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I. Geburt einer Idee

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A

lles hat einen Anfang, wird geboren.

Alles hat ein Ende, stirbt irgendwann.

Selbst ein Mensch ist manchmal die Geburtsstätte einer Idee – nennen wir sie Fiktion oder Geschichte. Sie beginnt und endet irgendwann. Der Beginn einer Idee setzt ihr Ende bereits voraus. Doch all das, was dazwischenliegt, ist eine Zeit, welche wir mit guten und schlechten Dingen zu erfüllen wissen müssen.

Auch ich verlebe gerade die letzten Tage meiner Zeit, worüber ich aber nicht wütend bin.

Ich bin in Sorge.

Werde ich die Zeit haben, etwas zu hinterlassen?

Ich weiß es nicht, aber versuche es.

Du bist bei mir, wer immer Du auch bist. Ich weiß, dass Du da bist und jedes Wort verstehst, welches meinen Gedanken entflieht und zu Schrift wird.

Mein unsichtbarer Zuhörer – männlich, weiblich, alt oder jung. Wer immer Du sein magst, es ist schön, dass Du jetzt hier bei mir bist, freiwillig, vielleicht etwas scheu und neugierig.

Dir möchte ich von dem erzählen, was ich in einer langen Zeit des totalen Niedergangs in scheinbar ewigem Schweigen erlebt habe.

Ein Teil von mir war stets unabhängig, autonom – doch auch rachsüchtig, ignorant, zuweilen depressiv und verstimmt. Ein anderer war stets sensibel, ängstlich und zurückhaltend. Am ehesten gefiel mir letzterer, doch leider war das auch der, der immer genau wusste, wie man sich vor ›all den bösen Menschen‹ verstecken konnte.

Um verstehen zu können, wie mein Herz schlug, wer ich war und was ich empfunden habe, ist es wichtig, dass ein interessierter Mensch wie Du meine Worte liest. Von all dem, was ich je erlebte, was mich ausmachte und was aus mir geworden war – oder hätte werden sollen – werde ich Dir nun erzählen, verpackt in dieser Geschichte.

Sie spielt in verschiedenen Genres, die wunderbar zusammen funktionieren und miteinander verschmelzen. Doch egal, welcher Gattung dieses Werk am Ende am ehesten angehören mag: Entscheidend ist nur zu wissen, dass alles, was ich Dir jetzt sagen werde, die Wahrheit ist – nämlich meine Wahrheit. All das hat sich tatsächlich so zugetragen. Natürlich nicht in Deiner Welt, sondern in meiner.

Ich kann mir vorstellen, dass das ein wenig verrückt klingt, denn es ist sehr schwierig zu erklären. Deshalb erzählt meine Lebensgeschichte davon: Man kann seine Umwelt je nach Eignung und Anlage anders erleben als andere Menschen. Während andere Menschen sich eben Gedanken darüber machten, ob parallele Welten tatsächlich existieren oder nicht, wusste ich irgendwann, dass es einfach so sein musste.

Zwar konnte ich diese Ideen nicht beweisen, hatte auch nie ›die andere Seite‹ mit eigenen Augen gesehen, aber ich fühlte, dass in meinem Leben mehr existieren musste, als das, was ich imstande war mit meinen beschränkten Sinnen zu erfassen. Mehr, als es mir möglich war, mit meinem unterentwickelten, menschlichen Geist zu begreifen.

Ich hatte für dieses Wissen auch eine ebenso plausible, wie auch für mich bedeutsame Erklärung: Schon zu Beginn meiner Zeit war ich ein Kind (vornehmlich psychischer) Gewalt und einer grundlosen, mir unverständlichen Ablehnung. Ich konnte nie behaupten, die Liebe meiner Mitmenschen je wirklich gespürt zu haben.

Eine lange Zeit dachte ich, sie wollten mir nie Wärme und Geborgenheit entgegenbringen, aus welchen Gründen auch immer. Irgendwann fiel mir jedoch ein, dass ich vielleicht in jungen Jahren einfach noch nicht dazu in der Lage gewesen sein konnte, ihre zweifelhafte Art der Liebe richtig zu deuten und zu verstehen. Aus diesem Mangel entwickelte sich schließlich ein Geist, der stets hochsensibel, gutherzig, freundlich und sehr wissbegierig war.

