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VORSPIEL AUF MADEIRA1

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Ende März des Jahres 1905 besuchte der deutsche Kaiser Lissabon, die Hauptstadt des Königreichs Portugal. Als der moderne Hapag-Postdampfer Hamburg, vom Kanonenboot Friedrich Karl begleitet, vor Anker ging, kam König Dom Carlos in einer Galabarke mit achtzig Ruderern heran, um Wilhelm II. zu empfangen. Anschließend Festzug durch die prächtig geschmückten Straßen hinauf zum Palácio de Belém, dem Königspalast, voran dreihundert berittene Stadtgardisten in historischen Uniformen, gefolgt von vier königlichen Vorreitern in Galalivree, sodann sieben Rokoko-Glaskarossen, im achten Wagen Kaiser und König, begleitet von Hochrufen der Menge – allein 75.000 Übernachtungsgäste zählte die Hotellerie – und den Grüßen junger Frauen, die aus Fenstern Blumen streuten. Der Tag war Operette, am Abend ging es in die Oper, vorbei an Triumphbögen mit Flammenschrift: »Salve Germania!«2

»Alles sehr liebenswürdig«, schrieb Wilhelm seinem Reichskanzler von Bülow nach Berlin. Aber »diese namenlose Hitze« und dann die Angst: »In Tanger ist bereits der Teufel los, gestern ein Engländer fast ermordet.«3 In wenigen Tagen würde er in der marokkanischen Hafenstadt sein, um »Paris eins auszuwischen«.4 Eine Blitzvisite, um Frankreichs Einfluss in Marokko zu begrenzen, eine Drohgebärde, um der französischen Regierung vorzuführen, dass ihr Bündnis mit England im Ernstfall nichts wert sei, vor allem ein Einschüchterungsversuch, um »die Gegenwart Deutschlands im Weltkonzert«5 zu beweisen. Wilhelm wusste, dass für ihn dort keine Glaskutsche bereitstehen würde, sondern nur ein »fremdes Pferd«,6 auf das er zu seinem Unbehagen »trotz meiner durch den verkrüppelten linken Arm behinderten Reitfähigkeit«7 würde steigen müssen, und statt Blumenmädchen würden ihn schlimmstenfalls unberechenbare Anarchisten begrüßen.

Wilhelms Husarenritt wurde zum Symbol der ersten Marokko-Krise, der schwersten außenpolitischen Krise des jungen Jahrhunderts, mit der die Vorkriegszeit begann. »Sie werden bemerkt haben«, schrieb er der venezianischen Gräfin Annina Morosini unmittelbar nach seiner verzagten Machtdemonstration in Tanger, »dass ganz Europa jetzt meinen Willen tut – aus Angst vor mir«.8 Als jedoch Anfang 1906 auf Verlangen der Deutschen im Hotel Reina Cristina in der spanischen Stadt Algeciras eine internationale Konferenz zusammentrat, um die Ansprüche des Kaiserreichs in Marokko zu prüfen, stellte sich heraus, dass die Deutschen mit ihren Drohgebärden niemanden eingeschüchtert, aber fast alle gegen sich aufgebracht hatten.

Nur einer europäischen Regierung fuhr zwischenzeitlich der Schrecken in die Glieder, als sie es mit den Deutschen zu tun bekam. In seinem Trinkspruch auf Schloss Belém hatte Wilhelm dem portugiesischen König noch zugerufen, die »freundschaftlichen innigen Beziehungen« zwischen König- und Kaiserreich sollten sich »fernerhin befestigen und entwickeln«.9 Kurze Zeit später riefen die Portugiesen aus Angst vor einem Krieg England zu Hilfe.

