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Fire and Brimstone

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Spacebook

Debatte um Altersfreigabe und Kennzeichnung auf Loggtube

ANGRY EMOJI 245.836.112

COMMENTS >12 Mil.

Tox-O-Meter: @SexualSalvationWarrior Ich will halt mal mehr sehen als nur ein bisschen Feuerwerk. Lass Feuer und Tod vom Himmel regnen! Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.

Fervin hatte die Hände in die Hüften gestemmt, als Neval den Raum wieder betrat. Ihre informelle Anführerin hatte sie gebeten, noch einen Versuch der Kontaktaufnahme mit Deardevil zu unternehmen, doch weder sie noch Kian hatten auf Nevals Anruf reagiert. Von Kian war immerhin ein »Ich kann gerade nicht, melde mich« gekommen, doch sie begann zu glauben, dass er einfach keine Möglichkeit sah, seine President von diesem Einsatz zu überzeugen und deshalb das Gespräch mit ihr mied. Das hieß, sie mussten eine andere Gang bezahlen, denn mehr als ein paar Kriminelle aus dem Free-Turf würden sie sich als Luftunterstützung kaum leisten können. Aber Neval kannte nur einen Chopper Jockey, und das war nun einmal Kian. Wenn sie andere Leute bezahlten, wie konnte sie sich sicher sein, dass sie dabei nicht irgendwelchen Menschenhändlern die Tür aufstießen?

Neval hatte seit einigen Jahren die Hoffnung gehegt, dass es ihnen vielleicht sogar gelingen würde, so etwas wie eine unabhängige Ratsregierung für Valoun II zu etablieren. Es gab bereits eine Art Gremium, eine Interessensvertretung, in der die größten auf dem Mond siedelnden und grabenden Parteien Konflikte ohne Gewalt ausbügelten.

Ihre Siedlung war noch nicht Teil davon geworden. Zu klein, zu unbedeutend, auch wenn Neval immer wieder Anträge gestellt hatte, sich in ihrer Freizeit mit Regelungen anderer besiedelter Planeten herumgeschlagen und diese als Argumente zusammengesucht hatte. Ihre Bemühungen waren nie von Erfolg gekrönt gewesen, die Konzernvertretungen verständigten sich im Gremium über die Köpfe der zivilen Siedelnden hinweg. Damit war die Gefahr wieder groß, dass sich dieser Free-Turf auf kurz oder lang in Corp-Turf verwandeln würde – die einzige Frage war: In wessen Corp-Turf?

Neval presste grimmig die Kiefer zusammen. Sie hatte Konzernrecht studiert wie alle Jurastudiengänge des Kobeni-Gürtels, es gab keine andere Variante mehr. Dass sie Gerechtigkeit abseits davon suchte, war einer der Gründe, warum sie das Studium geschmissen hatte. Und jetzt war der einzige Nutzen, den sie für Fervins Gemeinschaft hatte, der, dass sie diesen einen Ex-Freund-Kontakt zu einer Chopper-Gang hatte.

Fervin, Deen, Leron, Mera und Vaya standen um das Tablet herum, das aufgestellt das Gesicht von SisX von PolitiX zeigte.

»Sollten wir als die Hauptleidtragenden da nicht auch gefragt werden?«, fragte Fervin das Hologramm von SisX.

»Ich kann es dir nicht sagen, ich bin nicht auf eurem Mond – warum werdet ihr nicht gefragt?«, entgegnete SisX. Ihr androgynes, silbernes Gesicht war ein Avatar, im politischen Dark Datanet weltenbekannt, aber unidentifizierbar. Niemand wusste, wer SisX war, aber sie stellte eine verlässliche Verbündete im Kampf gegen Konzerne dar.

»Wir sind nicht Teil des Gremiums. Das ist über die Köpfe der kleineren Siedlungen hinweg gegründet worden. Neval hier hat sich für eine Reformation starkgemacht, aber daran scheint ihnen nichts zu liegen.«

»Das offizielle Statement lautet, dass die Gater für den Angriff verantwortlich sind.«

»Aber die Gater verfügen doch nicht über Jagdflugstaffeln!«, stieß Fervin hervor.

»Dann haben sie sie vermutlich angeheuert«, sagte SisX. »Was ihr im Übrigen auch tun solltet.«

»Wir versuchen es! Es ist nicht einfach, wir sind wirklich nicht in der besten Position.« Fervin warf Neval einen Blick zu, und diese schüttelte den Kopf. Sie hatte nichts Neues erreicht.

»Jedenfalls sagt meine Quelle, dass sie sich zu militärischen Gegenschlägen gegen die Gater bereithalten. Das kann gut für euch sein«, erläuterte SisX.

»Es kommt mir fishy vor, dass sie die Gater verantwortlich machen. Ich würde meinen linken Arm verwetten, dass das Corp-Flieger waren, die uns angegriffen haben!«, sagte Deen, dessen linker Arm wesentlich teurer war als der rechte, denn nach einem Unglück mit Minengerät hatte die Gemeinschaft zusammengelegt, um ihm einen kybernetischen Ersatz zu finanzieren.

»Vielleicht kriegen die Gater Corp-Unterstützung«, gab Vaya zu bedenken und blickte in der provisorischen Kommandozentrale umher. Außer den fünf Menschen um den Tisch herum saßen noch einige auf Decken oder Klappstühlen, und Sherin bastelte gerade an der Beleuchtung, die immer wieder ausfiel. Immerhin war das Datanet stabil.

»Kein Corp steht auf der Seite einer fundamentalistischen Sekte.« Die Frau auf dem Tabletbildschirm schüttelte den Kopf. Sie hielt inne, nein – ihr Avatar fror ein. Offenbar war sie kurz abwesend oder in einem anderen Programm aktiv. Das, oder das Datanet kämpfte nun auch mit Schwankungen.

SisX kehrte zurück. »Unangenehme Neuigkeiten.«

Fervin lächelte grimmig. »Na klar. Was ist es?«

»Eine unserer Hackerinnen hat sich ins Gremium einschalten können. Horcht durch ein schlecht gesichertes Tabletmikro mit.« Wieder hielt der Avatar inne. Vielleicht war eine unserer Hackerinnen auch einfach SisX selbst, vielleicht bestand PolitiX nur aus ihr und sie machte sich und ihren Channel größer, als sie waren.

