintreten werden; aber die natürliche Züchtung würde, wie nachher gezeigt werden soll, bestimmen, wie weit die hieraus hervorgehenden neuen Charaktere erhalten bleiben.
Darwins Sextant bei der Fahrt der Beagle. Nach fünf Jahren fortwährender Seekrankheit setzte er danach nie wieder einen Fuß auf ein Segelschiff.
Wenn wir die erblichen Varietäten oder Rassen unserer Haustiere und Kulturgewächse betrachten und dieselben miteinander nahe verwandten Arten vergleichen, so finden wir in jeder zahmeren Rasse, wie schon bemerktwurde, eine geringere Übereinstimmung des Charakters als bei echten Arten. Auch haben zahme Rassen von derselben Tierart oft einen etwas monströsen Charakter, womit ich sagen will, dass, wenn sie sich auch voneinander und von den übrigen Arten derselben Sippe in mehren wichtigen Punkten unterscheiden, sie doch oft im äußersten Grad in irgendeinem einzelnen Teil sowohl von den anderen Varietäten als insbesondere von den übrigen nächstverwandten Arten derselben Sippe zurückweichen. Diese Fälle (und die der vollkommenen Fruchtbarkeit gekreuzter Varietäten einer Art, wovon nachher die Rede sein soll) ausgenommen, weichen die kultivierten Rassen einer und derselben Spezies in gleicher Weise, nur gewöhnlich in geringerem Grad, voneinander ab, wie die einander nächst verwandten Arten derselben Sippe im Naturzustand. Ich glaube, man wird dies zugeben, wenn man findet, dass es kaum irgendwelche gepflegten Rassen unter den Tieren wie unter den Pflanzen gibt, die nicht schon von einigen urteilsfähigen Richtern als wirkliche Varietäten und von anderen ebenfalls sachkundigen Beurteilern als Abkömmlinge einer ursprünglich verschiedenen Art erklärt worden wären. Gäbe es irgendeinen bestimmten Unterschied zwischen kultivierten Rassen und Arten, so könnten dergleichen Zweifel nicht so oft wiederkehren. Oft hat man versichert, dass gepflegte Rassen nicht in Sippen-Charakteren voneinander abweichen. Ich glaube zwar, dass sich diese Behauptung als irrig erweisen lässt; doch gehen die Meinungen der Naturforscher weit auseinander, wenn sie sagen sollen, worin Sippen-Charaktere bestehen, da alle solche Wertungen nur empirisch sind. Überdies werden wir nach der Ansicht von der Entstehung der Sippen, die ich jetzt aufstellen will, kein Recht haben zur Erwartung, bei unseren Kulturerzeugnissen oft auf Sippen-Verschiedenheiten zu stoßen.
Wenn wir den Betrag der Struktur-Verschiedenheiten zwischen den gepflegten Rassen von einer Art zu schätzen versuchen, so werden wir bald dadurch in Zweifel versetzt, dass wir nicht wissen, ob dieselben von einer oder von mehreren elterlichen Arten abstammen. Es wäre von Interesse, wenn sich diese Frage aufklären ließe, wenn sich z.B. nachweisen ließe, ob das Windspiel, der Schweißhund, der Dachshund, der Jagdhund und der Bullenbeißer, welche sich so genau in ihrer Form fortpflanzen, Abkömmlinge von nur einer Stammart sind? Denn solche Tatsachen würden sehr geeignet sein, unsere Zweifel zu erregen über die Unveränderlichkeit der vielen einander sehr nahestehenden natürlichen Arten der Füchse z.B., die so ganz verschiedene Weltgegenden bewohnen. Ich glaube nicht, dass wir jetzt im Stande sind zu erkennen, ob alle unsere Hunde von einer wilden Stammart herkommen, obwohl dies bei einigen anderen Haustierrassen wahrscheinlich oder sogar genau nachweisbar ist.
Darwins Bibel auf der Fahrt der Beagle. Er war in jenen Jahren auf konventionelle Weise religiös, jedoch nie strenggläubig.
Es ist oft angenommen worden, der Mensch habe sich solche Pflanzen- und Tierarten zur Zähmung ausgewählt, welche ein angeborenes, außerordentlich starkes Vermögen, abzuändern und in verschiedenen Klimaten auszudauern, besäßen. Ich will nicht bestreiten, dass diese Fähigkeiten viel zum Wert unserer meisten Kulturerzeugnisse beigetragen haben. Aber wie vermochte ein Wilder zu wissen, als er ein Tier zu zähmen begann, ob dasselbe in folgenden Generationen zu variieren geneigt und in anderen Klimaten auszudauern vermögend sein werde? Oder hat die geringe Veränderlichkeit des Esels und des Perlhuhns, das geringe Ausdauerungsvermögen des Rentiers in der Wärme und des Kamels in der Kälte ihre Zähmung gehindert? Ich hege keinen Zweifel, dass, wenn man andere Pflanzen- und Tierarten in gleicher Anzahl wie unsere gepflegten Rassen und aus ebenso verschiedenen Klassen und Gegenden ihrem Naturzustand entnähme und eine gleich lange Reihe von Generationen hindurch im zahmen Zustande fortpflanzte, sie in gleichem Umfange variieren würden, wie es unsere jetzt schon kultivierten Arten tun.