Am Freitag, dem 3. November 1905, stellte Hans Arthur von Kemnitz, Legationssekretär und Vertreter des erkrankten deutschen Gesandten in Lissabon, dem portugiesischen Ministerpräsidenten ein Ultimatum. Erfülle die portugiesische Regierung nicht die Forderung des Deutschen Reiches bis zum folgenden Sonntag um zehn Uhr abends, werde Berlin die Beziehungen zu Lissabon abbrechen, gemeinhin die Vorstufe zur Kriegserklärung. Die Deutschen verlangten, den Engländer John Blandy auf der portugiesischen Atlantikinsel Madeira zu enteignen. Der Spross einer der ältesten und einflussreichsten Weinhändler-Dynastien Madeiras hatte sich geweigert, seine Farm, die Quinta Pavao, als Baugrund an die deutsche Sanatorien auf Madeira, Vorbereitungs-Gesellschaft m. b. H. zu verkaufen. Geschäftsführer des im Februar 1904 mit 800.000 Mark Kapital gegründeten Unternehmens war der als »Tuberkulose-Pannwitz« bekannte Lungenarzt Prof. Gotthold Pannwitz. Ziel der Gesellschaft sei es, so erklärte ein aufwändig gestalteter Prospekt, das durch sein mildes Klima ausgezeichnete Madeira mit Sanatorien und Hotels »zu einem Weltkurort ersten Ranges« zu machen. Keine schlechte Idee, denn in diesen Jahren boomte nicht nur der Massen-, sondern auch der Luxustourismus – einige Jahre zuvor hatte oberhalb einer Steilküste das Reid’s Palace eröffnet, Madeiras erstes Luxushotel, das fast ausschließlich vermögende britische Gäste empfing. Dem Vertreter des deutschen Unternehmens auf Madeira, dem portugiesischen Kaufmann Manuel Goncalves, war es 1903 gelungen, in Lissabon einige hochgestellte Persönlichkeiten »für sich einzunehmen«,10 eine Konzession der Regierung für die Errichtung der Sanatorien zu erhalten sowie die Zusage, Landkäufe und Enteignungen bei Bedarf zu unterstützen.

Das hatte das Misstrauen der britischen Regierung geweckt. Die Deutschen hatten 1898 das Kaiserreich China gezwungen, Tsingtau für 99 Jahre an sie zu verpachten, Wilhelm II. trieb die Aufrüstung der Kriegsflotte voran und zuletzt die Marokko-Krise – der Expansionsdrang der Deutschen war nicht zu übersehen, schon gar nicht von England, das sich herausgefordert fühlte. Und dann ausgerechnet Madeira: Seit langer Zeit war die Insel, obwohl Teil Portugals, englisches Einflussgebiet, besiedelt von englischen Händlern, Hoteliers und Winzern wie Blandy. Die englische Regierung witterte eine imperialistische Aktion des deutschen Kaiserreichs, die englischen Geschäftsleute fürchteten die Konkurrenz. Im November 1904 war in der Times wie bestellt ein Artikel erschienen, der vor dem deutschen »Riesenpolypen auf Madeira«11 warnte. Als sich John Blandy weigerte, seinen Grund an die Deutschen zu verkaufen, und die portugiesische Regierung mit der Enteignung zögerte, schaltete die Vorbereitungs-Gesellschaft das Auswärtige Amt in Berlin ein und erbat eine Intervention in Lissabon. Blandy seinerseits wandte sich daraufhin mit demselben Ersuchen an London. Und so forderte das Auswärtige Amt in zwei Memoranden die Enteignung Blandys, während der englische Botschafter in Lissabon die portugiesische Regierung an einen Bündnisvertrag zwischen England und Portugal erinnerte und den Verzicht auf die Enteignung verlangte. Dann kamen Gerüchte auf, ein deutscher Flottenverband habe sich nach Lissabon in Bewegung gesetzt, und auch eine englische Schwadron sei von Gibraltar aus auf dem Weg an die portugiesische Küste.

