Читать книгу Déjà-vu des Teufels - Chris Martin - Страница 9
Оглавление14. Tag; Montag, 17. September 2012
„Daher klagen wir Herrn Michael Schönbacher wie folgt an:
§ 283Stafgesetzbuch – Verhetzung, § 84 STGB - schwere Körperverletzung, § 259 STGB - Widerstand gegen die Staatsgewalt,
§ 239 STBG – Freiheitsberaubung und schließlich nach § 26 Tragen einer verbotenen Waffe. Ich danke Ihnen.“
Dr. Teresa Mühlbacher, mit einem eleganten grauen, nicht zu aufdringlichen Ralph Lauren-Anzug bekleidet, beendete die Verlesung der Anklageschrift würdevoll, sah in den bis auf den letzten Platz gefüllten Zuschauerbereich des prunkvollen Großen Schwurgerichtssaales und begab sich, nicht ohne den Geschworenen freundlich zuzulächeln, auf ihren Platz.
„Danke, Frau Staatsanwältin“, ergriff Richter Jürgen Kamasch das Wort. „Herr Schönbacher, Sie haben die Anklage gehört. Befinden Sie sich schuldig im Sinne der Anklage?“
„Nicht schuldig in allen Anklagepunkten, Euer Ehren“, antwortete Mekinsky wie aus der Pistole geschossen.
Schönbacher alias Demessos starrte teilnahmslos ins Leere.
Als er heute Morgen in der Kanzlei Griess, Mekinsky & Partner erschienen war, trauten Mekinsky und Kienzl ihren Augen nicht. Der weiße, schon etwas aus der Mode gekommene Anzug ihres Klienten war der Grund der Verblüffung, aber dass sich der Teufelsanbeter von seinem obligatorischen Stirnband getrennt hatte, glich einem Weltwunder. Zwar hatte Mekinsky seinen Mandanten nicht darauf angesprochen, aber insgeheim verstärkte sich sein Gefühl, dass der Alte doch respektvoller an den Prozess heranging als erwartet.
Alles in allem wirkte der Angeklagte wie ein alter, etwas schrulliger Mann, der aber im Grunde kein Wässerchen trüben konnte. Während der Fahrt ins Landesgericht schwieg Demessos, während Mekinsky und Kienzl im Schnellverfahren ihre Strategie wiederholten.
„Gut. Wir treten somit in die Beweisaufnahme ein. Frau Staatsanwältin, bitte.“ Richter Kamasch zeigte sich von Mekinskys Erklärung unbeeindruckt.
„Ich rufe als ersten Zeugen Oberst Werner Stadler in den Zeugenstand.“
Richter Kamasch sprach den Namen in sein Tischmikrofon und Sekunden später betrat der Oberst aus einem Seiteneingang den Gerichtssaal. Der hünenhafte Mittvierziger begab sich in den Zeugenstand und wurde vereidigt.
„Guten Morgen, Herr Oberst. Würden sie uns für das Protokoll Rang und Namen nennen“, bat die Staatsanwältin.
„Oberst Werner Stadler, Leitender Offizier der Wiener Sonder-Einsatzgruppe WEGA.“
„Danke, Herr Oberst. Wären Sie so freundlich, uns die Geschehnisse in der Nacht des 24. April 2012 zu schildern?“
„Selbstverständlich. Wir hatten den Einsatzbefehl, in der Ketzergasse 122 die vor Ort befindliche Bezirksstreife zu unterstützen, und …“
„Weswegen?“, unterbrach die Anklägerin.
