Читать книгу Das ERGOS-Projekt - Christian Friedrich Schultze - Страница 4
2.
ОглавлениеJeremia Alban Redcliff hatte gerade seinen 45. Geburtstag hinter sich gebracht, als er endlich in das Büro des Energieministers eingeladen wurde. Man schrieb den 1. September 2004. Es war ein sonniger, warmer Mittwochnachmittag in Washington.
Am Vorabend jenes Datums war auf einem Parteitag der Republikaner gerade George W. Bush junior mit einer Politshow, wie sie bisher ohne Beispiel in der gesamten amerikanischen Geschichte gewesen war, zum neuerlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ausgerufen worden. Das Desaster seiner Wahl vom Sommer 2001 war scheinbar längst vergessen. Die Macher wetteten auf die Macht der Bilder. Und nach 9/111 und dem Einmarsch der von den USA geführten Alliierten in Afghanistan und in den Irak war sowieso nichts mehr wie vordem. Nation in war!2
George John Tenet3 hatte das erwartet. Er hatte nur kurze Zeit benötigt, bis ihm dämmerte, was mit dem WTC-Desaster bezweckt worden war. Meist hatte der CIA in den entscheidenden Missionen eine Aufgabe gehabt. Bei 9/11 hatten sie ihn außen vor gelassen.
Jedenfalls hatten jetzt die evangelikalen Fundamentalisten in Washington das Sagen und die Pragmatiker waren in die Minderheit geraten. In Redcliffs Kopf setzte sich der Verdacht fest, dass die neuen Jungs im Pentagon um Verteidigungsminister Donald Henry Rumsfeld gerade dabei waren, die Dienste umfassend für ihre Konzerne zu instrumentalisieren und im Pentagon eine eigene Geheimtruppe zu etablieren. Weiter vorausschauende Projekte standen offenbar weniger im Blickpunkt des Oval Office.
Der Admiral kannte E. Spencer Abraham von seinem kurzen Gastspiel in Harvard 1996. Er hatte an der Universität als Gast Vorlesungen über Welt-Energiewirtschaft angehört, bevor er dann zum Massachusetts Institute of Technology gewechselt war. Der Sohn libanesischer Einwanderer hatte Redcliffs Aufmerksamkeit geweckt, weil er als Tutor in den dortigen Seminaren über die wirklichen Zukunftsfragen des Erdballs, wie Energie und Trinkwasser, referiert hatte. Während Redcliff nach seinem weiteren Studium an der Columbia University, der folgenden Ausbildung in Westpoint und seinem steilen Weg hinein in den Auslandsgeheimdienst, entsprechende Vorlesungen der nordamerikanischen und ausländischen Koryphäen an den Universitäten Amerikas vor allem aus dienstlichen Gründen, die sich in wunderbarer Weise mit seinen persönlichen Intentionen deckten, anhörte, war Abraham zu jener Zeit gerade kurz davor, an Harvard eine Professur zu bekommen und glaubte, mit sorgfältig recherchierten Abhandlungen über die zukünftigen Probleme der Menschheit Bewegung in die Gehirne der Mächtigen pflanzen zu können.
Hieraus hatten sich für die beiden Männer vielfältige Anknüpfungspunkte ergeben und Redcliff hatte in zahlreichen abendlichen Gesprächen manches von Abraham lernen können, da dieser die Probleme in Mittelost tiefgründig kannte. Insbesondere des Libanons mit seinen Anrainern Israel, Palästina und Syrien, wo schon längst massiv um Energie und Wasser für die zukünftigen Generationen gerungen wurde. Zwar konnte er damals Abraham nicht näher erläutern, in wessen Auftrag und unter welchen Umständen er als frischgebackener Ressortleiter für Energie- und Trinkwasserressourcen im CIA an dessen Universität weilte. Aber dennoch hatte sich zwischen den beiden Männern in jener Zeit, wenn auch keine Freundschaft, so doch respektvolle Zuneigung entwickelt.
