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Kapitel 1

Der Watzmann und seine Kinder

Ich bin der Christian. Mama und ich lebten in einer Hütte, die früher einmal als Alm genutzt wurde.

Das Hochtal zieht sich bis zum Funtensee hinauf und wird auf der einen Seite vom Tabakmannl eingebunden. Das ist ein Berg. Der gehört zum Massiv des Watzmanns. An den Watzmann angelehnt haben sich kleinere Berge. Die sehen aus wie seine Kinder. Deshalb heißen sie auch so – die Watzmann-Kinder.

Noch bevor er Mama kennengelernt hat, hatte sich Papa genau diesen Platz zum Leben ausgesucht, ganz in der Nähe seines geliebten Watzmanns. Und überhaupt – der Watzmann: Er ist das Wahrzeichen im Berchtesgadener Land. Ein Berg, der vielen Kletterern zum Schicksalsberg geworden ist.


Am östlichen Fuß des Watzmanns liegt der von steilen Berghängen eingebettete Königssee.

Meinen Papa habe ich nie kennengelernt. Er wurde von den Leuten im Tal Waldbauer genannt.Papa war als junger Mann Bergführer. Aber nachdem etwas passiert war, hat er es sein lassen.

Papa starb beim Fällen einer Buche. Mama sagt, die Buche stand unter Spannung, ein Herbststurm hatte sie verdreht. Papa hat die Spannung in dem Baum erkannt und trotzdem ist es passiert! Das war vor meiner Geburt.

Alle haben gesagt, Mama solle die Hütte aufgeben und ins Tal ziehen. Sie müsse doch an das Wohl ihres Kindes denken, in ihrem Leib. Das war ich. Dort oben, allein, sei alles viel zu gefährlich. Aber Mama blieb, und ich kam in unserer Hütte zur Welt.

Unsere Hütte war für die Ewigkeit gebaut. Sie stand auf einem Steinfundament, hatte einen gemauerten offenen Kamin und nur einen großen Raum, in dem gekocht und geschlafen wurde. In der Mitte stand ein großer Eichentisch und vier Stühle drum herum. In einer Ecke des Raumes stand ein Erbstück meines Vaters: ein Sekretär. Der hatte ein Geheimfach. Mama bewahrte unser Geld und alle persönlichen Sachen darin auf. Den Schlüssel dazu trug sie immer bei sich. Über eine steile Stiege gelangte man auf den Dachboden. Der Dachboden wurde zur Aufbewahrung von Vorräten genutzt.

Die Hütte stand auf einer großen Lichtung, kurz vor der Baumgrenze, ein munterer Bach davor. Papa hatte den Bach – neben der Hütte – zu einem Teich aufgestaut.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schön es hier ist.

Wenn ich mich – nach so vielen Jahren – an diese Zeit erinnere, so sind mir zwei Sinneswahrnehmungen besonders haften geblieben:

Die vollkommene Dunkelheit und die vollkommene Stille – nachts in der Hütte, wenn die letzte Glut des Feuers niedergebrannt war. Auch wenn man sich angestrengt hat: Man sah selbst die Hand vor den Augen nicht!

Der Winter war für uns das Maß aller Dinge: War der Winter kalt, mussten wir mit dem Beil ein Loch in den gefrorenen Teich hauen, um an Wasser zu kommen. Meine Aufgabe war es, jeden Morgen mit der Schaufel den Zugang zur Hütte von den Schneemassen freizuhalten. Das war eine Schufterei! Wenigstens musste ich in dieser Zeit keine anderen Tagespflichten erledigen, den Unterricht mit Mama ausgenommen.


Es gab im Winter auch kaum Gelegenheiten, sich draußen aufzuhalten. Es gibt ja keine Wege hier oben, nur Schnee, Schnee und nochmals Schnee.

Schon das ganze Jahr über hatten wir uns Arbeiten zurückgelegt, die man im Winter in der Hütte erledigen konnte. Die Waldbewohner, die ungern selbst mit Behörden in Kontakt traten, oder nicht lesen und schreiben konnten, haben Mama mit Schreibarbeiten beauftragt. Zusammen mit der Rente von Papa hielten uns diese Schreibaufträge „über Wasser“.

