Читать книгу Die Bekanntschaft auf der Reise und Autun und Manon. - Charlotte von Ahlefeld - Страница 3

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Die frohste Empfindung meines Lebens durchdrang mein Innres mit all' den Entzückungen, die Hoffnung und Gewißheit im freundlichen Wechsel dem liebenden Herzen gewähren können, das alle seine Wünsche in einen einzigen zusammendrängt, der seiner schönen Erfüllung sich nähert. Ich werde ihn wiedersehn! — dieser Gedanke verschlang jede andre Vorstellung, und wiegte mich in himmlisch süße Fantasieen. Die schwarzen herrlichen Augen, mit denen er so tief in meine Seele blickte — ich sah sie vor mir, wie er sie sanft und zärtlich unter den dunklen Wimpern empor schlug — ich übersetzte ihren rührenden Ausdruck in Worte, und es war ein Bekenntniß der Liebe, dem mein ganzes Wesen mit leiser Sehnsucht, mit glühender Leidenschaft entgegen wallte. Ich werde ihn wiedersehn! — diese liebliche Aussicht trieb mich in meine Kammer, und mit eben so viel Eil als Sorgfalt legte ich mein bestes Sonntagskleid an — und als ich den Wagen heranrollen hörte, und durch die zugezogne Gardine meines Fensters den geliebten Lorenz erblickte, der ihn zu Pferde begleitete — da warf ich noch einmahl einen Blick der Unzufriedenheit, daß ich nicht hübscher war, in meinen kleinen Spiegel, und dann trat ich hervor, und hieß den Kammerherrn und seine Gemahlin willkommen.

Diese letztere war eine schöne Frau, die durch ihre Gestalt und ihre Manieren beim ersten Anblick eine günstigere Meinung erregte, als ihre Denkungsart bei näherer Bekanntschaft verdiente. Ihr Umgang mit der großen Welt hatte der Herablassung, mit der sie geringere Leute zu behandeln pflegte, etwas unendlich feines und anmuthiges gegeben. Jede Verlegenheit, die aus ungleichen Verhältnissen entsteht, wußte sie mit ihrer einnehmenden Freundlichkeit aus dem Kreise zu entfernen, der sie umgab, und ob gleich ihr Verstand weder sehr gebildet noch lebhaft war, so machte doch ihre geistreiche Miene, daß man selbst die alltäglichsten Einfälle, die sie hatte, immer für witziger und feiner hielt, als sie wirklich waren.

Kaum hatte mich der Kammerherr bemerkt, als er seiner Frau einen leichten Wink nach mir hin gab, wobei er ihr einige Worte auf französisch sagte. Sie sah mich lange mit ihren hellen, forschenden Augen an, und theilte dann das schlaue Lächeln, das auf ihren Lippen schwebte, unter ihn und mich. Beide führten noch einige Minuten ein sehr lebhaftes Gespräch, und ob ich es gleich nicht verstand, so sagten mir doch ihre Blicke und mein Gefühl, daß ich der Inhalt desselben war. Es endigte sich mit einem Kuß, den der Kammerherr zärtlich auf ihre Hand drückte — hierauf folgten sie meinem Vater, der vor gutmüthiger Ungeduld brannte, ihnen seine Schätze zu zeigen, und meine Mutter und ich begleiteten sie in den Garten.

Der Kammerherr gab sich die Mine eines Kenners — um so mehr schmeichelte der laute entschiedene Beifall, mit dem er alles überhäufte, was er sah, und die bewunderungsvollen frohen Ausrufungen der gnädigen Frau vollendeten den Triumph meines Vaters, den die Lobsprüche, die man ihm ertheilte, in die heiterste Stimmung versetzten. So ungern er sonst seine Blumen einem andern Schicksal als ihrem langsamen Verblühen, Preis gab, so machte er diesmahl doch eine Ausnahme, und hieß mir, die schönsten derselben in einen Straus winden, um ihn der Kammerherrin zu überreichen. Ich flog an's Nelkenbeet und erfüllte sein Verlangen, nur eine Nelke — mein Liebling unter allen — einfach an Farbe, aber von herrlichem Geruch — — diese brach ich für mich, und behielt sie zurück, weil ich eine schönere Bestimmung für sie ahndete. Mir war, als stände Lorenz vor mir, und verlangte sie mit flehendem Blicke, als ein Unterpfand meiner Gunst. Ich barg sie tief in meinen Busen, den seelige Hoffnungen schwellten, — Hoffnungen, die in das Morgenroth der Liebe getaucht, kaum in der Erfüllung so süß, wie in ihrem Entstehen sind, — — und mit eilenden, und dennoch zögernden Schritten ging ich ins Haus, wo mich sein Anblick erwartete.

