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2. Der Sprung ins Ungewisse – Beginn des zweiten Lebens
ОглавлениеNach meiner Ankunft im Spital meldete ich mich gleich bei der Pflegedienstleitung, welche mich sehr herzlich begrüßte. Ich bekam im naheliegenden Wohnheim für Angestellte ein kleines 1-Zimmer-Appartement zugewiesen und auch die ersten Informationen bezüglich Dienstplan, Arbeitsantritt für den nächsten Tag. Dann war ich erst einmal entlassen.
Zu tun hatte ich für diesen Tag noch genug, Auto auspacken, meinen Kram einräumen und auch noch ein bisschen was zu essen kaufen. Gesagt, getan. Und schon war es Abend. Ach ja, nicht vergessen, Zeit umstellen, damit ich am nächsten Morgen pünktlich zur Arbeit erscheinen konnte. Damals hatte die Schweiz noch nicht die Sommerzeit eingeführt. Langsam wurde ich auch müde, es war ein langer, anstrengender Tag mit vielen neuen Eindrücken. Aber ich war auch nervös, was würde mich morgen erwarten?
Der erste Tag.
Wie sich herausstellte, war ich nicht die einzige Neue, die am 1. Juni diesen Jahres hier zu arbeiten anfangen sollte. Aber ich war die einzige Deutsche! Demzufolge wurde der Einführungsvortrag natürlich nicht auf Hochdeutsch, sondern im Schweizer Dialekt gehalten. Also, ich verstand kein einziges Wort. Diese Sprache, obwohl nur ein Dialekt, schien mir einfach nur lustig, etwas für Leute, die permanent unter einer Halsentzündung litten. Es war schon komisch, in einem fremden Land zu sein, niemanden zu kennen und dann die Sprache nicht zu verstehen. Aber ich war guter Dinge, dass sich das schnell ändern würde.
Wir bekamen das Spital gezeigt, vom Dach bis zum Keller und unsere Dienstausweise ausgehändigt, mit denen wir auch billig an der spitaleigenen Tankstelle tanken durften.
Die Personalumkleiden, die Cafeteria, die OP-Räume, alles in einem exklusiven Zustand, so etwas hatte ich in Deutschland noch nie gesehen. Das ganze Spital wirkte tatsächlich mehr wie ein Hotel denn ein Krankenhaus.
Im Laufe dieses Tages hatte ich mich ein wenig mit einer anderen neuen Krankenschwester angefreundet, sie gab sich Mühe, mit mir Deutsch zu sprechen, und wir beschlossen, nach diesem Einführungstag gemeinsam noch etwas zu unternehmen.
Da sie auch fremd hier war, sie kam aus Bern, wollten wir uns in der Stadt ein wenig umschauen und dann gemütlich essen gehen.
Ich erfuhr, dass sie für den nächsten Tag auf der Chirurgischen Abteilung zum Frühdienst eingeteilt war, während ich auf der Wöchnerinnenstation meinem Einsatz entgegenfieberte.
Wir hatten einen amüsanten Abend, ich schüttelte mich häufig vor Lachen, weil ich mit dieser Sprache meine liebe Not hatte. Woher sollte ich wissen, dass „go poschte“ nichts mit der „Post“ zu tun hatte, sondern einfach nur „einkaufen“ hieß? Aber auch nur hier im Kanton Aargau. Ein paar Kilometer weiter, im Kanton Basel, sagte man „kommisione mache“.
Am nächsten Morgen stand ich pünktlich um 7.00 Uhr auf Station. Wie auch die nächsten Tage bemühte ich mich, mir alles rund um den Tagesablauf zu merken. Das war für mich nicht immer einfach, da ich mit der Sprache Probleme hatte, die Medikamente nicht kannte, kurz, ich kam mir völlig hilflos und dumm vor.
Zu allem Übel machte ich auch gleich am zweiten Tag die Erfahrung, dass man als Deutscher in der Schweiz nur ein „cheibe Düütsche“ war. Ich wollte einer Patientin beim Aufstehen behilflich sein und wurde gleich mit „von ener cheibe Düütsche lan ich mich nöt pflege!“ zurechtgestutzt.
Paff ...das war meine erste verbale Ohrfeige und ich bekam eine ganz kleine Vorahnung von dem, was mich hier in Zukunft als Ausländer erwarten würde. Und was lernte ich daraus? Richtig! Schwyzer Düütsch! So sog ich denn begierig die neue Sprache in mich rein.
Ich lernte, dass ein „Buschi“ ein Baby ist. Dass man dem Buschi einen Schoppen gibt – Schoppen? Also dort, wo ich herkam, war das ein Viertel Wein; nein, hier war das eine Flasche Milch. Ha, ha. Und „de Hafe go hole“ heißt auf Deutsch „den Topf holen“. Ein „Iklemmts“ oder „Chanape“ stellte sich als belegtes Brötchen heraus. Und „znüni“ ist die Frühstückspause. Eine „Stange“ ist ein Glas Bier. Ich weiß nicht mehr, wie oft mir in der Anfangszeit vor Lachen das Make-up verflossen ist, aber ich habe diese Sprache gelernt! Zwar mit Akzent, aber ich konnte perfekt auch ohne Halsweh „Chäsküechli“ und „Chuchichäschtli“ sagen.
Ansonsten waren eigentlich alle Schwestern und Ärzte auf der Station sehr nett. Das Arbeiten machte richtig viel Spaß, es war tatsächlich nicht so hektisch wie in Deutschland, nein, hier gab es genug Personal und man arbeitete langsamer und in Ruhe. So wie Schweizer eben sind.
