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Juni 1914 – die dunkle Insel

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Unter seinen zerfledderten Kleidern verbarg sich ein vermoderter Körper. Die Haut hing in Fetzen und in seinem offenen Bein ernährten sich Maden von seinem gammeligen Fleisch. Das war nun einmal das Los der Läufer. Und er war ein Läufer. Er gehörte zu denen, die in regelmäßigen Abständen die Insel verließen, um sich auf die Suche zu begeben.

Jedoch konnten die Läufer nie länger als zwei Wochen die Insel verlassen, denn die Strahlen der Sonne zerstörten ihre Körper. Auf dem Festland herrschten einfach andere Naturgesetze. Allein die Tatsache, dass sich dort Licht und Finsternis abwechselten, machte diese Maßnahme erforderlich. Es gab keine andere Möglichkeit, als die Läufer in diesem Rhythmus auszutauschen.

Immer und immer wieder waren sie mit demselben Auftrag aufgebrochen. Alle Kräfte richteten sich auf das eine Ziel, aber bisher blieb jede Fahrt erfolglos. Bis heute. Nun ruderte er mit seinem kleinen Kahn zurück. Der Bug zerteilte schwankend das dunkle Nass. Längst war das Blau des Meeres verschwunden und das Wasser schimmerte düster, während ihm die Brandung donnernd entgegenrollte.

Seine Reise hatte den Läufer dieses Mal tief in das Innere von Aserbaidschan geführt und er war bis in die Stadt Baku gekommen. Dort hatte er von dem gehört, was sie schon so lange vergebens suchten. Es war ihm gelungen, einen Mann namens Abid zu belauschen. Bei Honiggebäck und schwarzem Tee hatte dieser Mann seiner Tochter von den Erlebnissen seiner Reise ins Zweistromland berichtet. Die beiden mussten sich wohl sehr nahe stehen, denn der Alte hatte seiner Tochter während der ganzen Erzählung durchs Haar gestreichelt.

Die Erinnerung an diese Szene ließ den Läufer erschaudern. Ihn widerte diese menschliche Zuneigung an. Dann zog er seinen Handschuh aus und fingerte aus den verwahrlosten Kleidern einen rötlich schimmernden, labberigen Wurm hervor. Seine letzte Mahlzeit lag nun schon einige Stunden zurück – da kam ihm dieser kleine Happen zwischendurch ganz gelegen. Mit offenem Mund zerquetschte er zwischen seinen Zahnstummeln das Tier, das sich eben noch von seinem Körper ernährt hatte.

Erneut packte er die Riemen, ließ die Ruder schwerfällig ins Wasser klatschen und paddelte weiter. Schwarzer Nebel breitete sich aus und lebendige Kerzen verrieten ihm den Weg durch die rauen Klippen und die heimtückische Strömung. Um sich herum hörte er das Brüllen und Tosen der Gischt der Wellen, die sich an den Felsen brachen. Darunter mischte sich das Schreien, die qualvollen Rufe und das Stöhnen derer, die an den Riffen zerschellt oder im Meer ertrunken waren.

Das düstere Wasser war inzwischen tintenschwarz. Allmählich hatte sich das Meer in einen Morast und schließlich in einen stinkenden Sumpf verwandelt. Aus dem Nebel tauchten die Berge der Insel auf. Gestaltlose Existenzen schwebten über der Küste oder saßen auf Felsen aus Totenschädel. Ein beißender Geruch lastete schwer in der Luft, die von kaltem Staub erfüllt war. Finsternis quoll aus Kratern hervor und ein unheimlicher Gesang hallte zu dem Läufer herüber. Eine verhängnisvolle Melodie, dirigiert vom eisigen Wind. Unerlässlich, niemals endend, schallte diese über die Insel und raubte einem den Schlaf. Er hatte die Fahrt überstanden.

Als der Rumpf seines Bootes den Grund berührte, rollte er sich über die Reling. Zwischen Reet und dornigem Unterwuchs zerrte er seinen Kahn an Land – voller Hoffnung auf eine Belohnung und eine gute Zukunft. Denn sein Meister hatte ihm und allen anderen Läufern versprochen, dass sie für immer im Überfluss und völligem Glück leben würden. Sie müssten nur diesen Baum finden.