Den Ausdruck eines herzlichen, arglosen Vertrauens in seinen Zügen kam er mir freundlich entgegen. Theure, liebe Justine! sagte er, denn er hatte meinen Namen nennen hören, — ich freue mich sehr, Dich wieder zu sehn! — Der Ton seiner Stimme bekräftigte dieß, und drang wie eine schöne Melodie tief und lieblich in meine Seele. Ich mich auch, versetzt' ich leise, und stand vor ihm mit gesenktem Auge, — Wir wechselten noch einige Worte, — ich weiß nicht mehr, welche. Mein Herz klopfte voll süßer Betäubung, — auch Er schien innig bewegt. Ohne zu wissen, wie? hielt ich die Nelke in der Hand, und als ich aufsah, bemerkt' ich, daß er eine Rosenknospe von seinem Hute nahm. Wir blickten uns lange schweigend an, — sein Auge bat, — ich reichte ihm die Blume hin, die in meinen Händen zitterte, — er gab mir dafür die Rose, und ich preßte sie mit Innigkeit an meine Brust; — es war, als hätte sich der Tausch der Blumen auch über unsre Herzen erstreckt! —

Dieß ist jene Rose, fuhr Justine mit dem stillen Ernst der Wehmuth fort, und wieß auf den Schattenriß, mit dem sie verbunden war. Heilig hob ich sie auf, als ob mir damahls ahndete, daß mir nicht viel von den schönen Tagen übrig bleiben würde, die sich an diese köstliche Stunde knüpften, und die eben so schnell als unaufhaltsam vorüber flohn. Lange Zeit, — als ich noch nicht so ruhig war, als jetzt, — konnte ich sie nicht ohne Thränen sehen; endlich aber besänftigte sich mein Schmerz, und seitdem hab' ich manchen angenehmen Augenblick in ihrem Anschauen zugebracht. Wenn dann die Reihe meiner süßesten Erinnerungen sich glänzend aus der trüben Vergangenheit erhob, o dann schlug ich mein Auge, zwar feucht, doch ruhig gen Himmel, und dachte: Du hast mir viel Freuden gegeben, — darf ich murren, daß Du mir sie wieder genommen hast, da es das Loos eines jeden Sterblichen ist, Glück und Unglück zu tragen, wie Deine Vaterhand es austheilt. — Dieser Gedanke goß Frieden in meine Seele, wenn sie auch zuweilen noch stürmte, und immer rufe ich ihn mir zurück, wenn eine Klage wider die Härte meines Schicksals in mir laut werden will.

Die Minuten, von denen ich jetzt spreche, gehören mit unter die glücklichsten meines Lebens. Lorenz war mir näher getreten, — seine Wangen glühten, — seine Augen strahlten ein Feuer, das rein wie sein Herz, glühend wie seine Liebe mein Inneres sympathetisch durchströmte. Er faßte meine Hand, — willig ließ ich sie ihm, und erwiederte leise den Druck der seinigen. In einem süßem Vergessen meiner selbst verlohr ich die ganze Welt, — verlohr ich Vergangenheit und Zukunft aus den Augen, — nur die Gegenwart fühlte ich, die wie ein Engel der Freude mir lächelte. Lorenz drückte mich an seine schlagende Brust, und der erste Kuß, den ich noch je von einem Manne, außer meinem Vater empfing, verschloß meine brennenden, schweigenden Lippen, die sich vergeblich zu reden bemühten.

Mir war höchst sonderbar. Wir hatten so wenig zusammen gesprochen, und dennoch war ohne Worte eine Vertraulichkeit unter uns entstanden, in der ich zwar nichts strafbares fand, die mich aber doch erröthen machte, da ich mir nicht erklären konnte, wie es zugegangen war. — Ich werde Dich nun öfter sehn, Justine! sagte Lorenz, aber so sehr ich auch dieß wünsche, so gefällt mir doch die Art und Weise nicht, wie es geschehen soll. Weißt Du, daß Dich die gnädige Frau als Kammerjungfer zu sich nehmen will?

Mich? rief ich voll Erstaunen. Sie hat mich ja heute zum erstenmahl gesehen. —

Das thut nichts, antwortete Lorenz mit einem bittern Lächeln, dafür hat Dich der Kammerherr zweimahl gesehen, und mich dünkt, schon einmahl ist genug, um sich in Dich zu verlieben.

Und wenn dieß auch wäre, versetzt' ich verlegen, so würde dieß doch gewiß kein Bewegungsgrund für die gnädige Frau seyn, mich in ihre Dienste zu nehmen.

