Читать книгу Julia im Liebestaumel - Christina Brand - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеInzwischen war es später Nachmittag geworden und Julia erhob sich, um zurückzufahren. Der Verkehr war noch dichter geworden, alles drängte aus der Stadt. Julia nahm eine Abkürzung und fuhr über zwei kleinere Ortschaften, bis sie wieder auf der Straße landete, von wo aus sie in kürzester Zeit ihr Haus erreichte. Sie parkte ihren Wagen, lud die Sachen auf ihren Arm und stieg den Hang hinauf. Auf der anderen Seite erblickte sie Frau Morandi im Garten, die ihr zuwinkte. Julia grüßte fröhlich zurück und begab sich in ihre Wohnung. Der Besuch bei Raffaela hatte ihr gut getan und ließ die Sorgen um Frank ein wenig zurücktreten. Auch wunderte sie, dass sie kaum noch an Florian dachte. Es war doch gut, einmal in einer anderen Umgebung zu sein und sie bereute es keinen Moment, dass sie hierher gereist war. Vielleicht würde sie morgen wieder anfangen zu malen. Ihre Staffelei und alle Utensilien mussten in der Abstellkammer stehen und das Fehlende könnte sie dann noch besorgen.
Julia drehte das Radio an, zog ihre Schuhe aus, setzte sich auf die Couch und ließ sich von der einschmeichelnden Musik zum Träumen verleiten. Woher kannte sie die Melodie? Sie war ihr so vertraut. Und die Erinnerung kam, es muss eine Ewigkeit her sein. Es war damals unten in der Stadt in dem Tanzcafé, wo sie eng umschlungen mit Frank die ganze Nacht hindurch getanzt hatte… Sie verspürte plötzlich ein bisschen Wehmut. Jugendträume, dachte Julia. Klar waren sie damals ein bisschen verliebt ineinander gewesen, unzertrennlich. Frank ließ sie keinen Moment allein und tat alles für sie. Er war so aufmerksam und höflich und hütete sie wie sein Eigentum. Julia ließ es geschehen und fühlte sich einfach wohl in seiner Gegenwart. Später empfand sie nur mehr schwesterliche Liebe für ihn. Und jetzt tat er ihr furchtbar leid. Sie sah sein Gesicht vor sich, wie er sie im kargen Besucherzimmer des Gefängnisses anstarrte, so hilfsbedürftig und weit abgerückt von jeder Realität. Morgen werde ich in der Kanzlei anrufen, vielleicht hat Frank inzwischen sein Schweigen gebrochen.
Gleich nach dem Frühstück am nächsten Morgen wählte Julia die Nummer von Franks Anwalt.
„Kanzlei Berger“, meldete sich eine Stimme.
„Hier spricht Julia Karst, könnte ich bitte mit Herrn Berger verbunden werden?“
Julia wartete einen Augenblick, ehe sie die Stimme des Anwalts vernahm. Er teilte ihr mit, die Polizei habe inzwischen herausgefunden, dass Franks Alibi einwandfrei sei. Er war zur Tatzeit mit einem Kollegen in dessen Auto unterwegs zu einer Zweigstelle seiner Firma, wo sie mindestens drei Stunden zu tun hatten. Außerdem hätte die Obduktion ergeben, dass Kirstin schon vorher getötet worden sei. Wie sie allerdings in den Kofferraum von Franks Wagen gekommen sei und zu dem Hügel gefahren wurde, von dem man die Leiche hinunterstieß, bleibe vorerst im Unklaren. Man würde jetzt noch anderen Spuren nachgehen.
Julia atmete erleichtert auf und fragte, wann Frank denn aus der Untersuchungshaft entlassen würde.
„Soviel ich weiß, noch heute“, antwortete Herr Berger.
„Hat Frank inzwischen etwas dazu gesagt“, wollte Julia wissen.
„Gestern Abend hat er sich zur Sache geäußert, dass er zur fraglichen Zeit beruflich unterwegs gewesen sei, dass sein Kollege dies bestätigen könne. Die Aussage stimmte mit der seines Kollegen überein, und es gibt vorerst keinen Grund mehr, ihn länger festzuhalten.“
Julia bedankte sich und legte auf. Sie war erleichtert. Mein Gott, dachte sie, wie muss er gelitten haben, dass er sich nicht gleich äußern konnte. Sie musste sofort Raffaela anrufen und ihr berichten, und danach wollte sie zu Frau Morandi.
