Читать книгу Ich bin Matteo Salvini - Chiara Giannini - Страница 8
ОглавлениеFür Francesco und Alessandro. Möge die Liebe euch immer führen.
Sein Nachname ist der, der bei Google Italia am häufigsten eingegeben wird. Für die italienischen Frauen ist er, heimlich selbst für die linken, der begehrteste Mann des Landes, auch wenn sein Gesicht nicht eben das eines Latin Lovers ist. Es gibt Leute, die teures Geld dafür zahlen würden, um ihn in seinem privaten Alltag erleben oder wenigstens einen Espresso mit ihm trinken zu dürfen.
Er hat es nicht nur geschafft, seine vor wenigen Jahren noch am Boden liegende Partei zu einer stabilen und gefestigten Regierungskraft zu formen, er hat vor allem die Herzen der Menschen erobert. So etwas kann nur derjenige, der offen, natürlich und ohne jede Angst spricht. Selbst seine Fehler macht er häufig zu seinen engsten Verbündeten: das Herz auf der Zunge zu tragen, zahlt sich zwar keineswegs immer aus, doch stellt es Nähe zu den Menschen her. Ähnliches betrifft die mitunter höchst kompromißlose Art, wie er versucht der Gerechtigkeit Raum zu verschaffen, da er bereits in Kindertagen diverse Ungerechtigkeiten hat erleben müssen, etwa wenn er – ironisch natürlich – erzählt, wie ihm im Kindergarten sein geliebtes Zorro-Püppchen stibitzt wurde. Ist Matteo Salvini nun schlicht ein akademischer Untersuchungsgegenstand oder nicht doch ein moderner Condottiere, den man sich einfach aus der Nähe anschauen muß? In diesem Büchlein ist es Salvini selbst, der uns erzählt, wer er ist, was sein Lebensweg bisher für ihn bereithielt und was er sich von der Zukunft erwartet.
Während die Medien beinahe täglich von ihm berichten, stets oszillierend zwischen Nachrichten über sein Regierungshandeln und dem neuesten Klatsch über sein Liebesleben, erzählen wir, wer wirklich hinter der Persönlichkeit dieser Tage steckt. Hinter jenem Politiker, der sich für das Titelblatt der Wochenzeitschrift Oggi als Sexsymbol – mit nichts als einer Krawatte bekleidet – ablichten läßt und der an seinem Schreibtisch im Innenministerium oder auch mitten auf der Straße Liveschaltungen per Handy vornimmt, die dann das halbe Land aufmerksam verfolgt.
Daß er ein Phänomen ist, das haben längst auch seine Kontrahenten verstanden. Denn es ist nunmal so, daß Matteo Salvini im Laufe weniger Jahre zu einer Gestalt geworden ist, die auf Facebook dreieinhalb Millionen follower hat. Die Leute lieben ihn von ganzem Herzen, was wiederum auf seine eigene innere Kraft zurückwirkt. Er geht voran, wenn mit ihm Tausende auf den Straßen demonstrieren. Er betritt eine sizilianische Bar und trinkt dort einen Eiskaffee mit derselben Natürlichkeit, mit der er während eines Volksfestes in Norditalien Handyphotos seines Teller mit Salsiccia und Bohnen ins Netz stellt.
Matteo Salvini ist einfach dies: er ist der natürliche Ausdruck eines volkstümlichen und volksnahen Italiens. Ein Populist im eigentlichen Sinn des Wortes. Er verkörpert das Italien der Arbeiter, der Angestellten, der Maurer, der Bäcker, der Reiseveranstalter und der kleinen Unternehmer. Es ist das Italien der Ziegelsteine und des Zements, jenes Italien, das sich in der zweiten Nachkriegszeit die Hände gereicht hat, um sich im Geiste der gemeinsamen Pflicht und der Brüderlichkeit wiederaufzurichten.