Die englische Regierung war beunruhigt, die portugiesische Regierung in Panik, die deutsche Regierung ahnungslos – sie wusste nicht, dass sie kurz vor einem Krieg mit Portugal stand, denn sie hatte keine Kenntnis vom Eskalationsschub ihres Geschäftsträgers in Lissabon. Das angebliche Ultimatum stammte nicht vom Auswärtigen Amt, sondern nur von Hans Arthur von Kemnitz. Alle drei Regierungen waren Opfer eines der ambitioniertesten Betrugsprojekte des jungen 20. Jahrhunderts, denn nichts anderes war die Sanatorien auf Madeira GmbH, die Unternehmung einiger der reichsten Geschäftsleute Deutschlands. Der 49 Jahre alte Prinz Friedrich Karl zu Hohenlohe-Öhringen war der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Gesellschaft, sein sieben Jahre älterer Bruder war der Finanzier, Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen, Herzog von Ujest, Montanindustrieller in Oberschlesien. Und auch ihr 41 Jahre alter Cousin, der schwerreiche deutsch-österreichische Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg, war führend beteiligt. Wie Christian Kraft war er ein Standesherr, das heißt ihre Vorfahren hatten 1806 mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches ihre Souveränität verloren.12

Möglicherweise wussten nicht alle Gesellschafter, was es mit der Sanatorien auf Madeira in Wahrheit auf sich hatte, doch zumindest der Vorsitzende des Aufsichtsrats war im Bilde. Prinz Friedrich Karl interessierte sich nicht für Sanatorien, Hotels, Restaurants und Parks; das waren lediglich die Kulissen, hinter denen er die Eröffnung einträglicher Casinos plante, deren Betrieb auf Madeira allerdings verboten war. Die Insel sollte ein neues Monte Carlo werden, und die Konzession, die Manuel Goncalves im Auftrag Friedrich Karls von der portugiesischen Regierung bekommen hatte, war nur ein erster Schritt. Sogar der gutgläubige Professor Pannwitz, der eine »Denkschrift über die Madeira-Reise der hygienisch-technischen Kommission« verfassen und als Geschäftsführer der Sanatorien auf Madeira GmbH vorstehen durfte, war reine Tarnung. Zur Seite standen dem Prinzen sein intimer Freund Ernst Hofmann, ein übel beleumdeter Kaufmann aus Köln, sowie besagter Goncalves, der einige Jahre zuvor wegen Falschmünzerei im Zuchthaus gesessen hatte, sich nun aber wieder auf freiem Fuß befand und neue Herausforderungen suchte.

Am 13. März 1903, ein Jahr vor Gründung der Gesellschaft, hatte Hofmann in Monte Carlo einen geheimen Vertrag mit César Ritz, dem berühmtesten Hotelier seiner Zeit, einem Hauptmann a. D. von Blottnitz und einer »vorläufig ungenannt bleibenden Person« geschlossen, die niemand anders war als Friedrich Karl. Die vier Unterzeichner hatten sich auf die Gründung einer Gesellschaft verständigt, deren Zweck es war, »die Konzession zur Einrichtung eines Hotels in Madeira, verbunden mit der Konzession zur Einrichtung eines Kasinos von gleichem Charakter wie dasjenige in Monte Carlo, zu erlangen«.13 Alle Gesellschafter hatten sich verpflichtet, darüber »das strikteste Geheimnis zu bewahren« und für den Fall des Verstoßes eine »Konventionalstrafe« in Höhe von 5000 Pfund Sterling zu zahlen. Und sie hatten vereinbart, »Tätigkeiten jeder Art« auszuüben, die im Interesse der Gesellschaft erforderlich seien. Wenig später war es Goncalves gelungen, in Lissabon »hochgestellte Persönlichkeiten« für die Interessen des deutschen Unternehmens zu gewinnen und die Konzession zu bekommen. Am 11. Juni 1903 überbrachte er Ernst Hofmann die gute Nachricht und verhöhnte die leichtgläubigen deutschen Journalisten, die auf die Täuschungsmanöver Friedrich Karls hereingefallen waren: »Diese glauben jetzt, daß wir nicht spielen lassen wollen, aber jetzt kann ich versichern, daß Sie in Madeira so viel Sie wollen spielen können, protegiert durch das magische Sanatorium […] Wenn man in dieses Land erst einmal einen Fuß gesetzt hat, so verschwinden alle weiteren Schwierigkeiten von selbst.«14 Zumindest für einige Zeit. Tatsächlich begann die Vorbereitungs-Gesellschaft mit dem Bau des Sanatoriums Santa Anna, Immobilien wurden gekauft, die Firma Goncalves & Cie eröffnete ein Kohlendepot, eine eigene Zeitung – der Heraldo de Madeira – wurde herausgegeben. Die portugiesische Regierung war so beeindruckt, dass sie in Berlin anfragen ließ, ob Bedenken dagegen bestünden, Ernst Hofmann mit dem Kommandeurkreuz des Christus-Ordens auszuzeichnen.