Raffaela meldete sich nicht, sodass Julia gleich zu ihrer Nachbarin hinüberlief. Sie musste die Neuigkeit augenblicklich loswerden. Sie rief ihren Namen, da sie sie im Garten vermutete, erhielt aber keine Antwort. Sie rannte die Stufen zum Haus hinauf und drückte auf den Klingelknopf. Ungeduldig trat sie von einem Fuß auf den anderen, als sie Schritte vernahm und gleich darauf die Tür geöffnet wurde. Wie versteinert starrte sie auf die fremde Gestalt, die sie lächelnd ansah und fragte:
„Sie wünschen?“
Julia schaute in das Gesicht eines gut aussehenden Mannes und stammelte, dass sie gerne Frau Morandi gesprochen hätte. Sie würde nebenan wohnen und wolle ihr etwas Wichtiges mitteilen.
„Ich bin Luca Seewald, meine Tante ist mit ihrem Mann in die Stadt gefahren, und ich mache ein paar Tage Urlaub hier.“
Julia nannte ihrerseits etwas irritiert ihren Namen und wollte umkehren, um es später wieder zu versuchen.
„Möchten Sie nicht eintreten? Wir könnten uns, bis die beiden zurück sind, ein bisschen unterhalten.“
Julia zögerte, als sie aber in seine lachenden Augen blickte, nickte sie:
„Ich mache einen Gegenvorschlag. Wie wäre es, wenn wir ein Stück spazieren gingen, es ist ein herrlicher Morgen, und ich könnte Ihnen ein wenig die Gegend zeigen, falls Sie sie noch nicht kennen.“
„Eine gute Idee! Dann werden wir mal auf Erkundungsreise gehen“, meinte ihr Gegenüber.
Sie schritten durch das Gartentor, nahmen den Weg, der an sanften Wiesenhängen vorbeiführte und in einen Wald mündete.
„Übrigens, Sie können Luca zu mir sagen, darf ich Sie auch mit Ihrem Vornamen anreden?“
Julia nickte, und Luca erzählte, dass er das erste Mal hier sei, er hätte in Mailand zu tun gehabt und die Rückreise dazu benutzt, ein paar Tage bei seiner Tante auszuspannen. Sie hätte ihn schon öfters gebeten, bei ihr Station zu machen, und nun hätte er ihr Angebot angenommen. Er sei in der Modebranche tätig und käme gerade von einer Messe.
Julia hörte ihm interessiert zu und berichtete von ihrer Arbeit in der Galerie. Der Weg führte nun steil bergauf und nach einigen Metern zu einem Aussichtspunkt, an dem sich das ganze phantastische Panorama der Bergwelt auftat. Zu ihren Füßen lag der glitzernde See, ein laues Lüftchen glitt über sie hinweg. Julia erklärte ihrem Begleiter die verschiedenen Bergketten und nannte jedes Dörfchen in der malerischen Landschaft. Luca bewundert ihre Kenntnisse und meinte, dass kein Fremdenführer besser erklären könne.
„Beeindruckend“, fügte er anerkennend hinzu, und Julia war sichtlich erfreut, ihn zu diesem Punkt geführt zu haben.
„Nicht wahr, es ist traumhaft! Ich komme immer wieder hierher, jedes Jahr. Es ist meine zweite Heimat geworden.“
Und Julia erzählte von früher, von ihren Ferien, die sie hier verlebt hatte. Komisch, dachte sie, wie vertraut ich mit ihm bin. Ich kenne ihn doch kaum. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Aber dieses Mal sprudelte es nur so aus ihr heraus, sie merkte gar nicht, dass sie nicht nur über die ganze Gegend hier erzählte, sondern auch über eine Reihe von Leuten, die hier ansässig waren. Luca ließ sie berichten, nur hin und wieder unterbrach er sie, um Genaueres zu erfahren. Plötzlich hielt Julia inne und meinte, sie müsse jetzt zurück, da sie noch ein paar Dinge zu erledigen hätte.
„Würden Sie auch weiter den Fremdenführer für mich spielen, vielleicht heute Nachmittag?“
„Das lässt sich einrichten, ich werde zu Ihnen hinüberkommen, da ich noch mit Ihrer Tante sprechen muss.“
Beide lächelten sich an, und Luca hielt beim Abschied etwas länger als üblich Julias Hand.