»Die Gater sind in Fervintown eingedrungen. Eure … eure Siedlung ist in ihrer Hand.«

»Tod noch mal!« Fervin rang mit den Händen, beherrschte sich offenbar mühsam und tauschte einen Blick mit Leron, der bereits argumentiert hatte, dass sie sich nicht auf die Konzerne als Gegner einschießen solle – die Gater stellten die größte Gefahr dar. Die Mink-Öl-Sekte war in den vergangenen Monaten immer gewaltbereiter geworden, hatte Gegenden vermint und eine Community etwa zweihundert Kilometer südlich durch Heckenschützen so zermürbt, dass diese ihren Claim aufgegeben hatten.

Aber sie haben keine Jagdmaschinen.

Offenbar waren auch diese Freaks jetzt in der Lage, Geld auf Gang-Konten zu überweisen.

»Das können wir nicht dulden!«, stieß Leron jetzt auch hervor. Er hasste die Gater, hatte in der Vergangenheit schon schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht, über die er sich ausschwieg. »Die setzen sich ins gemachte Nest! Wir sind auf ein großes Reservoir gestoßen, das ist unser Claim! Sie nutzen vermutlich sogar unsere Bohrtürme und Fördermaschinen, diese Eiterhirne!«

»Natürlich tun sie das. Was das angeht, waren sie immer schon schlecht ausgestattet«, knurrte Vaya. »Das war vermutlich das Ziel der ganzen Übung.«

»Aber jetzt haben sie keine Jäger mehr«, murmelte Neval. »Das war eine Aktion für genau eine Nacht.«

Die anderen sahen sie an, sogar SisX suchte sie durch die Kamera.

Mera, die bislang nichts gesagt hatte, nickte heftig. »Sie hat recht. Wenn wir uns drauf verlassen, dass das Gremium da irgendwelche Schritte einleitet, dann sind das die falschen Schritte. Dann nehmen die den Gatern unseren Claim weg und behalten ihn für sich. Wenn wir unseren Besitz zurückwollen, müssen wir ihn uns nehmen. Die Gater sind zu wenige, um unser eigenes Gelände gegen uns zu halten. Wir hauen ihnen diese Nacht aufs Maul.«

Dabei legte sie eine Hand auf das Gewehr, das sie umgeschnallt trug, und alle im Raum wussten, dass sie Tödlicheres als einen Faustkampf meinte.

»Das können wir nicht zu sechst entscheiden!«, wehrte sich Fervin.

»Nee. Das kannst du ganz allein entscheiden, Fervin«, sagte Vaya. »Es ist dein Claim, und wir sind deine Leute.«

»Wir haben immer als Gemeinschaft gehandelt.«

»Und wir sind noch zweihundertachtzehn Erwachsene hier oben. Frag uns, wenn es dir dann besser geht – und dann holen wir uns zurück, was uns gehört!«

Fervin sah über das Tablet hinweg in Nevals Richtung, als bräuchte sie deren Genehmigung. Sie sieht mich immer noch als Instanz irgendeiner interstellaren Gerechtigkeit, die es nicht gibt und nie gab. Neval war der Gedanke zuwider, den Claim gewaltsam von den Gatern zurückzuerobern. Sie schielte auf ihr eigenes, zusammengefaltetes Tablet, das weiterhin schwieg. Weder Kian noch Marlene hatten sich gemeldet.

Sie nickte Fervin zu und gleichzeitig ging das Licht flackernd wieder an, heller als zuvor. Vielleicht brauchen wir die Daredevils nicht.

»Ihr habt recht«, seufzte Fervin. »Wir müssen ihnen das Gebiet wieder wegnehmen, bevor sie sich da einnisten und die Lebensformen gegen uns verwenden können.«

SisX’ Avatar erwachte wieder zum Leben. »Ich informiere euch, wenn ich noch weitere Informationen herausfinde, über das Gremium oder anderweitig. Aber ich unterbreche jetzt meine Verbindung zu euch. PolitiX bleibt in gewaltsamen Konflikten neutral.«

»Danke«, sagte Fervin und streckte die Hand aus, um das Fenster zu schließen. »Dann … dann sollten wir jetzt …« Sie sah etwas ratlos in die Runde. »Wie bereitet man einen Krieg vor?«

Vaya lachte nervös, und Deen runzelte die Stirn. Seine beiden Kinder, beides Teenager, vielleicht fünfzehn und sechzehn, traten an seine Seite und versuchten, entschlossen auszusehen. Beide waren bewaffnet, wie alle, die sich jetzt noch in den Bergen aufhielten und nicht evakuiert worden waren.

»Kein Krieg«, sagte Neval in die Runde, als könnte das die Gemüter beruhigen. »Wir schmeißen diese Eiterhirne nur aus unserem Dorf. Wenn wir es gut planen, geht es schnell und sauber.«

»Sie werden nicht freiwillig gehen. Dann kann es langsam und schmutzig werden«, wandte Deen ein.

»Dann wird es das!«, stieß Leron hervor. »Ich übergebe denen ganz sicher nicht mein Leben und versauere hier oben in den Bergen!«

»Und ich übergebe ihnen nicht unser Mink-Vorkommen, damit sie sich damit ihr Hirn wegbrennen.« Fervin hatte sich entschieden.

»Informieren wir das Gremium über unseren Angriff?«, fragte Neval. »Vielleicht unterstützen sie uns.«

»Nein.« Leron schüttelte den Kopf. »Wenn doch ein Corp mit den Gatern zusammenarbeitet und ihnen die Jäger gestellt hat, dann sitzen wir tief in der Scheiße.«

»SisX hat gesagt, dass kein Corp mit Gatern zusammenarbeiten würde! Und sie hat sie immerhin abgehört.«

»SisX kann sich auch irren. Wer weiß, wer da wen für seine Zwecke nutzt? Wir machen eine effiziente, schnelle Aktion draus. Und lassen die Gater nicht am Leben. Diese Freaks sind wie die Schmeißfliegen, wenn wir sie nur vertreiben, kommen sie wieder. Für sie riecht Minkowskium unwiderstehlich, wie Scheiße für Fliegen.«

Neval starrte Leron an. Der Mittfünfziger erwiderte den Blick gelassen, bis sie es nicht mehr aushielt und beiseite sah. Er tätschelte herausfordernd das Gewehr an seinem Schulterriemen.

