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Das relative Verhältnis der Geschlechter in Beziehung zur natürlichen Zuchtwahl.

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Inhaltsverzeichnis

Wir haben Grund zu vermuthen, daß der Mensch in manchen Fällen durch Zuchtwahl indirect sein eignes, geschlechterzeugendes Vermögen beeinflußt hat. Gewisse Frauen neigen dazu, während ihres ganzen Lebens mehr Kinder des einen Geschlechts hervorzubringen als des andern; dasselbe gilt für viele Thiere, z. B. für Kühe und Pferde. So theilt mir Mr. Wright von Yeldersley House mit, daß eine seiner arabischen Stuten, trotzdem sie sieben Male zu verschiedenen Hengsten gebracht wurde, sieben Stutenfüllen producierte. Obgleich mir sehr wenig Belege hierfür zu Gebote stehen, führt mich die Analogie doch zu der Annahme, daß die Neigung eines der beiden Geschlechter zu erzeugen ebenso wie fast jede andere Eigenthümlichkeit vererbt wird, z. B. wie die, Zwillinge zu erzeugen. Was die erwähnte Neigung betrifft, so hat mir Mr. J. Downing, eine zuverlässige Autorität, Thatsachen mitgetheilt, welche zu beweisen scheinen, daß dies bei gewissen Familien von Shorthorn-Rindvieh vorkommt. Colonel Marshall527 hat neuerdings nach sorgfältiger Untersuchung gefunden, daß die Todas, ein Bergvolk Indiens, aus 112 männlichen und 84 weiblichen Individuen von allen Altern bestehen, das ist im Verhältnis von 133,3 Männern zu 100 Weibern. Die Todas, welche bei ihren ehelichen Verbindungen polyandrisch sind, übten während früheren Zeiten ausnahmlos weiblichen Kindesmord; diese Sitte ist aber jetzt eine beträchtliche Zeit lang außer Gebrauch gekommen. Von den innerhalb der letzten Jahre geborenen Kindern sind die Knaben zahlreicher als die Mädchen, und zwar im Verhältnis von 124 zu 100. Colonel Marshall erklärt diese Thatsache in der folgenden ingeniösen Weise: »Wir wollen behufs der Erläuterung drei Familien als Repräsentanten des Mittelzustandes des ganzen Stammes annehmen. Eine Mutter erzeuge sechs Töchter und keine Söhne, eine zweite Mutter habe nur sechs Söhne, während die dritte drei Söhne und drei Töchter habe. Nach dem Gebrauchthum des Stammes tödtet die erste Mutter vier Töchter und erhält zwei; die zweite erhält ihre sechs Söhne; die dritte tödtet zwei Töchter und behält eine, dazu noch ihre drei Söhne. Wir haben dann von den drei Familien neun Söhne und drei Töchter, auf denen die Fortpflanzung des Stammes ruht. Während aber die Männer zu Familien gehören, bei denen die Neigung, Söhne zu producieren, groß ist, haben die Frauen die entgegengesetzte Anlage. Dieser Einfluß verstärkt sich mit jeder Generation, bis dann endlich, wie wir es factisch finden, Familien dazu kommen, beständig mehr Söhne als Töchter zu haben.«