Nicht nur die amerikanische und britische – und Teile der deutschen – Presse hatten von Anfang an geargwöhnt, der wahre Zweck des Unternehmens seien Casinos. Auch der deutsche Gesandte in Lissabon, Christian Graf von Tattenbach, hatte die Wahrheit früh geahnt und schon 1903 entsprechend nach Berlin berichtet. Doch hatte Pannwitz, von der Wohltätigkeit des Projekts vollkommen überzeugt, in einem Schreiben an Tattenbach noch im November 1904 gegen alle »Treibereien« energisch protestiert: »Die Sanatorien-Unternehmung ist von Seiten des Konzessionsinhabers in einer über jeden Zweifel erhabenen fairen Weise entwickelt worden und bietet dafür, dass dies auch in Zukunft geschieht, durch die beteiligten Persönlichkeiten jede Gewähr.« Aber schon am Ende desselben Monats hatte Pannwitz sich mit Hofmann überworfen und vom Aufsichtsrat gegen den Kaufmann ein Verfahren verlangt, das »der Offizier und Beamte Diszplinar-Untersuchung nennt«. Der Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Prinz Friedrich Karl verweigerte nicht nur das Verfahren, sondern platzierte Hofmann sogar als seinen mit »plein pouvoir« (unbeschränkter Vollmacht) ausgestatteten Vertrauensmann in der Geschäftsstelle der Gesellschaft und berief ihn Ende Dezember in den Aufsichtsrat.

Pannwitz’ Vermutung, dass Hofmann ihn aus der Gesellschaft herausdrängen sollte, wurde zur Gewissheit, als Friedrich Karl im März 1905 die Madeira-Aktiengesellschaft gründete, die sich von der Vorbereitungs-Gesellschaft vor allem in drei Punkten unterschied. Erstens betrug ihr Kapital nicht mehr 800.000, sondern acht Millionen Mark. Zweitens kam in ihrem Statut das Wort »Sanatorien« nicht mehr vor. Drittens hieß ihr Geschäftsführer, nachdem Legationsrat Hermann vom Rath – nach Einschätzung des Kaisers ein »versoffener Spieler«15 – kurz nach seiner Berufung abgetreten war, Ernst Hofmann.

Jetzt endlich begriff Pannwitz, dass er der Strohmann eines Schwindelunternehmens gewesen war: »Die Sanatoriensache ist […] nur Deckmantel.« Er trat als Geschäftsführer zurück und begann eine Kampagne gegen Hofmann, die das Bild vom hochadligen Madeira-Projekt in der deutschen Öffentlichkeit rapide veränderte: Die Nachrichten über Prinz Friedrich Karl, Ernst Hofmann und deren Vertraute wanderten vom Wirtschaftsteil der Zeitungen in die Rubrik »Aus dem Gerichtssaal«. Wenige Tage vor der Reise Wilhelms nach Portugal erreichte den Gesandten Tattenbach ein Brief von Pannwitz, in dem dieser angesichts »des bevorstehenden Kaiserbesuchs in Lissabon« die »eigenartigen Verhältnisse« in der Madeira-Gesellschaft offenlegte, insbesondere die Rolle, die Hofmann dabei spielte. Wie es »der Zufall fügte«, schrieb Pannwitz, habe er von einem befreundeten Richter, dem er die Madeira-Affäre geschildert habe, folgendes Schreiben erhalten: »Rascher als ich gedacht, bin ich mit Herrn Hofmann, früher in Köln, jetzt unbekannten Aufenthalts, bekannt geworden. Heute stand in unserer Kammer eine Klage eines Züricher Rentiers wegen eines fälligen Teilbetrags von 86.500 M. gegen Herrn Hofmann, jetzt Vorstandsmitglied der Madeira-Gesellschaft, an. Hofmann hatte den Kläger vor Jahren um 600.000 M. erleichtert, da der Kläger kein Geld wiedersah, klagte er schließlich. Von Hofmann lag sogar notarielle Anerkenntnis seiner Schuld vor. In dem Prozesse selbst wird sein Vorleben aufgedeckt und er als ein Industrieritter schlimmster Sorte geschildert, der sich nicht scheute, heute zu erklären, dass wenn er verurteilt würde, er sofort ins Ausland reisen würde.« Ähnliche Warnbriefe von Pannwitz erhielten offenbar auch einige portugiesische Behörden, der Leibarzt des Königs von Portugal und das Auswärtige Amt in Berlin. Doch zunächst reagierte nur Ernst Hofmann. Er verklagte Pannwitz wegen Beleidigung, weil der ihn als »Schwindler« bezeichnet hatte. Pannwitz wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von dreißig Mark verurteilt, obwohl festgestellt wurde, dass mit der Erlangung der Konzession für die Madeira-Gesellschaft die »Unlauterkeit Hofmanns« bewiesen sei – allerdings sei nicht festgestellt, »dass die Unlauterkeit eine dauernde Eigenschaft Hofmanns« sei. Damit hatte eine Serie von Beleidigungsklagen, Meineidverfahren und Rufmord-Prozessen begonnen, die noch jahrelang die Berichte über die Madeira-Gesellschaft füllten.