Du kennst die Welt noch nicht, gutes, unschuldiges Geschöpf! sagte Lorenz, aber in unserem Hause wirst Du sie kennen lernen, und wenn auch gleich von einer schlechten Seite, doch gewiß nicht zu Deinem Nachtheil. Denn das unverdorbene Herz, das Dir aus den Augen blickt, wird Dich die Künste der Verführung verachten lehren, und je mehr Du dort Gelegenheit hast, das Laster zu beobachten, je fester wirst Du Dich an die Tugend ketten. Selbst die schönen, entschuldigenden Namen, die man sogar den abscheulichsten Verbrechen giebt, werden Dich nicht blenden, und Beispiele, die andre unwiderstehlich mit sich dahin reißen, werden für Dein edles Gemüth nur Bilder der Warnung seyn. Es ist Sitte unter vielen vornehmen Leuten, die sich nicht aus Liebe, sondern aus Ehrgeiz, oder um des Geldes willen, geheirathet haben, sich gar nicht um einander bekümmern, und sich keineswegs zu stören, oder Zwang anzuthun, sie mögen nun etwas gutes oder etwas böses im Sinn haben. Auf einen solchen Fuß lebt der Kammerherr mit seiner Gemahlin. Sie hat immer ihren erklärten Liebhaber. Kömmt dieser, so ist der Herr so galant, ihm Platz zu machen; er verreiset — oder kommt ihm wenigstens nicht zur ungelegenen Zeit in den Weg. Dazu gehört nun freilich viel Gefälligkeit, denn die gnädige Frau ist sehr veränderlich, und wechselt fast mit jedem Mondenlicht ihre Anbeter. Aber dafür ist sie auch dankbar, und thut wieder alles mögliche, was sein Vergnügen vermehren kann. Mit ihrer Bewilligung hält er sich immer eine, oder auch mehrere Maitressen, und nicht selten führt sie selbst die armen Schlachtopfer seiner Wollust entgegen, die sein gieriges Auge sich ersehen hat. Sie lobt oder tadelt seinen Geschmack ganz unpartheiisch, und findet es höchst spaßhaft, daß sie meistens alle drei Vierteljahr genöthigt ist, eine andre Kammerjungfer zu nehmen. — Warum ist sie denn dazu genöthigt? fragt' ich mit aller der Unschuld meines damaligen Alters, die noch kein Blick in die verdorbenen Sitten der großen Welt entweiht hatte. Lorenz wurde roth — er schlug die Augen nieder, und besann sich. O wie verschönert Bescheidenheit den Mann wie das Weib! Diese Bemerkung macht' ich bald darauf, als der Sinn seiner vorigen Rede sich klärer mir entwickelte. Justine! sprach er verlegen — ich kann Dir nicht deutlich sagen, warum? Die Ausschweifungen des Kammerherrn — — denk Dir das übrige, und wenn Deine reine Seele keine so schmutzigen Vorstellungen zu fassen vermag, so begnüge Dich damit, mir zu glauben, daß der Kammerherr ein sehr schlechter, und für die meisten Deines Geschlechts gefährlicher Mann ist.

Meine Wangen waren mit den seinigen erröthet; — ich suchte dem Gespräch eine andre Wendung zu geben. Ist's aber auch Recht, sagt' ich zu ihm, daß Er so freimüthig die Fehler Seines Herrn entschleiert? —

Wenn ich es thue, versetzte er sanft und ernst, so geschieht es, weil die Wahrheit mir heilig ist, sie mag Tugenden oder Laster beleuchten, und weil ich es nicht einer bittern Erfahrung überlassen will, Dir den Abgrund zu zeigen, den Du kennen mußt, um ihn zu vermeiden. O Justine, fuhr er mit einem Seufzer fort, es ist hart — sehr hart für mich, einem Menschen dienen zu müssen, den ich verachte. Härter noch ist's von dem Verhängniß, daß es alle Macht, mich zu beglücken eben in die Hände legte, aus denen ich so ungern Wohlthaten empfange. Doch nein — ich übereilte mich. Ich that dem Schicksal Unrecht. — Mehr Macht, als ihm, gab es Dir im ersten Augenblick unserer Bekanntschaft, über das Wohl oder Wehe meiner Zukunft zu entscheiden. O laß mich hören, wie Du sie anwenden willst? —

Er stand vor mir mit liebetrunknen, gerührten, strahlenden Blicken, und hielt meine bebenden Hände zwischen den seinen. Ich verstand seine Frage, denn das liebende Herz, das in seinen Augen sich mahlte, war für das meine kein Räthsel mehr — aber Schaam und Schüchternheit verschlossen meine Lippen, und so gingen einige Momente schweigend, aber unvergeßlich glücklich vorüber. Nun, Justine! sagt' er leiser, da ich nicht antwortete, willst Du mir kein Wort der Hoffnung sagen? — Du hast mich verstanden — ich seh es an Deinem Erröthen. Darf ich hoffen, wenn einst eine günstige Wendung meiner Lage mir ein ruhiges Plätzchen giebt, was uns beide ernähren kann — darf ich hoffen, daß Du es dann mit mir theilen wirst? —

Die Offenheit seines Wesens, und die Zärtlichkeit, die in dem Tone seiner schönen, kraftvollen Stimme lag, lockte süße Thränen in mein Auge. Verstellung war mir fremd — und hätte ich sie auch gekannt — diese Minute war zu heilig, um hinter ihrem neblichten Schleier die mächtigen, großen Gefühle zu verbergen, die meine Seele auf den Schwingen der Liebe zu ihm erhob. Unwillkührlich breiteten sich statt einer Antwort meine Arme aus — ich fühlte sie innig von den seinigen umschlungen, und an seine Brust geschmiegt, meine heiße Wange bedeckt von seinen Küssen, wand die Umarmung mit der ich ihn an mich schloß, zum heiligen Schwure, der ihm Liebe und Treue gelobte.

Wir kehrten endlich aus den höhern Regionen, in denen wir schwärmten, zur wirklichen Welt zurück — aber wie verändert schien mir diese seit dem seligen Augenblick, der unsre Herzen vereinigt hatte. In ungetrübter Klarheit, wie in einem Lichtmeer schwammen alle Gegenstände, die mich umgaben; Liebe und Hoffnung strahlten ihren goldenen Schimmer auf die Zukunft, die mir sonst nur in nächtliches Dunkel gehüllt, erschienen war.