Nur mit dem „neue Freunde finden“ hatte ich ein Problem. Als echtes „Määnzer Mädche“ war ich sehr aufgeschlossen und kontaktfreudig. Diese Eigenschaften teilten die Schweizer nicht unbedingt mit mir. Alle waren nett, aber auch nicht mehr. Man kam als Ausländer nicht näher an sie heran. Sie ließen keine „Usländer“ in ihre Kreise. Das sollte sich auch während meiner 16 Jahre in diesem Land leider auch nicht ändern.
Ich lernte Mary kennen. Sie war Schottin und arbeitete als Hebamme im Gebärsaal. Wir freundeten uns an und unternahmen ab und zu etwas gemeinsam. Manchmal schloss sich auch ihr Mann Charles an und zu dritt hatten wir viel Spaß, zumal beide nicht richtig Deutsch konnten und meine Englisch/Schottisch-Kenntnisse auch nicht perfekt waren. Aber durch die beiden wurde ich in die Geheimnisse des Whiskys eingeführt, Malt-Whisky und so weiter …. Ihr wisst schon.
Eines Tages stand dann, ohne dass wir Schwestern auf unserer Station darüber informiert worden wären, eine neue Kollegin mit der Pflegedienstleitung zum Frühdienst parat. Es wurde nur kurz mitgeteilt, dass sie ein polnischer Flüchtling mit wenig Deutschkenntnissen sei und wohl auch in ihrem Heimatland als Krankenschwester gearbeitet hatte. Wir sollten uns um sie kümmern und schauen, wie weit sie einsetzbar und arbeitsfähig sei.
Alles klar, nur, in welcher Sprache? Helena, so war ihr Name, konnte tatsächlich so gut wie kein Deutsch und verstand von Wochenbettpflege gemäss Schweizer Niveau etwa so viel wie ein Metzger vom Kuchen backen.
Trotzdem freundeten wir uns an. Mit Händen und Füßen erzählte sie von ihrer Heimat, ihren Freunden, ihrem Mann Lukasz, von ihrer Flucht aus Polen und dass sie jetzt darauf warteten, den Status eines anerkannten Flüchtlings hier in der Schweiz zu bekommen.
Im Laufe der nächsten Wochen lernte Helena schnell, auch durch meine Mithilfe, mit der deutschen Sprache halbwegs klarzukommen und beim Arbeiten ihre Krankenpflegekenntnisse einzubringen.
An einem grauenhaften Samstagnachmittag im August, es war der 16., es regnete in Strömen und ich war müde vom Frühdienst, bat Helena mich, nachdem wir uns umgezogen hatten, mit den Worten „Du hier warten auf mein Mann, du nix vorhaben heute?“ noch mit in die Cafeteria zu kommen. Ich wusste zwar nicht, worum es ging und was das sollte, aber da ich nichts vorhatte und ein einsamer Abend in meinem kleinen Appartement auch nicht unbedingt reizvoll war, stapfte ich ihr tapfer hinter her.
So lernte ich Lukasz kennen, Helenas Mann. Ein Bär von einem Mann! Circa 185 cm groß, fast genauso breit, Vollbart und ein lustiges Lachen. Deutschkenntnisse, na ja, etwas besser als die von Helena, schließlich käme er aus Schlesien, dort spräche man noch ein bisschen Deutsch, erklärte er mir. Die beiden luden mich auf eine Party bei einem Freund ein, damit ich nicht einsam sein müsse. Wir müssten jetzt nur noch auf einen anderen Freund warten, der sich auf Parkplatzsuche befand.
Das hieß, noch schnell eine Zigarette rauchen und einen Kaffee trinken, um die Lebensgeister zu wecken. Und dann Party!
Zwar hatte ich keine Ahnung, wie, wo und in welcher Sprache – logischerweise hatte ich in Polnisch noch weniger Kenntnisse als eine Kuh in Englisch – aber egal, es würde schon irgendwie gehen, Hauptsache nicht allein im Zimmer hocken.
Auf einmal gab es einen Schlag, Blitz, Donner, Erdbeben!
Mir wurde Bartek vorgestellt!
Schicksal!
Bartek war der ehemalige Verlobte von Helena und mittlerweile gut mit ihr und ihrem Mann befreundet.
Nun sollten wir uns gemeinsam aufmachen und mit dem Auto zu einem anderen Freund fahren, der die Party organisiert hatte. So weit, so gut. Ich lernte noch Jazek und Margareta kennen, Jazek war Helenas Cousin und, wie alle anderen auch, in der Warteschleife, um politisches Asyl in der Schweiz zu bekommen.
Es wurde ein feucht-fröhlicher Abend, obwohl ich kein Wort verstand. Lukasz versuchte, mir auf Polnisch das Fluchen beizubringen und nach einigen Wodkas klappte das dann auch ganz gut. Und doch war Bartek der Einzige, der sich Mühe gab, eine Unterhaltung auf Deutsch mit mir zu führen. Ich war sehr dankbar dafür, denn sonst hätte ich mich schon ein bisschen verloren gefühlt. Wir verstanden uns auch prächtig, soweit man das mangels Sprachkenntnissen sagen kann. Unter viel Gelächter, mit Händen und Füßen, schilderten wir uns in Kurzfassung unsere Lebensläufe.