Wenn der deutsche Gesandte in Lissabon schon 1903 an die wohltätigen Zwecke des Madeira-Unternehmens nicht recht glauben mochte, wenn er unmittelbar vor dem Lissabon-Besuch des Kaisers nachdrücklich gewarnt wurde – wie konnte es dann geschehen, dass sein Stellvertreter Hans Arthur von Kemnitz im November 1905 für das betrügerische Projekt die Enteignung auf Madeira erzwingen wollte und die portugiesische Regierung mit einem angeblichen Ultimatum – nicht nur ohne Zustimmung, sondern ohne Kenntnis seiner Zentrale in Berlin – zu bluffen versuchte? Erstens hatte Kemnitz freie Hand. Tattenbach hatte als ausgewiesener Marokko-Experte Wilhelm nach dessen Lissabon-Besuch nach Tanger begleitet und war bald nach seiner Rückkehr so schwer erkrankt, dass er sich in ein echtes Sanatorium begeben musste, so dass Kemnitz ihn vom 26. Juli 1905 bis 14. Mai 1906 als Geschäftsträger vertrat. Zweitens hatte Kemnitz in Berlin offenbar, jedenfalls für einige Zeit, Verbündete. So wie der Kaufmann Goncalves in Lissabon »hochstehende Persönlichkeiten« für sich eingenommen hatte, so hatten seine Auftraggeber in Berlin – mit Hilfe einiger zehntausend Mark16 – Unterstützer im Auswärtigen Amt gefunden. Und drittens hatte Kemnitz ein starkes Motiv. Der Legationssekretär war fest entschlossen, England endlich einmal die Stirn zu bieten und zugleich mit dem Coup in Lissabon seine Karriere zu beschleunigen. War es bisher seine frustrierende Aufgabe gewesen, Pressemappen zusammenzustellen und Visa-Anträge zu bearbeiten, blühte er nach Übergabe der Geschäfte durch Tattenbach auf. Das Engagement, das er in seiner kurzen Zeit als Geschäftsträger für das hochadlige Betrugsprojekt zeigte, dürfte ohne Beispiel sein. Einerseits unterdrückte er alle Dokumente, die die geplante Gaunerei bewiesen. Andererseits schrieb er unermüdlich Berichte, in denen er von Berlin schärfere Drohungen gegen die portugiesische Regierung verlangte und immer abstrusere Vorschläge machte, Lissabon zur Enteignung auf Madeira zu zwingen – durch koordinierte Verkäufe von portugiesischen Staatsanleihen könnten die Finanzen Portugals an den internationalen Finanzmärkten so unter Druck gesetzt werden, dass die derzeitige Regierung stürze, ihre Nachfolger würden bestimmt gefügiger sein. Schließlich wurden Kemnitz’ Berichte von den Beamten in Berlin, die die Enteignung anfangs noch unterstützt hatten, gar nicht mehr gelesen. Das war ein Fehler, denn so hatte niemand bemerkt, dass der deutsche Geschäftsträger in Lissabon zu einer »loose cannon« geworden, mit anderen Worten: vollkommen aus dem Ruder gelaufen war.