Meine Mitmenschen zu trösten erschien mir selbstverständlich. Sie alle gleichermaßen zu mögen und gleich zu behandeln war normal für mich. Obwohl ich dabei stets uneigennützig handelte, kam mir die Idee damals noch gar nicht, dass ein Gott existieren könnte, der mich beobachtete und meine Taten am Ende meines Lebens bewerten würde.

Fairerweise muss ich aber zugeben, dass ich in jungen Jahren oft Anlass für Ablehnung gegeben habe, doch davon zu erzählen wäre eintönig und ginge am Thema meiner Geschichte etwas vorbei.

Ich hatte jedoch zu keiner Zeit einem Menschen bewusst etwas Schlechtes gewünscht, geschweige denn getan. Ich besaß genug sensible Liebe und Großzügigkeit für sie alle, wann immer es mir möglich war, half ich ihnen, wo ich nur konnte. Sicher war es damals für mich noch nicht vorauszusehen, dass dieses Verhalten dazu führen würde, dass man mich ausnutzte. Die anderen würden vergessen, dass ich ein Wesen war, das nicht nur Gefühle hatte, sondern sogar so empfindsam war, dass es mir irgendwann ein Leichtes wurde, schnell zu erkennen, wann ein Mensch mich belog oder ob er es wirklich wert war, geliebt zu werden.

Im Laufe der Zeit hatte ich jedoch vergessen, was Liebe bedeutet, was sie ausmacht und auch, dass jeder Mensch sie faktisch brauchte, um zu existieren. Auch ich hungerte, lechzte nach ihr, ohne es wirklich wahrzunehmen. Ehrlich gesagt, hatte ich nie das Gefühl, einen anderen Menschen wirklich zu lieben – also rein emotional. Ich konnte es nicht.

Bis ans Ende meiner Zeit hatte ich viele Dinge gelernt: Manches hatte ich mir selbst angeeignet. Anderes lernte ich in der Schule. Doch die meisten Dinge hatte ich nicht beigebracht bekommen oder selbst erkannt, sondern sie waren einfach da.

Das mag unglaubwürdig klingen, aber die Fähigkeit zu kommunizieren brachte mir niemand bei. Wie ich etwas zu sagen oder zu schreiben hatte, dieses Wissen kam von ganz allein. Irgendwann war es da, entwickelte sich und reifte. Das Werkzeug der Kommunikation auf verbaler Ebene, gepaart mit der Sensibilität für das Erkennen und Diagnostizieren menschlichen Verhaltens, mutete an, eine sehr mächtige und nützliche Waffe zu werden. Doch diese schien schwach im Vergleich zu dem, was ich nicht imstande war zu erlernen, zu verstehen oder zu geben: Da ich nie das Gefühl hatte, wirklich geliebt worden zu sein, wusste ich nicht, wie es sich anfühlte und konnte diese Empfindung demnach auch nicht erzeugen oder an andere weitergeben – so gerne ich mir dies manchmal auch gewünscht hätte.

Dennoch gab ich meinen Mitmenschen nicht wirklich die Schuld dafür, denn vielleicht wurde ich geliebt und konnte dieses Gefühl nur nicht verstehen und reflektieren.

Trotzdem soll meine Geschichte kein Klagewerk werden, obgleich die wahre Liebe, nach welcher ich mich so sehr sehnte, in ihr ein sehr großes Thema ist. An vielen Stellen wird sie nicht nur randläufig erwähnt, sondern gipfelt auch hin und wieder in Erotik, weshalb Du als Teilhaber schon eine gewisse Reife mitbringen solltest.

Ich hoffe, Du bist schon volljährig!?

Ach, was überlege ich, ich kann Dich ohnehin nicht sehen. Wenn es Dir also zu viel wird, ruf laut »Stopp« und lege das Buch beiseite.