Das Problem war, dass er recht hatte.

Vor wenigen Wochen hatten sie endlich ein großes Reservoir entdeckt, und ersten Schätzungen nach war es nicht das einzige in dieser Gegend. Ein gewaltiges Vorkommen, größer als alle bisherigen Reserven des Planeten zusammengenommen, konzentriert in geologischen Sattelstrukturen unterhalb ihrer Heimatdörfer. Das war bei weitem genug, um ihr karges Dasein auf dieser Welt dauerhaft zu verändern. Aber diese Mengen weckten natürlich Begehrlichkeiten – seitens der Konzerne und seitens religiöser Spinner, die glaubten, dass ihnen eine übernatürliche Macht die alleinige Verfügungsgewalt über den begehrten Rohstoff der Sternenreisenden zugesprochen hatte. Wenn die Gater nun dort waren, wussten sie bereits von diesem Vorkommen. Und würden ihren neuen Besitz bis aufs Blut verteidigen.

Aber selbst, wenn wir ihn zurückerlangen, wie lange können wir etwas behaupten, das so sehr Segen und Fluch gleichzeitig ist?

Neval wusste es nicht. Sie sah noch einmal auf ihr Tablet. Keine Nachricht. Ihr Kiefer schmerzte, so angespannt war sie.

Dann wurde das hier also ein Bodengefecht.

Marlene hatte schon einiges intus, und nicht nur Alkohol, das merkte Kian sofort. Für eine Frau, die der Kampf gegen einen Haufen Rückschläge dahin gebracht hatte, wo sie jetzt war, steckte sie Rückschläge ganz schön schlecht weg.

Bevor sie sich entschied, etwas dagegen zu unternehmen, beschloss sie meistens erst einmal, sich die Situation einige Tage lang schönzusaufen und -vögeln. Swosh war sicherlich auch im Spiel, zumindest sahen Marlenes Nasenlöcher entzündeter aus als ihre Augen, sodass davon auszugehen war, dass sie die Finger von Lokkers Skywards gelassen hatte.

Ob sie den Cyberköter aus Versehen oder absichtlich mit dem Fuß erwischte, wusste Kian nicht. Der Hund zog sich jedenfalls winselnd hinter die Theke zurück.

Kian setzte sich im Loco Hana an den Tisch, an dem Princess mit Kami saß. Die beiden wirkten nicht so, als wären sie einander bewusst, beide starrten auf ihre Tablets; Kami auf ihre in sich versunkene Art und Weise, Danai so, als wolle sie sich vor allen Dingen vom Anblick ihrer Mutter ablenken, die sich gerade im sehr kurzen Kunstlederrock auf die von Woqqa-Pfützen übersäte Theke gesetzt hatte.

Kian war in einer Großfamilie aufgewachsen, dreiundfünfzig Leute auf einem kleinen Navig-Boot, auf der Suche nach neuen Wurmlöchern. Seine Familie folgte schon seit Generationen als Teil einer kleinen, chaotischen Flotte den Sternbildern. Sie waren Herumziehende, die sich selbst als Pioniere und Forscherinnen betrachteten, aber für den Rest der bewohnten Galaxis Freaks und Smashwits waren. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn sich jemand, mit dem man verwandt war, vor anderen lächerlich machte. Dann sah man genau so aus, wie Danai gerade aussah. Er setzte sich zu ihr, das löste Danais Blick vom Tablet, und auch Kami regte zwei Finger in einer faulen Grußgeste.

»Hey«, sagte Kian. »Deine Accounts laufen gut, oder?«

»Hab die Mitteilungen ausgeschaltet. Es nervt.«

»Siebenhundert Kommentare seit gestern Abend.«

»Und du antwortest drauf«, knurrte sie.

»Wingpals.« Er lächelte. »Ich halte sie nur bei der Stange. Deine Follower sind Gold wert. Oder können es zumindest sein. Ich dachte, du hättest die Notifs ausgeschaltet?«

»Hab ich auch. Hab aber trotzdem nachgeguckt.« Sie grinste schief, ein schmaler Streifen auf ihren dunklen Lippen war golden geschminkt, als hätte sie sie mit einer in Gold getunkten Fingerspitze berührt, und das gab ihr einen charmant-verschmitzten Ausdruck, der jedoch ihre Augen nicht erreichte. Diese wanderten noch einmal kurz zu ihrer Mutter herüber, bevor sie Kian entschlossen fixierte, als wolle sie mit ihm den Anblick der sturzbesoffenen President vertreiben.

»Sie will uns jetzt sagen, dass wir den Sponsor verloren haben.«

»Jau«, erwiderte Kian.

»Was wir alle schon wissen.«

»Sie ist ganz schön low deswegen.«

»Low im Sinne von down?«

»High, aber down, ja. Low halt.«

Wieder irrte ihr Blick zu ihrer Mutter. Familie war etwas Seltsames. Eigentlich konnte man nichts dafür, was ihre Mitglieder taten und wie sie sich gaben. Es gab keinen Grund, sich für Familie zu schämen. Aber man tat es doch. Kians Leute schämten sich sicher auch für ihn. Danai und Marlene waren so gegensätzlich wie Feuer und Wasser, Gang und Corp; nicht nur im Aussehen, sondern auch im Verhalten.

»Ich wusste nicht, dass sie immer noch ein Drogenproblem hat«, murmelte Danai.

»Ach, Drogenproblem ist übertrieben«, murmelte Kian, und sie sah ihn strafend an. Sie war eben immer noch durch und durch Corp-Turf, und dort gab es eine klare Linie zwischen der legitimen und der falschen Art, sich abzuschießen. Marlenes Art war die falsche. Kian fragte sich kurz, wie sie früher gewesen war, bevor sie ihrem … Snack, ihrem Kind und dem Corp-Turf den Rücken gekehrt hatte, um sich in einer Jockey-Gang hochzuarbeiten. Es hieß, dass sie als Frachterpilotin für Konzerne ihre ersten Manöver gelernt hatte.

Und Danais Dad ist vermutlich Controller.