„Verdacht gleich wegen mehrerer Delikte, insbesondere illegaler Waffengebrauch“, setzte der Beamte fort. „Vor Ort erörterten wir die Situation mit den Kollegen und entschieden uns, in einer Fünfergruppe in das Einfamilienhaus einzudringen. Der Zugriff startete exakt um 22.30 Uhr.“
„Wie ging es weiter?“
„Wir durchsuchten zuerst das Erdgeschoß, danach gingen zwei Kollegen in das Obergeschoß, ohne jedoch jemanden anzutreffen. Als die Lage gesichert war, hörte ich plötzlich seltsame Laute aus einem Kellerzugang. Wir drangen schulmäßig weiter vor und trafen auf einige nackte, teils blutverschmierte Personen, die sich um einen Mann gruppierten, der gerade eine Frau, ähhh … na, Sie wissen schon.“
„Der mit der Frau Geschlechtsverkehr hatte?“
„Ja, sowas in der Art, ja.“
„Einspruch – was ist ein sowas-in-der-Art-Geschlechtsverkehr?“, warf Mekinsky ein.
„Abgelehnt, aber der Zeuge möge so freundlich sein und uns an den Details teilhaben lassen“, erwiderte der Richter.
„Tja, also auf einem Altar lag eine junge Frau, nackt und an den Brüsten blutverschmiert. Der Mann hatte seinen Penis in ihrem Mund und penetrierte sie vaginal mit einem antiken Messer.“
Ein erstauntes Raunen ging durch den Gerichtssaal und Mühlbacher genoss sichtlich die Wirkung, die die Worte des Polizisten auf die Zuschauer und insbesondere auf die Geschworenen hatten.
„Hat das Opfer geschrien?“, fragte die Staatsanwältin.
„Nein, es wirkte wie in Trance.“
Luzifers Tränen, dachte Mekinsky unwillkürlich. Und plötzlich, nach dem eben gehörten, fand er den kleinen Schnitt im Oberschenkel gar nicht mehr so schlimm.
„Meine Kollegen drängten die Umstehenden ab, wobei es zu einigen Handgreiflichkeiten kam, ich schlug den Mann mit dem Messer zu Boden, um Schlimmeres zu verhindern.“
Mühlbacher ging zu einem kleinen Tisch neben dem Zeugenstand, nahm eine durchsichtige Plastiktüte in die Hand, hob sie in die Höhe, damit auch die letzte Reihe sehen konnte, worum es sich handelte.
„Hohes Gericht, Beweisstück Nummer eins der Anklage. Das besagte Messer, eigentlich ein Dolch.“
Wieder setzte Gemurmel im Saal ein. Die Vorstellung, dass einer Frau diese scharfe Klinge in ihre Vagina eingeführt worden war, erweckte bei vielen das von Mühlbacher erhoffte Entsetzen.
„Wie wurde die Amtshandlung fortgesetzt?“
„Wir nahmen alle Anwesenden fest. Ein Kollege rief den Notarzt und die zwischenzeitlich eingetroffenen Kriminalbeamten sowie die Tatortgruppe drei durchsuchten den Keller.“
„Mit welchem Ergebnis?“
„Wir fanden eine Menge alter Bücher, die sich später als satanische Literatur herausstellen sollten, einige Folder, die direkt und unmissverständlich gegen die katholische Kirche gerichtet waren und eine kleinere Menge Kokain.“
Wieder holte sich die Staatsanwältin vom Beistelltisch ein Utensil. Diesmal eine grüne Heftmappe.
„Hohes Gericht, Beweisstück zwei der Anklage. Die Berichte der Spurensicherung inklusive eidesstattlicher Erklärungen der involvierten Beamten.“
„Herr Oberst, was genau lief dort Ihrer Einschätzung nach in jener Nacht ab?“
„Ich würde sagen, die Gruppe feierte eine schwarze Messe unter Leitung des älteren Mannes.“
„Einspruch – ich glaube kaum, dass der Herr Oberst ein ausgewiesener Experte in Sachen Schwarzer Messen ist. Genauso gut kann es sich um bizarre SM-Sexspielchen gehandelt haben.“
„Stattgegeben.“
„Und nun die letzte Frage, Herr Oberst“, ergriff Mühlbacher das Wort. „Ist der Anführer dieser Gruppe heute hier?“
Der Zeuge zeigte ohne Umschweife auf Demessos.
