Читать книгу Robert - Chris Dyke - Страница 9
Die unbeschwerte Kindheit
ОглавлениеGehen wir nun einmal davon aus, dass wir eine Zeit lang Erinnerungen sammeln, die wir jedoch nur wieder in uns aufnehmen können, wenn sie von anderen Personen berichtet werden oder über Fotos aufgenommen werden können. Manchmal fehlt es einfach nicht an Erinnerungsvermögen, sondern es liegt, wie bei der Mutter beschrieben, daran, dass wir diesen Teil unserer Existenz stark verdrängen, da sie zu traumatisch waren oder irrelevant geworden sind, da diese als Grundlage unseres Lebens wurden und somit nicht so intensiv gespeichert werden, dass man sie unbedingt als Erinnerung festhalten musste. Dazu beschrieb Patrick Estrade („Wir sind, was wir erinnern“), dass wir manchmal gewisse Prozesse in Gang bringen können, um wieder auf diese Erinnerungen zurückgreifen können. Dazu müssen wir manchmal nur der Situation verziehen, die in uns die Blockade vor der Erinnerung stellt. Dies ist kein leichter Prozess, wenn man misshandelt wurde, oder es einfach andere Gründe gibt. Robert war immer ein Freund von der Idee, dass sein Leiden niemals so schlimm ist, wie die eines Menschen, der wirklich Probleme hatte. Fing er an zu jammern, wurde ihm aufgezeigt, dass seine Tränen eigentlich niemals wirklich tragisch sein könnten, da es bei weitem schlimmere Zustände gibt, in denen Kinder erwachsen werden müssen. Daher fand er auch schnell Trost und verlangte in sich nach Verantwortung für sein Verhalten, wodurch er oftmals erkannte, dass nicht die Person alleine Schuld ist, die eine Tat vollbringt, sondern man immer eine Mitschuld trägt. Einmal, im Kinderarten, gab es eine Situation, wo er der Gruppe entzogen wurde, weil ein anderes Kind seine Macht und Überlegenheit demonstrieren wollte. Das Kind hätte jeden auswählen können, doch es wählte ihn aus. Dabei beobachtete er später, dass er vielleicht einfach nur ein leichtes Opfer gewesen ist und genau das dazu bewogen hatte, ihn auszuwählen, wodurch er stärker an seinem Selbstvertrauen arbeitete. Immer wieder gab es Situationen, in denen er zum Opfer wurde und er dann nachdachte, wieso gerade er das Opfer war. Es machte ihn nicht viel aus, das Opfer zu sein, weil ihm dann klar wurde, dass er schwach war und man ihn ausnutzen konnte, weil die Erziehung von seinen Eltern eben anschlug und er ein braves Kind wurde. Darauf war er viel stolzer, als das er Wut empfinden konnte, dass er ewig zum Opfer wurde. Ja. Es bereitete ihm sogar oftmals Freude, dass er ausgewählt wurde. Es war immer das Zeichen, dass er eine gute Erziehung genoss und brav war. Ein Kind glaubt eben an die Worte, die ihm eingetrichtert wurden und die Erfahrung des Vaters sorgten eben dafür, dass Robert dachte, wenn er nur brav bliebe, dass mal aus ihm etwas Großes würde. Natürlich wusste Robert nicht, dass er öfter zum Opfer wurde, weil die anderen Kinder heraus gefunden haben, dass Roberts Vater sehr reich ist und der Neid der Eltern, der Kinder, die ihn als Opfer suchten, führte dazu, dass diese untereinander stritten und die Kinder fassten Robert dann als Grund auf, dass es zuhause nicht mehr so rund lief. Als Robert mit seinen Eltern jedoch einmal in den Urlaub fuhr, waren das keine Kinder, die ihm bekannt waren, die ihm aus einem Gebüsch Hagebutten ins T-Shirt warfen, woraufhin Robert ganz verrückt wurde, weil ihm der gesamte Rücken juckte. Dort fragte er sich zum ersten Mal, wieso er immer das Opfer wurde. Konnte es am Aussehen liegen? Auf den Bildern wurde die Miene von Robert auch immer trauriger. Am Ende konnte man eine Collage daraus machen, die andeutet, wie sehr sein Leben verloren ging. Ähnlich wie bei den Eltern, die von Bild zu Bild immer ernster wurden.