»So, jetzt hört mir alle zu, versmashter Scheiß«, brachte Marlene sie alle zum Schweigen. Yokai beendete noch stumm den Kartentrick, mit dem sie Eyegle gerade abzog, dann sahen alle nach vorn zur Theke. »Wir haben Bulldoxx als Sponsor verloren, ihr wisst das wahrscheinlich schon, aber jetzt mach ich es offiziell. Weil wir den Corp-Transporter nicht abgeknallt haben. Sie haben den Vertrag beendet.«

Kian rutschte ein wenig nervös auf dem Stuhl hin und her, der sein Gewicht knarrend zur Kenntnis nahm. Er wusste nicht, welche Beträge Nevals Leute zahlen würden – aber vielleicht war es Karma, dass dieses Angebot zu dieser Zeit gekommen war!

»Sie haben sich die Firestarters eingekauft. Sponsern jetzt die. Kein Wunder, dass sie die ausgesucht haben, diese Brofucks machen für Geld alles!«

Kian und alle anderen hatten das schon auf ihren Kanälen verfolgt. Die Firestarters hatte er nur abonniert, um ihnen Hate zu geben, und in den vergangenen Tagen hatte er das nicht zu knapp getan. Den Firestarters war das große Bulldoxx-Logo vor ihren neusten Videos und auf ihren Maschinen gut bekommen: Sie hatten ein Viertel mehr Follower als zuvor. Und bei den Daredevils stagnierte die Lage. Da die Prospects für die Verwaltung der Channels zuständig waren, hatte Kian den Überblick. Er träumte nachts nur noch in Emojis, Kudos und Daumen hoch oder runter.

Bacon tat als einziger so, als wäre er überrascht. Oder er war es tatsächlich – er ließ seine Accounts von Nean verwalten, denn er sagte, der Scheiß mache ihn depressiv. Dav aus der Deckcrew saß mit ihm an der Theke und versuchte, möglichst unbeteiligt dreinzublicken. An einem Tisch hinter Dav hockten noch die Mechas Wanda und Scream mit dem vierzehnjährige Gear, den Bacon vom Unterdeck der Asteroidenstation geholt hatte, wo Gear mit Sabotage an den Lebenserhaltungssystemen und damit zusammenhängender Erpressung an Drogen gekommen war. Da die Sabotageakte nicht schlecht gelungen waren, hatte Bacon den Kleinen für die Deckcrew rekrutiert. Er arbeitete immer noch für nicht viel mehr als seine tägliche Dosis.

»Passma auf, diese Smashwits, diese N00bs, diese Muddoballs von Firestarters, ich glaub, da müssen wir mal ein paar Ärsche aufreißen!«, brüllte Bacon und sprang auf. Von der Theke aus hatte er das Endspiel vom Lowgrav-Wrestling mit einer VR-Brille beobachtet und lautstark kommentiert. Die Brille riss er sich erst nach seinem Fluch vom Kopf.

»Ja, Bro, du sagst es, Bacon!«, stimmte Deardevil ein und hob ein gut gefülltes Woqqaglas. »Prophet hier findet raus, wo im Kobeni-Gürtel sich die Scheißer aufhalten, und dann will ich Blut sehen, Leute, Blut!«

Kian warf Danai einen Blick zu. Sie sah angespannt aus. Für Bandenkriege war Kian auch noch nicht lange genug dabei, aber er war schon Prospect gewesen, als sie den Wheelbreakers vor Enki IV aufgelauert hatten. Das hatten sie nicht gestreamt, und es war eine schmutzige Angelegenheit gewesen, die Kian bis auf seltene Gelegenheiten wie diese hier zu verdrängen pflegte. Ja, Danai hatte Grund, angespannt auszusehen.

Und er hatte einen Grund, zu verhindern, dass sie – und er – in Schlimmeres als in die Sache mit den Wheelbreakers reingezogen wurden. Kian hielt sich nicht für zimperlich, immerhin war er Mitglied einer Jockey-Gang (auch wenn sie meist mit Jugendfreigabe agierte), aber er glaubte an eine unbestimmte Art von Ehrenkodex, von der er sich nie die Mühe gemacht hatte, ihn irgendwo festzuhalten. Ein flexibler Ehrenkodex. Eher eine Art innerer Kompass, wie es sich für den Spross einer Navig-Familie gehörte.

»Ich hab einen anderen Vorschlag. Also, vorerst«, sagte er daher laut, diesem Kompass folgend. Deardevil klappte den Mund so wütend zu, dass ihre Zähne aufeinander krachten. Ihn durchfuhr die Erkenntnis, dass es nicht der günstigste Zeitpunkt war, um auf humanitäre Mission zu gehen. Dafür hatte Marlene gerade sicher am allerwenigsten übrig, sie wollte irgendetwas brennen sehen. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurückrudern.

»Ich hab dir den Kontakt zu Neval Toprak geschickt. Langfristig ist das kein Sponsoring oder so was. Aber kurzfristig bringt es etwas Kohle.«

Alle starrten ihn an. Garuda lachte abgehackt, natürlich, als VP sägte sie an Marlenes Ast, und alles, was Marlene schwächte, trieb Garudas Säge voran.

»Prophet, setz dich wieder hin«, knurrte Deardevil.

Er bemerkte erst jetzt überhaupt, dass er aufgestanden war.

»Sie bezahlt uns, um zu fliegen. Was willst du mehr?«, erwiderte er.

»Sie kann den Preis nicht zahlen, den wir wert sind.« Marlene wirkte auf einmal recht nüchtern. »Du musst deine Schulden bei ihr wohl irgendwie anders begleichen, dear.«

»Ich hab keine Schulden bei ihr!«

»Aber offenbar kann sie dich kneten wie weiche Hundescheiße, und hältst du mich für Hundescheiße, Kian?«

»Ich halte dich nicht für Hundescheiße. Und mich auch nicht«, stieß Kian anspannt hervor.

»Warum lässt du dich dann wie welche kneten?«

»Bist du bald fertig? Es sind Credits, Leute, ich dachte, wir tun Dinge für Credits. Ein paar Gater abknallen, Credits einsacken, fertig. Danach kannst du immer noch den Firestarters den Arsch aufreißen.«

»Du und die Kleine, ihr hattet eine Fomo-Kiste, ich lasse mich doch nicht von dir verarschen! Denk nicht, wir helfen dir dabei, wieder in ihr Bett zu kommen.«

Kian spürte, dass er nervös wurde. Yokai musterte ihn von der Seite. Eyegle grinste zu breit. Selbst Purple gab ein boshaftes Kichern von sich.