Irgendwann in der darauffolgenden Woche muss es dann passiert sein: Irgendwie instinktiv wusste ich, ich wollte Bartek heiraten. Warum? Wieso? Keine Ahnung. Ich wusste einfach, dass er der Richtige war. Ich war 23 Jahre alt, ich war nicht schwanger, ich konnte kein Polnisch, Bartek konnte kaum Deutsch, Wahnsinn, verrückt; wir kannten uns erst ein paar Tage. Trotzdem.
Am darauf folgenden Wochenende bekam ich zum ersten Mal Besuch aus der alten Heimat. Andy und Lisa, die ich durch meine Freundin Cora kennengelernt hatte, meldeten sich an. Ich freute mich riesig auf die beiden und hoffte, mit ihnen über meine Gefühle zu Bartek sprechen zu können. Andy und Lisa hatten auch erst kürzlich geheiratet; allerdings kannten sie sich schon eine Ewigkeit.
Nach ihrer Ankunft am Freitag und dem Pläneschmieden für das gemeinsame Wochenende wurde das Thema Heiraten auch ausführlich diskutiert.
Egal wie lang man sich kennt, ob man heiratet oder nur zusammen lebt; für eine Ehe oder Beziehung gibt es keine Garantie. Also spielt es auch keine Rolle, ob man nach drei Jahren oder nach drei Monaten heiratet. Mit dieser Erkenntnis konnte ich nun leben und diesen Entschluss feierten wir natürlich gebührend.
Am nächsten Morgen gesellte sich Bartek zu uns und wir beschlossen, einen Wochenendtrip nach Davos und St. Moritz zu machen. Es wurde ein wunderschönes Wochenende, wir vier genossen das schöne Wetter und die fantastische Landschaft der Schweiz. Und irgendwann, zwischen irgendwelchen Bergen, ich weiß noch genau, als ob es erst gestern gewesen wäre, wir fuhren mit einer Seilbahn auf irgendeinen Gipfel, da passierte es: Bartek machte mir einen Heiratsantrag. Ihr könnt es glauben oder nicht: Wir kannten uns gerade mal eine Woche! Und ja, ich sagte „Ja“.
Meine Güte, so rückblickend würde ich meinen, dass das ganz schön mutig war. Egal, ich wollte es und ich habe es mein Leben lang nicht bereut.
Andy und Lisa waren völlig aus dem Häuschen, als sie das mitbekamen. Aber sie waren begeistert, da sie sich trotz Sprachproblemen mit Bartek sehr gut verstanden.
Damals konnte ich nicht ahnen, dass dieses Wochenende unter anderem der Beginn einer lebenslangen, wunderbaren Freundschaft werden sollte.
Um den Antrag gebührend zu feiern, kauften wir später in einem der nächsten Dörfer ein paar Flaschen Bier und suchten uns einen schönen Parkplatz. Diesen wollten wir auch zum Übernachten benutzen, da wir alle nicht genug Geld hatten, um eines dieser teuren Hotels zu bezahlen. Es wurde eine feucht-fröhliche Feier – zu viert in einem kleinen Auto. Schlafen, na ja, Lisa und ich auf der Rückbank und Andy und Bartek auf den Vordersitzen. Aber was soll’s, wenn man jung ist, übersteht man auch eine solche Nacht.
Nach diesem ereignisreichen Wochenende stand ich nun vor der schwierigen Aufgabe, meine Familie von meiner bevorstehenden Hochzeit zu informieren. Dass mein Vater mich am liebsten geteert, gefedert oder gevierteilt hätte, steht außer Frage.
Die Vermutung von meiner „Schwangerschaft“, wieso sollte ich auch sonst heiraten wollen, stand ganz klar im Raum.
Mein Bruder Paul ging auf die Barrikaden, angestachelt auch von meinem Vater. Hera, die Frau meines Vaters, mit der ich mich eigentlich bis dahin immer gut verstanden hatte, ging sogar so weit, bei Andy und Lisa anzurufen, um Informationen über meinen Verlobten einzuholen.
Ein Hoch auf die liebe Familie!
Die Einzigen, die zu mir standen, waren meine Schwester Erika und Pauls Frau Dorothea. Sie versuchten zu vermitteln, schließlich sei ich mit 23 Jahren alt genug, um solch eine Entscheidung zu treffen. Doch auch sie hatten keinen Erfolg mit ihren Bemühungen, im Gegenteil, die
beiden riskierten durch ihre Einmischung und Fürsprachen einen handfesten Ehekrach mit ihren Ehepartnern.
Zum Davonlaufen, denn eigentlich wollte ich mich mit meiner Familie doch nicht überwerfen.
Im Oktober fuhr ich nach Mainz, denn ich benötigte für meine Heirat jede Menge Papiere: Ehefähigkeitszeugnis, Führungszeugnis, Geburtsurkunde.
Anschließend der schwere Gang in die Eifel zu meinem Vater.
Es war die Hölle. Wie ich es wagen konnte, jemanden zu heiraten, den ich kaum kannte, nicht zu reden vom Rest der Familie! Und dann noch einen Ausländer, einen Polen! Ob ich denn vergessen hätte, wo ich herkäme, den Zweiten Weltkrieg ... Schließlich seien meine Eltern ja von dort vertrieben worden!
Das Gerücht von meiner Schwangerschaft hielt sich weiter, mindestens die nächsten neun Monate noch.