Inzwischen waren einige Jahre vergangen. Abraham hatte es in verhältnismäßig kurzer Zeit und aus Gründen, die Redcliff noch nicht ganz klar waren, bis zum Energieminister der Vereinigten Staaten gebracht. Und der jetzige Chef des Energieministeriums hatte sich Redcliffs erinnert, als dieser ihn telefonisch um eine inoffizielle Unterredung gebeten hatte. Es hatte nicht lange gedauert, bis er aus dessen Büro angerufen wurde. Nun, etwas mehr als fünf Jahre nach ihren gemeinsamen Tagen in Harvard, war er an diesem Nachmittag über die sonnenüberflutete Independence Ave auf dem Weg in den Amtssitz des bei der Bush-Administration nicht mehr ganz unumstrittenen DOE4-Bosses.
Der Wagen wurde nach Nennung des Codeworts durch Redcliffs Fahrer und kurzem Check in die Schleuse zur Tiefgarage eingelassen. Ein Bediensteter wartete schon am Lift, um den CIA-Mann nach oben zu geleiten. Nachdem der Begleiter die Tür des schmucklosen Besprechungsraumes, aus dessen mannshohen Fenstern man allerdings einen sehr schönen Ausblick auf Arlington hatte, lautlos von außen geschlossen hatte, erschien durch eine andere kaum sichtbare Türe fast augenblicklich der Minister, schoss einen kurzen Blick durch seine randlose Brille auf Redcliff, eilte auf ihn zu und drückte ihm herzlich die Hand.
„Schwierige Zeiten, was, Jeremia. Seien sie gegrüßt!“, rief er in herzlichem Ton. Spencer war etwas fülliger und etwas grauer geworden. Aber seine dunklen libanesischen Augen hatten ihren Glanz nicht verloren. „Man nennt sie jetzt den Admiral?!“, fügte er fragend hinzu.
„Na ja, es hat mit der Navy nichts zu tun“, erwiderte Redcliff. „Es ist wegen des Wassers, ein Spitzname.“
„Und sie arbeiten für John McLaughlin?“
„Nun ja, eigentlich arbeitete ich für George Tenet, aber der hatte gerade seine Probleme mit G.W. auszufechten. Wird wohl bald ein anderer kommen für John. Aber das halte ich eher für nebensächlich.“
„Wer hat keine Probleme mit G.W.?“, erwiderte Abraham mit einem mokanten Lächeln. „Waren sie seinerzeit schon dabei?“
„Ich war damals gerade frisch ´reingekommen und beauftragt, das neue Ressort aufzumachen, weil George es für wichtig hielt für die Zukunft und mich für den richtigen Mann dafür. Deshalb haben wir alle Vorlesungen der Starleute in den führenden Universitäten angehört und uns ein Bild über die möglichen eigenen Ressourcen machen wollen.“
„Aha, deswegen also! Und, was ist ´rausgekommen?“
„Unsere eigenen Besatzungen reichen wahrscheinlich nicht, weil andere womöglich weiter sind als wir“, raunte der Admiral. „Ist es hier abhörsicher?“, flüsterte er schließlich.
„Worüber wollen sie mit mir reden?“, fragte Abraham erstaunt.
„Es geht um Wichtigeres als um Öl, es geht um unsere Zukunft“, flüsterte Redcliff immer noch.
„Ist das nicht dasselbe? Und weshalb wollen sie darüber gerade mit mir reden? Hat sie Tenet beauftragt?“, äußerte der Minister in ganz normalem Ton und machte eine Handbewegung, die dem Admiral verdeutlichen sollte, dass hier in Washington jedes Departement seine eigene Abhörabwehr beschäftigte.