In Bezug auf die meisten unserer längst gepflegten Pflanzen- und Tierrassen halte ich es nicht für möglich, zu einem bestimmten Ergebnis darüber zu gelangen, ob sie von einer oder von mehreren Arten abstammen. Die Anhänger der Lehre von einem mehrfältigen Ursprung unserer Rassen berufen sich hauptsächlich darauf, dass schon die ältesten geschichtlichen Nachrichten und insbesondere die ägyptischen Denkmäler von einer großen Verschiedenheit der Rassen Zeugnis geben, und dass einige derselben mit unseren jetzigen bereits die größte Ähnlichkeit haben, wenn nicht gänzlich übereinstimmen. Wäre überdies die Tatsache auch besser begründet, als sie es zu sein scheint, so würde sie doch nichts anderes beweisen, als dass eine oder die andere unserer Rassen dort vor vier- bis fünftausend Jahren entstanden ist. Doch Horners Untersuchungen haben es einigermaßen wahrscheinlich gemacht, dass Menschen, schon hinreichend zivilisiert, um Töpferwaren zu fertigen, das Niltal seit bereits 13–14 tausend Jahren bewohnen; und wer möchte behaupten, dass nicht schon sehr lange vor dieser Zeit Wilde auf der Kulturstufe der jetzigen Feuerländer oder Australier, die ebenfalls einen halb-gezähmten Hund besitzen, in Ägypten gelebt haben können?
Obwohl ich glaube, dass die ganze Frage unentschieden bleiben muss, so will ich doch, ohne auf Einzelheiten einzugehen, hier erklären, dass es mir nach geographischen und anderen Betrachtungen sehr wahrscheinlich ist, dass unser Haushund von mehreren wilden Arten abstammt. In Bezug auf Schaf und Ziege vermag ich mir keine Meinung zu bilden. Nach den mir von Blyth über die Lebensweise, Stimme, Konstitution usw. des Indischen Höckerochsen mitgeteilten Tatsachen sollte ich denken, dass er von einer anderen Art als unser europäisches Rind herstammen müsse, welches manche sachkundige Beurteiler von mehrfachen Stammarten ableiten wollen. Hinsichtlich des Pferdes bin ich aus Gründen, die ich hier nicht entwickeln kann, mit einigen Zweifeln gegen die Meinung einiger Schriftsteller anzunehmen geneigt, dass alle seine Rassen nur von einem wilden Stamm herrühren. Blyth, dessen Meinung ich seiner reichen und mannigfaltigen Kenntnisse wegen in dieser Beziehung höher als fast eines jeden anderen anschlagen muss, glaubt, dass alle unsere Hühner-Varietäten vom gemeinen indischen Huhn (Gallus bankiva) herkommen. In Bezug auf Enten und Stallhasen, deren Rassen in ihrem Körperbau beträchtlich voneinander abweichen, zweifle ich nicht, dass sie alle von der gemeinen Wildente und dem wilden Kaninchen stammen.
Sitzung der Lunar Society, eines Clubs fortschrittlicher und technikinteressierter Gentlemen in Birmingham Ende des 18. Jahrhunderts. Beide Großväter Darwins waren dort Mitglied.
Die Lehre der Abstammung unserer verschiedenen Haustierrassen von verschiedenen wilden Stammarten ist von einigen Schriftstellern bis zu einem abgeschmackten Extrem getrieben worden. Sie glauben nämlich, dass jede wenn auch noch so wenig verschiedene Rasse, welche ihren unterscheidenden Charakter durch Inzucht bewahrt, auch ihre wilde Stammform gehabt habe. Dann müsste es eine ganze Menge wilder Rind-, viele Schaf- und einige Geißenarten in Europa und mehrere selbst schon innerhalb Großbritanniens gegeben haben. Ein Autor meint, es hätten ehedem elf wilde und dem Lande eigentümliche Schafarten dort gelebt. Wenn wir nun erwägen, dass Britannien jetzt kaum eine ihm eigentümliche Säugetierart, Frankreich nur sehr wenige nicht auch in Deutschland vorkommende, und umgekehrt, besitze, dass es sich ebenso mit Ungarn, Spanien usw. verhalte, dass aber jedes dieser Königreiche mehrere ihm eigene Rassen von Rind, Schaf usw. darbiete, so müssen wir zugeben, dass in Europa viele Haustierstämme entstanden sind; denn von woher sollen alle gekommen sein, da keines dieser Länder so viele eigentümliche Arten als abweichende Stammrassen besitzt? Und so ist es auch in Ostindien. Selbst in Bezug auf die Haushunde der ganzen Welt kann ich, obwohl ich ihre Abstammung von mehreren verschiedenen Arten ganz wahrscheinlich finde, nicht in Zweifel ziehen, dass da ein unermesslicher Betrag vererblicher Abweichungen vorhanden gewesen ist. Denn wer kann glauben, dass Tiere nahezu übereinstimmend mit dem italienischen Windspiel, mit dem Schweißhund, mit dem Bullenbeißer, mit dem Blenheimer Jagdhund und so abweichend von allen wilden Caniden, jemals frei im Naturzustand gelebt hätten. Es ist oft hingeworfen worden, alle unsere Hunderassen seien durch Kreuzung einiger weniger Stammarten miteinander entstanden; aber Kreuzung kann nur solche Formen liefern, welche mehr oder weniger das Mittel zwischen ihren Eltern halten, und gingen wir von dieser Erfahrung bei unseren zahmen Rassen aus, so müssten wir annehmen, dass einst die äußersten Formen des Windspiels, des Schweißhundes, des Bullenbeißers usw. im wilden Zustand gelebt hätten. Überdies ist die Möglichkeit, durch Kreuzung verschiedene Rassen zu bilden, sehr übertrieben worden. Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, dass eine Rasse durch gelegentliche Kreuzung mittels sorgfältiger Auswahl der Blendlinge, welche irgendeinen bezweckten Charakter darbieten, sich bedeutend modifizieren lässt, so kann ich doch kaum glauben, dass man eine nahezu das Mittel zwischen zwei weit verschiedenen Rassen oder Arten haltende Rasse zu züchten im Stande ist. Sir J. Sebright hat absichtliche Versuche in dieser Beziehung angestellt und keinen Erfolg erlangt. Die Nachkommenschaft aus der ersten Kreuzung zwischen zwei reinen Rassen ist erträglich und zuweilen, wie ich bei Tauben gefunden habe, außerordentlich einförmig, und alles scheint einfach genug zu sein. Werden aber diese Blendlinge einige Generationen hindurch untereinander gepaart, so werden kaum zwei ihrer Nachkommen mehr einander ähnlich ausfallen, und dann wird die äußerste Schwierigkeit oder vielmehr gänzliche Hoffnungslosigkeit des Erfolges klar. Gewiss kann eine Mittel-Rasse zwischen zwei sehr verschiedenen reinen Rassen nicht ohne die äußerste Sorgfalt und eine lang fortgesetzte Wahl der Zuchttiere gebildet werden, und ich finde nicht einen Fall berichtet, wo dadurch eine bleibende Rasse erzielt worden wäre.
Züchtung der Haustauben. – Von der Ansicht ausgehend, dass es am zweckmäßigsten ist, irgendeine besondere Tiergruppe zum Gegenstand der Forschung zu machen, habe ich mir nach einiger Erwägung die Haustauben dazu ausersehen. Ich habe alle Rassen gehalten, die ich mir verschaffen konnte, und bin auf die freundlichste Weise mit Exemplaren aus verschiedenen Weltgegenden bedacht worden, insbesondere durch den ehrenwerten W. Elliot aus Ostindien und den ehrenwerten C. Murray aus Persien. Es sind viele Abhandlungen in verschiedenen Sprachen veröffentlicht worden und einige darunter durch ihr ansehnliches Alter von besonderer Wichtigkeit. Ich habe mich mit einigen ausgezeichneten Taubenliebhabern verbunden und mich in zwei Londoner Tauben-Clubs aufnehmen lassen. Die Verschiedenheit der Rassen ist oft erstaunlich groß. Man vergleiche z.B. die englische Botentaube und den kurzstirnigen Purzler und betrachte die wunderbare Verschiedenheit in ihren Schnäbeln, welche entsprechende Verschiedenheiten in ihren Schädeln bedingt. Die englische Botentaube (Carrier) und insbesondere das Männchen ist noch bemerkenswert durch die wundervolle Entwicklung von Fleischlappen an der Kopfhaut, die mächtig verlängerten Augenlider, sehr weite äußere Nasenlöcher und einen weitklaffenden Mund. Der kurzstirnige Purzler hat einen Schnabel, im Profil fast wie beim Finken; und die gemeine Purzeltaube hat die eigentümliche und streng erbliche Gewohnheit, sich in dichten Gruppen zu ansehnlicher Höhe in die Luft zu erheben und dann kopfüber herabzupurzeln. Die Runt-Taube ist von beträchtlicher Größe mit langem massigem Schnabel und großen Füßen; einige Unterrassen derselben haben einen sehr langen Hals, andere sehr lange Schwingen und Schwanz, noch andere einen ganz eigentümlich kurzen Schwanz. Der »Barb« ist mit der Botentaube verwandt, hat aber, statt des sehr langen, einen sehr kurzen und breiten Schnabel. Der Kröpfer hat Körper, Flügel und Beine sehr verlängert, und sein ungeheuer entwickelter Kropf, den er sich aufzublähen gefällt, mag wohl Verwunderung und selbst Lachen erregen. Die Möventaube (Turbit) besitzt einen sehr kurzen kegelförmigen Schnabel, mit einer Reihe umgewendeter Federn auf der Brust, und hat die Sitte, den oberen Teil des Schlundes beständig etwas auszubreiten. Der Jakobiner oder die Perückentaube hat die Nackenfedern so aufgerichtet, dass sie eine Perücke bilden, und verhältnismäßig lange Schwung- und Schwanzfedern. Der Trompeter und die Trommeltaube rucksen, wie ihre Namen ausdrücken, auf eine ganz andere Weise als die anderen Rassen. Die Pfauentaube hat 30–40 statt der normalen 12–14 Schwanzfedern und trägt diese Federn in der Weise ausgebreitet und aufgerichtet, dass in guten Vögeln sich Kopf und Schwanz berühren; die Öldrüse ist gänzlich verkümmert. Noch blieben einige minder ausgezeichnete Rassen aufzuzählen übrig.
