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Herzog von Wien, sehr lieber Dichter,

… ich habe den Ring, den Joseph von Egypten trug, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab …, schreibt Else Lasker-Schüler im August 1909 an Karl Kraus. In Bagdad sagte mir mal eine Zauberin, ich hätte viele Tausendjahre als Mumie im Gewölbe gelegen und sei nicht mehr und nicht weniger als Joseph, der auf arabisch Jussuf heißt.

Meint sie das ernst? Ihr ist völlig klar: Der Empfänger des Briefes weiß, dass sie nie in Bagdad war.

Drei Jahre später zerbricht ihr schon lange instabiles Leben, als Herwarth Walden sie verlässt. Von nun an übernachtet sie in Hotels und lebt in den Berliner Künstlercafés. Und in Theben. In der Nacht meiner größten Not erhob ich mich zum Prinzen von Theben, also zu der ägyptischen Existenz von Joseph, Jakobs Lieblingssohn. (Gemeint ist das ägyptische Theben, nicht das griechische.) Sie unterschreibt Briefe mit Jussuf, Prinz von Theben, und entwirft ihr fiktives Land in Prosaschriften und Briefen. Freunde, denen sie schon seit Jahren Phantasienamen gibt, haben darin klangvolle Auftritte. Karl Kraus bekam nicht nur den Titel Herzog von Wien, sondern auch Dalai Lama.

Verrückt?

Man sollte bedenken, dass Manipulationen an der eigenen Biografie Mode waren, besonders Orient und Indianer waren beliebt. Dem Mann, der als Kara Ben Nemsi durch die Wüste und mit Blutsbruder Winnetou durch den Wilden Westen zog, hat man die erfundenen Identitäten eine Zeitlang abgenommen. Und Rilke z. B. legte sich adlige Vorfahren zu. Während er glaubwürdig mit seiner vornehmen Herkunft aufzutreten versuchte, übersteigert Lasker-Schüler die Eingriffe in ihren Lebenslauf so, dass die dichterische Absicht erkennbar ist: Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich.

Sie rettet sich in Spiel und Ironie, nicht in Fantasy. Ihre Prosaschriften bilden auf ihre eigene Weise Wirklichkeit ab. Erste Teile ihres Briefromans Malik (Briefwechsel mit Franz Marc) konnten 1917 nur unter Schwierigkeiten veröffentlicht werden, weil sie als Antikriegsroman gesehen wurden.

Ein Bündel Wegerich ist ein Roman über zwei Jahre ihres Lebens in Jerusalem, basierend auf dem, was überliefert ist, dieses aber weiterdenkend. Sie ist nicht, wie so oft behauptet wird, einsam und verlassen im Exil gestorben. Alle Personen in diesem Buch haben damals in Jerusalem gelebt und sich, wie hier beschrieben, um sie bemüht. Die einzige erfundene Figur ist Tasso. Dieser Roman zeigt Lasker-Schüler im Alter, so, wie sie alterte, ja, sie alterte, aber ihre früheren Leben vergingen nicht, sie ist noch immer: Kind, siebzehn Jahre, junge Frau, Mutter … wie durchscheinende Diapositive sind hier ihre Lebensphasen übereinandergelegt, und je nach Lichteinfall wird mal das eine, mal das andere deutlicher sichtbar.

Christa Ludwig

Ein Bündel Wegerich

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