„Nein, wirklich nicht“, erwiderte Redcliff. „Wenn er noch dran wäre, hätte er wohl selber mit ihnen gesprochen. Wir waren uns aber einig, dass wir an sie herangehen müssen, für die Zeit nach G.W. Nur, McLaughlin interessiert nach 9/11 gänzlich anderes als die wirklich entscheidenden Fragen. Er ist – wie soll ich sagen – bisschen einfach gestrickt. Und ob er länger bleibt, ist ja auch ungewiss. Was uns interessiert ist, dass die Bonesman5 aus dem Weißen Haus verdrängt werden müssen, damit wir uns mit dem wirklichen Notwendigen beschäftigen können.“
„Kann mir schon denken, was Tenet bewegt hat“, knurrte der Minister. „Behaglich ist der Gedanke nicht, dass CIA und NSA auch in mein Departement ihre Lauscher stecken. Aber G.W. hat selbst wirklich keinerlei Vorstellungen, was für die Zukunft wichtig sein könnte. Er ist ein Chaot. Ich vermute, er ist sowieso nur für seine Shareholder unterwegs. An dem Irakgeschäft verdienen vor allem Halliburton, Carlyle, Brown&Roots und so weiter, das ist seine Familie.“
Redcliff war überrascht über die Direktheit des Ministers, der ja immerhin zu den Republikanern gezählt wurde.
„Danke für ihre Offenheit“, erwiderte er.
„Ist ja ziemlich egal jetzt. Aber auch ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Wenn sie von niemandem kommen, haben sie wohl auch noch niemanden im Boot? Ich habe im Oval Office ebenfalls nur noch wenige Freunde und nachdem G.W. mit seiner Familie meint, er müsste um die letzten fossilen Brennstoffe Krieg führen, ist es mit sinnvoller Zukunftspolitik ziemlich düster bestellt. Von der einstigen Ordnungsmacht sind wir zum ersten Unruhestifter geworden und vergraulen uns sogar wichtige Freunde.“
„Damit sind wir ganz bei der Sache“, rief Redcliff erfreut. „Wir möchten sie dafür gewinnen, bei uns mitzumachen. Vergessen sie dabei mal, dass ich beim Dienst bin, was vielleicht auf Zeit gesehen sogar ein Vorteil ist. Es gibt ´ne ganze Menge Leute auch außerhalb, denen klar ist, dass es sich bald nicht mehr lohnt, mit derartig hohen Kosten militärisch ums Öl, ja nicht einmal mehr ums Wasser, zu kämpfen. Wir wissen, dass Ihr Ministerium nicht mehr so weit weg ist von der Kernfusion. Wenn unsere Informationen stimmen, vielleicht noch zwanzig Jahre. Wenn wir die Energiefrage als Erste lösen können, lösen wir auch alle anderen Probleme, die wir haben. Wir könnten nicht nur die entscheidende Wende im Problem mit dem Klimawandel angehen, wir könnten sogar in der Welt noch eine Weile als Nummer eins mitmischen, unabhängig davon, wie viel Manpower die Inder und Chinesen auf die Beine stellen werden.“
„Wir sind mindestens noch dreißig Jahre weg von der Kernfusion, obwohl wir in Los Alamos einige fähige Leute damit beschäftigen“, knurrte der Minister. „Und ich kann vermutlich wenig für sie tun, denn ich werde auch hinschmeißen. Die Gelegenheit ist günstig, mich mit meiner bescheidenen Pension in meinen gemütlichen Bungalow nach Casa Grande zurückzuziehen.“
„Das wäre sehr schade“, erwiderte Redcliff. „Wir haben da vielleicht einen Mann gefunden, der uns entscheidend weiterhelfen kann. Es wäre eine ganz neue Möglichkeit. Uns fehlen allerdings derzeit die Mittel, um unsere Ideen umzusetzen. Und überhaupt müssten wir erst mal das notwendige Netzwerk schaffen. Vielleicht haben sie auch paar geeignete Leute in ihrem Departement, in Los Alamos oder im Fermilab6.“
„Unser Budget reicht nicht mal für das Wichtigste, beziehungsweise für das, was ich für das Wichtigste halte. Für achtundzwanzig Milliarden bekommen sie keine Kernfusionstechnologie!“, stellte Abraham trocken fest.
„Das sehen wir auch so. Wir brauchen nach unseren Berechnungen für unser Projekt wenigstens erstmal 300 Milliarden, innerhalb von acht bis zehn Jahren. Damit könnten wir es anschieben.“
„Das wird unter den Bonesman niemals was. Die brauchen jährlich 350 Milliarden für Mittelost und noch mal 250 Milliarden für den Rest unserer glorreichen American Army“.