»Das ist drei Jahre her!«, rechtfertigte er sich. Bei den Sternen von Matariki, er würde jetzt sein Liebesleben auf der Akademie nicht mit Marlene diskutieren. »Darum geht es doch jetzt überhaupt nicht! Ich hab einen Vorschlag gemacht, wie du Leuten aufs Maul geben und Kohle machen kannst!«

Sie rutschte vom Tresen, das hohe Woqqa-Glas in ihrer Hand ging zu Bruch. Die leicht ölige Flüssigkeit darin schwappte über den Boden, einen Hocker und Davs Schoß.

Marlene wankte an Dav und Bacon vorbei – der Boden des Glases und ein langer Splitter lagen noch in ihrer Hand. Kian wurde klar, dass sie auf ihn zu kam.

»Was soll das, hey, wir machen es, wie du es willst!«, sagte er sofort und hob die Hände.

Auch Danai sprang auf, er sah aus den Augenwinkeln, dass sie in eine Art Kampfgrundstellung ging, wie jemand, die bereit ist, bei Ärger dazwischen zu gehen und wusste, wie sie das anstellen konnte. Konzernselbstverteidigung oder so ein Scheiß. Er hatte so etwas nie gelernt, hatte sich immer einfach so geprügelt – aber noch nie mit seiner President. Und würde Danai sich etwa mit ihrer eigenen Mutter schlagen?

»Lass den Jungen in Ruhe«, sagte Garuda in die angespannte Stille, in die nun viel zu laut das Wrestling-Match aus Bacons abgelegter Brille dudelte. »Du bist nicht beieinander, Marlene, geh dich ausschlafen, und dann reden wir weiter.«

Das reichte immerhin, damit Marlene nicht weiter auf ihn zu kam. Sie fuhr zu Garuda herum und keifte: »Halt’s Maul! Ich lasse mir von euch nicht sagen, was ich tun und lassen soll! Von dir nicht, von Prophet erst recht nicht!«

»Er hat einen Vorschlag gemacht, du hast ihn abgelehnt. Fein. Dann denken wir uns was anderes aus. Überlass das Denken denen, die sich nicht gerade die Hirnzellen weggeswosht haben.«

»Wir hauen den Firestarters aufs Maul!«, beharrte Marlene und drohte mit ihrer Scherbe.

Garuda stieß sich von dem Tisch ab, auf dem sie breitbeinig gesessen hatte und kam mit all ihrer hemdsärmeligen, ledertragenden, tätowierten Imposanz auf sie zu, die Dreadlocks zu einem dicken Bündel wie Kabelstränge im Triebwerk eines Choppers zusammengebunden. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und wenn sie schlau war, versteckte sie dabei irgendeine Waffe, falls Deardevil doch ausrastete. Garuda warf Kian einen nachdrücklichen Blick zu.

Er konnte die Vice Prez eigentlich nicht besonders leiden, aber gerade war er froh, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Danai kämpfte sich durch das Stottern: »Mama, nimm dir ein neues Glas und trink noch was.«

Marlene fuhr zusammen, als würde sie gerade erst bemerken, dass ihre Tochter im Raum war.

»Wir brauchen einen verfickten Sponsor!«, knurrte Marlene ein wenig besänftigt und nahm das Glas an, das Danai von ihrem eigenen Tisch nahm und ihr entgegenstreckte. Kian zog sich ein paar Schritte zurück. Er atmete heftiger, als er wollte. Kami beobachtete ihn, Eyegle ebenso. Hätten sie ihm geholfen, wenn es hart auf hart gekommen wäre?

»Den kriegen wir nicht so einfach. Wir brauchen einen Plan. Aber erst morgen«, sagte Danai mit einer so ausdruckslosen und flachen Stimme, dass er sie kaum wiedererkannte. Jetzt stotterte sie nicht einmal.

Sie kennt das, schoss es ihm durch den Kopf. Für Danai mochte all das hier neu sein – aber nicht der Zustand ihrer Mutter und wie sie sich verhalten musste. Die Erkenntnis drehte ihm den Magen um.

Marlene ließ sich auf einen Stuhl fallen und kippte den Inhalt des Glases in sich hinein. Das zerbrochene legte sie auf dem Tisch ab.

»Wir kriegen das hin«, sagte auch Garuda versöhnlich und bedachte Kian dabei mit einem Nicken und einem schmalen Lächeln, bei dem ein goldener Zahn aufblitzte. Er wusste, was das hieß – er schuldete ihr etwas.

»Whisky«, deklamierte Bacon. »An besonders beschissenen Tagen muss man besonders geiles Zeug trinken!«

Und das taten sie. Sie tranken, als würde sie das näher zueinander bringen. Aber zwischen Wingpals lag immer kaltes All.

»Ich wünschte, wir hätten Luftunterstützung«, stieß Leron hervor, er befand sich so nah an Neval, dass sie sein zitterndes Atemholen hörte. Sie mussten in der Nacht etwa zehn Kilometer zu Fuß zurücklegen, in fünf Gruppen, die von Fervin und vier weiteren Leuten mit der notwendigen Orientierung angeführt wurden. Neval war Lerons Trupp zugeteilt. Es war wichtig, dass sie in kleinen Gruppen und zu Fuß aus den Bergen in die Tiefebene hinabstiegen, denn die Gater hatten die Straßen abgeriegelt, und offroad gab es keine Möglichkeit, mit den Fahrzeugen unbeschadet an den Formen vorbeizukommen.

Die Formen – dieser gänzlich fantasielose Name hatte sich für die Lebensformen eingebürgert, die auf Valoun II entstanden waren. Es waren simple Einzeller, die auf Silicium statt Kohlenstoff beruhten und noch vor dem Terraforming des Monds für einiges Aufsehen gesorgt hatten. Doch nachdem man den spektakulären Fund einmal gründlich erforscht hatte, war nicht viel von der Faszination geblieben: Letztlich waren es korallenartige, gigantische Einzeller, die – nicht Pflanze, nicht Tier – fest am Boden verankert bis in zwanzig Meter Höhe wuchsen. Unten am Boden begannen sie zu verhärten und abzusterben und waren größtenteils staubig grau, während sie weiter oben in Farben von Ultramarinblau bis Korallenrot variierten.