Als Julia die Haustür aufschloss, klingelte das Telefon. Sie wollte erst gar nicht abheben, da sie es eilig hatte und noch etwas zum Mittagessen einkaufen musste. Aber das Klingeln hörte nicht auf, sodass sie mürrisch den Hörer abnahm.
„Hallo, Julia, hier ist Florian. Man hat mir gesagt, dass du in deinem Ferienhaus zu erreichen bist. Ich muss mit dir sprechen.“
„Was gibt’s, Florian? Hast du mit Myriam geredet? Zu welchem Entschluss seid ihr ‒ bist du gekommen?“
„Das ist es ja, ich kann Myriam nicht heiraten.“
„Und warum nicht?“
„Es war ein Fehler, dass ich mich mit ihr eingelassen habe. Soll denn eine Nacht über mein ganzes Leben entscheiden?“
„Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Myriam ist doch wohl in einer schlechteren Situation als du! Soll sie das Kind nun alleine großziehen? Hast du auch daran gedacht?“
„Natürlich werde ich für die Kosten aufkommen, aber das wäre kein Leben, wenn ich mit ihr zusammenziehen würde.“
Du machst es dir sehr einfach, hast du überhaupt nur ein Mal an das Kind gedacht? Du willst doch nur deine Bequemlichkeit nicht aufgeben; nur ja nicht für etwas gerade stehen! Mit Geld einfach alles aus der Welt schaffen wollen, prima!“
„Aber, Julia, ich dachte, du würdest mich verstehen, du hast mich immer verstanden. Könnten wir beide nicht noch einmal von vorne beginnen?“
„Es reicht, Florian, werde endlich einmal erwachsen! Du musst deine Angelegenheiten allein regeln lernen. Zwischen uns gibt es keine Gemeinsamkeiten mehr. Begreif es endlich! Adieu!“
Julia wartete seine Antwort erst gar nicht ab und legte auf. Sie ärgerte sich über Florians unreifes Verhalten und konnte nicht begreifen, dass sie es so lange mit ihm ausgehalten hatte.
Merkwürdig, solch ein Gezwitscher hatte sie noch nie vernommen, es musste ein Vogel sein, dessen melodische Stimme ihr noch nicht zu Ohren gekommen war. Julia räkelte sich in ihrem Korbsessel auf der Terrasse. Sie musste glattweg nach dem Mittagessen eingeschlafen sein. Ein Blick auf die Uhr und sie sprang auf. O Gott, ich bin ja verabredet, und nun ist es schon so spät! Julia wollte gerade noch mal nach dem Vogel Ausschau halten, als sie Luca, der ihr zuwinkte, hinter dem Gartenzaun entdeckte.
„Sie waren das also. Ahmen Sie öfters Vogelstimmen nach? Wenn Sie nicht gezwitschert hätten, würde ich wohl noch in tiefem Schlummer liegen. Entschuldigen Sie, ich bin fest eingeschlafen.“
„Dazu ist der Urlaub da“, entgegnete Luca. „Da es schon so spät ist, holen wir unsere Stadtbesichtigung ein anderes Mal nach. Stattdessen lade ich Sie zum Abendessen ein, einverstanden?“
„Da sage ich nicht nein. Ist Ihre Tante jetzt da?“
„Natürlich, sie ist schon ganz begierig zu erfahren, was Sie ihr mitzuteilen haben.“
Julia hastete ins Haus und beeilte sich mit dem Ankleiden. Ein bisschen aufgeregt war sie, nachdem sie Luca wiedergesehen hatte. Mein Gott, sie war schon so vielen Leuten begegnet, wieso bekam sie Herzklopfen, wenn sie ihn sah? Er ging ihr nicht aus dem Sinn. Sein Lächeln ist es, dachte sie. Er hat ein unwiderstehliches Lächeln, und er wirkt so ruhig und besonnen. Habe ich mich vielleicht verliebt? Unsinn! Doch nicht in so kurzer Zeit. Und sie ermahnte sich, sich doch nicht wie ein Teenager zu betragen. Sie versuchte, gelassener zu sein, und begab sich hinüber zu Frau Morandi. Luca erwartete sie bereits vor der Tür, und Julia gab ihm ein Zeichen, dass das Gespräch mit Frau Morandi nicht lange dauern würde. Und er wartete geduldig, bis beide Frauen nach draußen kamen.