Aber Lorenz, sagt' ich endlich, und ohne zu wissen wie es zuging, verlohr sich das schüchterne Er, mit dem ich ihn zuerst angeredet hatte, in das vertrauliche, süße Du der hingebenden Liebe, — kannst Du mir wohl dazu rathen, daß ich einwilligen soll, wenn die gnädige Frau mir anträgt, ihr zu dienen? Nach der Schilderung, die Du mir von ihrem häuslichen Leben entworfen hast, schaudert mir vor dem Gedanken, mit hinein verwickelt zu werden. Ich bin zu einfach — krumme Wege kann ich nicht gehen, und wenn sie selbst zu Glanz und Reichthum führten. Auch ist mir es unmöglich, von außen kalt zu seyn, wenn in meinem Innern warme Empfindungen sich regen. Ich werde es verrathen, daß ich Dich liebe — ich werde den Kammerherrn mit Abscheu zurückweisen, wenn er es wagt, mir unanständige Anträge zu thun — — ich werde seiner Gemahlin nicht verhehlen können, daß ich ihre Gesinnungen und ihre Lebensart verachte — — mit einem Wort, ich tauge nicht unter Menschen, die ich nicht schätzen kann.

Entzückt drückte Lorenz seine warmen Lippen auf meine Hand. O Justine! rief er aus, wenn Du wüßtest, wie sehr ich Dich liebte, Du müßtest mir für das hohe Vertrauen danken, daß ich in Deine Tugend setze, und mit dem ich Dich bitte, allen den Stürmen, die dir entgegen brausen werden, zum Trotz, dennoch nach Spillingen zu ziehn. Es ist das einzige Mittel, uns künftig sehen zu können, denn meine jetzige Lage erlaubt mir noch nicht, öffentlich um Dich zu werben. Mein Dienst ist streng, und verstattet mir nur höchst selten eine freie Stunde, und auch diese nicht, ohne daß meine übrigen Verhältnisse meinen Willen nicht auf's äußerste beschränkten. Wollte ich auch des Nachts zu Dir eilen, so könnte dieß nur mit der größten Behutsamkeit von Deiner und meiner Seite geschehen, und wenn irgend ein Lauscher es ahndete, so wär' es mit dem Verlust Deines guten, unbescholtenen Rufs verbunden, der mir noch theurer ist, als der meine. Der Kammerherr hat bisher meistens nur mit gemeindenkenden leichtsinnigen Dirnen zu thun gehabt, die seinen Wünschen auf halbem Wege entgegen kamen. Der Widerstand, den ein edles Mädchen dem Laster thut, ist ihm fremd, und wird ihn wenigstens beschämen, wenn auch nicht bessern. Überdieß haben wir dort Gelegenheit, uns täglich zu sehn, ohne den mindesten Verdacht zu erregen, und bei der kleinsten Gefahr, die ich für Dich ahnde, werd' ich Maßregeln treffen, Dich zu retten, kost' es mir auch was es wolle. Selbst die vortheilhaften Aussichten und Hoffnungen, auf die ich jetzt in Gedanken unser künftiges Glück baue — selbst die werd' ich mit frohem Muthe Dir opfern, wenn es Deine Sicherheit verlangt. — Seine Augen fingen an zu blitzen — Kraft und Entschlossenheit erhoben seine Stimme. — Ja, fuhr er dann fort, indem er mich heftig mit beiden Armen umschloß — selbst wenn ich genöthigt wäre, jedes Verhältniß zu zerreißen, das mir ehedem heilig war — hier an diesem Herzen würde ich dennoch, auch in der bittersten Armuth Ersatz finden, wenn es nehmlich nie aufhört, mich zu lieben!

Der männliche, ernste Muth seines Ton's knüpfte mich mit den Banden des innigsten Vertrauens an sein Wesen. Und wäre die Welt in diesem Augenblick zu Grunde gegangen, — heiter hätte ich neben ihm auf ihren Trümmern gestanden, und mit stolzer Zuversicht auf seine Kraft, Werke der Allmacht von seinen Händen gefordert. — —

Die Stimme meiner Mutter, die mich rief, endigte unsre Unterredung. Ich hüpfte froh und sorgenlos in den Garten, denn mit der Gewißheit, geliebt zu seyn, flammte alles um mich her im Sonnenglanz jener trügerischen Hoffnung, welche in dem Frühling der Liebe und des Lebens uns schmeichelt, daß seine Blüthen unverwelklich duften, und daß kein Sturm sie zu entblättern vermag. Muthig glaubt' ich allen Widerwärtigkeiten, — selbst der dunkelsten Zukunft, — trotzen zu können, und dieß hohe überspannte Zutrauen in die Kräfte meines Herzens und meiner Seele gab mir eine Heiterkeit, die mich zum beneiden glücklich machte.