Noch ehe er die Ruder im Boot verstaut hatte, hörte er von Weitem das Klappern von Pferdehufen. Kurz darauf erschien die Kutsche seines Meisters vor ihm. Auf dem Kutschbock saß der persönliche Sekretär des Meisters. Dieser Leibeigene lebte mit wenigen anderen Bediensteten auf dem mächtigen Landgut im Herzen der Insel und gehörte zu den Auserwählten. Diese wurden bevorzugt behandelt, erhielten bessere Kleidung und durften auf Strohmatten in kärglichen Hütten hausen. Alle anderen lebten in Höhlen und fensterlosen Kellern. Gleichberechtigung gab es auf der Insel nicht. Stattdessen herrschten Angst, Verzweiflung und Misstrauen. Nur wer stark war, hatte eine Chance, den nächsten Tag zu erleben.

»Stopp!«, rief der Meister forsch, und sogleich kamen die Pferde zum Stehen. Gierig nach erfreulichen Neuigkeiten, sprang er mit einem Satz von der Kutsche.

»Ihr ergebener Diener.« Der in Lumpen gehüllte Mann warf sich vor seinem Meister auf den Boden und küsste ihm die Füße. Erst nach Erlaubnis des Meisters war es ihm gestattet, sich aufzurichten. Danach würde sein Bericht über die nächsten Tage entscheiden: entweder schuften auf den Feldern oder unzählige Nächte im Bunker durchstehen.

»Steh auf!«, befahl der Meisters in verächtlichem Ton.

Langsam rappelte sich der Läufer mit Hilfe seiner hageren Hände auf.

»Was gibt es? Wurdest du fündig?«, fuhr der Meister sein Gegenüber harsch an.

»In Baku konnte ich einen Mann belauschen, der anscheinend gefunden hat, was wir suchen«, würgte der Läufer verängstigt hervor. Trotz der offensichtlich guten Nachricht schlotterte sein Körper vor Angst.

Der Meister hörte gespannt, was sein Läufer ihm sonst noch zu berichten hatte. An einem anderen Tag hätte er sich vermutlich direkt aufgemacht, um diese Spur zu überprüfen. Jedoch hatten sich in den letzten Tagen die Ereignisse überschlagen. Solch eine Gelegenheit, Zerstörung in die Welt zu bringen, würde sich so schnell nicht wieder bieten.

»Geh! Sammle die Steine von den Feldern!«, kommandierte der Meister und schnippte einen Krümel verdorbenes Brot vor seinen Läufer in den Dreck.

»Und wir müssen los«, wandte er sich an seinen persönlichen Sekretär. »Wie es aussieht, haben wir gerade noch ein weiteres Ziel erhalten.«

Das Leder der Kreuzleine klatschte auf den Rücken der Pferde und unversehens rollte die Kutsche weiter.

Nur wenig später setzten sie zusammen von der Insel des Meisters auf das Festland über. Irgendwo dort war dieser grässliche Garten versteckt. Nur wenn der Meister diesen eines Tages finden würde, hätte er eine Chance, den entscheidenden Sieg zu erringen.

Noch vor wenigen Stunden hatte der Meister auf seinem Stuhl gesessen und verschlagen die Sanduhr auf dem einfachen Tisch betrachtet. Eine solche Uhr gab es nur ein Mal. Sie war gefertigt worden aus dem Holz einer uralten Eiche. Ihr verschnörkeltes Gehäuse erinnerte an eine barocke Kirche. Eine perfekte Uhr – und doch nur ein missliches Imitat.

Feiner Sand rieselte durch die schmale Öffnung hinab. Die Körner gaben keinen Ton von sich – lautlos verschwand die Zeit. Nichts konnte sie aufhalten. Die Zeit rann unaufhaltsam und mit ihr die Geschichte, bis diese ihr Ende fände und schließlich alle Uhren still stehen würden.

Als das letzte Körnchen Sand drohte, nach unten zu fallen, fasste der Meister mit seiner Hand nach der Uhr und drehte sie erneut um. Dabei sah es fast so aus, als ob er lächelte. Doch sein Vollbart verbarg nahezu jede seiner Regungen, so auch diese.

Wieder las der Meister den Auftrag, den er per Telegramm erhalten hatte. Er hatte es geschafft. Sie waren auf seine Lügen hereingefallen und hatten sein Angebot angenommen. Sie wussten nicht, mit wem sie sich hier einließen, und sollten es auch nie erfahren. Sie hielten ihn für einen General. Für sie war er General Iblis, einer ihrer fähigsten Soldaten.

Dabei war er weit mehr als dieses Blendwerk seiner eigentlichen Identität. Tief verborgen, hinter seinen äußeren Schalen und Facetten, lag sein grausiges Geheimnis. Er lebte mitten unter ihnen und doch gehörte er zu einer anderen Welt.

