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Doktor Lammers zögerte mit seiner Antwort. War er doch seiner Meinung nach zu Höheren berufen, wo es Fälle gab bei denen es sich eher lohnte seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Geradezu arrogant herabwertend ordnete er für sich unspektakuläre Krankheitszustände als belanglos und somit ohne jegliche Herausforderung ein. Umfangreiches Befassen wäre doch in solchen Fällen eher dem Pflegepersonal oder Assistenzärzten zu überlassen. So lange jedoch Professor Niehlan sein Vorgesetzter war, musste er sich den ihm aufgetragenen Dingen widmen, die er als reine Zeitverschwendung einstufte. Niehlan war nur über Dritte mit der Ansicht von Lammers vertraut und wartete bei jeder Visite darauf, diese Einstellung von ihm einmal persönlich zu hören. Aber den Gefallen tat er ihm nicht und das Verhältnis zwischen den beiden war dadurch spürbar kalt und auf das Sachlichste beschränkt.

>>Fortschritte? Tja, ich will nicht sagen aussichtslos, aber die Bezeichnung Fortschritte ist schon ziemlich weit hergeholt, Professor. <<

Während der Professor die neuesten Erkenntnisse in mei-nem Krankenblatt studierte, bewegte sich Lammers geradezu genervt zu mir und zog eine kleine Taschenlampe aus der Brusttasche seines weißen Kittels.

Ich merkte wie er sich langsam über mich beugte und mir seinen Atem bestehend aus Kaffee, Nikotin und irgendein vom Geruch her verdorbenes Stück Salamibrötchen oder ähnliches ins Gesicht presste.

>>Bei der gestrigen Visite konnten wir wie bisher keinerlei Reaktionen feststellen. Sein Körper reagiert auf keinerlei Reflexstimulierenden Maßnahmen und seine Augen zeigen auf Licht nicht die geringste Veränderung. Den Zustand jedoch kann man als gleich bleibend stabil einstufen und…<<, während er das sagte riss er mir vom Gefühl her, mit seinem Daumen und dem Zeigefinger das rechte Auge bis fast über das ganze Gesicht auf. Dann hielt er seine Taschenlampe so nah an meinem Augapfel, das ich für den Bruchteil einer Sekunde sogar den kleinen in ihr befindlichen Reflektorspiegel erkennen konnte. Ein greller stechender Lichtstrahl durchflutete meinen Kopf. Eine Helligkeit die mir so stark erschien, dass wenn jemand unter meiner Bettdecke geschaut hätte, ein Lichtstrahl kommend aus meinem Hintern hätte entdecken müssen. Dem nicht genug, hatte das Arschloch Lammers nachdem er dann auch das Linke Auge bis zum Hinterkopf aufgerissen hatte, zwar erreicht das meine Augen nun aufblieben, ich allerdings durch seiner tollen Lichtspielaktion so geblendet war, das ich erst recht Nichts mehr sehen konnte.

>>Professor…ich kann…<<

>>Sie können was? Genaue Angaben wenn es geht! <<

>> Ich kann hier eindeutig eine Reaktion feststellen. <<

Hastig wiederholte er an beiden Augen seinen Lichtreflextest um sicher zu gehen. War ich für ihn jetzt doch interessant?

>>Im Gegensatz zu den letzten Untersuchungen habe ich das Gefühl die Pupillen würden dieses Mal auf Lichtreflexe reagieren. <<

>>Damit kann ich nicht viel anfangen Doktor Lammers, mit ihren Gefühlen. Reagieren sie oder reagieren sie nicht? <<

Professor Niehlan ließ genervt das Krankenblatt am Fußende fallen und forderte, in dem er seine Hand Doktor Lammers entgegenstreckte, die Taschenlampe.

>>Darf ich? <<

>>Aber natürlich, Professor. <<

Während Niehlan die gleiche Prozedur durchführte und ebenfalls die Beobachtung machte, zeichnete sich ein erleichterndes Grinsen in seinem Gesicht ab. Hatten doch so manche Kollegen meine Wenigkeit abgeschrieben und den enormen medizinischen Aufwand den er betrieb und stets versuchte zu rechtfertigten, in Frage gestellt. Bekam er jetzt den Lohn dafür?