Reife ist aber auch nötig, um die Zusammenhänge zwischen Handlung und meinen Gefühlen als Mensch zu verstehen, denn nicht immer wird es mir gelingen, den Schleier dessen weit genug zu lüften, was ich dachte, empfand und ursprünglich sagen wollte. Vieles wird im ersten Moment verwirrend, im nächsten aber auch wieder glasklar erscheinen.

Alles in allem hast Du dich also dazu entschlossen, mir zuzuhören, indem du dieses Buch liest.

Warum eigentlich? Neugier?

Gut so! Neugier ist das, was viele Wesen zur Entwicklung von Ideen antreibt. Wo wir wieder bei den Ideen sind: Als Mensch, der sensibel und sehr fantasievoll war, erdachte ich mir schon als Kleinkind fiktive Freunde. Das an sich war nichts Ungewöhnliches. Ich meine, wir alle kennen solche Phasen. Irgendwann aber begann ich, mich nach einem Gefühl zu sehnen, was man durchaus als Liebe bezeichnen kann. Nennen wir es noch Zugehörigkeit, Achtung und das Gefühl der Schätzung. Mit anderen Worten: Für all die Großherzigkeit, die ich meinen Mitmenschen hatte zuteilwerden lassen (wofür ich fast nie einen Lohn verlangte), wollte ich irgendwann etwas zurückhaben. Und da die Menschen mir nicht das geben konnten, woran ich am meisten interessiert war (Liebe und Wertschätzung), fand ich einen Weg, mir diese Dinge woanders zu holen.

Ich betrachtete meine Fantasie, ihre Farben, Wendungen, ihre Entstehungsgeschichte und begann langsam, mich emotional an sie zu binden. Es kam immer häufiger der Moment, in dem ich mich in meine Traumwelt zurückzog – zuerst rein gedanklich. Als ich in die Pubertät kam, war es für mich nur natürlich, mich auch körperlich zu meiner Fantasie hingezogen zu fühlen. Irgendwann empfand ich sie nicht mehr nur als Möglichkeit abzuschalten, sondern entwickelte sehr starke Gefühle für sie.

Um zu verstehen, wie man für etwas Fiktives überhaupt Gefühle haben kann, ohne, dass hierbei ein physisch greifbares Gegenüber existiert, musst Du wissen, dass es sich bei diesen Fantastereien um Tier-Mensch-Hybriden, Anthros, handelte.

Das waren Geschöpfe, Tieren ähnlich, die auf zwei Beinen laufen und sprechen konnten. Wesen, die mein Leben vom Anbeginn meiner Zeit bis zu deren Ende begleiteten. Ich hatte viel mit ihnen erlebt, schwere Zeiten mit ihrer Hilfe überwunden und wurde so irgendwann ein Teil ihrer Welt.

Wer oder was diese Kreaturen waren, woher sie kamen, wo sie lebten und was sie ausmachte: Die Antworten darauf werden Dich nicht immer erfreuen, soviel sei vorab gesagt. Wenn Du aber den Mut hast weiterzulesen, manchmal vielleicht die Zähne zusammenzubeißen, dann verspreche ich Dir, wirst Du eine sehr lehrreiche, fantastische und ehrliche Geschichte lesen, wie Du sie noch nie vernommen hast …

Einst war ich Chenerah Gajaze.

Doch eigentlich war ich es nicht. Das war nur der Name, den ich mir einst selbst gegeben hatte. Ein Name, den die Welt um mich herum nie akzeptierte. Ich gab ihn mir aus Liebe und Leidenschaft und er war bezeichnend für meine Ehrerbietung, die ich meiner Welt zuteilwerden ließ. Er war auferstanden aus den Wirren eines Krieges, den mein Geist mit sich selbst führte, einem Kampf dreier Persönlichkeiten. Es ging keiner von ihnen um die Vorherrschaft in meinen Gedanken, jedoch wollte jede von ihnen Teil der anderen sein, ewig miteinander verbunden, geordnet und klar.

Der Weg dorthin fiel mir nicht leicht und es kostete unendlich viel Kraft zu begreifen, dass dieser Kampf meine Persönlichkeit ausmachte.

