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Kurs Omaha

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Noch bevor die Sonne aufgegangen war, war John auf den Beinen.

Die Aufregung hatte ihn nicht schlafen lassen und so beschloss er früh aufzubrechen.

Er zog sich an, machte sich noch mal frisch und ging raus auf die staubige Straße, die von den ersten Sonnenstrahlen in Orange getaucht war. Er ging die Berge hoch, an den Goldminen vorbei und steuerte so direkt auf den South Platte zu.

John kannte den Weg. Schließlich hatte er sich früher auch als Goldwäscher bemüht.

Das Goldwaschen ist vielleicht nicht so mühselig wie nach Gold zu graben, doch hatte es John noch weniger eingebracht, als die Schufterei in der Mine. Folglich hatte er beruflich umgesattelt.

Eine knappe Stunde zu Fuß später erreichte er den South Platte. Er war nur ein paar Meter breit, da er einige Kilometer entfernt in den Bergen seinen Ursprung hatte. Er war einfach nur ein Fluss, der sich durch die Berge schlängelte.

Hier machte John erst einmal Rast. Gefrühstückt hatte er nichts, überstürzt wie er aufgebrochen war.

Eine halbe Stunde später war die Sonne hinter den Bergen aufgegangen und erhellte die Lichtung, wo John sich bereits aufgerichtet hatte, um stromabwärts zu gehen.

Er ging durch wüstenartige Gegenden, kletterte über schroffe Felsen und begegnete Tieren wie Gämsen und Kondore. Doch während er so waghalsig dem South Platte, der mit jedem Meter, den er hinter sich ließ, immer breiter wurde, folgte, konnte er immer noch keine Schiffe, geschweige denn eine Fischerhütte ausfindig machen.

Nachdem er zwei weitere Stunden gewandert war, glaubte er mittlerweile, er müsse bis nach Omaha wandern. Doch als er den nächsten Hügel hinter sich gelassen hatte, erblickte er einige Boote, die auf dem Wasser trieben. Sie wurden entweder durch Segel oder durch sich bewegende Ruder angetrieben. Er beschleunigte seine Geschwindigkeit, um zumindest die Segelboote einzuholen, die wegen einer leichten Brise kaum vorankamen.

Doch schon nach der Hälfte der Strecke musste er eingestehen, dass er es nicht schaffen würde. In seiner Verzweiflung, nicht noch zwei weitere Stunden unter der mittlerweile brütenden Sonne wandern zu müssen, schrie er übers Wasser: „Hey, ihr da, auf den Booten! Wartet auf mich! Ich will mitfahren!“

Doch sie trieben weiter auf dem Wasser stromabwärts.

John musste sich setzen. Die Bemühung, die Boote einzuholen, hatte ihm sämtliche Kräfte geraubt. Die Enttäuschung im Gesicht sah er den Booten nach.

Doch was war das? Eines der Segelboote machte kehrt und steuerte direkt auf ihn zu.

Johns Herz machte einen Hüpfer. Erleichtert, wie er war, versuchte er zu Winken, doch er bekam die Arme nicht hoch. Sie waren einfach zu schwer.

Die Insassen des Bootes hatten ihn jedoch bereits entdeckt. Sie ankerten und zwei Männer stiegen aus. Es waren offensichtlich Zwillinge, denn sie hatten beide braune Haare, braune Augen, einen Dreitagebart und dieselbe Statur und Größe. Sie unterschieden sich nur durch ihre Kleidung. Der eine hatte die Mütze und die Uniform eines Kapitäns, der andere war mit weißem Hemd, schwarzer Hose und schwarzer Weste gekleidet wie ein Cowboy.

„Können wir Ihnen helfen?“, fragte der Cowboy.

„Können Sie mich mitnehmen?“, fragte John, während er bemühte, sich aufzurichten. „Ich bin seit Sonnenaufgang unterwegs und suche nach einer Mitfahrgelegenheit flussabwärts.“

„Sicher können wir Sie mitnehmen“, sagte der Kapitän und reichte John die Hand, um ihn hoch zu helfen. „Aber warum sind Sie schon solange unterwegs?“

„Ist eine längere Geschichte. Wo fahren Sie denn hin?“

„Nach North Platte“, antwortete der Cowboy. „Wo müssen Sie denn hin?“

„Omaha.“

„Omaha“, entgegnete der Kapitän heiter. „Da fahre ich morgen hin. Sie können gerne mitkommen.“

„Danke“, sagte John, während die drei zum Boot gingen. „Ich heiße übrigens John Smith.“

„Mein Name ist Peter Marshall“, sagte der Cowboy. „Und der Typ in der Kapitänsuniform ist mein Bruder Scott.“

„Nett, Sie kennen zu lernen“, sagte Scott Marshall und die drei stiegen in das Boot.