„Gerade das macht uns optimistisch. G.W. wird bald aus Mittelost herausgehen müssen. Die Führung nach ihm könnte lernen, dass ihr die Navy mit ihren Flugzeugträgern, Atom-U-Booten und auch die ganze beknackte Raketenabwehr in Zukunft überhaupt nichts mehr bringen kann. Wir verplempern massenhaft Geld und pumpen es in den MIT7, ohne noch etwas dafür zu bekommen, außer Ärger außen und innen. Ganz abgesehen davon, dass dauernd ein gewaltiger Finanzcrash droht, wenn die Araber und die Chinesen mal keine Lust mehr verspüren sollten, unser Leistungsdefizit zu finanzieren.
Wenn man der Militärindustrie ein anderes Geschäft anbieten könnte, bekommt der Neue vielleicht die nötigen Mehrheiten. Nur – das Ding können wir nicht allein stemmen!“
Der Minister schwieg. Er sah den Einmeterneunzigmann mit der grauen Stoppelfrisur und den grüngrauen, hellwachen Augen im kantigen Gesicht nachdenklich an. Dann sagte er: „Klingt nicht unplausibel. Ich könnte, wenn sie mir mehr erzählen, versuchen, ein paar Freunde zu mobilisieren, die mich hier überleben werden. Denn auch für den nächsten Vormann dieses schönen Departements brächte es ja vielleicht was, wenn er Mittel in solchen Größenordnungen für Energieentwicklung erhielte.
Es ist sehr interessant, was sie hier vortragen, Admiral. Ich möchte gern noch mehr dazu hören. Allerdings benötigte man für solch ein Projekt nicht nur das Geld und geeignete Spitzenkräfte, sondern wohl auch einen ganz neuen Präsidenten. Vielleicht muss man erst diesen Kandidaten suchen und ihm dabei das Projekt anbieten. Für heute müssen wir leider Schluss machen. Es wartet noch mein ganzer Terminplan. -
Sind sie ad hoc abkömmlich?“, fragte Abraham nach einer kleinen Pause.
„Für diese Sache Tag und Nacht, Spencer. Glauben sie mir, das ist wirklich eine lebenswichtige Angelegenheit für unser Land! Und wenn sie sich tatsächlich entschließen könnten, uns zu helfen, stelle ich ihnen auch unseren Mann aus Palo Alto vor. Der kann sie noch besser überzeugen, weil er mehr Zukunft in seinem Kopf hat als wir alle.“
„OK, sie hören so bald wie möglich von mir. Was meinten sie damit, dass ´die anderen´ womöglich bereits weiter sind als wir?“
„Wir hören von unseren Gewährsleuten, die derzeit leider nicht speziell darauf angesetzt sind, und sehen es auch bei unseren diesbezüglichen Recherchen, dass sich die Deutschen mit den Russen und auf der anderen Seite die Chinesen und sogar die Inder auch intensiv mit diesem Thema beschäftigen. Und man weiß nie, wer zuerst den Durchbruch schafft.
Wenn sie es am neuen Beschleuniger, den die Europäer in Bern bauen, schaffen, wären sie uns ein ganzes Stück voraus. Das ist bekanntlich nicht nur eine Sache des Geldes.“
„Wohl, wohl, aber Genies sind selten geworden“, schloss der Minister das Gespräch.
Sie verabschiedeten sich herzlich und der vor der Türe wartende Dienstmann brachte den Admiral in die Tiefgarage.
Die Nachmittagssonne stand, als sie aus der Tiefgarage ans Tageslicht fuhren, nur noch in halber Höhe über Arlington und tauchte den Obelisken und die National Mall im Osten in ein warmes, goldenes Herbstlicht.
Der Admiral war nicht unzufrieden mit diesem Treffen. Aber es würde noch viel Arbeit machen, bis ein Durchbruch erreicht werden könnte, da war er sich sicher.