Daß dies Resultat der oben erwähnten Form des Kindesmords folgen würde, scheint beinahe sicher zu sein; das heißt, wenn wir annehmen, daß die Neigung, ein bestimmtes Geschlecht zu erzeugen, vererbt wird. Da aber die obigen Zahlen so äußerst dürftig sind, so habe ich nach weiteren Belegen gesucht, kann aber nicht entscheiden, ob das, was ich gefunden habe, zuverlässig ist: trotzdem ist es aber doch vielleicht der Mühe werth, die Thatsachen mitzutheilen. Die Maoris von Neu-Seeland haben lange Zeit Kindesmord ausgeübt; Mr. Fenton528 giebt an, daß er »Beispiele von Frauen gefunden habe, die vier, sechs und selbst sieben Kinder, meist Mädchen, getödtet haben. Das allgemeine Zeugnis der eines Urtheils am meisten fähigen Personen beweist indessen, daß dieser Gebrauch seit vielen Jahren fast ganz aufgehört hat. Wahrscheinlich kann man das Jahr 1835 als dasjenige bezeichnen, wo er aufhörte zu bestehen.« Nun sind bei den Neu-Seeländern, ebenso wie bei den Todas, männliche Geburten beträchtlich im Überschuß. Mr. Fenton bemerkt (p. 30): »Eine Thatsache ist sicher, obschon die genaue Periode des Beginns des eigenthümlichen Zustandes von Mißverhältnis zwischen den Geschlechtern nicht nachweisbar fixiert werden kann: es ist vollständig klar, daß diese allmähliche Abnahme während der Jahre 1830 bis 1844, also in der Zeit, wo die nicht erwachsene Bevölkerung von 1844 erzeugt wurde, in vollem Fortschreiten war und bis zur gegenwärtigen Zeit mit großer Energie angedauert hat.« Die folgenden Angaben sind Mr. Fenton entnommen (p. 26); da aber die Zahlen nicht groß sind, da auch die Zählung nicht sorgfältig war, läßt sich kein gleichförmiges Resultat erwarten. Man muß bei diesem und den folgenden Fällen im Sinne behalten, daß im normalen Zustande einer jeden Bevölkerung, wenigstens bei allen civilisierten Nationen, ein Überschuß der Frauen besteht, und zwar in Folge der größeren Sterblichkeit des männlichen Geschlechts während der Jugend und zum Theil auch der Zufälle aller Art im späteren Leben. Im Jahre 1858 wurde die eingeborene Bevölkerung von Neu-Seeland als aus 31 667 männlichen und 24 304 weiblichen Individuen jeden Alters bestehend geschätzt, das ist also im Verhältnis von 130,3 männlichen zu 100 weiblichen. Aber während desselben Jahres wurden in gewissen beschränkten Bezirken die Zahlen mit großer Sorgfalt ermittelt, und da ergaben sich 753 männliche und 616 weibliche Individuen, das ist aber ein Verhältnis von 122,2 männlichen zu 100 weiblichen Individuen. Von größerer Bedeutung für uns ist es, daß während dieses selben Jahres 1858 die nicht-erwachsenen männlichen Individuen innerhalb des nämlichen Bezirks zu 178, die nicht-erwachsenen weiblichen zu 142 gefunden wurden, also im Verhältnis von 125,3 zu 100. Es mag noch hinzugefügt werden, daß 1844, zu welcher Zeit weiblicher Kindesmord erst vor Kurzem aufgehört hatte, in einem Bezirk 281 nicht-erwachsene männliche und nur 194 nicht-erwachsene weibliche Individuen vorhanden waren, das ist im Verhältnis von 144,8 männlichen zu 100 weiblichen.

Auf den Sandwich-Inseln übertreffen die Männer an Zahl die Weiber. Kindesmord wurde dort früher in schrecklicher Ausdehnung getrieben, war aber durchaus nicht auf Mädchen beschränkt, wie Mr. Ellis529 gezeigt hat und wie mir auch von Bischof Staley und dem Rev. M'Coan mitgetheilt worden ist. Trotzdem bemerkt ein anderer, wie es scheint, glaubwürdiger Schriftsteller, Mr. Jarves,530 dessen Beobachtungen sich auf den Archipel beziehen: »Es lassen sich zahlreiche Frauen finden, welche den Mord von drei bis sechs oder acht Kindern eingestehen;« und er fügt hinzu: »da Frauen für weniger nützlich als Männer gehalten werden, werden Mädchen häufiger getödtet.« Nach dem, was bekanntermaßen in anderen Theilen der Welt vorkommt, ist diese Angabe wahrscheinlich, muß aber mit viel Vorsicht aufgenommen werden. Der Gebrauch des Kindesmords hörte etwa um das Jahr 1819 auf, wo der Fetischdienst abgeschafft wurde und Missionare sich auf den Inseln niederließen. Eine im Jahre 1839 vorgenommene sorgfältige Zählung der erwachsenen und steuerfähigen Männer und Frauen auf der Insel Kauai und in einem Bezirk von Oahu (s. Jarves, p. 404) ergab 4723 Männer und 3776 Frauen, das ist ein Verhältnis von 125,08 zu 100. In derselben Zeit war die Zahl der männlichen Individuen unter vierzehn Jahren in Kauai und unter achtzehn Jahren in Oahu 1797 und die der weiblichen Individuen derselben Altersstufen 1429; hier haben wir das Verhältnis von 125,75 männlichen zu 100 weiblichen Individuen.

