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CHRISTINA VON SCHWEDEN EUROPATOUR
MIT KÖNIGIN VON STOCKHOLM BIS ROM

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Noch ein Christina-Bild der Königin und berühmtesten Konvertitin vom Protestantismus zum Katholizismus? Unmöglich, den vielfältigen Biografien dieser widersprüchlichen barocken Persönlichkeit etwas Neues hinzuzufügen. Sicher, Meinungen, Interpretationen, Urteile sind möglich. Nicht gerade die Domäne von Historikern, die Fakten sichten und aufschreiben. Diesen danke ich für eine Fülle von Material und Informationen. Für mich steht jedoch die essayistische Arbeit im Vordergrund. Ein Essay erlaubt, Fakten mit Vermutungen zu verbinden. Zu erzählen, zu interpretieren.

Die Biografien zeigen zwei Bilder, die kaum miteinander zu vereinen sind. Auf der einen Seite eine intelligente, sprachbegabte, an Geistesgeschichte und Kultur interessierte Förderin von Kunst und Wissenschaft, auf der anderen aber eine machtbesessene Egoistin, nur auf die eigenen Interessen und Wirkungen bedacht. Nicht leicht, sich zwischen Bewunderung und Abscheu zu entscheiden.

Wie und wo lernen wir die Königin am besten kennen?

Sicher nicht durch ihre offiziellen politischen Verlautbarungen. Auf keinen Fall durch das, was in Pamphleten über sie berichtet wird. Ebenfalls nicht durch ihre eigenen schriftstellerischen Werke, aus ihrer Autobiografie, den kurzen Schriften über Alexander und Caesar oder ihrer Mitwirkung an Liebeskomödien. Vielleicht durch ihre Aphorismen (auch als Sentenzen oder Maximen veröffentlicht) und ganz sicher durch ihre überlieferten Briefe aus Hamburg an den Kardinal Decio Azzolino, die wenigen 50 von vermutlich mehr als Tausenden, die fast täglich zwischen ihnen hin- und hergewechselt wurden. Diese 50 wurden dechiffriert und archiviert, in ihnen ahnen wir etwas von Christinas Persönlichkeit. Dort, wo sie unverstellt ihre Gefühle äußert, können wir mitfühlen.

Das Charakterbild, das der Historiker Leopold von Ranke in seinem epochalen Geschichtswerk über die Päpste entwirft, das von 1834 bis 1836 das erste Mal erschien und dem die meisten Biografen zustimmen, ist eindeutig und treffend, obwohl ihm viele Einzelheiten damals nicht bekannt waren.

Er geht vor allem von Christinas Weigerung aus, sich jemals zu verheiraten, ungewöhnlich für eine Königin zur damaligen Zeit. Bisher kannte man das nur von der englischen Königin Elisabeth I. Was ist mit einem weiblichen Wesen geschehen, das schon als junges Mädchen öffentlich verkündete, sie wolle »keines Mannes Ackerfurche« sein?

Über diesen Geisteszustand schreibt Ranke: »Er hat etwas Gespanntes, Angestrengtes, es fehlt ihm das Gleichgewicht der Gesundheit, die Ruhe eines natürlichen und in sich befriedigten Daseins. Es ist nicht Neigung zu den Geschäften, dass sie sich so eifrig hineinwirft: Ehrgeiz und fürstliches Selbstgefühl treiben sie dazu an …«

In ihren Briefen an den Kardinal Decio Azzolino aus den Jahren 1666 und 1667 fehlt jeder Hinweis auf ein »befriedigtes Dasein«, sie enthalten außer politischen Erwägungen große Klagen über unerfüllte Wünsche. Darauf komme ich zurück.

Eine Würdigung ihrer Persönlichkeit, eine große Bewunderung spricht aus dem Buch von Oskar von Wertheimer, in den 1930er-Jahren erschienen. Der Autor wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Er operiert in seinem Buch mit dem Genie-Begriff. Selbst die widersprüchlichsten Vorkommnisse in Christinas Leben werden verständnisvoll kommentiert, eine rundum positive Sicht einer außergewöhnlichen Frau. Wertheimer lobt die anerkannte historische Arbeit des schwedischen Baron Carl Nils Daniel de Bildt, der 1931 in Rom starb, wo er lange für den schwedischen Staat gearbeitet hatte, und auf dem Friedhof der Nichtkatholiken begraben liegt. De Bildts Urteil, Christina sei eine »neuropathische Egoistin« gewesen, die aus ihrer Unruhe heraus nicht fähig war, abzuschalten, deutet Wertheimer als Kennzeichen eines immer empfänglichen Genies. Er ist überzeugt: »Sie musste für ihr Geschlecht büßen.«