Das Problem war nicht, dass die Formen feindlich waren. Neval bezweifelte, dass sie irgendeine Einstellung gegenüber irgendetwas hatten. Das Problem war, dass sie wie Erdrutsche in sich zusammenfielen, wenn sie an der Basis abstarben und dabei ganze Straßenzüge unter sich begraben konnten. Noch dramatischer war, dass sie sich mittels Zellteilung fortpflanzten. Dabei platzten sie in einer regelrechten Splitterexplosion auseinander. Eine Hälfte blieb stehen, die andere verstreute sich in Trümmern auf dem Boden. Dort, wo der Teil mit dem Zellkern auftraf, verwurzelte sich eine neue Form. Die Splitter der Formen waren wie große Brocken aus Glas: hart, teils scharfkantig und heimtückisch.

Die menschlichen Besiedlungen hatten lernen müssen, mit den Formen und ihrer Zellteilung umzugehen. Die Siedelnden wussten, wann Formen reif waren und lösten kontrollierte Zellteilungen aus oder fällten alte Formen in eine bestimmte Richtung, bevor sie größeren Schaden anrichten konnten. Die Formen ganz aus dem Weg zu räumen war zu mühselig. Man musste sie sprengen, und der Zellkern war selbst dann beinahe unzerstörbar und fasste erneut auf dem splitternden Fels des Untergrunds Fuß.

Leron führte seine Truppe aus dreihundert Leuten durch ein Wäldchen aus jungen Formen, die alle noch nicht platzen würden. Dennoch waren sie vorsichtig und berührten nichts, selbst wenn Neval sich manchmal gern aufgestützt hätte. Obwohl sie körperliche Arbeit mittlerweile gewöhnt war, strapazierte der nächtliche Marsch Muskeln, die dagegen protestierten. Lerons Hund ging an einer Leine voraus – zwar war er nicht ausgebildet, Sprengstoff zu erschnüffeln, aber Leron hatte ohne mit der Wimper zu zucken gesagt, dass Sprengfallen lieber den Hund als Menschen erwischen sollten.

Das war nur logisch, trotzdem kam es ihr auf einem Mond, auf dem es nur Menschen, die Formen und das eine oder andere mitgebrachte Haustier gab, wie eine besondere Grausamkeit vor. Eigentlich sollte sie froh sein. Die anderen Gruppen hatten keine Hunde. Zwei von ihnen führten von Vaya eilig gebastelte Detektoren mit sich, die funktionieren konnten oder auch nicht.

»Wenn wir Luftunterstützung hätten, könnte die den drecksverfickten Gatern einheizen und die reifen Formen wären schon mal geplatzt, bevor wir durchkommen!«, knurrte Leron zu niemand Bestimmtem.

Deardevil hatte ihr ein knappes »Kein Interesse« gesendet, und Kian eine wortreiche Nachricht, in der er erzählte, wie leid es ihm täte. Sie wollte es gar nicht hören. Es war einfach nicht ihre beste Idee gewesen, ihn zu fragen. Sie waren als Studierende einige Monate lang ein Paar gewesen. Es war dumm und naiv von ihr gewesen. Damals und jetzt.

SisX hingegen hatte ihnen noch Informationen zukommen lassen: Das Verwaltungsgremium aus verschiedenen Konzernen, das die Interessen seiner Mitglieder auf Valoun II miteinander in Einklang brachte, hatte einen Luftschlag auf die Gaterstellungen auf der Medianhöhe weiter im Norden genehmigt, und SisX’ Abhörkünste hatten außerdem in Erfahrung gebracht, dass das Gremium davon ausging, dass Fervins Vertriebene versuchen würden, ihre Siedlung zurückzuerobern. Einem Antrag von Hadronic Inc. auf Bodentruppen war nicht stattgegeben worden.

Wir können davon ausgehen, dass sich sechshundert bis achthundert Bewaffnete in den Tunneln im Gebirge befinden. Bodentruppen dürften sich daher erübrigen, hatte die abgehörte Nachricht gelautet, die SisX ihnen weitergeleitet hatte. Sie waren also billige – und zahlenmäßig weit überschätzte – Bodentruppen für einen Konzern, der mit ihrer Entschlossenheit rechnete, ohne dafür zahlen zu müssen.

Aber es stimmte: Fervintown war ihre Heimat, und sie wollten keine dreckigen Corpcredits, um wieder dort leben zu können. Außerdem war es ihr Claim, und wenn die Corps Bodentruppen entsetzten, dann würden sie den Claim vielleicht durch irgendeinen militärisch im Gremium legitimierten Streich danach für sich beanspruchen.

»Wir haben Luftunterstützung. Wenn wir die Bodentruppen der Corps sind, sind sie die Luftunterstützung für uns«, sagte Neval, und Leron lachte grimmig.

»Hoffen wir, dass diese Info korrekt ist. Hoffen wir, dass das Timing stimmt.«

»Hoffen wir, dass sie Fervintown nicht bombardieren, sondern wirklich nur die Stellungen im Norden!«, warf eine grimmige Frau ein, die Seite an Seite mit ihrer Teenagertochter direkt hinter Neval her stapfte. Ihnen allen schlugen beim Gehen die umgeschlungenen Gaußgewehre gegen Schultern und Hüften.

Neval hasste es, das Gewicht der Waffe zu spüren. Sie alle besaßen eine, seit die Gaterangriffe immer häufiger geworden waren. Aber sie hatte ihre noch nie eingesetzt. Sie hoffte, dass sie das Gewehr mit den magnetischen Spulen, die Eisengeschosse auf verheerende Geschwindigkeiten beschleunigten, auch heute nicht benutzen musste.

Selbst wenn sie einen Schuss hätte abfeuern wollen, hätte es auf der Flucht bisher nicht einmal ein Ziel gegeben. Die schwarzen, leisen, leichten Jäger hatten sie mitten in der Nacht erwischt und als eigentlichen Feind einstürzende Häuser zurückgelassen – nichts, worauf man feuern konnte. Neval spürte immer noch die Wunde im Bein, wie ein Mahnmal dafür, dass der nächste Gegner nicht aus Schutt und Metallstangen bestehen würde.

Schließlich verließen sie das Wäldchen. Unter Plastikplanen lag ein Meer aus Hochbeeten vor ihnen. Das spärliche Licht der Taschenlampen fing sich auf der Folie.

