Читать книгу Sch(m)utz im Netz - Christian Burger - Страница 2
Оглавление1. Was läuft da schief im Internet?
Warum Anonymität irritiert
Seit einigen Jahren wird immer wieder eine einfache Lösung für verbale Entgleisungen im Netz gefordert: Weg mit der Anonymität, Echtnamenpflicht einführen, dann werden sich die Leute zusammenreißen. Wer sich nicht hinter einer digitalen Maske verbirgt, wer mit seinem echten Namen auftreten muss, der wird sich im Internet ordentlich benehmen.
Doch was steckt wirklich hinter solchen Forderungen? Häufig sind es bekannte Persönlichkeiten aus Politik oder Medien, die derartige Positionen vertreten. Menschen, die online selbstverständlich unter ihrem eigenen Namen auftreten oder publizieren, weil sie damit ihre bereits bestehende Bekanntheit nutzen, um Gehör zu finden.
Reaktionen auf Facebook, Twitter oder in Zeitungsforen kommen dann von »Beate Danzer«, »grueni« oder »anoNYm«. Oft auch Kritik. Manchmal auch unflätige Äußerungen. Wer sind diese Leute? Muss ich sie ernst nehmen? Sind sie mir schon einmal begegnet? Oder handelt es sich gar um einen politischen Mitbewerber oder um eine Kollegin aus einem Konkurrenzmedium?
Die Unwissenheit um die Person, die hinter bestimmten Äußerungen steckt, ist oft unangenehm und irritierend. Mehr noch: Das Wort steht im Internet für sich, man kann niemandem ins Gesicht schauen und sehen, wie etwas gemeint ist. Der fehlende Kontext macht eine Einordnung schwer: Ist das jemand, dem man vertrauen kann? Was führt die Posterin im Schilde? Will mir da jemand schaden? Ist es gar ein Bekannter, der mich aus dem Hinterhalt angreifen will?
Beim Thema Corona und Mund-Nasen-Schutz kommt es zu ähnlichen Gefühlen, wie auch bei der Verwendung von Pseudonymen im Netz: Die Pflicht zur (teilweisen) Verhüllung des Gesichts stößt auf erbitterte Ablehnung. Bei Demonstrationen und in Social Media wird die Maske, die eine Verbreitung des Virus eindämmen soll, als Maulkorb uminterpretiert, der einem von den Mächtigen angelegt wird.
Der Mund-Nasen-Schutz schränkt tatsächlich die soziale Interaktion ein, da er es unmöglich macht, die Mimik des Gegenübers wahrzunehmen. Das Verstehen des gesprochenen Worts wird erschwert. Bei der direkten Kommunikation mit anderen kann man plötzlich nicht mehr auf sämtliche Signale zurückgreifen, die man gewohnt ist.
Hier zeigt sich eine wesentliche Parallele von physischen Masken im Corona-Alltag und digitalen Masken in Online-Gesprächen: Da wie dort bewirken Masken, dass wir unser Gegenüber nicht vollständig wahrnehmen können. Unterbewusste Mechanismen, die uns dabei helfen, Äußerungen von anderen einzuschätzen, können nicht oder nur eingeschränkt verwendet werden. Wichtige Kontextinformation – zum Beispiel Mimik oder Hintergrund zur Person – wird durch Masken unsichtbar. Da ist es nur allzu verständlich, dass es zu emotionaler Ablehnung kommt.
Falscher Fokus auf Hass im Netz
Der Blickwinkel »Hass im Netz« dominiert seit Jahren die Debatte darüber, wie wir im Internet miteinander umgehen und (nicht) umgehen sollen. Dieser einseitige Fokus, dieses Starren auf die negative Eskalation im Netz verstellt die Sicht auf das komplexe Wesen von Online-Diskursen. Nicht nur das, wir beschäftigen uns in der Politik, im Medienmanagement und aktuell zunehmend in der Gesetzgebung vorwiegend mit Verhinderungsmechanismen und versuchen so, Fehlverhalten in der virtuellen Sphäre zu minimieren. Bei diesen Bemühungen, Schwächen zu schwächen, vergessen wir völlig drauf, dass es vielleicht eine bessere Strategie gibt: Stärken zu stärken.