In einer Hollunderlaube des Gartens hatten sich die Herrschaften niedergelassen. — Der Kammerherr suchte die Freude über seinen schon halb gelungenen Plan hinter einer gleichgültigen Miene zu verbergen, die ihm aber nicht recht glücken wollte. Die Frau spielte mit ihrem Arbeitsbeutel, und lächelte mir freundlich entgegen. Auch mein Vater blickte mich mit Wohlgefallen und Zufriedenheit an, — nur das ernste Gesicht meiner ehrwürdigen Mutter verrieth mir Spuren der Bekümmerniß, die ihr Herz meinetwegen empfand. Komm näher, liebes Mädchen, sagte die Kammerherrin, komm näher und entscheide. Ich habe den bösen Vorsatz, Dich zu entführen, weil ich glaube, daß Anlagen in Dir stecken, die eine Entwickelung verdienen, und die Dich weiter bringen können, als Dein verborgenes Leben hier unter den Deinigen. Ich will Dich mit mir nehmen, und wenn Du Dich gut aufführst, werd' ich treulich für Dich sorgen. Dein Vater ist mit meinem Plan zufrieden, — nur Deine Mutter hat noch Bedenklichkeiten, die Du aber leicht widerlegen kannst, wenn Du nur Lust hast, zu mir zu ziehen.

Ich war verlegen. Der Gedanke an Lorenz mußte in diesem Augenblicke der Thräne weichen, die über die Wange meiner guten Mutter floß, und alle meine Gefühle in Bewegung brachte. Aber bald behauptete sein Bild in mir die Herrschaft der wahren Liebe, die alles opfern kann, nur sich selbst nicht, — und selbst von der mütterlichen Wehmuth, neben die ich es stellte, borgte es einen helleren, rührendern Glanz. Bittend sah ich ihn vor mir stehn, und auf seinen Lippen schwebten noch die Versicherungen, die er mir von seinem Schutz und seiner Zärtlichkeit gab. Doch das Bewußtseyn meiner Pflichten umschleierte wenigstens den Wunsch, den ich hatte, ohngeachtet aller Unannehmlichkeiten, die mir drohten, nach Spillingen zu ziehn. Die Entscheidung, antwortete ich, kommt nicht mir, sondern einzig und allein meinen Eltern zu. Ihre Güte, ihre bessere Einsicht wird für mich wählen, was zu meinem Frieden dient.

Auf diese Art kommen wir aber niemahls aus einander, versetzte die gnädige Frau, denn Deine Eltern sind unter sich nicht einig darüber.

Es ist das erstemahl, daß ich mit meinem Manne verschiedener Meinung bin, sagte meine Mutter. Wir haben nur dieß einzige Kind noch um uns, — sie ist unsre Stütze und unsre Freude. Wenn ich Justinen auch in der Wirthschaft entbehren könnte, wo sie mir manche Sorge abnimmt, — manche wenigstens mit mir theilt, — so würde sie darum doch nicht zu Ihnen passen, denn sie ist in allen den Geschicklichkeiten ununterrichtet, die die Kammerjungfer einer vornehmen Dame wissen muß.

O das thut nichts, unterbrach sie die Kammerherrin lächelnd. Die Physiognomie müßte sehr trügen, wenn die Kleine nicht Lernbegierde und Fähigkeiten hätte. Die Mühe, sie in diesen Kenntnissen zu unterrichten, nehm' ich gern auf mich, und ich hoffe sie soll nicht vergebens angewendet seyn.

Ich werde Justinen eben so sehr vermissen, wie Du, sagte mein Vater zur Mutter, indessen glaube ich, ist es unsere Pflicht, sie nicht von der guten Versorgung abzuhalten, die sich ihr darbietet, und die vielleicht die Grundlage ihres künftigen Glücks werden kann. Ich bin überzeugt, wir können sie ohne Bedenklichkeit der gnädigen Frau anvertrauen. Sie wird Nachsicht mit ihr haben, wenn sie fehlt, und im Anfang nicht zu streng in ihren Forderungen seyn. Für Folgsamkeit und guten Willen stehe ich.

Mancherlei Gefühle bestürmten meine Brust. — Der Gedanke, die stille Hütte zu verlassen, die die Wiege meiner Kindheit, der Schauplatz meiner Jugendfreuden gewesen war, — die Aussicht von meinen Eltern zu scheiden, und sie künftig in einer Einsamkeit zu wissen, die sie um so trauriger dünken mußte, je mehr meine kindliche Pflege sie ihnen sonst erheitert hatte; — alles dies mischte etwas schmerzliches in die Vorstellung, daß mich die Liebe mit ihrer Zauberstimme nach Spillingen rief. Unentschlossen stand ich da, aber ich blieb es nicht lange. O wie wahr ist's, daß das Weib Vater und Mutter verlassen wird, um dem Manne zu folgen, den es sich erkohren hat! Dankbarkeit und die zärtlichste Ehrfurcht fesselte mich an meine Eltern. Ich hätte für sie mein Leben lassen können, — nur das, was diesem Leben erst Werth gab, die Würze seiner Zukunft, das Bündniß, das mein Herz mit Lorenz geschlossen hatte, — nur das hätte ich ihnen nicht opfern können, ohne, wie ich glaubte, vor Gram zu sterben.