»Hervorragend«, murmelte Leron grimmig und faltete sein Tablet ein Stückweit aus, um die Karte zu begutachten. »Dann erreichen wir die Nordwestseite vom Agrargebiet genau dann, wenn Vaya da drüben alles anzündet.«

Das war nicht wörtlich gemeint. Vayas Trupp würde die Spähposten am Siedlungsrand und die Fahrzeuge mit Sperrfeuer eindecken. Das würde die dort positionierten Gater dazu bringen, sich zu bewegen.

Wer dann alles anzünden würde, wären sie – denn auf der Nordwestseite warteten ein paar schöne reife Formen auf die Zellteilung.

Wenn Neval Glück hatte, musste sie nicht einmal auf jemanden schießen.

Der Luftschlag der Konzerne erfolgte mit geradezu beängstigender zeitlicher Präzision. Während Neval hinter einem Hochbeet verborgen das Peitschen der Gaußgewehre hörte – Vayas Trupp, der hinter jüngeren und hoffentlich noch unteilbaren Formen im Norden aus der Deckung schoss – hörte sie bereits das Dröhnen schwerer Maschinen jenseits des hügeligen Horizonts.

Bomber, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte keine Ahnung von Militärmaschinen, aber die Triebwerke klangen so anders, so viel schwerer und massiger als das Flüstern der schwarzen nächtlichen Jäger, die mit ihren Raketen und Bordkanonen Dächer zersiebt und Mauern zum Einsturz gebracht hatten. Sie sah auf ihr zusammengefaltetes Tablet, auf dessen Vorderseite Benachrichtigungssymbole blinkten. Inmitten des Feuergefechts rief sie neugierig eine Nachricht von Fervin auf – eine Weiterleitung von SisX. »Information fließt auch gegen den Strom«, las sie, und kurz musste sie grinsen. Ohne Zweifel hatte SisX auch das Gremium mit Details versorgt, damit die Angriffe aufeinander abgestimmt wurden und die Konzerne nicht ihre unfreiwilligen Bodentruppen bombardierten.

Die Gater hingegen waren ahnungslos. Sie hatten noch nie auf Feinheiten wie Informationen und Timing gesetzt, sondern auf Skrupellosigkeit und Ideologie. Neval hörte die Alarmrufe aus den beschädigten Baracken und Fördertürmen von Fervintown, dann heulten Motoren auf, obwohl Vayas Team die Fahrzeuge mit einem Kugelhagel eindeckte. Neval spähte über das Hochbeet, Adrenalin brannte in ihren Adern bis in die Fingerspitzen. Lerons Leute waren diszipliniert oder ängstlich genug, um hinter den Hochbeeten verborgen zu bleiben. Sie hatten die Taschenlampen ausgeschaltet und wurden Zeugen, wie sich ein Jäger von den nahenden Staffeln absetzte – ein kleineres, wendigeres Ding – und drei, vier, fünf Lenkraketen auf die Medianhöhen abschoss.

»Nimmt ihre Flugabwehr auseinander. Eine Stellung fehlt ihm noch, die da hinten«, flüsterte Adila hinter ihr, die eine große Leidenschaft für Karten und eine geradezu unheimlich Orientierungsgabe hatte. Eine weitere Rakete aus dem Bauch des Jägers. »Diese da meinte ich. Gut«, sagte Adila. Neval drehte sich zu ihr um, konnte sie aber kaum erkennen. Der Planet, auf dessen Mond sie sich befanden, strahlte auch nachts grünliches Licht ab. Dieses übermalte fast das gesamte Sternenlicht bis auf die größten und hellsten Sonnen der Nachbarsysteme, spendete aber nachts nur sehr wenig Licht. Die Sicht wurde besser, als in Fervintown alle Lampen und Scheinwerfer aufflammten. Die Gater stürmten in ihren gepanzerten Militäruniformen wie hässliche, graue Camouflage-Käfer aus den Häusern. Niemand von ihnen verließ eines der Gebäude ohne eine Uniform – vielleicht schliefen diese haarlosen Nacktschnecken sogar in den Dingern, um nicht zu erfrieren.

Leron zog sich gerade mit fünf Leuten, die sich besonders auf das kontrollierte Zellteilen der Formen verstanden, von der wuchtig aufragenden Reihe aus nicht-ganz-Fels-und-nicht-ganz-Koralle in der Nähe der Straße zurück. Er gab aufgeregte Handsignale, die Neval nicht verstand. Vermutlich wusste er selbst nicht genau, was er damit sagen wollte. Ein junger Mann namens Arin hielt sein Tablet auf kleinste Größe gefaltet in der Hand. Neval erkannte die App darauf nicht, wusste aber aus der Besprechung, dass er den Fernzünder für die kleinen Sprengladungen bediente. Wenn man die grau-felsige Basis beschädigte, an der die Formen abgestorben und verknöchert waren, mussten sie befürchten, dass ihr Ende bevorstand und initiierten dadurch noch rasch eine letzte, verzweifelte Teilung, um weiterzuleben.

Oder so interpretierte Neval es – sie wusste natürlich, dass die Formen weder Furcht noch Verzweiflung kannten.

Bei den Gatern war sie sich auch nicht so sicher. Fanatismus war ein guter Ersatz für beides, und so heulten Motoren auf und die schweren, dick bereiften Pick-ups, mit denen die Gater Fervintown eingenommen hatten, schossen vorwärts. Auf dem glasig-felsigen Untergrund quietschten die Reifen.

»Jetzt«, stieß Leron hervor, und Arin setzte die Sprengung in Gang. »Runter!«, rief seine Schwester neben ihm – im Chaos der Schüsse, der berstenden punktuellen Explosionen und der nahenden Bomberstaffel mussten sie nicht mehr leise sein. Neval warf sich hinter ihrem Hochbeet auf den glatten Boden, spürte Bröckchen kostbarer Erde unter ihren Handflächen, bevor sie sich ganz zusammenkauerte und den Kopf mit den Ellbogen schützte.