Wie ich Jahre später von Dorothea erfuhr, war mein Vater sogar so weit gegangen, bei Konsulat und Botschaft anzufragen, ob man diese Ehe später annullieren könne.
Ich glaube, es ist unnötig zu erwähnen, dass meine Hochzeit von der gesamten Familie boykottiert wurde.
Mein Vater zog es vor, in den Urlaub nach Teneriffa zu fahren, mein Bruder verbot seiner Frau jeglichen Kontakt zu mir und meine Schwester legte sich eine Blasenentzündung zu.
Toll!
Ich war traurig und tief verletzt. Dieser Tag ist doch ein besonderer im Leben und jeder wünscht sich, sein eigenes Glück mit seiner Familie zu teilen.
Aber Bartek erging es auch nicht anders. Auch seine Familie wollte mit allen Mitteln die Hochzeit verhindern. Schließlich war ich eine Deutsche, war schuld am Zweiten Weltkrieg und noch vieles mehr.
Ein Pole heiratet einfach keine Deutsche. Beide Elternpaare waren sich mit dieser Meinung einig.
Doch Gott sei Dank waren damals die Grenzen noch zu und so konnten auch sie nicht zu unserer Hochzeit kommen.
Rechtzeitig zum 1. Dezember fanden wir auch endlich nach langem Suchen eine schöne große Wohnung für uns beide. Auf Dauer im Wohnheim in einem kleinen Zimmer war eh nicht unser Geschmack.
Bartek fand in einem kleinen Dorf nicht weit vom Spital entfernt eine 3-Zimmer-Wohnung, die er mit dem festen Versprechen zu heiraten, mieten konnte. Damals war das Zusammenleben ohne Trauschein in der Schweiz nicht üblich und wurde demnach von den meisten Vermietern auch nicht geduldet.
Meine Wohnungssuche war zu der Zeit aufgrund meiner Nationalität von Vorneherein zum Scheitern verurteilt. Heute unvorstellbar!
Und dann kam endlich der große Tag. Am 16. Januar 1981 war es dann endlich so weit. Unser Hochzeitstag! Die monatelange Wartezeit, das Suchen der richtigen Papiere, Beglaubigungen vom Notar, es war endlich vorbei.
Wir kannten uns auf den Tag genau fünf Monate.
Es wurde ein rauschendes Fest. Wir feierten von Donnerstag bis Sonntag durch, Freitag heirateten wir.
All unsere Freunde, soweit möglich und in der Schweiz vorhanden, kamen. Lisa und Andy aus Bingen, Cora und Marcus aus Stuttgart und auch meine allerbeste und älteste Freundin Sissi ließ es sich nicht nehmen und reiste mit ihrem Mann Werner aus Mainz an.
Lisa und Jazek waren unsere Trauzeugen.
Zwar heirateten wir nur standesamtlich, das Kirchliche wollten wir auf irgendwann einmal später verschieben, bis unsere Familien sich beruhigt hätten und teilnehmen könnten, trotzdem war es sehr feierlich und irgendwie auch spannend. Es war so weit, stolz setzte ich meinen neuen Namen unter die Trauurkunde. Jetzt hieß ich nicht mehr Christiane Zwengel, sondern Christiane Koslowski.
Unsere Hochzeit war ein klasse Fest. Mal was anderes, nicht in Weiß und ohne Familie.
Bartek und ich vollzogen noch am gleichen Tag unsere Ehe, nachdem wir unser Bett, das von unseren Freunden als „Hochzeitsüberraschung“ versteckt worden war, wiedergefunden und zusammengebaut hatten.
Es war uns beiden bewusst, dass der Tag kommen würde, an dem wir uns gegenseitig unseren Eltern vorstellen mussten, doch wir schoben diese Gedanken erst mal von uns. Wir waren glücklich und wollten uns unter keinen Umständen von unseren Familien auseinanderbringen lassen.
Als nächstes Ereignis stand dann meine Kündigung im Spital bevor. Ich litt unter der Diskriminierung als Ausländerin und wollte nur weg. Der Kanton, in welchem wir lebten, war damals als besonders ausländerunfreundlich bekannt und somit war mein Ziel die Stadt Basel.
Durch meine Heirat mit einem Asylanten war es mir auch möglich, mein auf ein Jahr befristetes Arbeitsverhältnis vorzeitig aufzulösen, ohne Angst zu haben, Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung zu verlieren.
Nach einigem Suchen wurde ich schließlich fündig. Ein Spital mit einer speziellen Onkologiestation bat mich zum Vorstellungsgespräch.
Ich hatte zwar damals relativ wenig Ahnung von Onkologie; während unserer Ausbildung war dieses Spezialgebiet in der Kinderkrankenpflege zwar kurz umrissen worden, doch hatte ich von Onkologie in der Erwachsenenkrankenpflege so gut wie keine Ahnung, aber unbekümmert, optimistisch und hochmotiviert war mir das egal.
Also, neues Spiel, neues Glück.
Am 1. März sollte ich meine neue Stelle antreten.
Aber zunächst kamen die wichtigsten Tage im Jahr eines Mainzers: die Fastnachtstage. Die konnten trotz frischer Ehe nicht ohne mich stattfinden. Bartek wollte nicht mit, das sei nichts für ihn, aber ich könne getrost alleine fahren und feiern. Er vertraute mir, dass ich die tollen Tage nicht zum Fremdgehen ausnutzen würde. Das hatte ich auch nicht vor, ich war frisch verliebt und verheiratet.