Zahlreiche Initiativen in der Gesetzgebung zielen darauf ab, Hass im Netz mittels stärkerer staatlicher Regulierung zu bekämpfen: Deutschland war 2017 mit seinem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Vorreiter, 2020 wurde dieses verschärft. Anbieter von sozialen Netzwerken müssen ein Beschwerdeverfahren einrichten und rechtswidrige Beiträge von Nutzern rasch entfernen sowie gegebenenfalls an die Polizei melden, andernfalls drohen hohe Strafzahlungen. Opfer von Hassbotschaften haben die Möglichkeit, Daten der Urheber vom jeweiligen Betreiber der Plattform zu erhalten. Im Mai 2020 wurde in Frankreich ein Gesetz verabschiedet, das Online-Plattformen hohe Bußgelder auferlegt, wenn sie Hassbotschaften nicht innerhalb von 24 Stunden löschen. In Österreich trat im Jänner 2021 das Kommunikationsplattformen-Gesetz in Kraft, das große Social-Media-Anbieter ebenfalls dazu zwingen soll, Hass-Postings rasch zu löschen. Auf EU-Ebene wird derzeit an ähnlichen Regelungen in einem Gesetz für digitale Dienste gearbeitet. All diese Initiativen sind umstritten, weil Overblocking, also eine unverhältnismäßig große Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, befürchtet wird.
Eine Anpassung bei Gesetzen ist zwar notwendig, um Opfer besser zu schützen, greift jedoch zu kurz, wenn es darum geht, das Problem an der Wurzel zu packen. Virtuelle Räume müssen so gestaltet werden, dass sie zum Fundament für konstruktive Debatten werden und wenig Platz für destruktives Verhalten lassen.
»Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen.« Das ist die zentrale These von Georg Franck in seinem 1998 erschienenen Buch Ökonomie der Aufmerksamkeit.
Aktuell schenken wir unsere Aufmerksamkeit jenen, die das Niveau der Debatten im Internet senken, andere persönlich angreifen oder Straftaten begehen. Aufmerksamkeit ist ein knappes Gut in der Online-Welt. An einem Ort, an dem jeder publizieren kann, ist es von großer Bedeutung, Gehör zu finden und Reaktionen auszulösen. Gelingt dies vorwiegend mit destruktiven Methoden, so werden sich diese durchsetzen. Wenn wir aber konstruktive Debattenbeiträge honorieren, indem wir uns auf diese konzentrieren und diese ins Scheinwerferlicht stellen, wird deren Zahl steigen.
Paul Graham, ein britischer Programmierer und Internet-Experte veröffentlichte 2008 ein Modell (s. detaillierter in Kapitel 6), das es uns erlaubt, unterschiedliche Qualitätsniveaus von Argumenten in Online-Diskussionen identifizieren. Auf den niedrigen Stufen befinden sich Angriffe auf den Gesprächspartner, in der Mitte sachlicher Widerspruch und an der Spitze überzeugende, belegte und begründete Argumente.
Wenn über Hass im Netz debattiert wird, stehen stets die untersten Ebenen des Graham-Modells im Fokus. Persönliche Attacken und Entgleisungen sollen unterbunden werden. Jetzt ist es dringend notwendig, dass wir unseren Blick auf die höhergelegenen Stufen richten. Die entscheidende Frage ist, wie erreicht werden kann, dass mehr Menschen in Online-Gesprächen auf sachlicher Ebene diskutieren und mit entsprechender Aufmerksamkeit für Argumente belohnt werden.
Aufmerksamkeit für Konstruktives
Seit gut einem Vierteljahrhundert durchdringt das Internet immer größere Bereiche unseres Lebens. Ein wesentlicher Teil der gesellschaftlichen Kommunikation findet im virtuellen Raum statt. Online-Diskussionen wirken sich auf die Meinungsbildung vieler aus und haben entscheidenden Einfluss auf unser reales Leben. Zurecht wird auf destruktives Verhalten im Netz verwiesen, das die Kommunikation stört, Meinungen verzerrt und negative Konsequenzen im gesellschaftlichen Miteinander nach sich zieht.