Mit den Glauben an sich ging es in der Familie scheinbar bergab. Die Erfolge des Vaters blieben aus, da dieser sich aus seinem Geschäft ausschloss, um für seine Familie da zu sein. Auch die Tätigkeit, die er aufsuchte, um sich zu tarnen, raubte sehr viel Zeit. Daher agierte der Vater um und setze Prioritäten. Damit er weiterhin dieses unbeschwerte Leben führen konnte, musste sich etwas Grundlegendes ändern. Man kann nicht alles im Leben bewältigen. Wenn wir zu viel auf uns laden, erdrücken wir uns nur selbst. Am Ende ist es die Zeit, die gegen uns spielt. Früher oder später verlieren wir die Lage eine Priorität auszuüben oder sie in dem gewohnten Umfang auszuüben und wir fallen in ein Loch. Postmodern nennen wir es Burn-Out, was bereits einsetzt, wenn wir uns unersetzlich machen wollen. Im Prinzip bringen wir ja nicht mehr Leistung, um dem Druck gerecht zu werden, sondern um unseren Job überhaupt behalten zu können. Dabei hat doch der Mensch mit Verstand die Zeit auf seiner Seite. Aufgrund der Demografie erkennt man schließlich, dass wir in immer sichere Zeiten rutschen und der Druck der Unternehmen sinkt. Jedenfalls ist es theoretisch so. In den 1990er Jahren ist dieser Trend noch nicht zu erkennen, der zwanzig Jahre später zu einem Chaos in der Personalentwicklung größerer Unternehmen führt. Geld ist einfach nicht alles, wenn man auf sein Leben achtet. Es spielt einfach keine Rolle, ob ich hundert Euro mehr verdiene, und dabei ausgebeutet werde, anstatt in einem kleineren Unternehmen unter zu kommen, was die Arbeitskraft noch schätzt. Das erkannte auch Roberts Vater, der im Sinne der Mitarbeitermotivation stark nachlegen musste. Man kann sich als Unternehmer eben nicht so stark aus dem Geschäft heraus ziehen. Dadurch war der Vater gezwungen mehrere Stunden länger zu arbeiten, als er es gewohnt war. Dabei ging es nicht um mehr Geld, sondern darum, ein gutes Vorbild zu sein. Das Geschäft folgte seinem gewohnten Lauf. Dafür ging die Ehe zu Bruch. Es ist als Erwachsener echt nicht leicht, seine gesamten Beziehungen zur Welt unter Kontrolle zu bekommen. Manchmal stürzt so viel auf einen ein, dass wir einfach nicht mehr Herr der Lage sind und ausrasten. Das bekamen dann auch Kinder und Frau zu spüren. Der Erfahrungsaustausch im Kindergarten brachte nur hervor, dass es in allen Familien ähnlich aussah, wodurch eine gewisse Normalität angenommen wurde. Allgemein wurde es legitim. Da es überall Probleme gab und überall gestritten wurde und überall die verschiedenen Rollen aufeinander prallten, machte sich niemand Sorgen, dass es so nicht weiter gehen könne. Probleme werden sowieso immer erst durch die nachkommende Generation gelöst, da diese ja die Zeit haben, diese zu lösen, während sie warten, bis die vorherige Generation sie zur Ablösung einberuft. Der Zorn der Eltern wurde immer stärker und Robert flüchtete in seine Phantasie. Dadurch erlangte er auch seine Zeit, um sich Geschichten auszumalen, in der die Familie in Harmonie lebte, wie er sie nur erlebte, als er noch jung war und die Eltern noch ein wenig unter Kontrolle hatten, was sie nachher beherrschte – ihre Emotionen.
Allgemein blieben in Robert jedoch nur die guten Erinnerungen zurück. Sein Hirn war noch zu jung, um die Gewalttaten zu verarbeiten und speicherte diese daher selten ab. Er glaubte eben immer an das Gute in den Menschen, was es unnötig machte das Schlechte zu dokumentieren. Allerdings war es nicht ganz so schön, wie es sich hier anhört. In Wirklichkeit versteckte sich das Böse tief in ihm und sollte später noch zum Ausbruch kommen. Menschen haben sich gewissen Phänomenen zu beugen, solange sie nicht selber gelernt haben sich zu beherrschen. Es bringt rein gar nichts, wenn ein Mensch zu einer Erkenntnis gekommen ist und diese mit ihm unter geht. Wer weiß überhaupt schon, wie weit wir waren? Vielleicht hätten wir manche Erfolge schon so oft feiern können, wenn wir wirklich wüssten, was jeder weiß. Da wir jedoch kein genetisches Gedächtnis haben, sondern mit der Geburt eine neue Chance zu bekommen uns zu erlernen, müssen wir eben auch schaffen, dass gewisse Regeln in uns allen immer und immer wieder aufgefasst werden. Das Leben meint es nicht immer gut mit uns und dennoch müssen wir es immer für Gut annehmen, wenn irgendetwas falsch läuft. Es ist hart und die größte Qual. Das erlebte auch Robert. Ihm wurde nicht immer die Wahl gelassen. Dadurch musste er leiden. Und leiden wir nicht alle, wenn wir gezwungen sind etwas zu tun, was wir nicht lieben? Jedoch können wir auch nicht immer alles machen, was wir lieben, weil alles getan werden muss und dann muss man eben anfangen auch ungeliebte Sachen zu lieben, um der wahren Liebe mehr Zeit zu gönnen, wenn wir im Alltag nur einen Augenblick erleben dürfen. Robert wurde zwar nie wirklich von seinem Vater gezwungen, jedoch dazu getrieben auch Tätigkeiten auszuführen, die einfach nötig wurden. Das gehörte eben zur Erziehung. Der Stil war unerträglich für einen Freigeist und Robert stank es, dass er unter so einem Leid handeln musste. Viel lieber hätte er doch nur da gesessen und gewartet, bis das kommt, was er gerne tut. Doch das wäre dem gleich gekommen, als würde man es hassen in die Sterne zu schauen und nur die Sternschnuppen bewundern zu wollen. Daher lernte er über seinen Schmerz hinweg zu sehen und eine Freude in seinem Leid zu sehen. Anstatt zu fluchen, wie beschissen und kacke die Tätigkeit doch war, machte er ein Spiel daraus. Es war ihm nicht mehr lieb zu fluchen, sondern die Symmetrie des Spiels zu perfektionieren. Als der Vater erkannte, dass die Arbeit kein Leid mehr war, wurde Robert erlöst und musste diese nicht mehr ausführen. Seine Qualität war schlecht und der Lerneffekt verflogen. Das Leben wurde angenehmer. Immer weniger Arbeit folgte und der Spaß nahm zu. Die Grundschule rief und das Leid nahm einen neuen Anlauf. Seine Kindheit war vorbei.