Still saß er im Hades, dem Ort, den er liebte, und den außer ihm keiner betreten durfte. Die Säulen bestanden aus Schädeln, die Wände aus Knochen und der Boden aus Skeletten.

Jetzt entfernte er sorgsam einen Orden nach dem anderen von seiner Brust und wurde äußerlich wieder zu einem gewöhnlichen Bürger. Als er jedoch die letzte Medaille auf den Tisch legte, brach die ganze Dunkelheit aus ihm heraus. Seine Finger verkrümmten sich, seine Hand wurde zu einer Klaue. Das Weiße seiner Augen verschwand und leuchtete schwarz wie die Nacht. Seine gespaltene Zunge schnellte nach vorne. Eine dunkle Träne rann über seine Wange und aus seiner höckerigen Nase floss zäher, übel riechender Schleim. In ihm lebte das, was es doch eigentlich nicht geben sollte: die Finsternis.

Dieser Ausbruch des Bösen dauerte nur einige Sekunden, dann hatte er sein wahres Wesen wieder verborgen. Entschlossen erhob sich der Meister und steckte die Sanduhr in die Innentasche seines Mantels. Dann nahm er noch seine kleine Handsichel sowie ein unsichtbares Seil aus seiner Schublade. Wie die Sanduhr und die Sichel trug General Iblis diesen Strick als Instrument des Tötens immer bei sich. Das unsichtbare Seil wurde bei Bedarf zur Schlinge des Todes. Er konnte es sogar um ganze Länder legen und sie damit fesseln.

Dort stand er: General Iblis. Ein magerer, sehniger Mann mit zerfurchtem Gesicht, schütterem Haar und einer Warze zwischen Vollbart und rechtem Auge.

Entschieden schritt er die Treppe ins Erdgeschoss hinauf. An seinem Gang konnte man seine militärische Vergangenheit und die Zukunft der Welt erahnen. Jeder seiner Schritte entsprach dem vorherigen. Mechanisch gesteuert, wie bei der Parade eines einzelnen Kämpfers, betrat er die Diele. Die große Wanduhr, deren Metallpendel monoton hin- und herschwang, zeigte kurz nach sechs. Kein anderer Bewohner hatte bisher sein Gemach verlassen. Stets stand er als Erster auf und ging als Letzter zu Bett, und auch dann brauchte er keinen Schlaf.

Alles ging seinen Gang. General Iblis hatte immer alles im Griff. Er spielte die Figuren, die zu ihm gehörten, gegen seinen Gegner und gegeneinander aus. Ganz wie es ihm und seinen Zielen diente.

Seit Ewigkeiten regierte er seine Insel mit eiserner Hand und trieb auch auf dem Festland sein Unwesen. Dort war seine Macht jedoch begrenzt. Nicht jeder unterwarf sich seiner Herrschaft.

Zudem veränderte sich die Welt der Menschen ständig. Regierungen gewannen an Macht – und verschwanden ebenso schnell wieder von der Bildfläche. Neue Techniken und Maschinen brachten unschätzbare Möglichkeiten. »Ressourcen« lautete das neue Schlagwort dieser Zeit. Im Mittleren Osten wurde das »schwarze Gold« aus den Tiefen der Erde zutage gefördert – der wohl wichtigste Rohstoff der kommenden Epoche. Wer sich hier den Zugang zum Erdöl verschaffte, würde mit Sicherheit in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in Europa das Sagen haben.

Mit diesem Argument war es ihm gelungen, einige große Herrscher von seinem Plan zu überzeugen. Es ging darum, den Ausbau der Eisenbahnlinie von Berlin, der Metropole im Herzen Europas, bis nach Bagdad zu verhindern.

General Iblis öffnete die Tür und trat auf seine Veranda. Im Tal hingen Rauchschwaden, die wie eine undurchdringliche Wand alles verbargen. In der Ferne ragten braunschwarze, mit Schnee bedeckte Gipfel empor. Weil es an diesem frühen Morgen recht kalt war, sog er die Luft durch seine Nase ein und blies sie durch den Mund wieder aus. Gleich würde die Morgendämmerung verschwinden und dann wäre es wieder Nacht, denn auf dieser seiner Insel gab es keinen Tag.

»Bursche!« Mit seiner alles übertönenden Stimme rief er nach seinem persönlichen Sekretär. Er hatte nach mir verlangt.

Müde von der morgendlichen Arbeit öffnete ich das Stalltor. Selbst ohne Mistgabel und Strohhut hätte man mir angesehen, dass ich zu einer anderen Schicht der Gesellschaft gehörte. Sicherlich stand ich über den Tagelöhnern, Läufern und anderen Sklaven, die hier auf dem Landgut schuften mussten. Aber würde es diese billigen, rechtlosen Arbeiter nicht geben, stünde ich am Ende der Kette.