Kropftaube. Die selektive Zucht von Haustauben stellte für Darwin eine wichtige Analogie zur Selektion und Anpassung in der freien Natur dar.
Carrier. Darwin wurde Taubenzüchter, um die Analogie zu studieren.
Im Skelett der verschiedenen Rassen weicht die Entwicklung der Gesichtsknochen in Länge, Breite und Krümmung außerordentlich ab. Die Form sowohl als die Breite und Länge des Unterkieferastes ändern sich in sehr merkwürdiger Weise. Die Zahl der Heiligenbein- und Schwanzwirbel und der Rippen, die verhältnismäßige Breite und Anwesenheit ihrer Querfortsätze wechseln ebenfalls. Sehr veränderlich sind ferner die Größe und Form der Lücken im Brustbein sowie der Öffnungswinkel und die bezügliche Größe der zwei Schenkel des Gabelbeins. Die verglichene Weite des Mundspaltes, die verhältnismäßige Länge der Augenlider, der äußeren Nasenlöcher und der Zunge, welche sich nicht immer nach der des Schnabels richtet, die Größe des Kropfes und des oberen Teils des Schlundes, die Entwicklung oder Verkümmerung der Öldrüse, die Zahl der ersten Schwung- und der Schwanzfedern, die verglichene Länge von Flügeln und Schwanz gegeneinander und gegen die des Körpers, die des Laufs gegen die Zehen, die Zahl der Hornschuppen in der Zehenbekleidung sind alles abänderungsfähige Punkte im Körperbau. Auch die Periode, wo sich das vollkommene Gefieder einstellt, ist ebenso veränderlich als die Beschaffenheit des Flaums, womit die Nestlinge beim Ausschlüpfen aus dem Ei bekleidet sind. Form und Größe der Eier sind der Abänderung unterworfen. Die Art des Flugs ist ebenso merkwürdig verschieden, wie es bei manchen Rassen mit Stimme und Gemütsart der Fall ist. Endlich weichen bei gewissen Rassen die Männchen etwas von den Weibchen ab.
So könnte man wenigstens eine ganze Menge von Tauben-Formen auswählen, die ein Ornithologe, wenn er überzeugt wäre, dass es wilde Vögel sind, unbedenklich für wohlbezeichnete Arten erklären würde. Ich glaube nicht einmal, dass irgendein Ornithologe die englische Botentaube, den kurzstirnigen Purzler, den Runt, den Barb, die Kropf- und die Pfauentaube in dieselbe Sippe zusammenstellen würde, zumal eine jede dieser Rassen wieder mehrere erbliche Unterrassen in sich enthält, die er für Arten nehmen könnte.
Wie groß nun aber auch die Verschiedenheit zwischen den Taubenrassen sein mag, so bin ich doch überzeugt, dass die gewöhnliche Meinung der Naturforscher, dass alle von der Felstaube (Columba livia) abstammen, richtig ist, wenn man unter diesem Namen nämlich verschiedene geographische Rassen oder Unterarten mit begreift, welche nur in den untergeordnetsten Merkmalen voneinander abweichen. Da einige der Gründe, welche mich zu dieser Meinung bestimmt haben, mehr und weniger auch auf andere Fälle anwendbar sind, so will ich sie kurz angeben. Wären jene verschiedenen Rassen nicht Varietäten und nicht von der Felstaube entsprossen, so müssten sie von wenigstens 7–8 Stammarten herrühren; denn es wäre unmöglich, alle unsere zahmen Rassen durch Kreuzung einer geringeren Artenzahl miteinander zu erlangen. Wie wollte man z.B. die Kropftaube durch Paarung zweier Arten miteinander erzielen, wovon nicht wenigstens eine den ungeheuren Kropf besäße? Die unterstellten wilden Stammarten müssten sämtlich Felstauben gewesen sein, die nämlich nicht freiwillig auf Bäumen brüten oder sich auch nur darauf setzen. Doch außer der C. livia und ihren geographischen Unterarten kennt man nur noch 2–3 Arten Felstauben, welche aber nicht einen der Charaktere unserer zahmen Rassen besitzen. Daher müssten dann die angeblichen Urstämme entweder noch in den Gegenden ihrer ersten Zähmung vorhanden und den Ornithologen unbekannt geblieben sein, was wegen ihrer Größe, Lebensweise und merkwürdigen Eigenschaften sehr unwahrscheinlich ist; oder sie müssten in wildem Zustand ausgestorben sein. Aber Vögel, welche an Felsabhängen nisten und gut fliegen, sind nicht leicht auszurotten, und unsere gemeine Felstaube, welche mit unseren zahmen Rassen gleiche Lebensweise besitzt, hat noch nicht einmal auf einigen der kleineren Britischen Inseln oder an den Küsten des Mittelmeeres ausgerottet werden können. Daher mir die angebliche Ausrottung so vieler Arten, die mit der Felstaube gleiche Lebensweise besitzen, eine sehr übereilte Annahme zu sein scheint. Überdies sind die oben genannten so abweichenden Rassen nach allen Weltgegenden verpflanzt worden und müssten daher wohl einige derselben in ihre Heimat zurückgelangt sein. Und doch ist nicht eine derselben verwildert, obwohl die Feldtaube, d. i. die Felstaube in ihrer am wenigsten veränderten Form, in einigen Gegenden wieder wild geworden ist. Da nun alle neueren Versuche zeigen, dass es sehr schwer ist, ein wildes Tier zur Fortpflanzung im Zustand der Zähmung zu bringen, so wäre man durch die Hypothese eines mehrfältigen Ursprungs unserer Haustauben zur Annahme genötigt, es seien schon in alten Zeiten und von halbzivilisierten Menschen wenigstens 7–8 Arten so vollkommen gezähmt worden, dass sie jetzt in der Gefangenschaft ganz wohl gedeihen.