„Ja, es ist der Mann im weißen Anzug auf der Anklagebank.“
„Danke, Herr Oberst. Ihr Zeuge.“
Während Mühlbacher, die ihre Zufriedenheit nur schwer verbergen konnte, zu ihrem Tisch zurückging, erhob sich Mekinsky und schritt betont langsam in Richtung Zeugenstand. Aus den Augenwinkeln musterte er die Geschworenen, und wie nicht anders zu erwarten war, schien die Jury vom eben Gehörten ziemlich schockiert zu sein.
„Guten Morgen, Herr Oberst. Wie geht es Ihnen?“
„Danke, gut. Und Ihnen?“, antwortete der Offizier spöttisch.
„Ehrlich gesagt – schlecht. Und wissen Sie, warum? Weil ich mir nicht und nicht erklären kann, warum der Anklagepunkt Widerstand gegen die Staatsgewalt in der Anklageschrift vorkommt, obwohl Sie – ich erinnere – unter Eid ausgesagt haben, dass Sie meinen Mandanten niederschlugen. Sie haben nicht ausgesagt, dass er Sie angegriffen hat. Sie haben auch nicht ausgesagt, dass irgendjemand anderer im Raum von meinem Mandanten angegriffen wurde. Wie und gegen wen also soll mein Mandant Widerstand geleistet haben?“
Verblüfft starrte der Polizist Mekinsky an. Kienzl machte sich hinter seinem Aktenkoffer klein, um zu vermeiden, dass irgendjemand sein Grinsen bemerkte. Demessos schaute zum ersten Mal auf. Mühlbachers Gesicht sprach ebenfalls Bände.
„Danke, keine weiteren Fragen“, gab der Strafverteidiger gönnerhaft von sich und schritt zurück zum Tisch der Verteidigung.
„Der Zeuge ist entlassen“, ordnete Richter Kamasch an und Oberst Stadler verließ den Zeugenstand.
„Eins zu null für uns, Staranwalt, oder?“, fragte Demessos seinen Vertreter, als dieser an seinem Platz ankam.
„Nicht so voreilig. Aber mit etwas Glück können wir diesen Punkt der Anklage abhaken.“
Mekinsky und Kienzl musterten die Geschworenen. An deren Körpersprache hatte sich praktisch nichts verändert. Beide spürten förmlich die Verachtung, die die Geschworenen ihrem Mandanten entgegen brachten.
„Die Anklage ruft Dr. Heinz Machaczek auf.“ Mühlbacher setzte zur zweiten Runde an.
Der Aufgerufene erschien wie vor ihm der Polizist aus dem Seitentrakt, wurde vereidigt und stellte sich als jener Notarzt vor, der das Opfer erstversorgte.
„Herr Doktor, Sie haben Frau Klein behandelt. Was können Sie uns über ihre Verletzungen sagen? Und bitte mit Worten, die auch Nichtmediziner verstehen können.“
„Frau Klein hatte zum Zeitpunkt der Untersuchung mehrere Schnittwunden im Beckenbereich, zugefügt von einem scharfen Gegenstand, ebenso ähnliche Verletzungen an und in der Vagina.“
„Verletzungen von einem Messer, wie zum Beispiel jenem hier?“ Erneut zeigte Mühlbacher das Messer theatralisch her.
„Ja, es war dieses Messer. Mein Kollege von der Gerichtsmedizin wird später noch bestätigen, dass die Klinge DNA-Spuren von Frau Klein aufweist.“
„Einspruch – wir wissen bereits, wie und wozu das Messer benutzt wurde. Wird jetzt für jeden weiteren Zeugen von der Frau Kollegin das Messer extra vorgezeigt?“
„Stattgegeben. Konzentrieren Sie sich auf neue Fakten, Frau Mühlbacher“, mahnte der Vorsitzende.
Mekinsky freute sich innerlich. Jede Sekunde, in der die Geschworenen an die Klinge im Körper der Frau erinnert wurden, war schädlich für seinen Mandanten.