Das Zusammenleben auf engem Raum für so eine lange Zeit war nicht einfach, aber Mama und ich haben immer zusammengehalten.

Das Leben im Winter hier oben war eben hart, für Mensch und Tier.

Ganz anders der Frühling: Sehnlichst hab ich mir den Frühling herbeigewünscht. Wenn die Zeit kam, bin ich jeden Morgen raus und hab geschaut, ob sich der Wald schon dunkel färbt. War das der Fall, stand Tauwetter an. Kam dann das Vogelgezwitscher dazu, war der Frühling ganz nah.

Mama liebte unsere Hütte. Niemals wäre sie wieder ins Tal gezogen. Papa sei ihr hier so nah, sagte sie immer.

Die beiden müssen sich sehr lieb gehabt haben.

Manchmal, wenn mich Mama ins Bett gebracht und das Abendgebet mit mir gesprochen hatte, lag ich noch wach und verfolgte die Schatten, die das Feuer an die Wände warf. Es kam vor, dass Mama den kleinen Wandschrank neben der massiven Hüttentüre öffnete und den Pfeifenbeutel meines Vaters herausholte. Sie legte dann ihre Finger in die Tabakkrümel, die bereits alt und sehr hart waren. Papa hatte immer Apfelschnitze unter den Tabak gemischt, damit er nicht trocken wurde und dann länger hielt. Der Pfeifenbeutel war aus Leder und hatte über die Jahre den Geruch nicht verloren, der Mama wohl an Papa erinnert hat.

Neben dem Wandschrank, rechts von der Tür, hing ein gerahmtes Bild von Papa. Links von der Tür hing ein Kreuz mit dem Jesuskind und neben dem Kreuz ein Weihwassertöpfchen.

Auch ich glaubte, dass Papa noch da war. Besonders nachts, wenn der Wind um die Hütte pfiff, kuschelte ich mich ganz nah an Mama ran, das Bild von Papa unter meinem Kopfkissen.

Selbst durch das Kopfkissen spürte ich sie – seine Kraft!

Morgens hängte ich das Bild wieder an seinen Platz zurück. Da lächelte er mich dann an, der Papa.

Ich war mit Mama allein dort oben, ich hatte keine Freunde – aber dazu später.

Oft hatte ich solche Sehnsucht nach Papa, dass ich an nichts anderes denken konnte. Mama redete nie viel von ihm. Aber ab und zu schon. Er sei anders gewesen als die anderen. Die Leut im Tal sagten, er sei ein Freigeist gewesen. Was das ist? Das wusste ich damals selber noch nicht.

Und manchmal hat auch die Mama Angst gehabt, aber zugegeben hat sie’s nicht. Sie sagte immer, neben dem Herrgott passt auch der Papa auf uns auf, immer.

Was machen denn all die Tiere da draußen, fürchten die sich nicht? Mama meinte: „Nein, die Tiere fürchten sich nicht.“

Woher sie das denn wisse?

„Der Papa hat’s von den Tieren erfahren. Er konnt mit den Tieren sprechen – und du, Christian, du wirst das auch einmal können!“

Einmal im Jahr kam der Pfarrer zu uns. Und wenn der Pfarrer kam, dann segnete der unsere Hütte und das Wasser im Weihwassertöpfchen, malte ein Kreuzzeichen auf meine Stirn und sorgte sich: Es sei nicht gut für eine junge, schöne Frau, dort oben allein mit ihrem Kind zu leben. Auch für den Jungen sei es zu einsam hier. Ich solle nach Schönau kommen, zu den anderen Kindern ins Tal, und Mama würde als Lehrerin gebraucht.

Mama blieb respektvoll, aber bestimmt: Für den Christian sei es noch nicht Zeit für das Tal. Der Christian, der sei halt wie sein Vater, der brauche die Natur um sich herum. Das andere lerne er von ihr.

Immer wenn Mama so mit anderen redete, sah ich sie von der Seite an: Die feinen Gesichtszüge und langgliedrigen Finger passten gar nicht so recht hierher.

Ich konnt den Papa gut verstehen, was ihm so an der Mama gefallen hat – und ich war selber sehr stolz auf sie.

Drago

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