Größere Flamingos vollführen das Paarungs-»Ballett« auf Rabida Island, Galapagos.
Ein Beweisgrund, wie mir scheint, von großem Wert und auch anderweitiger Anwendbarkeit ist der, dass die oben aufgezählten Rassen, obwohl sie im Allgemeinen in organischer Tätigkeit, Lebensweise, Stimme, Färbung und den meisten Teilen ihres Körperbaus mit der Felstaube übereinkommen, doch in anderen Teilen dieses letzten gewiss sehr weit davon abweichen; und wir würden uns in der ganzen großen Familie der Columbiden vergeblich nach einem Schnabel, wie ihn die englische Botentaube oder der kurzstirnige Purzler oder der Barb besitzen – oder nach umgedrehten Federn, wie sie die Perückentaube hat – oder nach einem Kropf wie beim Kröpfer – oder nach einem Schwanz wie bei der Pfauentaube umsehen. Man müsste daher annehmen, dass der halbzivilisierte Mensch nicht allein bereits mehrere Arten vollständig gezähmt, sondern auch absichtlich oder zufällig außerordentlich abweichende Arten dazu erkoren habe, und dass diese Arten seitdem alle erloschen oder verschollen seien. Das Zusammentreffen so vieler seltsamer Zufälligkeiten scheint mir im höchsten Grad unwahrscheinlich.
Amsterdamer Bärtchentümmler.
Noch möchten hier einige Tatsachen in Bezug auf die Färbung des Gefieders Berücksichtigung verdienen. Die Felstaube ist schieferblau mit weißem (bei der ostindischen Subspezies, C. intermedia Strickl., bläulichem) Hinterrücken, hat am Schwanze eine schwarze Endbinde und an den äußeren Federn desselben einen weißen äußeren Rand, und die Flügel haben zwei schwarze Binden; einige halb und andere anscheinend ganz wilde Unterrassen haben auch noch schwarze Flecken auf den Flügeln. Diese verschiedenen Merkmale kommen bei keiner anderen Art der ganzen Familie vereinigt vor. Nun treffen sich aber auch bei jeder unserer zahmen Rassen zuweilen und selbst unter den ganz ausgebildeten Vögeln derselben alle jene Merkmale gut entwickelt in Verbindung miteinander, selbst bis auf die weißen Ränder der äußeren Schwanzfedern. Ja sogar, wenn man zwei Vögel von verschiedenen Rassen, wovon keiner blau ist noch eines der erwähnten Merkmale besitzt, miteinander paart, sind die dadurch erzielten Blendlinge sehr geneigt, diese Charaktere plötzlich anzunehmen. So kreuzte ich z.B. einfarbig weiße Pfauentauben mit einfarbig schwarzen Barbtauben und erhielt eine braun und schwarz gefleckte Nachkommenschaft; und als ich diese durch Inzucht vermehrte, kam ein Enkel der rein weißen Pfauen- und der rein schwarzen Barbtaube mit schön blauem Gefieder, weißem Unterrücken, doppelter schwarzer Flügelbinde, schwarzer Schwanzbinde und weißen Seitenrändern der Steuerfedern, alles wie bei der wilden Felstaube, zum Vorschein. Man kann diese Tatsache aus dem wohlbekannten Prinzip der Rückkehr zu vorelterlichen Charakteren begreifen, wenn alle zahmen Rassen von der Felstaube abstammen. Wollten wir aber dieses leugnen, so müssten wir eine von den zwei folgenden sehr unwahrscheinlichen Unterstellungen machen. Entweder dass all die verschiedenen angenommenen Stammarten wie die Felstaube gefärbt und gezeichnet gewesen seien (obwohl keine andere lebende Art mehr so gefärbt und gezeichnet ist), sodass in dessen Folge noch bei allen Rassen eine Neigung, zu dieser anfänglichen Färbung und Zeichnung zurückzukehren, vorhanden wäre. Oder dass jede und auch die reinste Rasse seit etwa den letzten zwölf oder höchstens zwanzig Generationen einmal mit der Felstaube gekreuzt worden sei; ich sage: Höchstens zwanzig, denn wir kennen keine Tatsache zur Unterstützung der Meinung, dass ein Abkömmling nach einer noch längeren Reihe von Generationen sogar zu den Charakteren seiner Vorfahren zurückkehren könne. Wenn in einer Rasse nur einmal eine Kreuzung mit einer anderen stattgefunden hat. so wird die Neigung, zu einem Charakter dieser letzten zurückzukehren, natürlich umso kleiner und kleiner werden, je weniger Blut von derselben noch in jeder späteren Generation übrig ist. Hat aber eine Kreuzung mit fremder Rasse nicht stattgefunden und ist gleichwohl in beiden Eltern die Neigung der Rückkehr zu einem Charakter vorhanden, der schon seit mehreren Generationen verloren gegangen war, so ist trotz allem, was man Gegenteiliges sehen mag, die Annahme geboten, dass sich diese Neigung in ungeschwächtem Grade während einer unbestimmten Reihe von Generationen fortpflanzen könne. Diese zwei verschiedenen Fälle werden in Abhandlungen über Erblichkeit oft miteinander verwechselt.