Ich wollte nur feiern und Spaß haben, aber ich wollte auch endgültig mit Wolfgang abschließen. Ich musste für mich selbst sicher sein, dass dieses Kapitel für mich endgültig erledigt war.
Dass es so war, diese Erkenntnis bekam ich bei einem Besuch bei ihm zu Hause. Für mich war es vorbei. Allerdings nicht für ihn. Er war durch meine Mitteilung, ich wolle heiraten, furchtbar überrascht worden und konnte einfach nicht glauben, dass ich diesen Schritt ohne Schwangerschaft tun wollte.
Als ich dann nach einem langen Gespräch endlich gehen wollte, bat er mich für alles, was er mir angetan hatte um Verzeihung und auch darum, zu ihm zurückzukehren.
Tja, mein Lieber, das hättest du dir früher überlegen sollen. Jetzt war es zu spät.
Ich verlebte anschließend noch wunderbare Tage in Mainz, Feiern ohne Ende mit meinen Freunden bis Aschermittwoch.
So wie auch die darauf folgenden Jahre kehrte ich krank – ich erkältete mich fürchterlich und litt auch unter dem Verlust meiner Stimme -, aber glücklich und ausgepowert nach Hause zurück.
Von Barteks polnischen Freunden wurde ich als seine Frau auch recht gut aufgenommen – so dachte ich zumindest viele, viele Jahre lang – und mit den Sitten und Gebräuchen ihrer Heimat vertraut gemacht. Wir feierten ständig irgendwelche Partys, tranken literweise Wodka; der einzige Wermutstropfen waren meine nicht vorhandenen Sprachkenntnisse.
Deutsch sprach, mit wenigen Ausnahmen, niemand mit mir. Also musste ich notgedrungen irgendwie versuchen, Polnisch zu lernen. Sprachschulen gab es keine, welche Möglichkeiten hatte ich also noch? Tja, selbst ist die Frau, learning by doing. Für uns Deutsche kein leichtes Unterfangen. Zuerst einmal musste ich lernen, einzelne Wörter zu unterscheiden. Am Anfang hört sich ein polnischer Satz wie ein einziges Wort an. Man hört das Ende eines Wortes nicht. Und dann kommt das Sprachtempo dazu. Das ist so ähnlich wie „Bahnhof, Koffer klauen und Zug ist weg“. Ihr versteht, was ich meine? Katastrophe pur!
Ich nahm mir Barteks Deutschbücher, die Deutsch-Polnisch aufgebaut waren, und versuchte damit zu lernen. Aufgrund meines recht guten Sprachgehörs konnte ich auch irgendwann einzelne Worte verstehen und selbst Sätze bilden. Allgemeines Gelächter entmutigte mich schon hin und wieder, doch eines Tages viele Monate später, hatte ich die Schnauze voll und ich war es leid, mich ständig wegen meiner Aussprache und fehlender Grammatikkenntnisse zum Gespött zu machen. „Ich muss hier in der Schweiz kein Polnisch mit euch sprechen können, aber ihr müsst alle Deutsch lernen, wenn ihr hier leben wollt. Ich tue das nur euch zuliebe. Wenn ihr alle in der Relation so gut Deutsch reden könntet wie ich Polnisch, dann hätte keiner mehr was zu lachen und wir könnten uns problemlos unterhalten!“
Es hat sich nie wieder jemand über meine Sprachkenntnisse beschwert. Und im Laufe der Jahre lernte ich, auf Polnisch eine normale Konversation zu führen; die Grammatik lassen wir mal außen vor, die ist irre schwer.
Über Ostern fuhren wir in die Eifel, um meinen Vater zu besuchen.
Wer von uns beiden mehr Angst hatte, weiß ich nicht mehr. Aber da mussten wir durch.
Zur allgemeinen Überraschung verstanden sich Bartek und mein Vater auf Anhieb sehr gut. Bartek hatte eine Art, jeden von sich einzunehmen. Man musste sich einfach mit ihm verstehen. Er überrumpelte meinen Herrn Papa bei der Begrüßung gleich mit den Worten: „Hallo Vati, ich freue mich, hier zu sein“. Meinem Vater wurde somit gleich der Wind aus den Segeln genommen und nach ein paar Schnäpschen und mehreren prüfenden Blicken auf meinen nicht vorhandenen Bauch wurde eine lebenslange Freundschaft besiegelt.
So, dieses Problem war also Vergangenheit, die erste Hürde überwunden und meinen Bruder, dessen Meinung mir immer sehr wichtig war, würde ich auch noch beschwichtigen können.
Im Laufe des kommenden Sommers wollte ich meinen Mann dann noch mit meiner restlichen Familie bekannt machen. Wir besuchten meine Kusine und ihren Mann in München. Und da alle Bayern bekanntlich äußerst trinkfest sind, konnte Bartek sich auch dort sogleich gut in diesen Teil der Familie integrieren.
Der Besuch bei meinem Bruder Paul stand als Nächstes auf dem Programm. Vor ihm hatte ich noch mehr Schiss als vor meinem Vater. Ich liebte meinen Bruder wirklich von ganzem Herzen und wir verstanden uns immer sehr gut, trotzdem behandelte er mich sehr lange noch wie ein kleines Kind – o.k., er war schließlich doch 11 Jahre älter als ich -, und somit war er für mich auch so etwas wie eine Autoritätsperson. Aber auch diese Runde ging an Bartek, er eroberte erst Dorotheas Herz und nach einiger Zeit und vielen Gläsern Wodka wurden er und Paul doch Freunde fürs Leben. Irgendwann stellte ich meinen Mann auch meiner Schwester Erika vor und wie hätte es anders sein können, sie verstanden sich prächtig.