Auch der kenntnisreiche Roman von Sigrid Grabner ist parteiisch aus der Sicht einer fiktiven, die Königin liebenden Gestalt geschrieben. Ausgewogen sind die Schilderungen von Jörg-Peter Findeisen, sehr genau und verständlich die Christina von Georgina Masson aus den 1960er-Jahren. Dieses Buch schildert die Königin realistisch in ihren oft merkwürdigen Eigenheiten, aber mit Sympathie. Doch jeder, der das ausführliche und blendend formulierte Buch der neuseeländischen, in Paris lebenden Historikerin Veronica Buckley gelesen hat, wird sich fragen, warum ein Leser sich überhaupt dieser Figur annähern soll. Was an negativen Urteilen vor allem von Zeitgenossen über sie gefällt wurde, ist dort nachzulesen. Eine sehr ausführliche Lebensbeschreibung, recherchiert in den historisch zugänglichen Quellen, mit umfangreichem Bildmaterial, psychologisch überzeugend interpretiert.

Nur eines kann Buckley ihren Lesern nicht deutlich machen: warum sie sich überhaupt mit dieser widersprüchlichen Person beschäftigen sollen, deren Vorhaben alle scheiterten, deren Erbe in alle Winde zerstreut wurde und die, was ihre Wirkung für die Zukunft betraf, kaum mehr als eine amüsante Fußnote der Geschichte geblieben ist. Eine Abenteuergeschichte ohne wahrhaften Ruhm.

Das alles sind nur Bruchstücke von Büchern und Meinungen über die Königin.

Ihr Temperament, sogar Hitzigkeit, ihre Begeisterungsfähigkeit für Menschen, für Kunst und Philosophie konnte umschlagen in Spott, Ungerechtigkeit und Grausamkeit. Auch diese Königin blieb nicht verschont vom menschlichen Makel, wonach Charakterstärken schnell in ihr Gegenteil umschlagen können. Insofern bietet ihr Leben Stoff für eine große Tragödie. Mehr als einmal verkannte sie ihre realistischen Möglichkeiten, was die Liebe betraf, ihre Intelligenz, ihren Reichtum und ihre hoheitliche Stellung. Den berühmten Film mit der wunderbar linkisch-androgynen Greta Garbo, deren herrische Bewegungen und Glanzlippen keinen Augenblick vergessen lassen, dass es eine Diva ist, die spielt, kann vernachlässigen, wer wahre Begebenheiten über das Leben Christinas erfahren will. Da wird eine Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Gesandten des spanischen Königs, Don Antonio Pimentel del Prado fantasiert, von der nur Gerüchte zeugen. Er stirbt im Film an den Folgen eines Duells. In Wahrheit war er bei ihrer Konversion dabei und immer in Kontakt mit ihr, so lange, bis sie ihr Glück mit den Spaniern versuchte anstelle der Franzosen. Angeblich war er ein älterer, glücklich verheirateter Mann.

Selbst eine schwedisch-deutsche Fernsehdokumentation, die sich überwiegend an den bekannten Tatsachen orientiert, macht aus ihr ein wunderschönes, blondes, langbeiniges Geschöpf, ebenso wie im Greta-Garbo-Film die Hälfte des Films mit Großaufnahmen ausfüllend. Und die Königliche Hoheit wird vereinnehmend-identifizierend von der Regisseurin geduzt.

So wie sie in Filmen als eine ganz normale Frau mit emotionalen Bedürfnissen dargestellt wird, gibt es natürlich auch literarische Zerrbilder. Ein Porträt schuf ihr Landsmann August Strindberg 1901 in seinem Drama Kristina, wo sie als eine Art Zwitterwesen dargestellt wird.

Ausgangspunkt und Anlass meiner Betrachtungen sind weniger ihre Stockholmer Jahre, die ihre Persönlichkeit zweifelsohne geprägt haben, als die Jahre danach in Rom. Zwar hat sie wesentlich Schwedens Geschichte mitgestaltet, vor allem das Ende des Dreißigjährigen Krieges, aber interessant wurde sie für mich vor allem wegen des Bruchs in ihrem Leben durch ihre Abdankung, den Glaubenswechsel und die Zeit danach: Wie geht sie damit um, wie vertritt sie ihre Abkehr von allem, was für Schweden als damaliges Bollwerk des Luthertums wichtig war, und wie wahrt sie zugleich ihre Rechte? Wie schafft sie es, ihrem Leben bei allem äußeren Wechsel Kontinuität zu geben?