„Ich bin ja so froh, dass sich nun doch alles zum Guten wendet.“ Und zu Luca: „Auf Julia kannst du dich ganz verlassen, sie kennt sich gut aus.“
„Das habe ich schon gemerkt“, entgegnete Luca lächelnd und lief hinter Julia die Treppen hinunter auf die Straße, wo sein Wagen stand.
„Hallo, Julia, ich habe schon gehört, dass du wieder da bist.“
Freudig kam Gino Julia entgegen.
„Gino, darf ich dir Luca Seewald vorstellen, er macht zur Zeit Urlaub und wohnt in der Nachbarschaft. Hättest du noch einen freien Tisch für uns?“
„Für besonders nette Gäste immer, ich werde vorangehen.“
Gino wies ihnen einen Platz in einer Nische zu und deutete dem Kellner an, die Speisekarte zu bringen.
„Nun, Julia, wie lange wirst du dieses Jahr bleiben?“
„Vielleicht einen Monat, ich habe es mal so geplant.“
„Dann werde ich dich ja noch oft sehen. Du siehst blendend aus, Julia. Aber entschuldigt, ich muss nun in die Küche.“
„Er scheint Sie sehr zu mögen, ein Charmeur“, sagte Luca.
„Gino kennt mich seit ich zehn Jahre alt war. Er war damals gerade dabei, das Restaurant, das damals seinen Eltern gehörte, zu renovieren. So lange ist das schon her. Seine Frau Franca, mit der ich befreundet bin, ist ab und zu hier, um ihm zu helfen. Meistens ist sie aber in ihrer Töpferei beschäftigt, sie besitzt einen kleinen Laden etwas außerhalb der Stadt.“
„Sagen Sie, Julia, Sie haben vorhin meiner Tante von einem Bekannten erzählt?“
„Ach, Sie meinen Frank? Das ist traurig und hat mich sehr belastet, da Frank mein bester Freund war.“
Julia schilderte die tragische Geschichte, und Luca nahm regen Anteil an dem Geschehenen.
„Ich muss ihm helfen, darüber hinwegzukommen“, meinte sie. „Er hat ja noch nicht einmal die Trennung von Kirstin verkraftet, und jetzt dies, aber wenigstens ist er wieder frei.“ Julia atmete auf. „Ich möchte zu gerne wissen, wer sie auf dem Gewissen hat, wer Frank dieses Verbrechen in die Schuhe schieben wollte. Ich werde in den nächsten Tagen versuchen, mit ihm zu sprechen.“
Als sie das Lokal verließen, war es schon dunkel. Eine sternenklare Nacht, die vielen Lichter rund um die Promenade spiegelten sich im Wasser des Sees und boten einen märchenhaften Anblick. Luca nahm Julias Arm, sie liefen noch ein paar Schritte durch die hell erleuchtete Parkanlage am Ufer entlang. Boote und Ausflugsschiffe ruhten in dem kleinen Hafen, alles war friedlich und still, nur vereinzelt vernahm man Schritte und Stimmen, die aber gleich wieder verhalten. Schon lange hatte sich Julia nicht mehr so wohl gefühlt, sie war schon so vertraut mit Luca, obwohl sie sich doch erst seit ein paar Stunden kannten. Er gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit und Wärme. Das hatte sie schon lange nicht mehr erlebt, und sie wunderte sich einmal mehr, wie schnell sie über die Trennung von Florian hinweggekommen war. Immerhin waren sie drei Jahre zusammen gewesen.
Es war schon tiefe Nacht, als sie zurückfuhren. Luca begleitete Julia bis zu ihrer Haustür, und plötzlich lagen sich beide in den Armen.
„Weißt du“, flüsterte Luca, „dass ich noch nie einer Frau begegnet bin, die so ist wie du? Ich habe mich gleich in dich verliebt, ich möchte dich nie mehr loslassen.“
Luca drückte Julia noch fester an sich und küsste sie so leidenschaftlich, dass für beide die Welt ringsum nicht mehr zu existieren schien. Ganz langsam lösten sich ihre Lippen voneinander und sekundenlang schauten sie sich schweigend an. Julia war wie benommen vor Glück, sie konnte es nicht fassen, dass sie sich in den wenigen Stunden, da sie Luca kannte, so verliebt hatte. Sie wich jetzt einen Schritt zurück und öffnete die Tür zu ihrem Haus.
„Gute Nacht, Luca, bis morgen! Und danke für den schönen Abend.“
„Bis morgen, Julia“, flüsterte Luca.