>>Wahrhaftig, der Junge zeigt endlich das es ihn noch gibt. Zwar vom Reflex auffallend langsam aber es bewegt sich was, sehr schön! Sie kümmern sich um alle nötigen Tests Doktor Lammers. Gehen sie noch einmal alles durch. Wäre ja schade wenn unser Herr Schmitz hier mehr mitbekommt als wir erahnen, nicht wahr? <<

>>Ja Professor, ich werde die Stationsschwester beauftragen alles zu veranlassen. <<

Im Begriff den Raum zu verlassen blieb Professor Niehlan, um auf Lammers Antwort zu reagieren, kurz vor der Tür stehen, drehte sich jedoch bewusst unhöflich nicht um.

>>Nicht die Stationsschwester kümmert sich, Herr Doktor Lammers, sondern ausschließlich sie. Ist ihnen das recht oder haben sie gerade Wichtigeres vor? <<

>> Nein, nein, natürlich ist mir das recht, Professor! Warum sollte mir das nicht recht sein? <<

Lammers verhielt sich ertappt aber auch angepisst und versuchte nervös ungeduldig seine Taschenlampe zurück in seiner Brusttasche zu stecken. Immer wieder stieß sie auf die obere Kante des umsäumten Eingriffs und erst nach pressender Gewalt war sie zum Verschwinden in die Tasche bereit.

>>Fein, und nennen sie mich nicht immer Professor, Herr Doktor Lammers! <<

>>Verzeihung, wie soll ich sie sonst nennen? <<

>>HERR Professor, Herr Doktor Lammers, HERR Professor! Wenn sie nur Professor sagen komme ich mir vor wie in der Sesamstrasse?! <<

>>Ich verstehe, Herr Professor! <<

>>Das will ich doch meinen. <<

Niehlan verließ das Zimmer und hatte gerade mal die Türklinke von außen losgelassen, als Lammers im gleichen Atemzug „Arschloch“ sagte.

Professor Doktor med. med. Adalbert Niehlan! Der Name war nicht nur in der Klinik, sondern weltweit auf medizinischer Ebene für viele Studenten und angehende Ärzte in sämtlichen Fachrichtungen Gesetz. Er war Chef der Klinik und eine Koryphäe auf mehreren Gebieten. Personalmangel gab es bei ihm nicht, denn allein der Status unter seiner Führung arbeiten zu dürfen, war für viele die größte erreichbare Ehre ihrer Laufbahn. Er konnte sich die Besten heraus suchen und tat es auch. Egal welcher Herkunft, Glauben oder Hautfarbe, wer in der Lage war explizit das menschliche Leben zu retten und auf hohen Niveau am Leben zu halten, war bei ihm willkommen.

Wir haben über dem Menschen und darüber hinaus einen Eid abgelegt und wurden von Gott bestimmt mit unseren Händen zu helfen und in der Not zwischen Leben und Tod beizustehen.

Es wäre und ist für uns unduldbar, wenn diese Gabe wegen Mangel an Aufmerksamkeit an Einzelne egal in welcher Lage und Situation in Frage gestellt würde.

Eine Mahnung von ihm in mehreren Ausfertigungen, eingerahmt für jedermann ersichtlich und plädierend auf allen Stationen aufgehängt. So war Niehlan!

Während sich meine Augen nur schwer von dieser tollen Lichtaktion erholten, hörte ich wie Lammers in meinem Krankenblatt blätterte und dann ebenfalls hinausging. Die Tür ging zu und meine Augen blieben auf. Ja sie blieben auf! Auch meine Sehkraft pendelte sich immer mehr von einem schwarzen Punkt, umrandet mit einem Ring aus Licht, zur normalen Schärfe ein. Je mehr ich erkennen konnte umso glücklicher wurde ich. Ich sah die Zimmerdecke, verkleidet mit 40x40 Platten sowie sie in fast allen Krankenhauszimmern üblich war.

Diese hässliche lange Deckenlampe, die durch den alten Starter immer vier-fünfmal aufblinkte bevor sie endlich an blieb wenn man sie anschaltete.