Der portugiesische Ministerpräsident war ratlos und offenbar erschüttert, dass das deutsche Kaiserreich wegen einer verzögerten Enteignung für eine Sanatorien-Gesellschaft einen Krieg in Aussicht stellte. Konsterniert schrieb er Kemnitz, seine Regierung sei an guten Beziehungen zu Deutschland »lebhaft« interessiert, doch gebe sie zu bedenken, dass »die Angelegenheit, um die es sich handelt, verhältnismäßig gering ist«. Nicht davon überzeugt, mit dem Appell an die Vernunft bei den Deutschen Erfolg zu haben, wandte sich die portugiesische Regierung an ihren Verbündeten in London. Dort hielt man die Angst der Portugiesen zwar für übertrieben – nicht einmal die drohwütigen Deutschen würden wegen ein paar Sanatorien einen Weltbrand riskieren –, doch wurde vorsorglich der britische Botschafter in Berlin in Bewegung gesetzt. Sir Frank Lascelles sprach bei Reichskanzler Bülow vor, der sich schockiert zeigte vom Amoklauf des subalternen Diplomaten in Lissabon und versprach, die Sache im Sinne der englischen und portugiesischen Regierung zu klären. Der Krieg fiel aus, Kemnitz wurde wenig später nach Peking versetzt, John Blandy durfte seine Farm behalten, und die Deutschen bauten weder Sanatorien noch Casinos auf Madeira. Am 2. März 1906 meldete der Londoner Standard: »So endet die Geschichte des Sanatoriums auf Madeira, die beinahe zur Erschütterung Europas geführt hätte.«17

Das war zumindest voreilig. Weder Prinz Friedrich Karl noch seine Geschäftsfreunde Ernst Hofmann und Manuel Goncalves waren bereit, Madeira mit leeren Taschen zu verlassen. Als schon feststand, dass man sich nicht länger auf die – wissentliche oder unwissentliche – Mithilfe der deutschen Regierung verlassen konnte, kam Ernst Hofmann der Gedanke, eine Madeira-Goldminen-Aktiengesellschaft zu gründen. Anfang 1906 landete auf dem Schreibtisch eines Berliner Geologen eine mit Erden und Erzen gefüllte Kiste und ein Begleitschreiben mit der Bitte, den Inhalt auf seinen »Goldgehalt« zu untersuchen. Der Professor fand kein Gold, Hofmann schickte die nächste Kiste, wieder fand der Geologe nichts, in der dritten Sendung aber wurde er endlich fündig. Allerdings war das Gold nicht natürlicher Bestandteil der Lieferung, sondern offensichtlich irgendwo abgekratzt und der Erde beigemischt worden.

Empört bestellte der Geologe Hofmann telegrafisch ein, der aber alles bestritt und die Schuld auf Manuel Goncalves schob, der nun mal ein »Schwindler« sei. Dennoch sei er, Hofmann, davon überzeugt, auf Madeira Gold zu finden, weshalb er den Professor bitte, auf Kosten der Madeira-Aktiengesellschaft vor Ort zu suchen. Tatsächlich ließ sich der Geologe zu der Expedition überreden. Nachdem er auf der Insel erwartungsgemäß nicht ein einziges Goldkorn gefunden hatte, versuchte Hofmann, der Phantasie des Geologen auf die Sprünge zu helfen: »Nun, wir wollen ja nicht, daß Sie in Ihrem Berichte sagen, Sie hätten Gold gefunden, Sie sollen nur die Möglichkeit zugeben, daß sich hier Gold finden könne.« Als der Professor erwiderte, er gebe überhaupt nichts zu, erklärte Hofmann ihre Zusammenarbeit für beendet: »Na, mein Lieber, für unser Unternehmen können wir Sie nicht brauchen – Sie sind uns denn doch zu sehr Ehrenmann.«18