Und auch wenn die fünfziger und sechziger Jahre weit zurückliegen, der leader der Lega hat die Mentalität dieser Generation verstanden, deren Herzen in jenen Zeiten verblieben sind. Es sind Leute, die jenen Tagen nachtrauern, als sie in der Eingangstür oder im Auto den Schlüssel stecken lassen konnten, ohne zu fürchten, daß man sie beklauen würde. Oder auch den Sommertagen beim Kartenspiel, während die Kinder zufrieden auf der Straße herumspielten, ohne Angst haben zu müssen, daß der nächstbeste Depp ihnen etwas zuleide tun könnte.
Und Matteo Salvini, ein Italiener unter Italienern, voller Liebe für sein Land, hat genau das verstanden: wir trauern dem nach, was wir waren. Wir trauern den Zeiten der Lira nach, als wir noch das Geld für einen zusätzlichen Urlaub in der Tasche hatten und als wir nicht einmal wußten, was die Equitalia10 überhaupt sein könnte. Wir trauern der Einberufung zum Militärdienst nach, der Disziplin jener Zeiten, als es noch sehr viel weniger Überwachung aber paradoxerweise mehr Sicherheit gab.
Und doch kann man nicht an einer Vergangenheit kleben bleiben, die notwendigerweise Platz gemacht hat für eine modernere Gegenwart. Man muß sich den Zeiten anpassen. Und wenn es früher die Marktplätze der Landgemeinden waren, auf denen sich Don Camillo und Peppone nach Dienstschluß über den Weg liefen, um sich verbale Ohrfeigen zu verabreichen, so haben sich die Debatten in der heutigen Zeit an den PC verlagert, den eigentlichen Ort der massenmedialen Teilhabe. In einer Zeit des Virtuellen, die spätestens mit dem Auftreten der 5G-Technik dazu übergeht, eine tatsächlich automatisierte und von der Kybernetik geprägte Zukunft zu werden, war gewiß ein Mann vonnöten, der mit dieser Zeit Schritt hält und einen überholten Politiker-Typus in Rente zu schicken, der mit einem stattlichen Bäuchlein fest an seinem Stuhl klebt.
Das ist der Grund, warum Salvini für den Großteil der Italiener den perfekten leader verkörpert: er versteht die Lebenswirklichkeit von Jung und Alt einfach gleichermaßen. Man erinnert sich seines Kampfes an der Seite von Oma Peppina, die nach dem Erdbeben 2016 einfach nicht aus ihrem Häuschen ausziehen wollte, aber erinnert sich auch, wie er mit jenen Schulkindern Eis aß, die in San Donato bei Mailand nur knapp dem Feuertod entronnen waren, nachdem der senegalesische Fahrer ihren Schulbus angezündet hatte.
Er ist der personifizierte Widerstand gegen die unkontrollierte Einwanderung, das Symbol der geschlossenen Häfen und der Hoffnung, daß das angenehme Leben der Kriminellen ein Ende haben wird. Er steht für das Notwehrrecht der Italiener ein und ist der Inbegriff eines breiten gesellschaftlichen Zuspruchs innerhalb der sozialen Netzwerke. Er ist der Superman, der gegen das Böse kämpft, der Clark Kent, der tagsüber als ganzer normaler Mensch inmitten der Leute lebt, sich bei Bedarf aber in den Retter der Welt verwandelt. »Der Capitano kümmert sich drum« ist mittlerweile die Devise innerhalb der Lega und unter den Unterstützern Salvinis, der es besser als jeder andere Minister versteht, die sozialen Medien für sich zu nutzen. Ja, diese sind das eigentliche Streitroß eines Mannes, der es dank seiner Social-Media-Mitarbeiter, rekrutiert aus eifrigen und klugen jungen Sympathisanten, erreicht hat, seine Zustimmungswerte in den Himmel schießen zu lassen. Sein unverzichtbarer Leiter im Bereich der sozialen Medien, Luca Morisi, bestimmt jedes noch so kleine Detail, bevor ein Post veröffentlicht wird, und arbeitet ohne Pause. Denn das hat man in der Lega, zumindest auf der Führungsebene, verstanden: Bummeln wird nicht hingenommen.