Geradeaus, über mein Fußende hinweg hing Jupp an der Wand. Wie soll es auch anders sein. In jedem gut sortierten Krankenhaus war er zu finden und gehörte anscheinend zum Leid eines Jeden dazu. So oder so!

Ich war überzeugter Atheist und hielt nichts von dieser Glaubensschwafelei. Das war allerdings nicht immer so. Als Kind ging ich sogar gerne in die Kirche und manchmal betete ich vor dem zu Bett gehen. In der Zeit als die Sache mit Elena passierte und nicht lange danach meine Mutter verstarb, richtete ich oft meine Gebete an Jesus. Der hatte meiner Meinung nach aber nichts Besseres zu tun, mit der Missachtung meiner Gebete, mir zu zeigen dass ich für ihn nicht existent war. Ich fühlte mich von ihm verleugnet und später tat ich mit ihm dasselbe. Das mag naiv klingen aber aus Kindestrotz vertretbar.

Dann war da noch der große Strahler über meinem Bett. Er hatte bald einen Durchmesser von einen halben Meter, schien mir jedenfalls so. Er erinnerte mich an diesen Strahler von meinem Zahnarzt. Rund mit einem hochglänzenden breiten Chromring drum herum und innen, hinter einer hellorange getönten Scheibe, zwölf kleine Lampen die zusammen ein großes Licht ergaben. An der rechten Seite ging ein dicker Gelenkarm ab, der wiederum irgendwo neben mir am Bett befestigt war.

Im groben war das eigentlich alles auf das sich mein Sichtfeld beschränkte. Zumindest solange bis ich mir dann den Strahler genauer betrachtete.

Der spiegelnde Chromring ermöglichte mir meinen Blickwinkel, der aufgrund meiner völligen Bewegungs-einschränkung fast auf Null war, über das ganze Zimmer auszubauen. Durch die Wölbung des Ringes verzog sich alles was seitlich vom Strahler im Zimmer war für mich in eine parabolische Ansicht. Gewöhnungsbedürftig aber mit der Zeit lernte ich damit um zu gehen.

Gar nicht schön der Moment als ich auf der inneren Seite des Ringes zur Mitte des Strahlers schaute. An dieser Stelle war keine Wölbung und in der getönten Scheibe war genau das zu sehen was sich unmittelbar darunter befand. Ich sah mich, ja mich! Wie in einem dunklen Spiegel, glasklar.

War ich das wirklich? Ich sah ein verzerrtes, in sich Schläuche steckendes und fremdes Gesicht. Erst dachte ich, es liegt an meine Augen aber je länger ich mich auch auf mein Gesicht konzentrierte, es wurde nicht besser. Alles andere um mich herum gab ein klares Bild ab und so musste ich mich letztendlich damit abfinden, dass die Fratze die sich im Strahler widerspiegelte, die meine war.

Schockiert und fassungslos wollte ich heulen, schreien. Diese Fratze berühren, versuchen sie irgendwie zu Recht zurücken aber es ging nicht.

Sämtliche Gesichtszüge waren entglitten oder nicht mehr vorhanden.

Schlapp und zerflossen, hängend wie ein Wachsfigurengesicht was zu lange in der Sonne lag, ohne jeglichen Ausdruck. Es war tot!

Die Haare waren ab. Sie hatten mir den Kopf kahl geschoren. Zumindest an den Stellen wo noch Haare hätten wachsen können. Von Narben und Nähten übersät, sah mein Kopf aus wie der Grand Canyon, zusammengeflickt wie ein 3D Puzzle. Ungewiss was noch original in meinem Kopf war, wie viel Titan in Schrauben- oder Plattenform meinen Schädel zusammen hielt.

Das einzige aufheiternde waren die tollen Schläuche die aus Mund, Nase, Kopf, Hals und dem Bett ragten. Sie verhinderten glücklicherweise aufgrund ihrer für mich lebensnotwendigen Funktion, den direkten Blick auf mich.

Flüssigkeiten wie Wundwasser, Blut und anderen Sekrete die der Körper in meiner Lage absorbierte, wurden durch sie abgepumpt oder abgelassen. Zwei kamen allein schon seitlich aus meinem Hinterkopf und verhinderten das aufblähen meines Kopfes zur Größe eine Medizinballes.