Meine Mutter seufzte, und betrachtete mich mit unruhigen, ungewissen Blicken. Nun dann, sagte sie, und wandte sich zu meinem Vater, wenn Du wirklich glaubst, daß es für Justinen ein Glück ist, so will ich mich nicht länger weigern. Gott weiß, daß nur die Besorgniß für ihr wahres Wohl mich so bedenklich machte, denn ich bin der Meinung, daß ein junges, unerfahrenes Mädchen nirgends mehr am Platze, und sicherer ist, als in dem Hause und unter den Augen seiner liebenden Eltern. Aufgeben kann ich diese Meinung so leicht nicht, aber ich will thun, was ich kann, — ich will sie der Deinigen unterordnen. So zieh denn in Gottes Namen hin, Justine! fuhr sie mit Rührung fort. Es wird Dir auch in der Fremde wohlgehn, denn Du warst immer ein gutes, dankbares Kind! —

Sie umarmte mich herzlich; — ich fühlte ihre warmen Thränen auf meiner Wange, und vermischte sie mit den meinigen.

Es war also nun entschieden, daß ich nach Spillingen zog. Die Kammerherrin überhäufte mich mit Liebkosungen, und wollte mich gleich mit sich nehmen, aber meine Eltern sowohl als ich, bestanden auf eine Frist von vierzehn Tagen. Dieser kurze Aufschub, der uns nur ungern bewilligt wurde, sollte das Bittre der Trennung mildern, indem er uns nach und nach an die Nothwendigkeit des Scheidens gewöhnte, aber statt dessen knüpfte jeder Augenblick uns durch den Gedanken fester zusammen, daß er langsam, aber gewiß die Stunde des Abschieds heran führte. Ich fühlte damahls durch meine eigene Erfahrung, daß es besser und schonender für uns selbst, und für unsre Lieben ist, den Kelch des Schmerzes, den uns die Trennung reicht, in einem Zuge zu leeren, als ihn wie ein Ziel, dem wir doch nicht entgehen können, und dem uns jede Minute näher bringt, vor den Augen zu haben. Ein kurzes Lebewohl läßt uns die Kraft, es mit Fassung zu sagen, — dumpf, wie der Ton einer Todtenglocke, wie das Grablied unserer Freuden tönt es aus der Ferne herüber, und die Vorstellung, es dennoch aussprechen zu müssen, gießt Wermuth in die Freuden des letzten Beysammenseyns, und lohnt unser Zögern nicht mit Linderung, sondern mit Verdoppelung des Schmerzes, den wir am sichersten überwinden, wenn wir ihm stark und muthig die Stirn bieten.

Ehe unsre Gäste uns verlassen hatten, war mir noch eine ungestörte halbe Stunde zu Theil geworden, die ich mit Lorenz verplauderte. Er entdeckte mir nun seine nächsten und wichtigsten Verhältnisse. Sein Vater war Verwalter in Spillingen, ein guter, biederer Mann, der bloß die schwache Seite hatte, sich von seiner sehr ehrgeizigen, herrschsüchtigen Frau regieren zu lassen. Um den lieben Hausfrieden ununterbrochen zu erhalten, mischte er sich von jeher weder in das Innere seiner eigenen Wirthschaft, noch in die Erziehung seines Sohnes, den er jedoch zärtlich liebte. Lorenzens reines, stilles Gemüth war nicht empfänglich für die Eindrücke des Stolzes, die seine Mutter ihm geben wollte. Schweigend hörte er ihren Lehren und Ermahnungen zu, in denen gewöhnlich jener falsche Ehrgeiz sich mahlte, der statt innern Werth nur äusserlichen Glanz zum Ziel seines Strebens macht. Er bedurfte ihn nicht, und verachtete sein Flittergold, denn seine Seele war mit jenem edlen Stolz bewaffnet, der den Menschen wie ein guter Genius vor allem bewahrt, was seine wahre Würde entweihen kann. Die Bildung seines Herzens war sein eignes Werk, — das Werk seines Schicksals, das ihm einsam unter Menschen stellte, denen er sich nicht mittheilen mochte, da sie nicht fein genug fühlten, um ihn zu verstehen. Still und verschlossen wuchs er empor, — abgeschieden von allen lebenden Geschöpfen, an denen seine Empfindung sich in voller Kraft hätte erwärmen und erhöhen können. —

