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3.

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„Könnten sie sich vorstellen, dass unsere beiden Länder gemeinsam an einem Wissenschaftsprojekt größter Dimension arbeiten?“, fragte Jurij Demtschenko den schmächtigen, dunkelhaarigen Deutschen.

Es war im Weißen Haus in Moskau lange überlegt worden, ob die Zeit herangereift sei, an die Deutschen heranzutreten, nachdem es in den vergangenen zwei Monaten einige nicht vorhergesehene Abkühlungen zwischen der Europäischen Union und Russland, dem Anführer der neuen GUS-Vereinigung, gegeben hatte. Deutschland war zu abhängig von den Machern in Brüssel und Washington und Kanzler Schröder hatte wenig eigenen Spielraum.

Zwar traute Wladimir Putin dem Sozialdemokraten und hatte ein gutes persönliches Verhältnis zu ihm. Aber viele Berater im inneren Zirkel meinten, dass Schröders Tage im Berliner Kanzleramt bereits gezählt seien. Und ob die kommenden Leute um den neuen, merkwürdig trockenen und amerikahörigen, bayrischen Kandidaten ein Projekt an den Amerikanern vorbei wagen würden, war äußerst ungewiss. Aber ohne die Hilfe der deutschen Koryphäen, das war Demtschenko vom russischen Auslandsgeheimdienst SWR deutlich nachgewiesen worden, hatte sein Land Demtschenko keine Chance, in dem zu erwartenden Konkurrenzkampf zu bestehen.

„Das kommt auf das Projekt und die Dimension an“, erwiderte der Deutsche. „Sie wissen, dass wir gerade ihm Wahlkampf sind. Und wir haben keine Ahnung, wie es ausgehen wird. Die Umfragen sprechen derzeit gegen uns.“

Franz Meier, die graue Eminenz im engsten Beraterstab des Kanzlers für Auslandsbeziehungen, war außerdem zuständig für Zukunftsressourcen, speziell für Energie und Trinkwasser. Nur wenige Eingeweihte kannten ihn, denn er trat nie nach außen in Erscheinung. Umso enger war seine Zusammenarbeit mit dem Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau und dem Direktor des Bundesnachrichtendienstes.

Die Experten der inneren Runde waren ziemlich verwundert gewesen über diesen Anlauf der Russen, denn der russische Präsident stand seit seiner gerade deutlich gewonnenen Wahl neuerdings unter starkem internationalem Beschuss, weil er einen politischen Bürgerkrieg gegen die Oligarchen und eine ganze Reihe Kremlgrößen aus der Ära seines Ziehvaters Jelzin eingeleitet hatte. Der Ausgang dieses Machtkampfes war noch ungewiß.

Meier schätzte, dass Präsident Putin im Augenblick die Hälfte seiner Kraft für diese innenpolitischen Probleme verbrauchte, vom Krieg gegen die aufständischen Islamisten in Tschetschenien mal ganz abgesehen. Aber es sah so aus, als ob er Erfolg haben würde. Schröder hatte Meier mit der Abklärung der Offerte beauftragt.

„Der Kanzler schätzt die Hochachtung, die ihm Ihr Präsident entgegenbringt. Er selbst würde gern die Zusammenarbeit vertiefen. Er kann die Amerikaner aber nicht noch mehr vor den Kopf stoßen. Wenn es ein Projekt ist, dass gegen die Interessen der USA läuft, werden wir nicht mitmachen können“, gab er zur Antwort.

„Wollen wir nicht erst mal in den Schnee gehen?“, forderte Demtschenko den Deutschen auf.

Seit die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland nach der Glasnost-Periode und Boris Jelzins Tänzchen vor Kohls halbem Kabinett in freundschaftlicherem Geist geregelt wurden, war es Mode geworden, dass man sich zur Besprechung höchst geheimer Fragen auf speziellen Datschen der russischen Regierung zur Sauna traf. Die Aufforderung des Russen, in den Schnee zu gehen, bedeutete, dass sich Putins Petersburger Connection immer noch nicht ganz sicher war, dass die rasant emporgekommenen Finanztycoone des Landes bereits schwach genug waren und sich nicht mehr an die russische Regierung heranwagten. Mit den Auslandsspionagediensten musste zudem immer und überall gerechnet werden.

Es war kalt an jenem Märztag im Norden Moskaus, der Himmel war verhangen. Meier fror, aufgeheizt von der Hitze der Blockstube, zunächst jedoch nicht.

„Es geht gegen die Interessen der USA. Oder wenigstens gegen die der gegenwärtigen Administration dort“, bemerkte Demtschenko ungerührt. „Aber Deutschland wird sich in den nächsten Jahren ohnehin entscheiden müssen. Die Franzosen haben hierbei wohl weniger Probleme, aber ihnen fehlen die wirklichen Topleute in der Wissenschaft. Sie dagegen haben ein paar Startypen, die durchaus in der Lage wären, uns zu helfen. Die Deutschen mischen schließlich bei CERN8 ganz schön mit. Wir haben dafür andere Ressourcen. Wir sind das Land mit den größten fossilen und mineralischen Vorräten auf der Welt. Aber auch die werden in nicht allzu ferner Zeit zu Ende gehen.“

Sie kehrten in die Hitze der Banja zurück.