Die in der Nase und im Mund versorgten mich mit Sauerstoff und künstlichen Mahlzeiten in Flüssigform.

So sah ich also aus….am Kopf!

Die Bettdecke hing mir fast bis zum Hals und es war schwer, das was sie abzeichnete sicher zu definieren. So konnte ich nur raten wie der Rest aussehen könnte. War noch alles da? Wenn etwas fehlte, war es ein Arm oder ein Bein? War vielleicht nur noch der Rumpf vorhanden? Wenn ja, wie sah er aus? Würde ich es überhaupt jemals erfahren?

Ich lag also da mit mir im Wissenskonflikt, wie es wohl um mich und der Anzahl meiner Körperteile stehen könnte.

Sämtliche Geräte in allen Größen und Formen standen um mein Bett herum und jedes von ihnen machte andere Geräusche. Tropfständer, Sauerstoffsättigungsapparatur, Monitore und sogar ein Defibrillator rundete diese großzügige Ansammlung von Pharmaschrott ab. Um mich herum war alles derart mit diesem Zeug dichtgemüllt, das selbst wenn ich hätte aufstehen können, ich nicht von der Stelle gekommen wäre. Selbst der nur indirekte Blick zum einzigen Fenster war fast verbaut worden.

Mich erinnerte das an Bilder die ich aus Filmen oder Reportagen kannte, bei denen ich derjenige war der am lautesten rief:„Schalte die Geräte aus, der merkt doch eh nichts mehr!“

Ich habe mir nie die Frage gestellt, was denn mein Wille wäre, wenn ich eines Tages so liegen würde. Maschinell am Leben gehalten, mit oder gegen den eigenen Willen ohne Einfluss, weil das Gesetz es so vorschreibt. Wer denkt schon an einer Patientenverfügung um Lebenserhaltende Maßnahmen zu untersagen? Die Wenigsten!

Jetzt lag ich also da in der Hoffnung dass ich nicht selbst den Gedanken bekomme, das mich Irgendwer von meinen Leiden erlöst und den Stecker zieht. Es würde sich nämlich nichts ändern. Wie ich mich auch entscheiden würde, nach der unvermeidlichen Offenbarung meines restlichen Seins, es würde kein Ende finden.

Sie würden weiter machen die Professoren und Doktoren mit der vom Pflichtgefühl umwogenden Zielstrebigkeit nach Erhaltung eines Lebens und der Suche nach neuen medizinischen Errungenschaften. Wer kennt das nicht, das wissenschaftliche Experiment mit der langbeinigen Spinne.

Man reiße ihr nach und nach ein Bein heraus und dokumentiert, wann sie wohl mit dem Laufen aufhören würde. Gut, man würde mir hier keine Körperteile herausreißen, sofern überhaupt welche vorhanden waren. Aber davonkommen lässt mich auch keiner. Mir blieb also nichts anderes übrig, als zu warten. Warten auf die Dinge, die da kommen.

Ich studierte den Raum akribisch um mein Sichtfeld perfekt auszubauen. Ich musste die Abstände zu den Gegenständen die sich im Raum befanden durch meine parabolische Sichtweise neu einschätzen. Das stellte sich als nicht ganz einfach heraus. Rechts von mir war also das einzige Fenster durch das ich einige eng zusammenstehende Baumkronen erkennen konnte. Die meisten Blätter die noch hingen waren schon gelb. Mir wurde klar wie lange ich nicht bei Bewusstsein war. Demnach hatten wir Herbst und wenn es nicht Jahre waren die ich nicht bei Sinnen war, wovon ich ausging, dann mussten es mindestens über zwei Monate gewesen sein.