Der Kammerherr entdeckte in dem zum Jüngling heranreifenden Knaben seltne Anlagen, die ihn aufmerksam auf ihn machten. Die strenge Wahrheitsliebe, die, wo sie nicht reden durfte, doch wenigstens schwieg, und nie wider ihre Überzeugung sprach, die feste, unbestechliche Redlichkeit, die schon in seiner Kindheit ein Hauptzug seines Charakters war, und mit zunehmenden Jahren sich immer mehr auf unerschütterliche Grundsätze stützte, — alles dieß gefiel dem Mann, der ohne eigene Tugenden zu haben, doch fremde schätzte, und sie gern zu seinem Vortheil benutzte. — Er fragte die Eltern um ihre Plane in Rücksicht ihres Sohnes. Der Vater hatte keine, — allenfalls nährte er den stillen Wunsch, daß sein Sohn ein Landmann werden möchte, aber er wagte es nicht, ihn zu äussern, da seine Frau, wie er wohl wußte, fast niemahls übereinstimmend mit ihm dachte, und ihn doch nicht gebilligt haben würde. Längst war es ihr Lieblingstraum gewesen, ihren Sohn in fürstlichen Diensten zu sehn. — Sie entdeckte dieses dem Kammerherrn, und er versprach, ihr dazu behülflich zu seyn. Auch macht' er, ganz wider seine sonstige Gewohnheit, Miene, Wort zu halten, ließ ihn auf seine Kosten die Forstwissenschaft lehren, und behielt ihn dann als Jäger und zugleich als Kammerdiener bei sich, bis, wie er sagte, sich eine günstige Gelegenheit zeigen würde, wo er ihn dem Fürsten empfehlen könne. Diese war noch immer ausgeblieben. — Lorenz seufzte nach einer unabhängigen Lage, denn ausserdem, daß sein freier Sinn sich nicht zum Dienen geschaffen fühlte, hatte er mit hellem Blick längst die Flecken entdeckt, die den Charakter seines Herrn entstellten, und es war ihm drückend, einem Menschen Verbindlichkeit und Dank schuldig zu seyn, den er weder lieben noch achten konnte. Indessen, da seine Mutter es ihm zum Gesetz machte zu bleiben, und da es seine eigne Klugheit, wenn auch nicht sein Gefühl, ihm rieth, so trug er seine Verachtung schweigend mit sich herum, und bemühte sich, durch Thätigkeit, Ordnung und eine immer wache Aufmerksamkeit auf seinen Dienst den Kammerherrn die Wohlthaten abzuzahlen, die er mit einem Widerstreben empfangen hatte. Daß er sich dadurch ihm unentbehrlich machte, und seine Verwendung zu einer Versorgung immer mehr verzögerte, bedachte er nicht; aber wäre es ihm auch eingefallen, er würde doch nicht anders gehandelt haben, theils weil ihm jede Pflicht, die ihm das Schicksal auflegte, heilig schien, theils weil er durchaus die Summe der Verbindlichkeiten vermindern wollte, die seines Herrn Wohlwollen ihm auflegte. Und da ihn überdieß der Kammerherr selbst zu sehr ehrte, um ihn bei seinen Liebschaften als Geschäftsträger, oder Kuppler gebrauchen zu wollen, so fand der Abscheu, den Lorenz vor jenen Lastern hatte, keine Gelegenheit laut zu werden, und sowohl Herr als Diener beobachteten über Punkte, die nicht gern über sich sprechen lassen, ein Schweigen, das am geschicktesten war, ihr Verhältniß leidlich zu erhalten.

Zuweilen erinnerte wohl die Verwalterin, der der Titel: Kammerdiener nicht vornehm genug war, den gnädigen Herrn an sein Versprechen, aber dieser wiegte dann mit glänzenden Aussichten in die Zukunft, die er ihr öffnete, ihren Ehrgeiz und ihre Ungeduld zur Ruhe, und da Lorenz überhaupt von den andern Bedienten vortheilhaft ausgezeichnet wurde, so ließ sie sich jedesmahl durch die Versicherung zufrieden stellen, daß ihr Sohn einst ganz gewiß durch eine ehrenvolle Laufbahn ihr Alter erfreuen werde. Ich hätte ihm schon längst einen kleinen Dienst verschaffen können, pflegte er zu sagen, aber sein nothdürftiges Auskommen hat er ja auch bei mir, und wenn ich einmahl mein Ansehn bei Hofe anwende, so will ich auch Ehre davon haben, das heißt: es muß eine Stelle seyn, die Ihrem Sohn keinen Wunsch zur Verbesserung seines Schicksals mehr übrig läßt, als allenfalls den Wunsch nach einem hübschen Weibchen, und das wird sich dann schon finden.