Endlich sind die Bastarde oder Blendlinge, welche durch die Kreuzung der verschiedenen Taubenrassen erzielt werden, alle vollkommen fruchtbar. Ich kann dies mittels meiner eigenen Versuche bestätigen, die ich absichtlich zwischen den allerverschiedensten Rassen angestellt habe. Dagegen wird es aber schwer und vielleicht unmöglich sein, einen Fall anzuführen, wo ein Bastard an zwei bestimmt verschiedenen Arten schon selber vollkommen fruchtbar gewesen wäre. Einige Schriftsteller nehmen an, ein langdauernder Zustand der Zähmung beseitige allmählich diese Neigung zur Unfruchtbarkeit, und aus der Geschichte des Hundes zu schließen, scheint mir diese Hypothese einige Wahrscheinlichkeit zu haben, wenn sie auf einander sehr nahe verwandte Arten angewendet wird, obwohl sie noch durch keinen einzigen Versuch bestätigt worden ist. Aber eine Ausdehnung der Hypothese bis zu der Behauptung, dass Arten, die ursprünglich voneinander ebenso verschieden gewesen, wie es Botentaube, Purzler, Kröpfer und Pfauenschwanz jetzt sind, eine bei Inzucht vollkommen fruchtbare Nachkommenschaft liefern, scheint mir äußerst voreilig zu sein.
Diese verschiedenen Gründe, und zwar: die Unwahrscheinlichkeit, dass der Mensch schon in früher Zeit sieben bis acht wilde Taubenarten zur Fortpflanzung in der Gefangenschaft vermocht habe, die wir weder im wilden noch im verwilderten Zustande kennen, ihre in manchen Beziehungen von der Bildung aller Columbiden mit Ausnahme der Felstaube ganz abweichenden Charaktere, das gelegentliche Wiedererscheinen der blauen Farbe und charakteristischen Zeichnung in allen Rassen sowohl im Falle der Inzucht als der Kreuzung, die vollkommene Fruchtbarkeit der Blendlinge; alle diese Gründe zusammengenommmen gestatten mir nicht zu zweifeln, dass alle unsere zahmen Taubenrassen von Columba livia und deren geographischen Unterarten abstammen.
Zugunsten dieser Ansicht will ich noch ferner anführen: 1) dass die Felstaube, C. livia, in Europa wie in Indien zur Zähmung geeignet gefunden worden ist, und dass sie in ihren Gewohnheiten wie in vielen Strukturbeziehungen mit allen unseren zahmen Rassen übereinkommt. 2) Obwohl eine englische Botentaube oder ein kurzstirniger Purzler sich in gewissen Charakteren weit von der Felstaube entfernen, so ist es doch dadurch, dass man die verschiedenen Unterformen dieser Rassen, mit Einschluss der z.T. aus weit entfernten Gegenden abstammenden, mit in Vergleich zieht, möglich, fast ununterbrochene Übergangsreihen zwischen den am weitesten auseinanderliegenden Bildungen derselben herzustellen. 3) Diejenigen Charaktere, welche die verschiedenen Rassen hauptsächlich voneinander unterscheiden, wie die Fleischwarzen und der lange Schnabel der englischen Botentaube, der kurze Schnabel des Purzlers und die zahlreichen Schwanzfedern der Pfauentaube, sind in jeder Rasse doch äußerst veränderlich, und die Erklärung dieser Erscheinung wird uns erst möglich sein, wenn von der Züchtung die Rede sein wird. 4) Tauben sind bei vielen Völkern beobachtet und mit äußerster Sorgfalt und Liebhaberei gepflegt worden. Man hat sie schon vor Tausenden von Jahren in mehreren Weltgegenden gezähmt; die älteste Nachricht von ihnen stammt aus der Zeit der fünften ägyptischen Dynastie, etwa 3000 J. v. Chr., wie mir Professor Lepsius mitgeteilt hat; aber Birch benachrichtigt mich, dass Tauben schon auf einem Küchenzettel der vorangehenden Dynastie vorkommen. Von Plinius vernehmen wir, dass zur Zeit der Römer ungeheures Geld für Tauben ausgegeben worden ist; ja, es war dahin gekommen, dass man ihnen »Stammbaum und Rasse« nachrechnete. Gegen das Jahr 1600 schätzte sie Akber Khan in Indien so sehr, dass ihrer nicht weniger als 20.000 zur Hofhaltung gehörten. »Die Monarchen von Iran und Turan sandten einige sehr seltene Vögel heim und«, berichtet der Hof-Historiker weiter, »Ihre Majestät hat durch Kreuzung der Rassen, welche Methode früher nie angewendet worden war, dieselben in erstaunlicher Weise verbessert.« Um diese nämliche Zeit waren die Holländer ebenso sehr wie früher die Römer auf die Tauben erpicht. Die äußerste Wichtigkeit dieser Betrachtungen für die Erklärung der außerordentlichen Veränderungen, welche die Tauben erfahren haben, wird uns erst bei den späteren Erörterungen über die Züchtung deutlich werden. Wir werden dann auch sehen, woher es kommt, dass die Rassen so oft ein etwas monströses Aussehen haben. Endlich ist es ein sehr günstiger Umstand für die Erzeugung verschiedener Rassen, dass bei den Tauben ein Männchen mit einem Weibchen leicht lebenslänglich zusammengepaart werden kann, und dass verschiedene Rassen in einem und dem nämlichen Vogelhaus beisammen gehalten werden können.