Salvini ist auch der unermüdliche Mann, über den sein Chefsekretär Andrea Paganella unverblümt sagt: »Ich weiß nicht, woher er die Energie nimmt.« Eine offene Frage, die auch seine frühere Pressesprecherin Iva Garibaldi nicht beantworten kann, die heute für seine Fernsehauftritte verantwortlich ist, also das andere Medium, auf das der Vizepremier setzt. Es ist direkter und unmittelbarer als die Printmedien, die letztlich ihrem Sonnenuntergang entgegengehen, begleitet von der Melancholie einiger Romantiker, die immer noch unbedingt jeden Morgen dünnes Papier streicheln wollen.
Und doch ist der derzeitige Innenminister alles andere als ein Roboter, denn in seiner Brust schlägt das Herz eines Vaters, der sich gegenüber Tierquälerei, Gewalt und Unrecht erzürnt. Dem nach seinem Besuch der verletzten Kinder der Tragödie von Corinaldo11 vor Rührung Tränen in den geröteten Augen standen, oder der in Genua unmittelbar nach dem Einsturz der Morandi-Brücke zusammen mit den Feuerwehrleuten den Unfallort inzipierte. Aber er ist auch der zerbrechliche Mann, dem das Ende der Beziehung zu der schönen Fernsehmoderatorin Elisa Isoardi das Herz brach, was einen sichtbaren Hauch von Trauer auf seinem Gesicht hinterließ.
Daneben bleibt Salvini ein Mann für Überraschungen, der zuerst sagt, daß er sich vor Denis Verdini12 ekele, um sich dann mit dessen Tochter Francesca in süßer Eintracht von Paparazzi fotografieren zu lassen, was gleichermaßen für Kritik wie Verwunderung sorgte.
Stets bereit, anderen zu helfen, mag er nicht auf seine täglichen Postings verzichten, in denen er Ungerechtigkeiten und Widersprüche aufgreift und all das thematisiert, das in Italien ganz einfach schiefläuft. Er ist es, der sich eine Polizeijacke überwirft, um damit seinen Stolz darüber zu bekunden, daß er der Minister all derer ist, die auf den Straßen unterwegs sind, um Leben zu retten. Er tut dies trotz aller Kritiken, trotz der Angriffe von Gad Lerner, Roberto Saviano, Laura Boldrini der »radical chic«13 aus den Zeiten Matteo Renzis und der gar nicht vom Volk gewählten technischen Regierungen, von denen man glaubte, sie würden gar nicht mehr verschwinden. Und als die letzten Wahlen, die vom 4. März 2018, dem fragwürdigen Brauch ein Ende setzten, daß man sich ohne vom Volk gewählt worden zu sein zur Regierung erklärt, da machte ein legendärer Ausspruch die Runde: »La pacchia è finita« (»Das angenehme Leben ist vorbei«)! Die Italiener haben Salvini gewählt, damit er sie anführt, zusammen mit einer weiteren politischen Kraft, der Fünf-Sterne-Bewegung, die ebenfalls Ausdruck eines gewissen Volkswillens ist, jedoch gewiß eines anderen, und ihrerseits weniger populistisch agiert. Denn während die Lega auch erfahrene Politiker vom alten Schlag aufbietet, treten bei den Fünf Sternen Gestalten an, die von hier und da rekrutiert werden, die über keine politische Erfahrung verfügen und nur mit wenigen Stimmen gewählt wurden. Genau dies ist der Grund, warum Salvini, anders als sein Regierungspartner, nach Bildung der Koalition so viel Zustimmung gewonnen hat: Auf der einen Seite steht die Lega mit ihrer politischen Schule, aus der alle diejenigen stammen, die sich der Verwaltung des Landes widmen möchten, auf hoher wie niedriger Ebene; auf der anderen Seite steht die Fünf-Sterne-Bewegung – mit Befehlsketten, die von oben nach unten verlaufen und wo keiner weiß, woher die Anordnungen wirklich kommen –, die unter dem Gewicht der massiven Zustimmung, die der Vizepremier täglich weiter zu steigern weiß, schlicht zusammenzubrechen droht.