„Wie haben Sie die Patientin versorgt?“
„Da sie möglicherweise unter Schock stand, bestellte ich einen Krankenwagen und stillte die teils blutenden Wunden.“
„Besteht eine wie auch immer geartete Möglichkeit, dass Frau Klein sich diese Verletzungen selbst zugefügt haben könnte?“
„Nein, in ihrem Zustand war sie kaum in der Lage, auch nur die Hand zu heben.“
„Warum das? Sie war nicht gefesselt.“
„Offensichtlich stand sie unter Einfluss einer Droge, die eine Art Muskellähmung hervorgerufen hatte.“
„Verstehe. Können die Verletzungen älteren Ursprungs sein? Also konkret gefragt, schon vor dem Betreten des Gewölbes zugefügt worden sein?“
„Nein, der Blutgerinnung nach zu schließen, waren die Schnitte als akut anzusehen.“
„Was haben Sie, nachdem die Rettung Frau Klein ins Krankenhaus abtransportiert hatte, gemacht?“
„Ich kümmerte mich um den zweiten Verletzten.“
Mekinsky und Kienzl sahen einander verblüfft an.
Wieder zog ein erstauntes Raunen der Gerichtskiebitze durch den historischen Gerichtssaal.
„Den zweiten Verletzten?“
„Ein Mitglied der WEGA-Truppe hatte einen blutenden Finger zu versorgen, weil er bei der Verhaftung eines Verdächtigen gebissen wurde. Eine leichte Verletzung, aber sicherheitshalber veranlasste ich einen Bluttest. Meines Wissens hat der diensthabende Amtsarzt den Test auch prompt durchgeführt.“
Mühlbacher holte von ihrem Tisch einen beigen Umschlag und hielt diesen für alle gut sichtbar in die Höhe.
„Beweisstück Nummer drei der Anklage. Der Bericht des Amtsarztes inklusive der genauen Beschreibung des Verletzungsgrades jenes Beamten, dessen Identität der Öffentlichkeit nicht preisgegeben werden darf, weil er auch teilweise Undercover ermittelt.“
Mekinsky glaubte, ihm würde der Fussboden unter den Füssen weggezogen. Die Staatsanwältin hatte ihn ins sprichwörtlich offene Messer laufen lassen. Zu früh gefreut über das Abschmettern des Punktes Widerstand gegen die Staatsgewalt. Zwar konnte man Demessos dafür nicht persönlich belangen, denn der Prozess gegen die anderen Teufelsanbeter wurde getrennt geführt, aber der Eindruck bei der Jury war nun nicht mehr zu ändern.
„Danke, keine weiteren Fragen.“
„Ihr Zeuge, Herr Anwalt“, erteilte der Richter das Wort an Mekinsky.
„Danke, Euer Ehren. Guten Tag, Herr Doktor. Sie sagten vorhin, Frau Klein konnte sich nicht selbst verletzt haben. Ist das richtig?“
„Ja, natürlich.“
„Weil sie ja, wie Sie sagten, unter Drogen stand.“
„Richtig.“
„Und auch, dass ihre Verletzungen akut waren und nicht etwa aus einem anderen Kontext entstanden.“
„Einspruch – das haben wir alles schon gehört.“
„Stattgegeben. Herr Anwalt, auch ich würde mich über eine sinnvolle Frage freuen. Wenn Sie sich an bereits Gesagtes nicht erinnern können, kann Ihnen die Gerichts-Stenographin gerne eine Abschrift der Aussagen des Zeugen zeigen.“
„Verzeihung, Euer Ehren, ich wollte nur sicher gehen.“
Mekinsky wandte sich wieder dem Arzt zu.
„Drogeneinfluss also. Frau Klein kam, unverletzt wie wir mittlerweile wissen, in diese Gewölbe. Hier bekam sie eine nicht mehr nachweisbare Droge verabreicht, die sie im wahrsten Sinne des Wortes erstarren ließ. Könnte vielleicht Kokain eine solche Droge sein, Herr Doktor?