Es war nicht sehr groß. Bei zwei Meter Breite und vier Metern Länge hatten gerade mal sechs Personen darin Platz. Neben den beiden Marshallbrüdern waren noch eine Frau und ein etwa zwölfjähriger Junge mit in dem Boot.

„Das sind meine Frau Laura und mein Sohn Michael“, erklärte Peter Marshall, während Scott den Anker lichtete und das Boot wendete. „Das ist Mr. Smith. Er ist auf den Weg nach Omaha und bat um Mitfahrgelegenheit.“

„Angenehm“, sagte Mrs. Marshall.

„Hallo“, sagte Michael.

Nachdem Scott Marshall das Steuer in die Hand genommen hatte, sagte er: „Jetzt verraten Sie uns doch bitte, warum Sie sich auf den beschwerlichen Weg nach Omaha machen.“

John holte einmal tief Luft und legte los. Er berichtete von O’Brien, der ihn besucht hatte, von seiner plötzlichen Sehnsucht, nach Hause zu kommen, aber auch von seinen Kindheitsträumen, die ihn überhaupt erst nach Amerika und in diese Situation gebracht hatten.

„Sie wollen also von Omaha aus den Zug nach New York erwischen, um von dort mit einem Schiff nach Großbritannien zu kommen“, schloss Michael Marshall. „Sehe ich das richtig?“

„Voll und ganz“, antwortete John.

„Da haben Sie ja Glück, dass Sie uns getroffen haben“, sagte Mrs. Marshall. „Mein Schwager kann Sie morgen nach Omaha mitnehmen und bis dahin können Sie bei uns wohnen.“

„Vielen Dank Mrs.“, sagte John.

Die Stunden vergingen, ohne dass etwas aufregendes passierte. Während die Nachmittagssonne den Himmel verbrannte, saßen die fünf schweigend im Boot und starrten die Felsformationen an, an denen sie vorbeifuhren, und beobachteten die Tiere, die auf oder über den Felsen herumtollten.

„Warum sind Sie eigentlich den halben South Platte heruntergefahren?“, unterbrach John die Stille. „Dort ist doch nichts.“

„Wir haben einen Ausflug gemacht“, antwortete Laura Marshall. „Unser halbes Viertel war mit unterwegs.“

„Das heißt, die anderen Schiffe, mit denen Sie zusammen gewesen waren, bevor Sie mich aufgegriffen haben, gehören ihren Freunden“, schloss John.

„Exakt“, erklärte Peter Marshall, „und nun sind wir auf dem Rückweg.“

„Was machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte John weiter wissbegierig.

„Unsere Familie lebt vom Fischfang“, sagte Scott Marshall. „In unserer Heimatstadt verdient man aber nicht so viel damit. Daher fahre ich alle zwei Wochen nach Omaha, um dort mit Filets Geld zu verdienen.“

Sie plauderten noch zwei Stunden weiter. Allmählich konnte man Dächer am Horizont erkennen.

Der Fluss war inzwischen weit über zehn Meter breit. Auf der rechten Seite, also Steuerbord, war ein weiterer Fluss zu sehen. Dieser Fluss war der North Platte und er floss hier mit dem South Platte zusammen. Gen Osten flossen die beiden dann als Platte weiter.

Unter den Dächern erschienen langsam Hauswände. Grundstücke wurden sichtbar und schließlich ein Hafen.

Sie legten an.

Nachdem Scott eine Plattform angesteuert hatte, befestigte Peter das Schiff mit Tauen. Dann verließen Scott, Peter, Laura und Michael das Schiff.

John folgte ihnen.

Sie gingen den Steg hinab zur Küste, folgten einem Weg hinter dem Hafen und erreichten keine fünf Minuten später ein Haus.

Es war völlig aus Stein, nur das Dach war mit Stroh gedeckt. Das Haus umgab ein großer Garten. Die grüne Rasenfläche wurde von einem Blumen- und einem Gemüsebeet unterbrochen. Das gesamte Grundstück wurde von einer Hecke eingezäunt. Alles in allem sah es nicht so aus, als würde eine Fischerfamilie dort leben. Nur ein kleiner Holzschuppen in einer hinteren Ecke des Gartens, an dem Netzte hingen, zeigte, wer hier wohnte.