Ich war der Sklave meiner Herkunft und würde dies auch bleiben, daran bestand für mich kein Zweifel.

»Pferde anspannen! Wir verreisen!«

Nie wurde anders mit mir gesprochen. Noch nie hatte ich ein »Bitte« oder »Danke« gehört. Warum auch? Ich musste nur gehorchen, ich hatte nur zu funktionieren, und das achtzehn Stunden am Tag. Ruhetage gab es keine und von einem warmen Bad in einer Zinkwanne konnte ich nur träumen.

»Brauchst du eine schriftliche Einladung oder soll ich nachhelfen?«

Nachhelfen war angenehm ausgedrückt. Wenn der Meister vom Nachhelfen sprach, bedeutete dies für jeden im Haus nur eines: Schmerzen. Er würde den Lederriemen vom Haken im Wohnzimmer nehmen und noch vor der Dämmerung wäre mein Rücken von tiefen roten Striemen gezeichnet.

Also drehte ich mich um, stellte die Mistgabel an das Tor und eilte los, um die geflügelten Gäule von ihrer steinigen Koppel zu holen. Der Weg führte durch ein ausgetrocknetes Flussbett, vorbei an brodelnden Seen aus Schwefel, verkohltem Gehölz und stinkenden Sümpfen. Am Wegesrand lagen aufgedunsene Kadaver, Untiere streunten über das dürre Land und der süßliche Geruch von Verwesung umhüllte uns.

Die Mähnen der Pferde bestanden aus Dornen. Schmeißfliegen schwärmten um ihre Köpfe und anstelle eines Fells kleidete sie ein silberner Panzer. Zwischen den einzelnen Schuppen ragten giftige Stacheln empor, deren Kontakt den Tod bedeuten konnte.

Am Herrenhaus angelangt band ich die beängstigenden Mähren an einen knorrigen Baum, ließ sie aus einer Pfütze Brackwasser trinken und begab mich zur Sattelkammer.

Der General sah, dass seinem Befehl Folge geleistet wurde. Nun würde es nur noch wenige Minuten dauern, bis die Pferde angespannt und zur Abreise bereit stünden. Versonnen stopfte er sich eine Pfeife, zerbröselte ein wenig verschimmeltes Brot und fütterte mit den Krümeln die ausgemergelten Krähen vor seiner Veranda. Nachdem der Tabak verglüht war, klopfte er den Pfeifenkopf an dem schwarzen Stützpfosten des mit Pech überzogenen Daches aus.

Dann drehte er sich hastig um und ging mit eilenden Schritten in seine Schreibstube. Den Fernschreiber, der dort auf einem separaten Tisch stand, besaß er noch nicht lange. Aber abgesehen vom Automobil war er wohl eine der größten Erfindungen des letzten Jahrhunderts und ermöglichte, schneller als je zuvor mit anderen zu kommunizieren.

»Werde ihren Anweisungen Folge leisten. Können sich auf mich verlassen. Ergebenst, General Iblis«, bestätigte er den Auftrag, den er erhalten hatte.

Welch ein Betrug, denn eigentlich war er nicht ihnen ergeben, sondern sie ihm. Sie gehorchten seinen Befehlen und liebten die Ideen, die er ihnen scheibchenweise eingab. Jedoch spielte er seine Rolle so gut, dass sie nicht sahen und hörten, was wirklich geschah. Er trieb seinen Schabernack mit ihnen und sie merkten es nicht.

General Iblis stand auf und verließ das Haus. Das, was nun vor ihm lag, würde all seine bisherigen Taten übertreffen. Sein Plan war bestialisch und schlechthin perfekt. Diesmal würde alles noch überwältigender werden als je zuvor. Der Schneeball, den er ins Rollen brachte, würde sich in eine Lawine von ungeahntem, noch nie da gewesenem Ausmaß verwandeln. Die Sanduhr ließe sich dann gar nicht so schnell wenden, wie die Menschen ausgelöscht würden.

»Bursche! In dein Quartier, Beeilung! Wir sind lange unterwegs, hol dein Zeug und verstau das Gepäck in der Kutsche«, brüllte er von der Veranda zu mir herüber.