„Nein, Kokain hat eine aufputschende Wirkung und wäre auch länger im Körper nachweisbar.“
„Es wurde aber außer Kokain keine Drogen in diesem Keller gefunden. Auch im Rest des Hauses nicht. Wie erklären Sie sich das?“
„Vielleicht hat Frau Klein die ganze verfügbare Menge des Mittels verabreicht bekommen?“
„Aja. Müssten dann nicht Restspuren vorhanden sein? Die Spurensicherung hat das komplette Gewölbe Millimeter für Millimeter abgesucht. Sehr unwahrscheinlich. Und dann würde wohl auch das Beweisstück zwei der Anklage ad absurdum geführt werden, nicht wahr? Ich halte damit fest, Herr Doktor: Wir wissen nicht, ob es an diesem Abend Drogenmissbrauch gab und wir wissen auch nicht, selbst wenn es der Fall gewesen wäre, welche Droge in Frage kommen könnte.“
Mekinsky wandte sich in Richtung der Geschworenen.
„Wir wissen bei dieser Beweislage nicht einmal, ob der Sex, so abartig er uns auch vorkommen mag, nicht von beiden Seiten gewollt war. Danke, keine weiteren Fragen.“
„Danke. Frau Staatsanwältin, sie dürfen fortsetzen.“
Mekinsky setzte sich zwischen seinen Assistenten und seinem Mandanten. Kienzl kritzelte etwas auf seinem Notizblock und Demessos blickte starr geradeaus, so als ginge ihn das Ganze im Grunde nichts an.
„Ich rufe Frau Jutta Klein in den Zeugenstand.“
Eine junge Frau, Anfang dreißig, betrat mit gesenktem Kopf den Gerichtssaal und begab sich in den Zeugenstand. Ihr kurz geschnittenes, rotblondes Haar bildete einen starken Kontrast zu ihrer sehr hellen Gesichtsfarbe. Fast schien es, als hätte die Frau seit sehr langer Zeit keine Sonne gesehen. Sie trug keinerlei Make Up. Der schwarze Pullover betonte ihre Blässe noch mehr. Als einziges Schmuckstück trug sie ein kleines goldenes Kreuz um den Hals.
Jutta Klein wurde so wie die Zeugen vor ihr von einem Gerichtsdiener auf die Bibel vereidigt.
„Frau Klein, mir ist bewusst, dass Ihre Aussage für Sie eine enorme psychische Belastung ist. Dennoch muss ich Ihnen einige Fragen stellen. Ist das okay?“, erkundigte sich Mühlbacher sanft.
„Fragen Sie nur“, antworte Klein mit kaum hörbarer Stimme und immer noch gesenktem Kopf.
„Ich möchte Sie bitten, die Geschehnisse jener Nacht aus Ihrer Sicht dem Gericht und den Geschworenen zu schildern.“
Klein stockte. Man merkte ihr an, dass sie sich am liebsten ans andere Ende der Welt gewünscht hätte. Sie blickte auf, vermied jeden Kontakt mit Demessos, fixierte einen imaginären Punkt in der letzten Reihe des Gerichtssaales und begann zu erzählen.
„Ich … ich hatte mich am Nachmittag mit meinem Freund gestritten.“
„Am Nachmittag des 24. April?“, hakte Mühlbacher nach.
„Ja, am 24. April. Wir hatten uns getrennt und er wollte das nicht akzeptieren. Als es immer unangenehmer wurde, verließ ich seine Wohnung und wollte zurück in meine Unterkunft. Mein Freund wohnt in Stadlau, in der Nähe des Industriegebietes, und ich musste daher einige hundert Meter durch diese verlassene Gegend gehen, um die nächste Autobushaltestelle zu erreichen.“
Sie hielt kurz inne, nahm einen Schluck Wasser aus einem Glas, das ihr der Gerichtsdiener wortlos reichte. Sie nickte dankend und jeder konnte sehen, dass die Zeugin mit den Tränen kämpfte.