Links neben den Baumkronen war ein freies Stück mit dem Blick zum Himmel der an jenem Tag meines Er-wachens strahlend blau war. Die Sonne schien mit herrlicher Kraft und einem schon fast gellenden Strahl in mein Krankenzimmer herein. Ein goldener Oktobertag wie er schöner nicht sein konnte. Ich machte mir durch diesen Eindruck für einen Augenblick Illusionen. Gerade zu euphorisch fing ich an mich auf die nächste Tour mit meinem Bock zu freuen. Die Sonne, die Straßen, die Cafes und die Mädels. Ich verspürte dieses Gefühl etwas zu verpassen in dieser Gefangenheit. Ich wollte frei sein und zwar so wie ich es immer war. Hätte mich Jemand hören können aus meiner offensichtlichen ausweglosen Lage mit dem Wissen wodurch diese letztendlich zu Stande kam, ich glaube man hätte mich aufgrund meiner Unbelehrtheit auf der Stelle erschlagen. Es hörte mich aber keiner und so reichte ein Blick zum Strahler über mir, der mich aufs härteste wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Ein Blick genügte nach solch gedanklichen Ausschweifungen um eine psychische Keule zurück in die Realität zu bekommen. Es war grauenhaft ernüchternd, sehen zu müssen dass es vorbei war. Wie lange ich auch so leben würde, niemals käme mein altes Leben wieder in Betracht.

An dieser Stelle sei zu erwähnen, dass dies kein Selbstmitleid sein sollte, im Gegenteil. Ich versuchte der Lage Herr zu werden um mich damit zu arrangieren. Ich verabscheute Menschen die sich jeden Tag vor anderen selber runter machten um deren Mitleid zu erzwingen. Menschen die nur darauf warteten dass man sie bedauert und umarmt. Für mich war das eine Art von ADS, Aufmerksamkeits-Defizits-Syndrom.

Wenn sie ihr Ziel dann erreicht hatten, fingen sie an noch schlimmer zu werden. Das war auch der einzige Grund warum ich über meine Bewusstlosigkeit, was das anging, positiv dachte. Ich wollte gar nicht wissen wer oder was mich in der ersten Phase nach meiner Einlieferung alles schon besucht hatte. Wer auf mich herab sah und vor lauter Mitleid das Heulen anfing. Es hätte die Sache für mich nur noch verschlimmert. Sie hätten dazu beigetragen meinen Zustand unerträglich zu machen. Es gab meine Vergangenheit, die derzeitige Gegenwart und die leicht kalkulierende Zukunft an der ich mich stets zu erinnern zwang. Denn die war Fakt.

Auf der anderen Seite im Zimmer befand sich in einem aus furniertem hell orange farbenden Holz die große und breite Zimmertür. Daneben das Nachtlicht für die Schwester und ein leuchtender Druckknopf um sie bei Bedarf zu holen. Die Wände waren in einem leichten gelb gehalten und der kleine Schrank für die persönlichen Sachen neben dem Bett war hellgrün. Es machte alles zusammen irgendwie einen frischen Eindruck. Als ob man darauf sehr bedacht war dass die Patienten sich wohl fühlten. Ein Einzelzimmer in der Nähe einer wunderschönen Parklandschaft ohne Seeblick aber mit Homeservice und mobilen Wellniesbereich.

Das einzige was fehlte war eine Uhr und ein Kalender, denn ich fühlte mich zeitlich komplett desorientiert. Hatte nicht gerade Dr.Lammers nach der Morgenvisite diesen Raum verlassen, schien es im nächsten Augenblick kurz vor Anfang der Dämmerung zu sein. Für mich kamen zunächst nur zwei Möglichkeiten in Frage. Entweder nahmen die Ärzte das mit der Visite nicht ganz so genau, indem sie ihren Rundgang durch die Zimmer auch mal am späten Nachmittag absolvierten. Oder ich hatte Blackouts, die mich unkontrolliert wegtreten und nach unbestimmter Zeit wieder wach werden ließen. Die letztere These, eher ohne Ernsthaftigkeit von mir aufgestellt, bestätigte sich Erschreckenderweise durch die Antwort, die ich mir im gleichen Augenblick, jedoch mit einem Zeitsprung zur Mitte der Nacht, selbst darauf geben konnte.

Ich durfte also die Option „Blackouts“ einloggen. Nun stellten sich die nächsten Fragen. Wie lange dauerte einer dieser Zustände an und kann ich das irgendwie kontrollieren?

War jene Nacht diejenige von dem Tag zuvor oder befand ich mich schon in der übernächsten Nacht? Sind die durchzuführenden Tests die Professor Niehlan angewiesen hatte schon erledigt worden, oder finden sie noch statt? Wenn ja, wie waren sie ausgefallen?