Meinen drei Geistern zu helfen, sich miteinander zu vereinen, war das schwierigste Unterfangen, welches ich je erstreiten wollte. Es fiel mir schwer, all ihren Gesprächen und Argumenten zuzuhören, ohne einem von ihnen recht zu geben und die anderen damit zu verletzen.

Ich war ein Kind des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. So blieb ich auch immer (gefühlt) für mich allein, bis ich irgendwann erkannte, dass es mein inneres Bestreben war, meinen Träumen und Wünschen zu begegnen. Es dauerte viele Jahre, bis ich herausfand, wie einsam ich war, auf der Suche nach diesen Wesen, die ich unter all den Menschen, die mich umgaben, niemals hätte finden können.

Sieben Jahre Einsamkeit. Im Anschluss dann ein Ende mit Schrecken. Das Ende meiner Zeit. Es war ganz nah, das fühlte ich. Hätte ich nicht in diesem Krankenzimmer gelegen, hätte ich es auch so gewusst: Die Zeit rann mir durch meine Hände wie Sand. Unaufhaltsam bahnte sich mein Schicksal seinen Weg, denn meine letzten Tage waren angebrochen.

So lag ich nun da, in diesem Zimmer, an diesem sterilen, trostlosen und einsamen Ort und blickte bewegungsmüde aus dem großen Fenster. Man war meinem Wunsch gefolgt und hatte das Bett Richtung Osten gedreht, dorthin, wo die Sonne aufging.

Konzentriert blickte ich zum Horizont, den der offene Hinterhof des Hospizes freigab. Ich dachte über den anstehenden Termin nach: Mein Psychologe wollte mich besuchen, um mich wieder zu interviewen. Er war sehr aufgeschlossen, was mir sehr wichtig war. Schließlich sollte ich bald an diesem bescheuerten Magenkrebs sterben; und da war es mir schon recht, wenn jemand Neutrales sich anhörte, was ich abschließend zum Leben noch zu sagen hatte.

Ich wollte keine großen Reden schwingen oder irgendwelche Weisheiten zum Besten geben, die ich eh nicht zu meinen Erkenntnissen zählte, sondern einfach nur reden. Über mein Leben, meine Ideen, das alles hier. Über Glaube, Liebe, Hoffnung – nicht über die Traurigkeit, die ich logischerweise empfand. Ich meine, nicht jeden Tag bekommt man die erschütternde Diagnose ›Krebs im Endstadium‹. Sie war unumstößlich, sollte mich aber nicht davon abhalten, jemandem meine Geschichte zu erzählen – im Gegenteil: Jetzt hatte ich das drängende Gefühl, es sei an der Zeit; und ich hoffte, es bliebe genug von ihr übrig um all das zu sagen, was ich glaubte loswerden zu wollen.

Immer wenn ich aus diesem Fenster starrte und die Leute beobachtete, die im Innenhof Angehörige in Rollstühlen durch die Gegend fuhren, schienen manche von ihnen verschwunden, andere hinzugekommen zu sein.

Alle, die sie dasaßen, mussten sterben.

Die Alten und Jungen.

Dazu waren sie schließlich hier.

Merkwürdigerweise konnte ich in den Augen ihrer schiebenden Genossen nie einen Ausdruck wahrhaftiger Trauer entdecken. Still und langsam rollten sie diese Karren vor sich her, in Gedanken wohl gar nicht realisierend, dass es stets das letzte Mal sein könnte, dass sie ihre Lieben sehen würden.

Mein Sinnieren wurde harsch unterbrochen, als plötzlich die Zimmertür aufging und ich erschrak. Mein Psychologe war gekommen und klopfte wieder einmal nicht an. Manieren hatte er nicht, aber vielleicht gefiel er mir deswegen auch so.

Er war Mitte vierzig, trug einen Vollbart und hatte grau meliertes Haar. Manchmal wirkte er schusselig und irgendwie so, als würde er sein Äußeres vernachlässigen. Obwohl ich der Meinung war, er hätte mehr aus sich machen können, schien er jedoch nicht ungepflegt zu sein.