„Ich gehe also die Straße entlang und bin noch mit den Gedanken bei meinem Ex-Freund. Da bleibt plötzlich ein Lieferwagen neben mir stehen. Ich erschrecke, aber als eine Frau auf der Beifahrerseite aussteigt, bin ich wieder beruhigt. Sie fragt mich nach einer Gasse, deren Namen ich noch nie gehört habe und bittet mich dann, ihr auf einer Straßenkarte zu zeigen, wo wir gerade sind. Ich bin zur Hilfsbereitschaft erzogen worden, verstehen Sie? Also zeige ich ihr die betreffende Stelle. Plötzlich öffnet sich die Schiebetür und drei Männer stürzen sich auf mich. Sie stülpen mir einen Sack über den Kopf und zerren mich in den Wagen. Ich … ich konnte nichts sehen, spürte nur viele Hände, die mich hielten und jemand sagte seltsame Worte in einer mir völlig unbekannten Sprache. Dann verlor ich das Bewusstsein.“
„Danke, Frau Klein. Konnten Sie jemand erkennen? Zum Beispiel an der Stimme?“
„Nein. Niemanden.“
„Was geschah dann?“
„Als ich wieder zu mir kam, lag ich nackt auf einem altarähnlichen Tisch und konnte nur noch den Kopf bewegen. Rund um mich standen nackte Menschen mit Gesichtsmasken und sangen grauenhafte Lieder in einer mir unbekannten Sprache. Ich wusste nicht, wie ich in diese Lage gekommen war, aber ich hatte pure Todesangst.“
Sie stockte und konnte nun die Tränen nicht mehr halten. Mühlbacher reichte ihr ein Taschentuch.
„Möchten Sie eine Pause?“, fragte der Richter.
„N-Nein, danke. Es geht schon.“ Sie putzte sich die Nase.
Im Gerichtssaal hätte man das Fallen einer Nadel hören können. Mekinsky und Kienzl kannten den Ablauf aus den Akten, aber beide waren neugierig, was die Zeugin weiter berichten würde.
„Dann trat ein maskierter Mann mit gespreizten Beinen über mich.Er … er nahm ein Huhn und einen Dolch und schnitt direkt über mir dem Tier die Kehle durch. Ich … ich … ich wollte schreien, aber es ging nicht. Überall tropfte das Blut auf meinen Körper, es … es …“
Bei den letzten Worten setzte wieder heftiges Geraune ein. Von hinten flog ein Pappbecher in Demessos Richtung, verfehlte aber sein Ziel.
„Ruheeee, oder ich lasse den Saal räumen!“, donnerte Richter Kamasch, „Ruhe!“
Der Vorsitzende bot der Frau nochmals eine Unterbrechung an, aber die Zeugin lehnte wieder ab.
„Sie haben es gleich geschafft, Frau Klein. Sie machen das sehr gut. Was geschah dann?“
„Ein alter Mann stand plötzlich neben mir und begann, das Blut des Tieres auf meinen Brüsten zu verreiben. Ich wollte nur noch sterben! Dabei sang er wieder in dieser grässlichen Sprache und alle Umstehenden sangen mit. Ich betete innig zu Gott, dass er mir eine Ohnmacht schenken möge. Aber diese Gnade ließ er mir nicht zukommen …“
Demessos, der bis dahin keine Regung gezeigt hatte, sprang so schnell auf, dass weder Mekinsky noch Kienzl reagieren konnten.
„Zu Gott gebetet? Zu Gott? Mädchen, du hast doch nicht den Schimmer einer Ahnung!“
„Ruhe, Herr Schönbacher!“, unterbrach der Richter, während beide Verteidiger versuchten, den Teufelsanbeter wieder auf seinen Stuhl zu ziehen. „Noch einmal ein Zwischenruf und Sie erhalten eine Ordnungsstrafe. Haben wir uns verstanden?“
„Selbstverständlich, Euer Ehren“, antwortete Kienzl stellvertretend.