Für einen unkomplizierteren Weg der Bereicherung hatte sich Manuel Goncalves entschieden. Als der frühere Zuchthäusler in den Dienst der Madeira-Aktiengesellschaft getreten war, hatte er »keinen roten Pfennig«.19 Doch schon nach kurzer Zeit hatte er 200.000 Mark auf dem persönlichen Konto und war in Funchal Eigentümer eines Hotels – ohne Wissen der Aktionäre eingerichtet mit den Möbeln und der Bibliothek der Gesellschaft –, einer Villa – die er dem Zolldirektor von Madeira inklusive einer gefüllten Vorratskammer vorsorglich unentgeltlich zur Verfügung stellte – sowie mehrerer Schiffe: »Alle seine Besitzungen haben einen bedeutenderen Wert als die unfertigen Gebäude der Sanatoriengesellschaft, mit deren Geld sie wahrscheinlich erworben wurden.«20 Mit einer etwas zu üppig ausgefallenen Spesenabrechnung hatte er es jedoch eines Tages übertrieben. Er wurde nach Berlin einbestellt, wo er sich – wie sein Hausblatt, der Heraldo de Madeira, beschwichtigend meldete – vor dem Aufsichtsrat in »allen Anklagen«21 rechtfertigte. Das wird ihm nicht leichtgefallen sein, denn er hatte von der Gesellschaft die Bezahlung von 250.000 Mark Spesen für die Legung einer Kanalisation von seiner Villa zum Hafen gefordert.

Aber Manuel Goncalves wurde von Friedrich Karl noch gebraucht, um die Sanatorien-Konzession doch noch zu Geld zu machen. Nachdem sich seine Pläne auf Madeira zerschlagen hatten, präsentierte Prinz Friedrich Karl der portugiesischen Regierung zunächst eine Schadensersatzforderung. Er hatte einen gerichtlichen Bücherrevisor beauftragt, alle bisher entstandenen Kosten der Sanatorien-Planung zu berechnen. Der Revisor hatte in einem »Memorandum« eine Summe von »acht Millionen zweihundertsiebentausend dreihundertundsiebenundzwanzig Mark 15 Pf.« ermittelt, aufgerundet um den »Betriebswert der Konzession für die Zukunft« um 1.792.672 Mark, 85 Pfennig, alles in allem: genau zehn Millionen Mark. Portugal war ein armes Land, die geforderte Summe hätte den Staatshaushalt gesprengt. Die Regierung erwog, eine Staatsanleihe aufzulegen. Da meldeten englische Zeitungen, ein »britischer Kapitalist« namens John Williams habe angeboten, Prinz Friedrich Karl die Konzession für zehn Millionen abzukaufen, sofern das portugiesische Parlament der bisherigen Konzession zum Bau der Sanatorien und Hotels eine weitere hinzufüge – eine Casino-Konzession.

In ihrer Not war die portugiesische Regierung zu Verhandlungen bereit und führte bereits Gespräche mit Williams, als in der portugiesischen Presse Artikel erschienen, die enthüllten, wer sich hinter dem vermeintlichen Retter verbarg: Manuel Goncalves, Ernst Hofmann und selbstverständlich Prinz Friedrich Karl. Williams war ihr Strohmann, der dem Prinzen – natürlich nur auf dem Papier – zehn Millionen Mark für die Abtretung der dann um die Casino-Erlaubnis angereicherten Sanatorien-Konzession überweisen sollte.22 Ein glänzendes Geschäft, das allerdings nicht zustande kam – das Parlament lehnte die Spiel-Konzession ab, und der portugiesische Ministerpräsident beklagte sich beim deutschen Gesandten Tattenbach, »dass für den Prinzen und seine Agenten von Anfang an der Betrieb des gewerbsmäßigen Spiels das Ziel ihrer Bestrebungen gewesen sei und die humanitären Ziele nur den Vorwand gebildet hätten«. In seinem Bericht über das Gespräch mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten an Reichskanzler Bülow vom 25. Februar 1907 beschwerte sich Tattenbach: »Es ist keine angenehme Sache, für die Interessen dieser Gesellschaft gegenüber der portugiesischen Regierung eintreten zu müssen.« Es wäre besser gewesen, dem Prinzen klarzumachen, dass es nicht Aufgabe des Auswärtigen Amtes sei, sich um seine Interessen zu kümmern: »Leider ist das nicht geschehen.«