Sie sah nichts, aber sie spürte das Dröhnen der Erde, schmeckte und roch den seltsam scharfen Geruch, den die Formen bei der Zellteilung verströmten, hörte das Bersten von Silicium und fühlte den feinen Regen aus trockenen Bröckchen, als die Formen in etwa hundert Metern Entfernung aufplatzten. Ihre Teilung war zwar fachkundig so initiiert worden, dass sich das Hervorschleudern der Zellkerne und der berstenden Stücke der Formen Richtung Straße wandte, doch was in größerer Höhe abplatzte, prasselte auch auf die Hochbeete herunter.

Es donnerte, sie spürte es bis in die Knochen, als die Trümmer der geteilten Form auf der Straße auftrafen.

Was für ein orgastischer Akt der Fortpflanzung mit sich selbst, dachte Neval und fand den Gedanken völlig unpassend dafür, dass sie unter Lebensgefahr auf dem Boden kauerte. Das wiederum brachte sie zum Lachen, sie kicherte leise in ihre Arme und fragte sich gleichzeitig, ob Adila neben ihr nun glaubte, dass sie weinte oder einen Nervenzusammenbruch hatte.

Vielleicht hab ich das ja auch.

Und dann ging es weiter, als hätte die Explosion der Zellteilung das Signal für eine ganze Kettenreaktion von Detonationen gegeben: In weiter Ferne, zu ihnen getragen zunächst durch die Schallwellen im Untergrund und dann in der Luft, wurden die Stellungen und Camps der Gater in langgezogener Linie bombardiert. Dumpfes Dröhnen, berstendes Knirschen von Stein und Gemäuer.

Gleichzeitig setzten erneut Schüsse ganz in der Nähe ein, und Leron schrie: »Gewehre hoch! Feuert auf die Straße, auf die Straße!«

Als hätten sie woandershin feuern wollen – erneut grinste Neval, zu breit, vielleicht doch ein Nervenzusammenbruch, und richtete die Mündung zur Straße hin aus, wo drei der vier Fahrzeuge in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Eins war unter Siliciumtrümmern zerquetscht, die anderen beiden lagen auf der Seite, aus allen dreien sprangen Gater hervor und richteten ebenfalls sofort Waffen aus. Die Gaußgewehre spien Salven aus Leuchtspurgeschossen. Gelbliches Licht illuminierte die zerstören Formen, zerborsten und rauchend ragten sie an der Straße auf. Neval und Adila eröffneten hinter den Hochbeeten das Feuer. Nur Hartplastik und Erde als Deckung gegen massebeschleunigte Kugeln, wie lange würde das für sie gutgehen?

In einer langen Reihe schossen sie Richtung Straße, Nevals Ohren pulsierten protestierend unter dem Lärm der Schüsse und sandten Schmerzen in ihr Hirn. Sie wusste nicht, ob sie jemanden traf, ob sie jemanden tötete. Sie schoss blindlings, und vor ihr wurde ein Hochbeet nach dem anderen von Schüssen zerwühlt und zerfetzt. Arin schrie auf und wurde zurückgeworfen, ein Geschoss hatte sich in seine Brust gegraben, die leuchtende Spur war bereits verloschen und ließ ein grelles Nachbild zurück, in dem Arin als bloßer Schemen zusammenbrach. Leron und zwei andere zogen ihn eine Hochbeetzeile weiter zurück in Deckung. Dort keuchte schon jemand den Schmerz einer Verletzung heraus, aber Arin war still.

Neval schrie gegen den Schmerz in ihren Ohren an, und dann packte jemand sie an der Schulter und brüllte: »Zurück, zurück!« Adila riss sie rückwärts.

Oder die Explosion warf sie zurück, Neval wusste es nicht genau. Sie flog kurz durch die Luft, doch es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Fetzen der Plane, Splitter der Verschalung, Brocken Muttererde und zerbrechliche Pflänzchen wirbelten durch die Luft, von etwa Größerem als Schüssen getroffen – einer Granate?

Sie sah in den Himmel, sah vor dem grünlichen Glanz des Gasriesen die Brocken über sich hinwegschweben. Wie in Zeitlupe. Wie in einem Action-Vid.

Doch mit einem Mal prallte sie hart gegen das nächste Hochbeet und die Trümmer hagelten auf sie herab. Adila kniete über ihr.

»Neval! Neval!« Sie sah, wie Adila die Worte formte, doch sie hörte sie kaum. Es fiepte in ihren Ohren.

Sie nickte, doch ihr Nacken schmerzte.

Vielleicht bin ich tot und weiß es noch nicht?

Adila zerrte sie weiter, und Neval wurde schwarz vor Augen.

Dann kam sie inmitten um sich schießender Menschen wieder zu sich, sie sah an den sie umstehenden Beinen hoch in den Himmel.

Sie war dadurch vielleicht die erste, die es sah.

Über der Hügelkette schwenkten die Bomber in eine sanfte Kurve, um sich vom Gebiet zu entfernen.

Drei Bomber jedoch flogen einen engen Bogen und kehrten zurück.

Neval sah sie vor dem grünen Leuchten von Valoun.

Sie hob eine Hand.

»W-was«, flüsterte sie, aber die anderen hörten nicht, deckten die angreifenden – verteidigenden? – Gater mit Dauerfeuer ein.

Die Bomber wurden größer und größer, als sie in Windeseile näherkamen und niedriger sanken.

»Da!«, brachte Neval hervor, sie hörte ihre eigene Stimme nur dumpf, und mehr Wörter kamen ihr nicht über die Lippen. Niemand hörte auf sie, Schüsse peitschten, Leute auf beiden Seiten schrien – und dann lösten sich die Bomben aus dem Bauch der Konzernflieger, in grausamer Regelmäßigkeit, eine nach der anderen, dutzende kleine Dinger, von hier unten sahen sie aus wie Spielbälle.

Wie Satzzeichen, dachte Neval. Punkt, Punkt, Punkt …

Als die erste Bombe einschlug, kam der Blitz zuerst an, nur Sekunden danach der zweite, dann der dritte, und dann die Schallwelle der ersten Detonation, bis alles nur noch Chaos aus herabfahrenden Satzzeichen war, die alles Gesagte zerhackten, als wollten sie lediglich Regeln befolgen.

Die Schreie um sie herum steigerten sich zu Panik auf beiden Seiten. Die Erschütterungen, der Lärm, die Hitze. Ein Hochbeet zerbarst, Neval spürte fingerlange Polymersplitter zwischen ihre Rippen dringen, und dann war alles Hitze und Schmerz und Schwärze.

Ace in Space

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