„Sie halten verdammt nochmal die Klappe, ist das klar?“, flüsterte Mekinsky Demessos zu. Der nickte nur.
Klein setzte ihre Aussage fort, nachdem sie sich noch einmal die Nase geputzt hatte.
„Dann nahm er den Dolch und schob ihn mir in … in … meine Scheide. Ich schloss mit meinem Leben ab. Ich wollte schreien, aber es kam kein Ton aus meinem Hals. Und er schob mir ... seinen Schwanz in den Mund und meinte, wenn ich … wenn ich ihn nicht gut genug blasen oder ihn beißen würde, dann stößt er mit dem Dolch zu. Ich überlegte, … ob ich nicht auf diese Art dem Martyrium entkommen könnte. Aber … aber mein Überlebenswille war stärker. Ich schäme mich so dafür. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Und irgendwann stürmten dann Polizisten in das Gewölbe und befreiten mich. Dem Herrn sei Dank.“
„Ich danke Ihnen, Frau Klein. Keine weiteren Fragen.“
„Ihre Zeugin, Herr Anwalt. Und ich möchte um Behutsamkeit bitten“, sagte der Richter, während Mekinsky, in einem Ordner blätternd, Richtung Zeugenstand schritt.
„Guten Tag, Frau Klein. Dürfte ich erfahren, weswegen Sie sich von ihrem damaligen Freund getrennt hatten?“, eröffnete Mekinsky.
„Einspruch – irrelevant“, reagierte Mühlbacher prompt.
„Euer Ehren, ich möchte lediglich die Lebensumstände der Zeugin zum Tatzeitpunkt etwas genauer erörtern.“
„Abgelehnt. Aber schweifen sie nicht zu weit ab.“
„Danke Euer Ehren. Darf ich um Auskunft bitten, Frau Klein?“
„Ich trennte mich von Konrad, weil ich mein Leben von Grund auf neu gestalten wollte. Für Konrad war da kein Platz mehr.“
„Wie lange waren sie liiert?“
„Etwas weniger als fünf Jahre.“
„Und ihre Trennung hat nichts damit zu tun, dass Sie, sagen wir es vorsichtig, andere sexuelle Präferenzen entwickelten? Präferenzen, die er nicht mehr mittragen wollte?“
„Einspruch – erneut irrelevant!“ Mühlbacher sprang erbost auf.
„Was soll das werden, Herr Mekinsky?“, fragte der Richter, dem man ansehen konnte, dass er langsam die Geduld verlor.
„Euer Ehren, wir haben Beweise dafür, dass Frau Klein mit ihrem Freund Sado-Maso-Spielchen auslebte. Konrad Mitic - so hieß doch ihr Ex-Freund, nicht wahr - wollte das nicht mehr. Die Zeugin hat ihn unserer Ansicht nach deshalb verlassen, daran gibt es für uns keinen Zweifel. Wenn aber Frau Klein S/M-orientiert ist, erscheint mir das vorhin gehörte durchaus auch als freiwillig möglich.“
„Einspruch abgelehnt. Frau Klein, stimmt die Vermutung des Verteidigers?“, fragte der Richter.
„Ja, wir hatten öfters auch harten Sex, der Konrad nicht immer gefiel, aber es war nicht der Grund für die Trennung.“
Mekinsky blätterte nachdenklich in seinem Ordner.
„Frau Klein, ich sage Ihnen, wie es wirklich war. Sie trennten sich von Ihrem Freund, weil er es satt hatte, Sie im Bett zu schlagen und zu demütigen. Sie wollten immer mehr und ständig neue Grenzen überschreiten. Ich vermute sogar, dass er es war, der sich von Ihnen getrennt hatte.“
„Nein, nein, das ist nicht wahr“, schluchzte Klein.