Das hatte mir zu meinem Glück noch gefehlt. Ich war der Einzige der wusste, wann ich bei Sinnen war aber ich hatte keinen Einfluss darauf wann. Befand ich mich im Wachzustand änderte es nichts daran, dass ich weiterhin zeitlos war. Nachfragen konnte ich nicht und ein Grund mich zu informieren bestand ebenfalls nicht.

Der Zufall entschied also darüber wann und ob ich ganze Tagesabläufe mitbekam oder nur Minuten. Wenn überhaupt. Informationen über wichtige Ereignisse mich betreffend, waren so sicher wie der Hauptgewinn an einer Losbude auf dem Jahrmarkt.

Was für ein unerträgliches Desaster. Ich hätte mir am liebsten vor Wut selber eins in die Fresse gehauen. Aber ich wusste ja noch nicht einmal ob ich eine Hand dafür hatte. Dieser physische und nach außen hin komaähnliche Zustand reichte also nicht. Nein!

Für mich durfte es wie so oft ein wenig mehr sein und somit hatte ich die tollsten Aussetzer als Nachtisch. Als ungewollter Zeitreisender bewegte ich mich unkontrolliert durch die 4. Dimension und fand mich in verschiedensten Situationen wieder. Einige stellten mich auf die Probe oder forderten mich mental heraus. Andere hätten für mich sogar im gesunden Leben bereichernde Auswirkungen gehabt.

>>Guten Mooorgen Tony! Es ist ein wunderschöner Herbstmorgen und heute ist Waschtag. Das heißt wir machen uns nackiiig. <<

Ich weiß nicht ob ich komatös oder in einer Schlafphase war, als die liebe Schwester Dora bei meiner ersten Begegnung mit ihr, ihre war es offensichtlich nicht, mit vollem Elan die Zimmertür derartig aufschlug, als ob sie daraus eine Drehtür machen wollte. Es schepperte so laut das man wach werden mußte und mit ihrem Organ hätte sie sogar die alten Inkas aus ihren Gräbern schreien können. Die Tatsache, dass sich der Ort an dem wir uns beide aufhielten, den meisten die erforderliche Ruhe zur groben Genesung verschaffen sollte, war für sie anscheinend nicht relevant.

Sie war im besten Alter, vielleicht Ende Vierzig oder Anfang Fünfzig und sie sah sehr attraktiv aus. Eine Frau die mit Leichtigkeit in der Lage war in ihrer zweiten Lebenshälfte noch immer den Männern die Köpfe zu verdrehen. Das Problem war nur dieses leicht penetrante Auftreten wie ein fetter Fischverkaufender Marktschreier auf einem Brüllfestival. Nicht das sie dem Äußeren einem so manchen entsprach, im Gegenteil. Wer wie sie, wie ein Zufluchtsuchender bei einem Bombenangriff durch die Gänge eines Krankenhauses raste, konnte keine unsportliche Figur haben. Aber sie hätte sicherlich mit ihrer tiefen Raucherstimme den ersten Platz gemacht.

>>Na, wie haben wir geschlafen, haben wir etwas Angenehmes geträumt? <<

Wieso wir? Haben wir? Woher sollte ich wissen ob Dora angenehme Träume hatte, wahrscheinlich eher Feuchte. Ich wusste ja noch nicht einmal von meinen.

Einer der Gründe mit einem Patienten in der „Wir-Form“ zu sprechen ist der, ihm zu vermitteln, daß er nicht alleine mit seinem Problem ist. Das die Personen die sich um ihn kümmern, an seinen Leid teilhaben und für ihn sorgen.

Ein anderer Grund ist das verblödete und verhätschelnde Getue von überkandidelten Schwestern, die ihre Patienten und deren Krankheiten oder gar Gebrechen nicht für voll nahmen aber auch besser nicht sollten.

Fragen wie zum Beispiel: „Haben Wir uns verlaufen?“ in einer erhöhten albernen Tonlage, gleichstellend die einer überzogenen Henne. Das zu dem alten Mann der zwei Wochen nach einer Prostataoperation sich auf dem Gang nur die Beine vertreten wollte und die Fäuste ballt, aber nicht weil er Schmerzen hat.