Ich habe die wahrscheinliche Entstehungsart der zahmen Taubenrassen mit einiger, wenn auch noch ganz ungenügender Ausführlichkeit besprochen, weil ich selbst zur Zeit, wo ich anfing, Tauben zu halten und ihre verschiedenen Formen zu beobachten, es für ganz ebenso schwer hielt zu glauben, dass alle ihre Rassen jemals einem gemeinsamen Stammvater entsprossen sein könnten, als es einem Naturforscher schwerfallen würde, an die gemeinsame Abstammung aller Finken oder irgendeiner anderen großen Vogelfamilie im Naturzustand zu glauben. Insbesondere machte mich der Umstand sehr betroffen, dass alle Züchter von Haustieren und Kulturpflanzen, mit welchen ich je gesprochen oder deren Schriften ich gelesen habe, vollkommen überzeugt waren, dass die verschiedenen Rassen, welche ein jeder von ihnen erzogen habe, von ebenso vielen ursprünglich verschiedenen Arten herstammten. Fragt man, wie ich gefragt habe, irgendeinen berühmten Veredler der Hereford-Rindviehrasse, ob dieselbe nicht von der langhörnigen Rasse abstamme, so wird er spöttisch lächeln. Ich habe nie einen Tauben-, Hühner-, Enten- oder Kaninchenliebhaber gefunden, der nicht vollkommen überzeugt gewesen wäre, dass jede Hauptrasse von einer anderen Stammart herkomme. Van Mons zeigt in seinem Werk über die Äpfel und Birnen, wie wenig er zu glauben geneigt ist, dass die verschiedenen Sorten, wie z.B. der Ribston-Pippin, der Codlin-Apfel u.a., je von Samen des nämlichen Baumes entsprungen sein können. Und so könnte ich unzählige andere Beispiele anführen. Dies lässt sich, wie ich glaube, einfach erklären. Infolge langjähriger Studien haben diese Leute einen tiefen Eindruck von den Unterschieden zwischen den verschiedenen Rassen in sich aufgenommen; und obgleich sie wohl wissen, dass jede Rasse etwas variiert, da sie eben durch die Züchtung solcher geringen Abänderungen ihre Preise gewinnen, so gehen sie doch nicht von allgemeineren Vernunftschlüssen aus und rechnen nicht den ganzen Betrag zusammen, der sich durch Häufung kleiner Abänderungen während vieler aufeinanderfolgender Generationen ergeben muss. Werden nicht jene Naturforscher, welche, obschon viel weniger als diese Züchter mit den Erblichkeitsgesetzen bekannt und nicht besser als sie über die Zwischenglieder in der langen Reihe der Abkommenschaft unterrichtet, doch annehmen, dass viele von unseren gehegten Rassen von gleichen Eltern abstammen, – werden sie nicht eine Lektion über Behutsamkeit zu gewärtigen haben, wenn sie über den Gedanken lachen, dass eine Art im Naturzustand in gerader Linie von einer anderen Art abstammen könne?
Ein Paar Galapagos-Albatrosse, die nur im gleichnamigen Archipel vorkommen, beim Balztanz.
Der junge Robert Fitzroy. Später in seinem Leben, lange nach der Fahrt der Beagle, lehnte er Darwins Theorie ab.
Murray-Kanal, Beagle-Kanal, aus Fitzroys Narrative of the surveying voyages of His Majesty’s Ships Adventure and Beagle between the years 1826 and 1836.