»Hallo und guten Tag, Herr Gajaze! Wie geht es Ihnen heute?«, fragte er und ging auf mein Bett zu.

»Sie haben mich ganz schön erschreckt«, schmetterte ich dieser Floskel entgegen.

»Tut mir leid.«

»Alles in allem ist es schon ganz nett hier, sobald meine Drogen anfangen zu wirken. Sie machen die Sache hier deutlich bunter.«

Der Psychologe grinste und holte sich einen Stuhl, den er neben mein Bett stellte und sich setzte.

»Haben Sie heute Ihr Diktiergerät dabei?«, fragte ich.

»Ja, habe ich«, bestätigte er und holte besagten Gegenstand aus der Tasche seines langen, braunen Mantels.

»Das ist schön«, lächelte ich und fragte ihn nach seinen Vorstellungen vom Ablauf des heutigen Interviews.

»Nun«, seufzte er und legte den Apparat auf den Nachttisch, »ich würde sagen, wir machen es so wie immer. Sie wollten mir heute ja etwas mehr erzählen. Legen Sie los, wann immer Ihnen danach ist. Ich und das Diktiergerät sprechen nicht und hören nur zu. Solange Sie möchten und sich fit genug fühlen, versteht sich. Ich jedenfalls habe viel Zeit mitgebracht.«

Ich nickte.

»Sie können auch jederzeit aufhören oder pausieren. Alles wird auf der Speicherkarte aufgezeichnet. Ich kann die Datei dann im Nachhinein bearbeiten.«

Ich dachte kurz nach und sagte dann: »Sie sollten wissen, dass ich Ihnen die volle Wahrheit sagen werde.«

»Das setze ich voraus, Herr Gajaze. Das ist schließlich in Ihrem Interesse«, bestätigte der Psychologe. »Lügen würde ja keinen Sinn ergeben.«

Ich blickte einen Moment lang erneut zum Fenster und mahnte: »Sie werden Dinge hören, die keiner von denen jemals verstanden hat. Manches wird sehr böse, anderes sehr abscheulich wirken. Also sagen Sie nachher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«

»Herr Gajaze …«, entgegnete er, worauf ich den Kopf wieder in seine Richtung drehte, »Sie können hier sagen, was immer Sie wollen. Niemand wird Sie für irgendwas je zur Rechenschaft ziehen.«

»Ja, schließlich sterbe ich. Was will man mir noch vorhalten?«, meinte ich abwertend.

»Es ist schade, dass Sie sich nicht rechtzeitig haben helfen lassen, aber das war eben Ihre Entscheidung, Herr Gajaze. Ich respektiere das, wie Sie wissen. Es hat durchaus seine Vorteile: Sie sind jetzt quasi unantastbar«, bestätigte mein Zuhörer.

»So ist es. Dann erzähle ich Ihnen jetzt, wer ich bin, wer ich sein wollte und woran ich dabei gescheitert bin. Läuft das Gerät?«

Der Mann erschrak leicht und schaltete den Rekorder ein, was er mir mit einem »So, jetzt« klarmachte.

Mein Herz klopfte stark. Ich war sehr aufgeregt, denn zum ersten Mal würde ich einem Menschen die ganze Geschichte meiner eigenen Welt erzählen. Vollkommen ungeschminkt, manchmal hart, peinlich, aber auch sehr schön, lustig und euphorisch.

Ich entspannte meinen Körper und atmete tief ein. Es fiel mir leichter, zu sprechen, wenn ich dabei niemanden ansah. Also schaute ich zur Decke, sodass ich in meinen Augenwinkeln nichts mehr erkennen konnte. So wirkte es, als blickte ich in eine reine, weiße Unendlichkeit, die ich fast schon hätte anfassen können.

Ich dachte einen Moment nach, beobachtet von meinem Zuhörer, sinnierte dann: »Die einzige Wahrheit der Welt liegt in ihrer Stille.«

Der Psychologe und ich lachten kurz, denn diese Phrase hatte er in unseren Sitzungen öfter von mir gehört. Er wollte von allem wissen, was ich als wahr empfand, selbst wenn es nie wirklich stattgefunden hatte. Ich schloss meine Augen und holte mir eine meiner Visionen hervor, die ich zeit meines Lebens nie vergessen hatte.