„Als Sie merkten, dass Herr Mitic es mit der Trennung ernst meinte, sind Sie weggerannt. Warum auch immer Sie sich von den Fremden im Lieferwagen zu einer Orgie überreden haben lassen, wird Ihr Geheimnis bleiben. Aber für mich steht fest: Sie haben freiwillig mitgemacht. Als Ihnen aber mein Mandant nach dem Polizeieinsatz die Mitgliedschaft in seinem Zirkel trotzdem nicht zugestanden hatte, kamen Sie auf die Idee, sich hier als Opfer darzustellen.“
Mekinsky redete sich in Rage und merkte plötzlich, dass er einen Fehler gemacht hatte. Irgendetwas, ein kurzes Blitzen in den Augen der so schüchtern und scheu wirkenden Frau, machte ihm das klar. Der nur für einen Lidschlag zu erkennende spöttische Blick war kein Zufall.
„Nein, Herr Anwalt. Sie irren sich“, sagte Klein, nun wieder ganz devot. „Ich sage Ihnen gerne, warum wir uns getrennt haben.“
Sie legte eine kurze Pause ein und Mekinsky beschlich erneut ein ungutes Gefühl.
„Wir haben uns getrennt, weil … weil … weil ich mich entschlossen hatte, mein restliches Leben als Nonne im Kloster der Franziskanerinnen von der christlichen Liebe zu verbringen.“
Lautes Stimmengewirr füllte den Raum und die Verblüffung war, ausgenommen bei der Staatsanwältin, allgegenwärtig.
„Der Hurenbock des Teufels wollte eine Dienerin Gottes ficken!“, schrie Klein, trat vor den Richtertisch, warf sich auf die Erde und begann zu beten. „Vater unser im Himmel …“
Mekinsky blickte in die entsetzten Gesichter der Geschworenen.
Verloren!
Aus und vorbei!
Nichts konnte seinen Mandanten jetzt noch retten.
Nachdem Jutta Klein im Gerichtssaal in eine spirituellere Welt versunken war, beendete der Richter die Sitzung und vertagte auf Mittwoch. Die Anwälte fuhren wortlos vom Gericht ins Büro, nachdem sich Demessos mit einem Taxi aus dem Staub gemacht hatte. Nur der Teufelsanbeter glaubte noch an eine Chance, unbeschadet aus der Geschichte aussteigen zu können.
**********
„Verdammte Scheiße nochmal, wie konnte dir das passieren, verflucht nochmal!“, tobte Mekinsky in seinem Büro und warf den Ordner mit den Informationen über Jutta Klein quer durch den Raum.
„Franziskanerin von der christlichen Liebe. So ein Schwachsinn!“
Der Assistent steckte die Rüge nur mühsam weg. Schließlich stammte der Großteil der Informationen von Mekinskys Verbindungsleuten, nicht von seinen.
„Dir ist schon klar, dass Mühlbacher übermorgen am zweiten Prozesstag ihre Putzfrau schicken kann und trotzdem gewinnen wird, oder?“
„Niemand konnte wissen, dass aus einer S/M-Braut plötzlich die Jungfrau Maria wird.“
„Mühlbacher hat es gewusst!“
„Weil Klein es ihr gesagt hat. Es finden sich in den Akten keine Hinweise. Wie hätten wir das ahnen sollen?“
Mekinsky ließ sich in seinen Sessel fallen. Die Tür wurde geöffnet und Bettina Hofer brachte die zwei Melange, die Kienzl im Vorbeigehen, von Mekinsky unbemerkt, geordert hatte.
Die Gehilfin stellte die beiden Tabletts vor den Männern ab, und Mekinsky stellte erst jetzt fest, dass, im Unterschied zu Kienzl, auf seinem Untersetzer ein kleines Glas Johnny Walker stand. Hastig kippte er den Whiskey hinunter, Bettina innerlich dankend.
„Irish Coffee auf die harte Tour?“, fragte Kienzl lachend.
Mekinsky rollte mit seinem Sessel neben seinen Assistenten, legte die Hand auf dessen Schenkel und blickte ihm direkt in die Augen.
„Markus, wir brauchen ein gottverdammtes Wunder.“