Nachdem ich alles verladen hatte, stieg ich auf den Kutschbock, ließ die Gerte in die Luft schnellen und lenkte die Kutsche mit ihrem grässlichen Gespann vom Hof. Um mich vor der morgendlichen Kälte zu schützen, hatte ich nur eine dünne Decke, die sich über meinen Beinen spannte. Der modrige Gestank der Pferde wehte mir entgegen und in den gläsernen Laternen neben der Pritsche befanden sich glühende Kohlen.

Vor mir lag eine Reise in eine andere Welt.

Hinter mir unter dem Kutschendach saß mein Meister. In seiner Hand hielt er eine kleine Sanduhr und drehte diese mit ungewohnt langsamen Bewegungen immer und immer wieder um. Ich hörte, wie der General dabei leise vor sich hin murmelte. »Ich werde eine neue Welt erschaffen, die Erde wird danach eine andere sein.« Was er damit meinte wusste ich nicht, doch ich befürchtete Schlimmes.

Dann erhob er in seinem üblichen Befehlston seine Stimme und donnerte mir zu: »Schneller! Wir müssen zum Strand!«

Über einen schlammigen Weg, der zu einem Tunnel aus Eis führte, erreichten wir die Küste. Dem Läufer, der sich dort vor meinem Meister in das Geröll warf und mit gesenktem Kopf etwas berichtete, war ich bisher noch nie begegnet. Seine Worte waren Kauderwelsch für mich, doch offensichtlich erfreuten sie meinen Meister. Nachdem der Läufer den Krümel Brot aus dem Dreck gepult hatte und sich mit wankenden Schritten entfernte, lenkte ich die Kutsche zum Anlegeplatz der Insel. Versteinert starrte ich auf das Meer, als wir den verwitterten Steg erreichten.

Geheimnisvoller Dunst waberte über dem Wasser. Der sumpfige Ozean war totenstill. Dann tauchten langsam die Umrisse eines Floßes aus dem Nebel auf. Seine Planken waren von Löchern übersät, eine kleine Kajüte befand sich an seinem hinteren Ende und ein Fährmann stand, in seinen Mantel gehüllt, am Bug. Als es den Strand erreichte, sah ich schemenhaft einen Mann mit einem schneeweißen Bart, der neben dem Floß ging und dieses zog. Seeschlangen wanden sich um seinen Kopf und Krebse hatten sich an seinem Körper festgebissen. Je näher er kam, desto deutlicher konnte ich den Herrn des Meeres erkennen. Er bewegte sich mit einer mächtigen Flosse vorwärts und den Dreizack in seiner linken Hand hielt er wie ein Zepter empor. Als er das Ufer erreichte, tauchte er ab und grub sich in das Sediment. Lediglich der mit einer goldenen Spitze besetzte Dreizack ragte noch aus dem Wasser heraus. Über eine knarzende Seilwinde ließ der Fährmann die Brücke des Floßes herunter und trat zur Seite.

Ich begriff nicht wirklich, was hier vor sich ging, denn ich begleitete meinen Meister viel zu selten auf seinen Reisen. Doch jedes Mal, wenn wir mit der Fähre die Insel verließen, überkam mich ein Unbehagen. Es graute mir davor, dem Mann, der das kleine Holzfloß steuerte, und seinem dreiköpfigen Hund zu begegnen.

Das Gesicht des Schiffführers war zum größten Teil hinter einer dunklen Kapuze verborgen. Nur seine vogelähnliche Hakennase und der zottelige Bart waren vage zu erkennen. Sobald der Meister an Bord ging fuhr die dürre Hand des Fährmanns in seinen Mantel und er reichte General Iblis einen Beutel mit Münzen.

Als ich die Klepper über die Brücke auf das Floß lenkte, knurrte und bellte der dreiköpfige Hund und fletschte seine Zähne. Verängstigt warfen die Pferde ihre Hälse hin und her. Sie versuchten, ihre Flügel zu öffnen, was ihnen jedoch nicht gelang, da ich diese mit Seilen an ihre Körper gebunden hatte. Umgeben von Dunst und Dunkelheit brachen wir auf und verließen die Insel Hellis.

Die Fähre glitt durch das düstere Nass, doch ich konnte nichts von dem sehen, was während der Fahrt geschah. Denn bei jeder Fahrt stülpte der Fährmann einen dunklen Sack über meinen Kopf, den er dann noch sorgfältig verschnürte. Am anderen Ufer angekommen, waren die Flügel der Rösser verschwunden, die Dornenmähne war einem edel schimmernden, weiß-braun gefleckten Fell gewichen. Auch mein Meister hatte sich verändert. Seine Erscheinung erinnerte mich jetzt wieder an den Tag, als ich ihm zum ersten Mal begegnet war.
















Seelenkrieg

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