Blieb nur noch Barteks Familie übrig. Nicht in 1.000 Jahren konnte ich damals ahnen, welch schreckliche Last, welches Horrorszenario am Ende auf mich zukommen sollte. Heute bin ich schlauer, zu spät!
Auf der Onkologiestation in Basel hatte ich mich mittlerweile auch gut eingelebt. Die Arbeit machte sehr viel Spaß. Das Personal war anders als im Kanton Aargau. Es gab wesentlich mehr ausländische Kollegen und auch die Patienten waren netter und Deutschen gegenüber zugänglicher. Und wieder lernte ich neue Schweizer Worte kennen. Ging man im Aargau zum Frühstück, sagte man zum „znüni“, in Basel hieß es auf einmal „zmörgele“. Witzige Sprache.
Da Helena sich in dem Spital, in dem ich vorher gearbeitet hatte, auch nicht so recht wohlfühlte, konnte ich ihr in Basel auch zu einem neuen Arbeitsplatz verhelfen.
So ging der Sommer ins Land, der Herbst zog ein. Und mit ihm meine Schwiegereltern. Leider bekamen sie eine Ausreisebewilligung für einen 6-wöchigen Besuch bei uns. Es heißt immer, Mädchen verstehen sich nicht mit ihren Schwiegermüttern. Nun gut, ich wollte mit diesem „alten Zopf“ brechen und nahm mir vor, die liebe Schwiegertochter zu sein. Mir war allerdings nicht bewusst, wie lange sechs Wochen sein können.
Mein Schwiegervater war klasse, er trank gern seinen Wodka und gab sich viel Mühe, Konversation mit mir zu machen. Und es war ihm völlig egal, wie schlecht mein Polnisch war. Der gute Wille war da und das zählte schließlich. Er war ein lustiger und fröhlicher Zeitgenosse.
Meine Schwiegermutter? Ein Jammerlappen. Immer schlich sie auf leisen Sohlen durch die Gegend und mehr als einmal erschrak ich mich fürchterlich, als sie plötzlich hinter mir stand. Sie lief nur mit jammervollem Gesicht herum, brach bei jeder Gelegenheit in Tränen aus und konnte nicht verstehen, dass ich ihre Sprache nicht verstand. Auch verwöhnte ich ihren „Jungen“ nicht genug und erlaubte mir auch noch, nach einem anstrengenden Arbeitstag müde zu sein.
Naja, wie ich später erfahren habe, konnte sie mich nicht leiden (ich sie aber auch nicht), außerdem war ich sowieso nicht die richtige Frau für ihren „Bartusz“.
Ich muss noch schnell hinzufügen, dass damals alle polnischen Besucher der Meinung waren, die Schweiz sei das Land, in dem Milch und Honig in Litern flossen. Außerdem, der Bancomat gab immer was her. Und wir alle hatten supertolle, große Wohnungen, Farbfernseher, Auto usw. Alles Dinge, die es in Polen damals nicht gab. Also gingen all die lieben Besucher davon aus, dass wir Geld im Überfluss hatten. Sie konnten und wollten nicht verstehen, dass wir fast alle riesige Kredite aufgenommen hatten, um unsere Wohnungen einzurichten. Und diese mussten zurückgezahlt werden. Ach ja, und Steuern mussten wir natürlich auch zahlen.
Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass somit ein Schwiegerelternbesuch von 6 Wochen auch an unserem Geldbeutel nagte. Ich verdiente zwar sehr gut als Krankenschwester, doch mein neues Auto (ein neuer Golf, auf den ich mächtig stolz war) musste auch irgendwie abbezahlt werden. Bartek, der in Polen den Abschluss als Elektrofachingenieur gemacht hatte, arbeitete hier bei einer Firma mangels Sprachkenntnisse nur als einfacher Arbeiter.
Meine liebe Schwiegermutter hat das nie begriffen. Sie kaufte auf unsere Kosten ein, als ginge es ums Überleben. Bartek traute sich nicht, sie zu bremsen, schließlich war sie seine Mutter. Er stöhnte mir nur immer die Ohren voll.
Somit war gegen Ende des Besuchs meine Laune verständlicherweise denn auch grenzwertig. Wir stritten nur noch miteinander und ich konnte meine Wut und meinen Zorn vor meinen Schwiegereltern kaum noch zügeln. Demzufolge lief die Schwiegermutter nur noch heulend in der Gegend rum, denn sie konnte ja nicht verstehen, was ich sagte und warum ich sauer war.
Wären damals meine Freunde Charles und Mary nicht gewesen, ich glaube, ich hätte mich von Bartek getrennt oder meiner Schwiegermutter den Hals herumgedreht.
Gott sei Dank gingen auch diese schrecklichen Wochen endlich zu Ende und ich konnte die Fahrt zum Zürcher Flughafen kaum erwarten. Somit gab ich mir wieder ein bisschen Mühe, meine liebenswürdige und freundliche Seite in dieser Schlussphase zum Ausdruck zu bringen.
So gut gelaunt gestimmt steuerten wir denn auch dem Check-In-Schalter entgegen. Doch wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Abflugdatum stimmte nicht mit dem jenes Tages überein. Nein, sie hatten den Flug nicht verpasst; im Gegenteil, wir waren zwei Tage zu früh am Flughafen! Das hieß im Klartext, Bartek und ich mussten die zwei wieder mit nach Hause nehmen und noch mal zwei Tage ertragen.