Es hat sich schon gefunden, dachte die Alte dann gewöhnlich mit froher Selbstzufriedenheit über ihre mütterliche Vorsorge, die Lorenzen aber noch ein Geheimniß war, und für's erste auch noch eins bleiben sollte, weil er viel zu sehr Sonderling war, um so, wie sie es wünschte, in ihre Pläne einzustimmen. Ein reicher Pachter jenseits der Residenz hatte die auf fremden Feldern geerndteten Früchte seines Fleißes angewendet, sich ein artiges Landgut in der Nachbarschaft von Spillingen, wo es eingepfarrt war, zu kaufen. Die Verwalterin, die Wernern, — so hieß der neue Gutsbesitzer, — vor Zeiten noch in dürftigen Umständen gekannt hatte, ergoß bei dieser Nachricht alle ihre Galle in den bittersten Spott über seine so schnell verbesserte Lage, und nahm sich vor, seine Frau in der Kirche nicht zu grüßen, wenn sie ihr das erstemahl daselbst begegnen würde. Ihr Neid und ihre Erbitterung stieg noch, als sie durch einige alte Weiber, die sie durch kleine Wohlthaten verpflichtete, ihr alle Neuigkeiten der Gegend zuzutragen, von dem Überfluß näher unterrichtet wurde, der dort in allen möglichen Bedürfnissen des Lebens herrschte, und einen sichern, festgegründeten Wohlstand verrieth. Sie hatten der Frau Werner bei ihrer Ankunft in ihrer häuslichen Einrichtung geholfen, und ob gleich ihre Erzählungen von den reichlich angefüllten Schränken und Kisten, die sie da sahen und bewunderten, ein fressendes Gift für die Verwalterin mit sich führten, die es ihres Gleichen am wenigsten gönnte, reich zu seyn, da sie es selbst nicht war, so hörte sie doch alles mit jener brennenden Begierde an, mit der die Mißgunst jede Gelegenheit ergreift, sich zu quälen. Daß ihre Nachbarin ein Landgut besaß, während ihr Mann nur ein fremdes verwaltete, das — so empfindlich es auch war — hätte sie ihr dennoch verziehen; aber daß sie ihren Kaffee aus einer silbernen Kanne trank, — selten in die Küche ging, und auch dann nur, um zu befehlen — daß sie sich zum täglichen Gebrauch eines eben so feinen Leinenzeugs bediente, als sie nur für die Frau Kammerherrin weben ließ — daß sie Nachmittags auf einem bequemen und zierlichen Sopha in aller Ruhe ein paar Stunden schlummerte — — mit einem Worte, daß sie nicht allein Vermögen hatte, sondern es auch nach ihrem Gefallen genoß, — das war ein Wurm, der zerstörend an ihrer Ruhe nagte. Da sie Menschen, die sie noch nicht kannte, nach ihrer eignen Denkungsart zu beurtheilen pflegte, so traute sie der Frau Werner keineswegs den bescheidenen, gefälligen Charakter zu, den sie wirklich hatte, vielmehr, da sie fühlte, wie sehr jene Vorzüge des Glücks ihren Hochmuth aufblähen würden, wenn sie sich ihrer rühmen dürfte, so stellte sie sich die Unbekannte, die unschuldiger weise ihrem Neide so viel Nahrung gab, in dem gehässigen Lichte eines bäurischen Eigendünkels vor, der ihr um so drückender schien, da er den ihrigen niederbeugte. — Die Närrin, sagte sie zu ihrem Manne — sie denkt vielleicht weil sie die große Dame spielt, auf dem Kanapee Mittagsruhe hält, und ihren Kaffee aus Silber trinkt, sie ist mehr als ich. Aber ich will ihr schon zeigen, daß ich mir eben so viel einbilde. Nicht ansehn will ich sie! —

So ganz gewissenhaft war es ihr aber doch nicht möglich, den nächsten Sonntag Wort zu halten, als Frau Werner in die Kirche kam. Die Neugierde, die sich bei ihr regte, beredte sie zu einem Blick, und unwillkührlich verlängerte er sich, als ihm weder auffallender Glanz noch beleidigender Stolz begegnete. Auf beides hatte sie gerechnet, als aber eine wohlbeleibte weibliche Gestalt in einem sehr anspruchslosen Anzug, begleitet von einem hübschen rosenwangigen Mädchen, freundlich bei ihr vorüberging, und ihr durch einen höflichen Gruß, mit dem sie ihr zuvorkam, gleichsam den Rang über sich einräumte, — da verschwand auf einmahl ein Theil der Falten von ihrer Stirn, und der Groll, den sie in ihrem Herzen nährte, verlohr sich in eine lange Gedankenreihe, die ihr während der Predigt, (auf die sie ohnedem nie zu achten pflegte,) Stoff genug zur Unterhaltung gab. Die Frau ist doch so übel nicht, dachte sie bei sich selbst. Wenigstens hat sie doch Lebensart, und weiß sich zu betragen. Daß sie zu Hause die Bequemlichkeit liebt lieber Gott! das thät ich auch, wenn ich's könnte. Die Leute haben ja Geld genug, — sie wären Narren, wenn sie es nicht benutzten. Und die Tochter sieht gut aus — das einzige Kind ist sie auch — — in der That, das wäre eine Frau für meinen Lorenz, die mir anstände! —

Sie verfolgte diese Idee, und fand kein Hinderniß von Bedeutung, das sie zu stören drohte. Obgleich Lorenz kein Vermögen, und nur sehr ungewisse Aussichten in die Zukunft hatte, so zweifelte sie doch keinen Augenblick, daß ihm der Plan gelingen könne, den sie so befriedigend für ihren Eigennutz entwarf, und dem eine vortheilhafte Heirath mit Mamsell Werner den Kranz der Vollendung aufsetzen sollte. Und wirklich, wenn auch sonst alle ihre Gedanken und Empfindungen Kinder eines ewigen Irrthums waren, der nur sein eignes, fehlerhaftes Ich zum Maßstabe seiner Beurtheilungen nahm — hier irrte sie nicht. — Die hohe Meinung, die sie von ihrem Sohn hatte, rechtfertigte jeder, der ihn kannte, denn noch jetzt in einer Lage, die auch den kleinsten Schatten von Partheilichkeit vertilgt, sag' ich mit fester Überzeugung: Lorenz wäre mit Recht der Stolz der besten Mutter gewesen. Die Liebe, mit der die Verwalterin an ihm hing, war das einzige, was ich jemahls an ihr schätzen konnte.

Die Bekanntschaft auf der Reise und Autun und Manon.

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