„Sind Wir wieder alleine zur Toilette gegangen, das sollen Wir doch nicht Frau Müller, oder?“ zu einer Frau, nicht einmal im Rentenalter, die nach einem Schlaganfall die Zeit vor dem Spiegel für sich selber braucht, um sich mit ihrem neuen Gesichtsausdruck abzufinden. Deren Gedanke in solch einen Moment eher „was weißt du denn schon“ ist.

Schwester Dora passte nicht in dieses Schema. Gerade heraus vermochte sie zu sagen was sie dachte. Manches zwar überzogen dargestellt wie bei ihren Kolleginnen aber das Gefühl der geistigen Herabwertung blieb bei ihr aus.

Sie redete viel mit mir und stellte Fragen während sie tätig herumlief. Die Antworten darauf, die ich ihr nicht geben konnte, gab sie sich gleich selber. Einige davon entsprachen zwar nicht ganz meiner Meinung, aber oftmals waren sie erstaunlicherweise deckend und das war sehr unterhaltsam.

Manchmal, wenn sie nah genug bei mir stand, schwieg sie nach einer Frage für einen Moment und schien auf einer Regung von mir zu hoffen. Sie schaute mir dabei mit ihren saphirblauen Augen tief in die meinen, indem sie sich so weit wie möglich zu mir herunter beugte. Sie roch süßlich nach Flieder und ich spürte ihren warmen Atem. Wie sie ihn am Kinn vorbei bis zum Ende meines Halses hauchte und er sich dann am Saum meiner Bettdecke verteilte. Ihre Aufmerksamkeit galt der ausbleibenden Reaktion meines Gesichtes. Trotzdem war ich sicher, sie wusste um die Wahrscheinlichkeit dass ich sie hören konnte. Dann, wendete sie sich wieder ab und redete munter weiter.

Ich war ihr Gesprächspartner beim Kaffeeklatsch ohne Kaffee. Die Plauderei beim Wäsche aufhängen ohne Wäsche. Wie ein Wasserfall plauderte sie sämtliche Dinge aus, während sie an mir herumzog, mich aus und anzog, pflegte und das Zimmer auf Vordermann brachte. Die urigsten Themen kamen zur Sprache, als hätte sie nur ein Opfer gesucht, dem sie alles unterbreiten konnte was sonst keiner hören wollte. Sie redete von sich und ihre Familie. Von ihrem Mann, der obwohl er im Gegensatz zu mir topfit war aber genauso wenig von sich gab. Ihre Nachbarin über ihr, die nachts immer ganz laut stöhnte und dabei mit einem undefinierbaren Gegenstand im Rhythmus gegen die Wand klopfte aber ganz alleine war. Die beste Freundin, mit der sie sich jeden Donnerstag im Parkcafe` zum Frühstück traf um andere zu beobachten und zu bewerten. Von den Kollegen im Krankenhaus und der Arbeitsmoral bis hin zu den Professoren, Doktoren und schließlich meinen Gesundheitszustand. Sie wusste alles und somit wusste ich auch alles! Sie war in dieser Zeit meine eigene private Nachrichtensprecherin und der indirekte Kontakt zur Außenwelt.

Als ich das erste Mal bei der körperlichen Pflege durch Dora anwesend war, war ich auf das restliche Aussehen meiner selbst unterhalb der Bettdecke gespannt. In Vorbereitung dessen, erfuhr ich nebenbei dann endlich, wie die Tests die Doktor Lammers auf Anordnung von Professor Niehlan durchführen sollte, ausgefallen waren. Die Ergebnisse waren in aller Hinsicht negativ. Durch die langsame oder kaum stattfindende Regeneration des peripheren und vegetativen Nervensystems, sind äußerliche geringe Auffälligkeiten als belanglos einzustufen. Sie wären kein dringender Beweis für die bewusste Wahrnehmung des Patienten.