Eine Volkszählung aller Inseln im Jahre 1856 ergab531 36 272 männliche Individuen von allen Altern und 33 128 weibliche, oder 109,49 zu 100. Die männlichen Individuen unter siebzehn Jahren betrugen 10 773 und die weiblichen unter demselben Alter 9 593 oder 112,3 zu 100. Nach der Volkszählung von 1872 ist das Verhältnis der männlichen Individuen jeden Alters (mit Einschluß der Mischlinge) zu den weiblichen wie 125,36 zu 100. Man muß im Auge behalten, daß alle diese Angaben von den Sandwich-Inseln das Verhältnis lebender männlichen zu lebenden weiblichen Individuen, nicht das der Geburten ergeben; und nach dem Verhältnis bei allen civilisierten Ländern zu urtheilen, würde die Verhältniszahl der männlichen Individuen sich beträchtlich höher herausgestellt haben, wenn die Geburten gezählt worden wären.532

Wir haben nach den verschiedenen, im Vorstehenden angeführten Quellen wohl Grund zur Annahme, daß Kindesmord, in der oben besprochenen Weise ausgeführt, dahin neigt, eine Rasse zu bilden, welche männliche Nachkommen produciert; ich bin aber weit davon entfernt zu vermuthen, daß dieser Gebrauch, sofern der Mensch in Betracht kommt, oder irgend ein analoger Vorgang bei andern Arten, die einzige bestimmende Ursache eines Überschusses der Männchen sei. Es dürfte hier bei abnehmenden Rassen, welche bereits in gewissem Grade unfruchtbar geworden sind, irgend ein unbekanntes, zu diesem Resultate führendes Gesetz bestehen. Außer den früher angezogenen Ursachen dürfte die größere Leichtigkeit der Geburt bei Wilden und ihre geringere damit verbundene Schädigung ihrer männlichen Kinder dazu führen, das Verhältnis der lebendiggebornen Knaben zu den Mädchen zu erhöhen. Es scheint indessen kein irgend nothwendiger Zusammenhang zwischen den Lebensgewohnheiten der Wilden und einem merkbaren Überschuß der männlichen Individuen zu bestehen; d. h. wenigstens, wenn wir uns nach den Charakteren der dürftigen Nachkommenschaft der vor Kurzem noch existierenden Tasmanier und der gekreuzten Nachkommenschaft der jetzt die Norfolk-Insel bewohnenden Tahitianer ein Urtheil bilden dürfen.

Da die Männchen und Weibchen vieler Thiere in Bezug auf ihre Lebensweise etwas von einander verschieden sind, auch in verschiedenem Grade Gefahren ausgesetzt sind, so ist es wahrscheinlich, daß in vielen Fällen beständig mehr Individuen des einen Geschlechts als des andern zerstört werden. So weit ich aber die Complication der Ursachen verfolgen kann, würde ein unterschiedloses wenn auch bedeutendes Zerstören eines der beiden Geschlechter nicht dahin streben, das geschlechterzeugende Vermögen der Art zu modificieren. Bei im strengen Sinne socialen Thieren, wie bei Bienen oder Ameisen, welche eine ungeheure Zahl unfruchtbarer und fruchtbarer Weibchen im Verhältnis zu den Männchen erzeugen und für welche dieses Überwiegen von oberster Bedeutung ist, können wir einsehen, daß diejenigen Gemeinden am besten gedeihen, welche Weibchen mit einer starken vererbten Neigung zur Erzeugung immer zahlreicherer Weibchen enthalten, und in derartigen Fällen wird eine ungleiche Neigung zur Geschlechtserzeugung schließlich durch natürliche Zuchtwahl erlangt werden. Bei Thieren, welche in Herden oder Truppen leben, wo die Männchen sich vor die Herde stellen und dieselbe vertheidigen, wie bei dem nordamerikanischen Bison und gewissen Pavianen, ist es wohl begreiflich, wie eine Neigung zur Erzeugung von Männchen durch natürliche Zuchtwahl erlangt werden könnte; denn die Individuen der besser vertheidigten Herden werden eine zahlreichere Nachkommenschaft hinterlassen. Was den Menschen betrifft, so nimmt man an, daß der aus dem Überwiegen der Männer innerhalb eines Stammes herzuleitende Vortheil eine der hauptsächlichsten Ursachen für den Gebrauch des weiblichen Kindesmordes sei.