„Das allein ist aber nicht unser Motiv“, fuhr Demtschenko fort. „Wir denken, dass das Energieproblem der Kern aller weiteren Probleme der Menschheit ist. Das Diktat der Energiesyndikate zu brechen, ist nach unserer Ansicht Voraussetzung dafür, eine vernünftigere Weltpolitik auch in Umwelt- und Sozialfragen durchzusetzen. Uns geht es nicht um Hegemonie, sondern um Balance. Die Vereinigten Staaten werden ihre weltweite Vormachtstellung wegen ihrer veralteten Prioritäten und ihrer überdehnten Militärpräsenz bald einbüßen. Ihr Vorderasienabenteuer wird sie Ihren Rang kosten. Wir denken jetzt schon an das Danach.“

„Wen meinen sie mit unseren Topleuten der Wissenschaft?“, fragte Meier überrascht. Er glaubte, sich in der deutschen Forschungsszene gut auszukennen, insbesondere in all jenen Projekten, die derzeit von der Regierung unterstützt wurden.

„Kennen sie die Studie aus ihrem Fraunhofer Institut für Elektronenstrahl- und Plasmaforschung FEP über die Nutzung Schwarzer Löcher für die Energie- und Informationsgewinnung der Zukunft?“, fragte Demtschenko zurück.

„Habe wohl mal davon gehört aber niemals dazu recherchiert. Es ist vom wissenschaftlichen Informationsdienst auch nie in eine Priorität gestellt worden“, gab Meier zu. Er war beunruhigt wegen der Erkenntnis, dass die Russen offenbar ziemlich genau wussten, was in deutschen Spitzen-forschungsinstituten vor sich ging. „Ist doch wahrscheinlich ziemliche Utopie, oder?“

„Na, die haben den jungen Mann dort natürlich nicht ernst genommen. Utopien werden heute aber schneller Wirklichkeit als früher. Wir haben Computer, wir haben einige Erfahrungen in Dubna9 und wir haben Dollarreserven. Was uns fehlt, ist der Wille zur Bündelung der Kräfte“, meinte der Russe trocken.

„Was ist mit den Chinesen?“

Die Deutsche Wirtschaft hatte seit Jahren gute Beziehungen und einen umfangreichen Austausch von Studenten und Wissenschaftlern mit dem Land der Mitte. Man wusste in Berlin, dass China auch in den Spitzentechnologien mit einem steilen Aufstieg begann und die Russen traditionsgemäß dabei immer noch eine helfende Rolle spielten.

„Mit Peking reden wir über alles mögliche“, sagte der Russe. „Die Kernfusion oder die theoretische Physik sind allerdings nicht dabei. Da muss man erst sehen, was sich in der nächsten Zeit entwickelt. Gehen wir nochmal raus?“

Man hatte vor den Blockhütten auf dem Gelände, das hinunter zum Flüsschen führte, einige größere Schneehaufen aufgeschüttet. Dort konnte man sich, aus dem Dampfbad kommend, nackt hineinlegen. Demtschenko war Sibirier wie Jelzin und entsprechend groß und kompakt gewachsen. Er wirkte durchtrainiert, wenn auch Teile seiner rötlichen Blondheit bereits etwas ergraut waren. Meier erschien gegen diesen Hünen zart und im Gegensatz zu seinem urdeutschen Namen war er ein südländischer Typ mit dunklem Teint.

Zur Vollkommenheit ihres Saunaerlebnisses fehlte freilich die Sonne. Als Meier das erste Mal zu dieser Übung aufgefordert worden war, hatte er nicht geglaubt, dass man nach einer solchen Prozedur, die allerdings nur ein paar Minuten dauerte, sogar ein wenig süchtig werden könnte. Damals hatten ihm seine Begleiter erzählt, dass ihr neuer Präsident in seiner Grundausbildung zum Geheimdienstmann der damaligen Sowjetunion eine Nacht nackt im Schnee überleben musste. Das konnte er sich freilich heute immer noch nicht vorstellen. Wie trainierte man soetwas?

„Wie lange würde eine Untersuchung, ob es sich lohnen würde, ein derartiges Projekt anzuschieben, bei Ihnen dauern?“, fragte er den Russen.

„Wir haben es bereits untersucht. Wir meinen, es lohnt sich, auch wenn es sehr teurer wird. Wir geben ihnen gern den Bericht, wenn sie möchten. Sie können es daheim besprechen. Das Problem sehen wir darin, wie wir solch ein Vorhaben über die Wahlperioden bringen und wie wir es tarnen können. Vielleicht haben Sie ja eine Idee dazu.“ Demtschenko hatte irgendwoher eine Flasche Wodka und zwei Gläser hervorgezaubert. „Na starowje…“

Meier hatte inzwischen gelernt, wie die Russen „Stogramm“ trinken. Die Russen, die Putin schickte, konnten außerdem ausgezeichnet deutsch sprechen und verstehen…

Vom neuen russischen Präsidenten allerdings wurde berichtet, dass er im Gegensatz zu seinem Ziehvater Boris Jelzin niemals trank.

Das ERGOS-Projekt

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