Der Ministerpräsident hatte Tattenbach gegenüber zudem behauptet, Friedrich Karl habe nicht nur die portugiesische Regierung und das Auswärtige Amt in Berlin hinters Licht geführt, »sondern auch seinen Bruder, den Herzog«, Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen. Dagegen spricht zum einen, dass es Christian Kraft gewesen war, der in der Madeira-Affäre das Schmiergeld für die Beamten des Auswärtigen Amtes zur Verfügung gestellt hatte.23 Zum anderen war Christian Kraft als bedeutender Montanmagnat ein erfahrener Unternehmer. Im Übrigen war der Name Ernst Hofmanns, spätestens seit die deutsche Presse regelmäßig und ausführlich über seine Prozesse im Streit mit Prof. Pannwitz berichtete, nicht nur in der Geschäftswelt bekannt und berüchtigt. Das kann Christian Kraft nicht verborgen geblieben sein, ebenso wenig wie der in allen größeren Zeitungen diskutierte Verdacht, schwerreiche Vertreter der Hocharistokratie planten klandestin ein neues Monte Carlo auf Madeira. Und wie der Fortgang der Geschichte zeigt, schätzte Christian Kraft an seinem Vertrauten Hofmann, dem gescheiterten Goldgräber, vor allem eines: sein Gespür für unkonventionelle Geschäfte.

Im April 1907 sagten der Aufsichtsratsvorsitzende Prinz Friedrich Karl und sein Stellvertreter, Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg, der Madeira-Aktiengesellschaft überraschend Valet. Der Gesellschaft war es zwar gelungen, der portugiesischen Regierung die Sanatorien-Konzession für fast fünf Millionen Mark (genau: 4.957.301,18 Mark) zurückzuverkaufen. Jedoch blieb – die Berechnungen des Bücherrevisors zugrunde gelegt – ein Verlust von fünf Millionen Mark. Das war für die kapitalkräftigen Aktionäre kein Problem, aber es war das Ende der Gesellschaft. Friedrich Karl gab auf einer ordentlichen Generalversammlung bekannt: »Die schon im Geschäftsbericht erwähnten Schwierigkeiten mit Portugal, welche auf die Entwicklung der Gesellschaftsunternehmungen in Madeira hemmend einwirkten, haben den Gedanken nahegelegt, die ursprünglich beabsichtigte Beschränkung aufzugeben.« Madeira werde aus dem Statut gestrichen, das Kapital auf 15 Millionen Mark erhöht.

Eine neue Gesellschaft würde entstehen. Nicht mehr Prinz Friedrich Karl würde das Sagen haben, sondern ihre beiden reichsten Geldgeber, Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen und Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg. Hatte die Madeira-Aktiengesellschaft nur Roulettetische auf der Atlantikinsel aufstellen wollen, würde die neue Gesellschaft in Berlin selbst ein gigantischer Roulettetisch sein, der größte, den das Kaiserreich jemals gesehen hatte, mit den höchsten Einsätzen und den spektakulärsten Verlusten, mit den verwegensten und dilettantischsten Spielern und mit dem unfähigsten und skrupellosesten Croupier. Er eröffnete das Spiel am 24. April 1908: »Der in der III. ordentlichen Generalversammlung unserer Gesellschaft gefasste Beschluss, die bisherige Firma Madeira Aktiengesellschaft umzuwandeln in: Handels-Vereinigung Aktiengesellschaft ist heute in das Handelsregister eingetragen worden.« Gezeichnet: Ernst Hofmann.

Noch ehe zum ersten Mal die Kugel rollte, war das Millionen-Spiel berühmt. Man nannte es den Fürstentrust.

Der Fürstentrust

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