So weit wir es übersehen können, wird in keinem Falle eine vererbte Neigung, beide Geschlechter in gleichen Zahlen oder das eine Geschlecht im Überschuß zu erzeugen, für gewisse Individuen mehr als für andere von directem Vortheil oder Nachtheil sein; es wird z. B. ein Individuum, welches die Neigung hat mehr Männchen als Weibchen zu producieren, im Kampf um's Leben keinen bessern Erfolg haben als ein Individuum mit der entgegengesetzten Neigung; es kann daher eine Neigung dieser Art nicht durch natürliche Zuchtwahl erlangt werden. Nichtsdestoweniger giebt es gewisse Thiere (so z. B. Fische und Rankenfüßer), bei welchen zwei oder mehr Männchen zur Befruchtung des Weibchens nothwendig zu sein scheinen; dementsprechend überwiegen hier die Männchen bedeutend, es ist aber durchaus nicht augenfällig, wie diese Tendenz zur Erzeugung männlicher Nachkommen erlangt worden sein könnte. Ich glaubte früher, daß, wenn eine Neigung beide Geschlechter in gleichen Zahlen zu erzeugen für die Species von Vortheil sei, dies eine Folge der natürlichen Zuchtwahl sei; ich sehe aber jetzt ein, daß dies ganze Problem so verwickelt ist, daß es sicherer ist, seine Lösung der Zukunft zu überlassen.

Fußnote

527 The Todas, 1873. p. 100, 111, 194, 196.

528 Aboriginal Inhabitants of New-Zealand. Governement Report, 1859, p. 36.

529 Narrative of a Tour through Hawaii. 1826, p. 298.

530 History of the Sandwich-Islands. 1843, p. 93.

531 Dies wird von H. T. Cheever mitgetheilt in: Life in the Sandwich-Islands. 1851, p. 277.

532 Wo Dr. Coulter (Journal R. Geograph. Soc. Vol. V. 1835, p. 67) den Zustand von Californien um das Jahr 1830 beschreibt, sagt er, daß die von den spanischen Missionären bekehrten Eingeborenen fast alle ausgestorben oder am Aussterben sind, trotzdem sie gut behandelt, nicht aus ihrem Geburtslande vertrieben und vom Gebrauche spirituoser Getränke abgehalten werden. Er schreibt dies zum großen Theile der unbezweifelten Thatsache zu, daß die Männer an Zahl bedeutend die Weiber überwiegen, weiß aber nicht, ob dies eine Folge des Ausbleibens weiblicher Nachkommenschaft oder des häufigen Todes der Mädchen im frühen Alter ist. Aller Analogie nach ist die letzte Alternative höchst unwahrscheinlich. Er fügt hinzu, daß »eigentlich so zu nennender Kindesmord nicht gewöhnlich ist, obschon sehr häufig zu Fehlgeburten Zuflucht genommen wird«. Wenn Dr. Coulter in Bezug auf den Kindesmord Recht hat, so kann dieser Fall nicht zur Unterstützung der Ansicht Colonel Marshall's angeführt werden. Nach der rapiden Abnahme der bekehrten Eingeborenen können wir vermuthen, daß ihre Fruchtbarkeit, wie in den früher mitgetheilten Fällen, sich in Folge der veränderten Lebensgewohnheiten vermindert hat. Ich hatte gehofft, etwas Licht über diesen Gegenstand aus der Züchtung der Hunde zu erhalten, insofern bei den meisten Rassen, vielleicht mit Ausnahme der Windspiele, viel mehr weibliche Junge getödtet werden als männliche, gerade so wie bei den Todas. Mr. Cupples versichert mich, daß dies bei schottischen Hirschhunden gewöhnlich der Fall ist. Unglücklicherweise weiß ich über die Verhältniszahlen der beiden Geschlechter von keiner Rasse, die Windspiele ausgenommen, etwas, und hier verhalten sich die männlichen Geburten zu den weiblichen wie 110,1 zu 100. Nach Erkundigungen, die ich von vielen Züchtern eingezogen habe, scheint es, als ob die Weibchen in mancher Beziehung mehr geschätzt würden, trotzdem sie in anderer Weise unbequem sind. Auch geht daraus nicht hervor, daß die weiblichen Jungen der bestgezüchteten Hunde systematisch mehr getödtet werden als die männlichen, wenn schon dies zuweilen in beschränktem Grade eintritt. Ich bin daher nicht im Stande zu entscheiden, ob wir das Überwiegen der männlichen Geburten bei Windspielen nach den oben angeführten Grundsätzen erklären können. Andererseits haben wir gesehen, daß bei Pferden, Rindern und Schafen, welche zu werthvoll sind, um die Jungen irgend eines Geschlechts zu tödten, wenn eine Verschiedenheit stattfindet, die weiblichen Geburten unbedeutend überwiegen.

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