Züchtung. – Wir wollen jetzt kurz die Wege betrachten, auf welchen die gehegten Rassen jede von einer oder von mehreren einander nah verwandten Arten erzeugt worden sind. Ein kleiner Teil der Wirkung mag dabei vielleicht dem unmittelbaren Einfluss äußerer Lebensbedingungen und ein kleiner der Gewöhnung zuzuschreiben sein; es wäre aber töricht, solchen Kräften die Verschiedenheiten zwischen einem Karrengaul und einem Rassepferd, zwischen einem Windspiel und einem Schweißhund, einer Boten- und einer Purzeltaube zuschreiben zu wollen. Eine der merkwürdigsten Eigentümlichkeiten, die wir an unseren kultivierten Rassen wahrnehmen, ist ihre Anpassung nicht an der Pflanze oder des Tieres eigenen Vorteil, sondern an des Menschen Nutzen und Liebhaberei. Einige ihm nützliche Abänderungen sind zweifelsohne plötzlich oder auf einmal entstanden, wie z.B. manche Botaniker glauben, dass die Weber-Karde mit ihren Haken, welchen keine mechanische Vorrichtung an Brauchbarkeit gleichkommt, nur eine Varietät des wilden Dipsacus sei, und diese ganze Abänderung mag wohl plötzlich in irgendeinem Sämling dieses Letzteren zum Vorschein gekommen sein. So ist es wahrscheinlich auch mit der in England zum Drehen der Bratspieße gebrauchten Hunderasse der Fall, und es ist bekannt, dass ebenso das amerikanische Ancon-Schaf entstanden ist. Wenn wir aber das Rassepferd mit dem Karrengaul, das Dromedar mit dem Kamel, die für Kulturland tauglichen mit den für Bergweide passenden Schafrassen, deren Wollen sich zu ganz verschiedenen Zwecken eignen, wenn wir die mannigfaltigen Hunderassen vergleichen, deren jede dem Menschen in einer anderen Weise dient – wenn wir den im Kampf so ausdauernden Streithahn mit anderen friedfertigen und trägen Rassen, welche »immer legen und niemals zu brüten verlangen«, oder mit dem so kleinen und zierlichen Bantam-Huhn vergleichen – wenn wir endlich das Heer der Acker-, Obst-, Küchen- und Zierpflanzenrassen ins Auge fassen, welche dem Menschen jede zu anderem Zwecke und in anderer Jahreszeit so nützlich oder für seine Augen so angenehm ist, so müssen wir uns doch wohl weiter nach den Ursachen solcher Veränderlichkeit umsehen. Wir können nicht annehmen, dass alle diese Varietäten auf einmal so vollkommen und so nutzbar entstanden seien, wie wir sie jetzt vor uns sehen, und kennen in der Tat von manchen ihre Geschichte genau genug, um zu wissen, dass dies nicht der Fall gewesen ist. Der Schlüssel liegt in dem akkumulativen Wahlvermögen des Menschen, d.h. in seinem Vermögen, durch jedesmalige Auswahl derjenigen Individuen zur Nachzucht, welche die ihm erwünschten Eigenschaften im höchsten Grad besitzen, diese Eigenschaften bei jeder Generation um einen wenn auch noch so unscheinbaren Betrag zu steigern. Die Natur liefert allmählich mancherlei Abänderungen; der Mensch befördert sie in gewissen ihm nützlichen Richtungen. In diesem Sinne kann man von ihm sagen, er schaffe sich nützliche Rassen.
Feier der Äquator-Überquerung an Bord der Beagle.
Die Macht dieses Züchtungsprinzips ist nicht hypothetisch; denn es ist gewiss, dass einige unserer ausgezeichnetsten Viehzüchter binnen einem Menschenalter mehrere Rind- und Schafrassen in beträchtlichem Umfang modifiziert haben. Um das, was sie geleistet haben, in seinem ganzen Umfang zu würdigen, muss man einige von den vielen diesem Zwecke gewidmeten Schriften lesen und die Tiere selber sehen. – Züchter sprechen gewöhnlich von eines Tieres Organisation wie von einer ganz bildsamen Sache, die sie meistens völlig nach ihrem Gefallen modeln könnten. Wenn es der Raum gestattete, so würde ich viele Stellen von den sachkundigsten Gewährsmännern als Belege anführen. Youatt, der wahrscheinlich besser als fast irgendein anderer mit den landwirtschaftlichen Werken bekannt und selbst ein sehr guter Beurteiler eines Tieres war, sagt von diesem Züchtungsprinzip, es sei »was den Landwirt befähige, den Charakter seiner Herde nicht allein zu modifizieren, sondern gänzlich zu ändern. Es ist der Zauberstab, mit dessen Hilfe er jede Form ins Leben ruft, die ihm gefällt.« Lord Somerville sagt in Bezug auf das, was die Züchter hinsichtlich der Schafrassen geleistet: »Es ist, als hätten sie eine in sich vollkommene Form an die Wand gezeichnet und dann belebt.« Der erfahrenste Züchter, Sir John Sebright, pflegte in Bezug auf die Tauben zu sagen: »Er wolle eine ihm aufgegebene Feder in drei Jahren hervorbringen, bedürfe aber sechs Jahre, um Kopf und Schnabel zu erlangen.« In Sachsen ist die Wichtigkeit jenes Prinzips für die Merinozucht so anerkannt, dass die Leute es gewerbsmäßig verfolgen. Die Schafe werden auf einen Tisch gelegt und studiert, wie der Kenner ein Gemälde studiert. Dies wird je nach Monatsfrist dreimal wiederholt, und die Schafe werden jedes Mal gezeichnet und klassifiziert, sodass nur die allerbesten zuletzt für die Nachzucht übrig bleiben.
Der Fernando Noronha, vor der Küste Brasiliens, eine der ersten Stationen der Beagle. Darwin, zu der Zeit genauso sehr Geologe wie Biologe, fiel dessen phonolithisches Gestein auf.
Bahia, Brasilien, ungefähr zur Zeit Darwins