Die Debatte über Hass im Netz leidet jedoch darunter, dass voreilig falsche Schlüsse gezogen werden und damit relativ einfach anmutende Lösungen angestrebt werden, die nicht wirksam sein können.
Digitale Masken, also die Verwendung von Pseudonymen im Internet, sind nicht die zentrale Ursache für destruktives Verhalten. Es erzeugt Unbehagen, wenn wir nicht genau wissen, mit wem wir es in Online-Diskussionen zu tun haben, das ist richtig. Eine Echtnamenpflicht, wie auch immer sie ausgestaltet ist, stellt keine geeignete Lösung dar. Sie führt nicht zu wesentlich zivilisierterem Verhalten und sie mindert nicht das Unbehagen, das von einem Online-Gegenüber ausgeht.
Wir brauchen ein digitales Ich, das für soziale Selbstkontrolle im Netz sorgt. Eine Repräsentation für Menschen im virtuellen Raum, die eine Einschätzung durch andere erlaubt und somit Sicherheit gibt. Ein Echtname ist zu wenig, genauso wie ein Pseudonym. Das digitale Ich muss verschiedene Eigenschaften einer Person möglichst einfach erkennen lassen und eine Einordnung erlauben.
Bei einer Begegnung in einem physischen Raum, zum Beispiel im Kaffeehaus, ist es auch nicht notwendig, den bürgerlichen Namen des Gegenübers zu kennen. Viel entscheidender ist es, andere Kontextinformationen zu erhalten. Im Kaffeehaus sind das die äußere Erscheinung, die Gestik und Mimik, die Stimme, Gerüche und andere Dinge, die wir nebenbei wahrnehmen. Solche zusätzlichen Signale erlauben uns eine bessere Einschätzung für die verbalen Äußerungen anderer Menschen.
In der virtuellen Sphäre lassen sich manche dieser Kontextinformationen schwer herstellen. Es ist jedoch durchaus möglich, ein digitales Ich facettenreicher auszugestalten, als das bisher oft geschieht (s. mehr dazu in Kapitel 5). Wenn ich mich selbst besser im Netz erkenne, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass meine soziale Selbstkontrolle einsetzt. Und mein Gegenüber, das mehr Details von mir wahrnimmt, wird eher Vertrauen aufbauen können.
Hass im Netz gibt es und wird es immer geben. Es wäre auch völlig absurd, das Gefühl einer negativen Ablehnung, das zum Leben gehört wie die Liebe, verbieten zu wollen. Blinder Hass kann jedoch auch Schaden für andere anrichten und es ist ein ehrenwertes Ziel, diesen zu minimieren. Die Verhinderung großer Eskalationen mit massiven Beeinträchtigungen für Opfer ist selbstverständlich wichtig, Polizei und Gerichte sollen auch im virtuellen Raum gegen Rechtsverletzungen vorgehen können.
Der mediale und gesellschaftliche Diskurs zu Hass im Netz wird jedoch nicht dazu führen, dass Aggression und destruktives Verhalten aus dem virtuellen Leben verschwinden. Im Gegenteil, wir übersehen durch dieses Framing vollkommen, dass der überwiegende Teil der Online-Kommunikation zivilisiert abläuft und durchaus relevante Äußerungen in der Sache getätigt werden. Der falsche Fokus auf negative Phänomene verstellt nicht nur die Sicht, er wirkt wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Persönliche Attacken landen in der Auslage, bekommen Aufmerksamkeit, differenzierte, sachliche Beiträge gehen unter.
Wir müssen den Fokus der Debatte verschieben und den Scheinwerfer endlich auf Konstruktives lenken. Soziales Verhalten in der virtuellen Welt kann nicht erzwungen, wohl aber belohnt werden. Wer auf Argumente zurückgreift, persönliche Einschätzungen teilt, neue Aspekte in eine Online-Diskussion einbringt, verdient größere Aufmerksamkeit. Konstruktive Beiträge gehören in die Auslage, damit sich viele ein Beispiel daran nehmen.
Was ist also zu tun, damit Debatten im Internet besser werden? Erstens braucht es eine Stärkung des digitalen Ichs und zweitens müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf konstruktive Beiträge lenken.