Schönen Dank auch, das war doch super! Gern hätte ich mich dafür bei jemanden bedankt. Aber bei wem? Von allen Momenten die es gab, suchte sich dieser Knaller Lammers ganz offensichtlich genau den aus, in dem mein Körper sich auf Abwegen zum hellen Licht befand. Zur falschen Zeit am falschen Ort befanden wir uns also beide. Schwermütig nahm ich diesen unkorrekten Umstand zur Kenntnis und hatte keine andere Wahl, als auf die nächste Gelegenheit zu hoffen meine Existenz als solches unter Beweis zu stellen.

Dora erzählte unter anderem das Doktor Lammers auch den Leuten vom BKA über die Testergebnisse berichtete. Er machte denen wenige Hoffnungen dass in absehbarer Zeit überhaupt irgendwelche Vernehmungen durchgeführt werden könnten. Die ließen sich jedoch nicht davon abhalten und beharrten darauf, sich weiterhin alle drei Tage über mein Wohlbefinden zu erkundigen. Die Befragungen wären schließlich von äußerster Notwendigkeit und obliegen höchster Priorität.

Ich fragte mich was bei dem Hergang meines Unfalls noch im Unklaren sein sollte. Vor allem verstand ich nicht, was das BKA damit zu tun hatte. Was wollten die von mir?

>>Ja mein lieber Tony, du scheinst eine ziemlich große Nummer für die Jungs vom BKA zu sein. Ich bin jetzt seit mehr als dreißig Jahren Krankenschwester und habe so manche Dinge erleben dürfen, aber was für ein Wirbel um deine Person gemacht wird, das ist Phantastisch! Du hast sogar deine eigenen Leibwächter. Alle drei Stunden wechseln sie sich ab, um dann mit einem dummen Gesicht vor deiner Tür herumzusitzen.

Ich sage dir Tony, da sind manchmal Typen bei, denen würde ich an der Garderobe im Tanzlokal nicht einmal meinen Schal anvertrauen. Die haben auch keine Uniform an, nur ein Ausweisschild auf der linken Brust damit man sie von gewöhnlichen Verbrechern unterscheiden kann. Komische Leute! <<

Sie war ständig in Bewegung, rannte um das Bett, zupfte und zog das Laken mit mir zu Recht. Schnaubend in der Hast ihrer Tätigkeit leicht nach Worten schnappend, brachte sie sich, aufgeregt über all das was sie durch mich bisher erlebte, immer mehr in Fahrt.

>>Nur ausgesuchtes Personal darf diesen Raum betreten und alles was wir mit hineinbringen wollen, und sei es nur ein Putzlappen, wird vorerst akribisch genau untersucht. Wir wurden vorher gründlich durchleuchtet und mussten einige Fragen aus unserem persönlichen Umfeld beantworten. Kein Wort über deinem Aufenthalt nach draußen, das mussten wir denen schriftlich versichern.

Ach Tony, wenn du doch nur ein kleines bisschen sprechen oder zumindest etwas schreiben könntest. Du hast ja keine Ahnung wie verrückt mich das macht. Jeden Tag dieses Ungewisse und dieser Trubel um deine Person. Was hat das alles nur zu bedeuten? Ich frage mich jeden tag was so verflucht wichtig sein kann, das ein Mensch so behütet werden muss. Bist vielleicht am Ende noch ein Kronzeuge, wie? <<

Dora tippste mir mit ihrem Zeigefinger auf meine noch vorhandene Nasenspitze und grinste mich liebevoll an.

Leibwächter und sogar Kronzeuge? Ich konnte mir nicht vorstellen dass sie mir irgendwelche Geschichten erzählte um mich bei Laune zu halten. Genauso wenig konnte ich mir vorstellen dass das wegen dieser Sache war. Mir war klar, wenn das tatsächlich stimmte, wenn ich hier im Krankenhaus unter Polizeischutz stand, dann nur weil sie über alles Bescheid wussten. Aber woher?

Ich muss zugeben es war ein wenig naiv, zu glauben aus der Sache ganz locker wieder heraus zu kommen. Keiner hatte am Anfang damit gerechnet dass dieser Trip durch die Unterwelt solche Ausmaße annimmt. Denn hätten wir vorher in unserer Dummheit geahnt mit wem wir es tatsächlich zu tun haben, wir hätten die Finger davon gelassen.

GAUCHO

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