Bislang also nur Lob. Aber hat Salvini, dieses Phänomen unserer Tage, denn etwa keine Schwächen? Sie werden es in dem Kapitel der einhundert Fragen erfahren, die wir ihm gestellt haben.
Sicher ist, daß die wichtigsten Kritiken, die an dem Innenminister geübt werden, eigentlich Programmpunkte der Fünf-Sterne-Bewegung betreffen, was häufig nur nicht gesehen wird. Wenige wissen, daß bereits vor den Wahlergebnissen des 4. März 2018 über eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung nachgedacht wurde, denn in der Parteizentrale der Lega befürchtete man seit Monaten, auf diese Variante angewiesen zu sein. Lange schon hatte man verstanden, daß die Stimmen für Forza Italia und Fratelli d’Italia nicht ausreichen würden, um eine stabile Mitte-Rechts-Regierung zu bilden. Um also das Risiko einer erneuten technischen Regierung zu verhindern, wählte man das kleinere Übel. Allerdings würde Salvini das nie so deutlich zugeben, auch wenn die Reibungen zwischen den beiden politischen Lagern deutlich spürbar sind.
Einmal ließ Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta (Fünf-Sterne) verlautbaren, daß die Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht nicht vorgesehen sei, da hierfür nicht nur keine Gelder zur Verfügung stünden, sondern auch die Kasernen längst aufgegeben worden seien. Kaum war das ausgesprochen, folgte die klare Entgegnung Salvinis: »Der Wehrdienst würde den jungen Leuten dabei helfen, mal ein bißchen Erziehung zu genießen.«
Einige Monate später wurde gegen Salvini Ermittlungen im Fall des Rettungsschiffes Diciotti eingeleitet, dem er zunächst die Einfahrt in italienische Häfen verweigerte. Die Abgeordneten der Fünf-SterneBewegung haben ihn gerettet, indem auch sie gegen die Genehmigung zur Einleitung eines Verfahrens gegen den Innenminister stimmten. Als sich aber Danilo Toninelli, Minister für Infrastruktur und Verkehr, am folgenden Tag einem Mißtrauensantrag ausgesetzt sah, war von Salvini nichts zu sehen und gleich fünf Senatoren der Lega weigerten sich, die Position der Grillini14 zu verteidigen. Als Retourkutsche kam es im Zuge der Debatte um das neue Notwehrrecht zu einer stillen aber offenen Konfrontation der Regierungspartner. Sämtliche Minister der Fünf-Sterne blieben dem Plenarsaal fern, während sich sechs ihrer Senatoren der Abstimmung enthielten und weitere neun als entschuldigt abwesend meldeten. Gleiches mit Gleichem vergelten, »Auge um Auge, Zahn um Zahn« – in keinem der beiden politischen Lager darf man aussprechen, was für jedermann erkennbar ist.
Eine ähnliche Episode ereignete sich schließlich auch rund um das Bürgergeld, das politische Prestigeobjekt Luigi Di Maios. Salvini war dem offiziellen Phototermin nach der Verabschiedung des Gesetzes ferngeblieben, so daß es zwischen den beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten erneut zum Konflikt kam. Immer häufiger erscheinen gegensätzliche Erklärungen der beiden Regierungspartner, die dann von Regierungschef Giuseppe Conte wieder eingefangen werden müssen, der in seiner Eigenschaft als Vermittler jedes Mal aufs Neue bemüht ist, rasch den Frieden auf der Regierungsbank wiederherzustellen, indem er an die verpflichtenden Vereinbarungen des Koalitionsvertrags erinnert.
Aber wie lange wird sich diese Regierung noch im Sattel halten können? Das ist die Frage, die alle Italiener vor den kommenden Europawahlen umtreibt, die für die Wiedergeburt eines geeinten Centrodestra, aber ebenso für einige Überraschungen sorgen könnten. Doch freilich haben die Italiener noch sehr viele andere Fragen. Nicht zuletzt die, wer dieser Salvini denn wirklich ist? Ist er der Mann, den alle in ihm sehen – oder versteckt sich in seinem Schrank nicht doch das eine oder andere Skelett?