»Meine fiktiven Wesen sind Tiere, die aber wie Menschen auf zwei Beinen laufen. Sie haben Fell, tragen aber Kleidung und können sprechen. Wenn man so will, sind sie eine Art Hybriden-Wesen, Tier-Menschen, Anthros, die ebenso Bedürfnisse haben wie wir. Ich habe irgendwann damit angefangen, mir in solchen Geschöpfen meine Vorbilder zu suchen. Das ging so weit, dass ich mich in eines von ihnen verliebte.«

Der Psychologe schaute mich gespannt an, als ich wieder die Augen öffnete.

»In ein männliches oder weibliches?«, fragte er, obwohl er es eigentlich hätte besser wissen müssen.

Ich antwortete nicht, was in seinem Kopf ein lautes Klingeln hervorzurufen schien.

»Verstehe. Wer war er?«, fragte er weiter.

»Nein, wer ist er?«, korrigierte ich und erzählte weiter, nachdem ich mich räusperte. »Sein Name ist Fox McCloud.«

Als ich diesen Namen nannte, drohte mein Herz förmlich zu zerspringen. Sofort stellte ich mir eine bewegte Szene von ihm vor und grinste. Ein tolles Gefühl!

»Ich habe ihn nicht selbst erfunden. Er ist eine Figur aus einem Videospiel. Wie soll ich sagen? Jemand anderes hat ihn gemacht.« Ich pausierte und suchte nach den passenden Worten, die auch er verstehen würde.

»Was fühlen Sie, wenn Sie an ihn denken?«, fragte mein Zuhörer, offenbar sehr interessiert.

»Tiefe, unendliche Liebe. Eine Art Wärme, Geborgenheit. Ich weiß nicht, woher sie kommt, aber dennoch ist sie da. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Liebe so stark sein kann, dass man eine ganze fiktive Welt für jemanden entwickelt«, bemerkte ich und drehte meinen Kopf nach links, sodass mein Blick auf das an der Wand hängende Bild Fox McClouds fiel. Sofort erblickte ich vor meinem inneren Auge kurze Bildsequenzen, in denen meine Hand über den pelzigen Körper dieses Fuchses strich.

Mein Gegenüber folgte meinem Blick und schien schlagartig zu verstehen. »Er ist offenbar sehr maskulin«, merkte er an und unterbrach meine Gedanken.

»Allerdings«, grinste ich süffisant. Ich seufzte und sprach weiter, ohne den Psychologen anzusehen: »Nun, wie auch immer … Ich habe mich in ihn verliebt, in ihm einen Ersatz gefunden. Nur deswegen gibt es die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will. Und das will ich abschließen, ehe meine Zeit zu Ende geht.«

Nachdenklich fragte mein Zuhörer mich: »Okay, das verstehe ich irgendwie. Was aber soll ich eigentlich mit dem Text anfangen, den Sie hier draufsprechen?«

»Damit können Sie tun und lassen, was immer Sie wollen«, meinte ich. »Sie können daraus ja ein Buch machen. Vielleicht liest es ja jemand. Wichtig ist mir nur, dass ich Ihnen alles erzählt habe.«

»Also gut. Was wir damit machen, können wir später noch besprechen. Ich würde sagen, ich verhalte mich jetzt still und Sie legen einfach los. Sagen Sie, wenn Sie eine Pause brauchen, Herr Gajaze.«

»Okay, also los«, sagte ich und ein weiterer, tiefer Seufzer folgte.

»Die Geschichte besagter Wesen und meiner Liebe zu ihnen beginnt mit der Theorie, dass es immer einen Ursprungspunkt geben muss – vielleicht jemand Göttlichen, der die Idee hatte, etwas zu erschaffen. Dies ist die Entstehungsgeschichte aus der Sicht meiner Freunde, meiner geliebten Wesen, welche ebenfalls auf der immerwährenden Suche nach einer Antwort auf die drei größten aller Fragen waren: »Wer sind wir, woher kommen wir, wo gehen wir hin?«

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