Ich probte den Zwergenaufstand! Wurde fast hysterisch! Aber den Flug umzubuchen kam natürlich aus finanziellen Gründen ebenso wenig in Frage, wie die zwei in ein Hotel zu stecken. Das hieß also, in den sauren Apfel beißen, wieder nach Hause fahren und in zwei Tagen nochmals antraben.
Heute weiß ich nicht mehr, wie ich die zusätzlichen Tage überstanden habe. Vermutlich bin ich zu Charles und Mary geflüchtet. Doch alles hat irgendwann mal ein Ende und beim zweiten Anlauf klappte das mit dem Flug dann auch tatsächlich.
Bartek und ich waren wieder allein und ich konnte mein nächstes Ziel ansteuern. Ich wollte endlich schwanger werden. Mittlerweile sah meine Familie auch endlich ein, dass ich nicht die Schwangerschaftsdauer eines Elefanten hatte. Also konnte ich diese Sache in Absprache mit meinem Mann in Angriff nehmen.
Gesagt, getan. Pille abgesetzt. Aber schwanger werden war leichter gesagt als getan. Wir übten mittlerweile schon tapfer einige Monate lang, aber nichts passierte. Auf Anraten meines Frauenarztes begann ich, regelmäßig jeden Morgen Temperatur zum Ermitteln des Eisprungs zu messen.
Dieses Protokoll sprach ich denn auch häufig mit meiner Freundin Mary durch, die ja schließlich als Hebamme genügend Erfahrung damit hatte.
Aber es passierte weiterhin nichts. Da ich auch nie eine regelmäßige Periode hatte, konnte mir selbst das sorgsam geführte Protokoll nicht wirklich weiterhelfen.
Damals konnte man einen Schwangerschaftstest nicht wie heute bereits nach zwei überfälligen Tagen machen. Nein, mindestens zwei Wochen Wartezeit musste man einkalkulieren. Selbst dann gab es über eine eventuelle Schwangerschaft noch keine Sicherheit.
Ich glaube, es war kurz vor Weihnachten. Zwei Wochen Wartezeit waren vorbei – wobei das bei meiner unregelmäßigen Periode eigentlich nichts zu sagen hatte. Ich wagte einen erneuten Test und bat das Labor unserer Onkologiestation um Hilfe.
Die Wartezeit bis zum Ergebnis zog sich zwei Stunden hin. Dann endlich, ja, der Test war positiv! Natürlich ohne Gewähr, aber das interessierte mich nicht, das wollte ich nicht wahrhaben. Hurra, ich war endlich schwanger!
Stolz machte ich sofort bei meinem Frauenarzt einen Termin, schließlich wollte ich hundert Prozent sicher sein, bevor ich mich der Welt mitteilte.
Einen Tag später saß ich aufgeregt mit meinem Temperaturprotokoll beim Arzt im Sprechzimmer. Er sah sich dieses in Ruhe an, blickte zu mir und meinte dann mit ernster Miene: „Sie sind nicht schwanger, Sie hatten jetzt und die letzten Monate keinen Eisprung. Eine Schwangerschaft ist demnach völlig ausgeschlossen“.
Ich war platt, das konnte ich nicht glauben, denn irgendwie fühlte ich mich schwanger. Also beschloss ich, noch ein paar Tage abzuwarten und dann mit Mary zu reden. Mary war damals schon eine sehr gute und erfahrene Hebamme. Ich vertraute ihr fast mehr als meinem Arzt und kurz nach Weihnachten erklärte sie sich schließlich nach langem Hin und Her bereit, mich zu untersuchen, obwohl dies in einem frühen Stadium einer Schwangerschaft nicht ganz ungefährlich ist. Es drohte das Risiko einer Fehlgeburt. Ihr Befund viel positiv aus! Ich war wirklich schwanger! Kein Eisprung, aber schwanger! Endlich! Auch Barteks Freude war riesengroß.
Bevor ich jedoch meinem Vater die Botschaft über das fünfte Enkelkind überbringen wollte – meine Schwester hatte bereits drei Kinder mein Bruder Paul eines – rief ich bei Dorothea an. Sie sollte als Erste von unserem Nachwuchs erfahren. Nachdem ich sie also überschwänglich von meiner Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt hatte, kam kurz und knapp lachend ihr Kommentar: „Hey, gratuliere, aber ich bin auch wieder schwanger!“ Was für eine Überraschung! Ich hatte ja nicht gewusst, dass sie und mein Bruder auch am Üben für das zweite Baby waren.
Nun begann für uns also der Wettlauf um die Geburt. Wir hatten fast am gleichen Tag Termin und wir alle waren uns einig, dass es sehr spannend werden würde. Schlussendlich sollte aber ich dieses Rennen gewinnen. Auch mein Vater freute sich und war nun auch restlos davon überzeugt, dass meine Ehe mit Bartek gutgehen würde.
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten, mit denen sich fast alle werdenden Mütter plagen müssen, wie Übelkeit und Heißhunger – ich aß auf einmal für mein Leben gern Marmeladenbrot mit Senf, sauren Heringen und Gurke zum Frühstück –, ging es mir nach den ersten drei Monaten eigentlich recht gut. Mal abgesehen davon, dass ich meinen Mann im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr riechen mochte. Ich konnte sein und auch mein Lieblingsrasierwasser nicht mehr riechen, mir wurde schlecht davon.