Während Scott und Peter im Schuppen verschwanden, ging John mit Laura und Michael ins Haus.

„Es dauert noch etwas, bis wir zu Abend essen“, sagte Laura Marshall. „Du kannst unserem Gast ja solange das Haus zeigen, Michael.“ Sie verschwand durch eine Tür und Michael führte John durch das Haus.

Es hatte zwei Stockwerke. Im Erdgeschoss befanden sich die Küche, in die Laura verschwunden war, ein Ess- und ein Wohnzimmer. Das Obergeschoss war mit einer Toilette, einem Kinderzimmer, einem Schlafzimmer mit einem Doppelbett und einem Schlafzimmer mit einem einfachen Bett ausgestattet worden.

Um 18 Uhr gab es Essen. Sie alle saßen im Esszimmer um einen Tisch, an dem sechs Personen Platz gehabt hätten. Es gab eine einfache Fischsuppe mit Brot. Laura hatte sich bei John wegen dem kargen Mahl entschuldigt, aber John hatte es kaum zur Kenntnis genommen. Es war eine wunderbare Abwechslung im Gegensatz zu den meist kalten Bettelmahlzeiten, die er sonst gewohnt war.

Als alle aufgegessen hatten, sprach John das Thema Schlafen an. Er hatte nämlich erkannt, dass es kein Gästezimmer gab, in dem man ihn hätte unterbringen können.

„Sie schlafen oben in meinem Zimmer“, sagte Scott Marshall.

„Das kann ich doch nicht annehmen“, erwiderte John höflich.

„Doch, doch“, widersprach ihm Scott. „Ich schlafe hier unten im Wohnzimmer auf der Couch. Es macht mir nichts aus. Ich hab schon öfter dort übernachtet.“

Sie unterhielten sich noch eine Stunde und machten sich dann bettfertig, da Scott und John morgen früh raus mussten.

In der Nacht schlief John so gut, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. Mochte es an dem Bett, an der Gastfreundschaft der Marshalls oder an der Aussicht, schnell nach Omaha zu kommen, liegen, John wusste es nicht. Doch er schlief tief und fest wie ein Murmeltier.

Mit den ersten Sonnenstrahlen wurde er von Schott geweckt. „Aufstehen! Wir müssen los, wenn wir um neun in Omaha sein wollen.“

„Wie spät ist es denn?“, stöhnt John schläfrig.

„Kurz vor sechs“, sagte Scott und verließ das Zimmer.

Eine halbe Stunde später legten sie ab.

Johns Gefühl nach hatte er mehrere Stunden gebraucht, um sich anzuziehen, und so döste er an der Reling, während Scott den Osten ansteuerte.

Die Minuten verstrichen, ohne dass jemand ein Wort sagte. Dann sagte John: „Fahren Sie immer so früh los? Wir haben uns nicht mal bei Ihrer Familie verabschiedet.“

„Immer“, antwortete Scott, der wieder seine Kapitänsuniform an hatte. „So komme ich früh genug in Omaha an.“

„Wo verkaufen Sie Ihre Fische dort eigentlich?“

„In Omaha gibt es nicht weit vom Hafen einen Wochenmarkt. Dort baue ich meinen Stand auf und präsentiere meine Filets ab zehn Uhr meinen Kunden.“

„Das macht doch bestimmt Spaß?“

„Als Spaß möchte ich es nicht bezeichnen. Eher als angenehme Abwechslung gegenüber dem Netzeauswerfen.“

„Wo ist denn Ihre Ware?“

„Unter uns im Bauch des Schiffes. Ich hab die Fische gestern noch verarbeitet. Einige hab ich mir aber noch für den Markt aufgehoben. Es gibt nämlich auch Kunden, die frisch geschnittene Filets bevorzugen.“

So verging die Zeit und ein paar Stunden später, erreichten sie Omaha.

Scott steuerte wieder eine Plattform an und John durfte das Schiff vertäuen.

Danach hieß es auf Wiedersehen.

Sie gaben sich die Hand und John sagte: „Und grüßen Sie mir Ihre Familie.“

„Werd ich machen. Und ich wünsche Ihnen noch viel Glück auf ihrer Reise.“

„Danke“, erwiderte John und verließ das Schiff. „Machen Sie es gut. Ich wünsche Ihnen noch reichlich Kundschaft“, rief er Scott Marshall noch zu, während er sich auf den Weg zur Küste machte.

Scott winkte ihm nach.

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