Diese Fragen können uns Heutigen nicht gleichgültig sein. Selbst wenn Schicksalsschläge ausbleiben, müssen die meisten damit leben, dass irgendwann vermeintlich sichere Gewissheiten infrage gestellt werden – aufgrund von beruflichen Veränderungen, Erbfällen oder Erbstreitigkeiten ebenso wie der für alle Menschen bestehenden Ungewissheit, welchen Stellenwert unsere persönlichen Beziehungen haben, wie lange sie halten und wann sie abbrechen. Unser verlängertes Leben gibt für derartige Brüche mehr Gelegenheiten, als es für Menschen des Barock zur Zeit Christinas möglich war. Auch für höhere Stände war Selbstbestimmtheit eine Seltenheit. Selbst der Papst erlag Zwängen, sobald er das Intrigenspiel der Wahl hinter sich hatte. Christina allerdings, Gegenspielerin von vier Päpsten, bestand auf Eigenständigkeit und Souveränität, ausgenommen in der Liebe. Da konnte sie Beeinflussung zulassen, sogar bis hin zur »Sklaverei«. Darüber später.

Im Mittelpunkt steht für mich die Zeit nach ihrer Abdankung, ohne die vorherige zu vernachlässigen. Das unterscheidet meine Vorgehensweise wesentlich von den Biografien, die ihre Königinnenzeit, die Auseinandersetzungen mit Kanzler und Reichsrat ausführlich schildern, die Wechselfälle der Kriege, die sie beenden will, ebenso wie das Hin und Her ihrer persönlichen Gefühle und Bindungen gegenüber Familie und den sie prägenden Persönlichkeiten, also die 30 Jahre von 1626 bis 1656. Die letzte Lebenshälfte bis 1689 wird in den meisten Biografien nur kurz dargestellt.

Für mich entstand durch die Beschäftigung mit Christinas Person das Charakterbild eines weiblichen Fausts mit verschiedenen Besetzungen des Mephisto, auf der Suche nach Sinn, nie zufrieden, immer begierig nach neuen Eindrücken, Erkenntnissen und Erfahrungen. Weder Herrschaftsausübung noch Alltag, weder Wissenschaft noch Kunst, Literatur und Musik und nicht einmal die Religion, die sie in eigenwilliger Frömmigkeit ausübte, konnten sie befriedigen. Es blieb immer eine Lust nach Zerstreuung, Amüsement, neuen Begegnungen – alles Ablenkungen von dem, was sie nicht erreichen konnte: Ruhe zu finden in einer ihr gemäßen Lebensaufgabe. Es blieb ihr die Liebe, die Freundschaft zu einem Mann, die trotz all ihrer Unvollkommenheit und Nichterfüllung bis zuletzt Bestand hatte.

In allen Historienbeschreibungen und Biografien wird Christina dargestellt als eigenständige Frau, welche, für ihre Zeit ungewöhnlich, bedingungslos ihre persönlichen Interessen verfolgt hat, ihr Wissen nutzt, um ihre Position zu stärken, die machtbesessen manipuliert und taktiert. Eine Frau, die Einfluss nimmt und weiß, warum sie es tut.

Geboren in einem Herrscherhaus im aufkommenden Absolutismus, hatte sie Mittel, ihre Macht auszuleben. Eine moderne Frau, die diese Attitüden einnimmt, muss sich fragen lassen, welche Positionen im Geschlechterkampf sie dabei aufgibt beziehungsweise welche sie neu erobert. Eine Frage, vielleicht zu beantworten mit einer Gegenfrage: Kann einem angst und bange werden, wenn viele Christinas mit ihrer Selbstherrlichkeit die Welt bevölkern? Dazu kann ihr Leben als diskussionswürdiges Modell beitragen. Der Menschentyp, der sich heute durchsetzt, ähnelt ihr, egal auf welcher Bildungsstufe. Der Königinnen wie Christina sind heute viele. Im Fernsehen, in Politik, Medien und im Internet tummeln sich fast nur Stars, egal wie bedeutend. Das Lieschen Müller hat ausgedient.

Eine moderne Frau, souveräne Königin, lebenslang Lernende, besessene Kunstsammlerin, rastlose Reisende, Macht ausübende Geschäftsfrau, leidenschaftlich Liebende und bis zuletzt eigensinnig Glaubende, so die wesentlichen Charakterzüge Königin Christinas von Schweden.

Wie kann eine Autorin heute sich dieser Königin nähern? Die nicht als Historikern arbeitet, sondern sich der erzählenden Literatur zugehörig fühlt? Die auch keinen fiktionalen Roman schreiben will, wovon es bereits zahlreiche gute und schlechte Beispiele gibt. Die trotz historischer und vor allem kunsthistorischer Interessen die Persönlichkeit Christinas in den Fokus stellten möchte.

Für mich sind es die Orte, an denen die Königin lebte, die mir ein Bild von ihr vermitteln, auch über 300 Jahre hinweg. Es ist von Bedeutung, wo ein Mensch in seinem Leben beginnt, wo er jeweils lebt und wo es endet. Das ist, was ihn prägt. Bereits zu ihrer Zeit war Christina von Schweden eine Europäerin, die Grenzen und Lebensräume überschritt. Diesem Aspekt fühle ich mich verbunden.

Christina von Schweden: Ich fürchte mich nicht

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