Als überaus positiver Aspekt sei zu bemerken, dass ich auch von einem auf den anderen Tag einen Ekel auf meine heißgeliebten Zigaretten bekam. Ja, es ist richtig, bis zum Ende des dritten Monats hatte ich unbekümmert weiter geraucht.
Des Weiteren vergrößerte sich zeitweise auch unsere kleine Familie, wir mussten wieder zusammenrücken, denn Barteks Kusine Brigitta und ihr Mann Tomek waren aus Polen geflüchtet und wir mussten sie aufnehmen. Dies stellte sich allerdings nicht als großes Problem heraus, da beide etwa in unserem Alter waren. Sie konnten außerdem beide etwas Englisch und bemühten sich aufrichtig, uns nicht auf die Nerven zu gehen.
Nach zwei oder drei Monaten war auch dieser Spuk vorbei, die beiden fanden aufgrund ihrer sehr guten Ausbildung schnell Arbeit und auch eine kleine Wohnung in unserer Nähe.
Meine Schwangerschaft nahm ihren Lauf. Zwischenzeitlich musste ich noch einen Abstecher nach Mainz machen, denn es war mal wieder Fastnacht und die durfte trotz Schwangerschaft nicht ohne mich stattfinden.
Danach lief erst einmal alles normal weiter. Ich arbeitete weiter und wir begannen, fleißig unser Kinderzimmer einzurichten.
Ab der 20. Schwangerschaftswoche fingen meine Probleme an. Ich bekam Frühwehen und durfte nicht mehr arbeiten. Ab sofort sollte ich das Sofa hüten und viel liegen. Na toll, und das mir, die ich doch immer so hibbelig war. Ruhig liegen und nichts tun war nun wirklich nicht mein Ding. Für mich bedeutete eine Schwangerschaft doch keine Krankheit. Aber mir blieb nichts anderes übrig, wollte ich doch unser Baby nicht gefährden. Da zu dieser Zeit gerade die Fußball-Weltmeisterschaft stattfand, kaufte Bartek für mich einen Videorekorder, damit ich die Spiele, die ich nicht live sehen konnte, auf Video aufnehmen und später anschauen konnte.
Also hatte ich wenigstens für ein paar Wochen Abwechslung. Danach hatten sich die Wehen wieder etwas beruhigt und ich durfte das Sofa verlassen, aber nicht mehr arbeiten gehen.
Die Rumhockerei zu Hause hatte den wesentlichen Nachteil, dass ich essenstechnisch alles Mögliche in mich hineinstopfte. Irgendwie war meine Satt-sein-Grenze etwas verwischt und im Laufe der Monate ging ich auseinander wie ein Hefekuchen. So Ende siebten Monats war ich kugelrund wie eine Tonne. Bartek neckte mich ständig: „Über dich drüber zu springen ist einfacher, als um dich herumzulaufen.“
Zugegeben, ein ganz klein wenig beleidigt war ich ja schon. Allerdings hatte ich Bartek gegenüber den großen Vorteil, dass ich nach der Geburt einen Teil meines Gewichts verlieren würde. Er dagegen, der aus lauter Sympathie auch einiges an Kilos zugelegt hatte, würde diese wohl nicht so schnell wieder loswerden.
Der Geburtstermin rückte immer näher. Dorothea und ich telefonierten fast täglich um zu prüfen, wer wohl als Erster den langersehnten Nachwuchs zur Welt bringen würde.
Aber nichts geschah.
Mary kam fast täglich vorbei, um mich zu untersuchen und zu schauen, ob alles noch in Ordnung sei. Ich war sehr froh zu wissen, dass sie die Geburt leiten würde.
Bartek ließ sich von meiner Nervosität anstecken und erklärte sich nach monatelanger Diskussion auch dazu bereit, mir bei der Geburt beizustehen. Ein Fehler übrigens, Mädels, nehmt eure Männer nicht mit zur Geburt, es sei denn ihr habt einen „Frauenversteher“ zum Mann.
Dann war es eines Nachts doch endlich so weit. Blasensprung, ab ins Krankenhaus, aber keine Wehen.
Ich bekam ein leichtes Schlafmittel gespritzt und sollte mich entspannen. Es könne noch Stunden dauern und später müsse ich fit für die Geburt sein. Bartek wurde heimgeschickt und da lag ich nun, Kreuzschmerzen ohne Ende. Ich war überzeugt, mir würde der Rücken auseinanderbrechen.
Auf einmal ging alles ganz schnell. Eine Hebamme untersuchte mich und stellte fest, dass die Geburt nun zügig losging.
Ich hatte wohl meine Wehen im Rücken und nicht im Bauch gehabt. Die wochenlange Schwangerschaftsgymnastik war also umsonst gewesen.
Schnell wurde Mary informiert und Bartek kam auch kurze Zeit später wieder zurück.
So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Ich fluchte und tobte, ich verdammte die ganze Welt. Ich wollte nach Hause, schwor mir, nie wieder Sex haben zu wollen, schimpfte meinen Mann einen Hurensohn, weil er mir immerzu sagte, ich solle mich nicht so anstellen, so schlimm könne eine Geburt ja wohl nicht sein.
Männer! Ich hätte ihn umbringen können.
Dank meiner wunderbaren Mary hatte ich es nach zwei Stunden – es kam mir viel länger vor – doch endlich geschafft.
Michelle war da!