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Aus den Schriften der Batí

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Vom Beginn des neuen Zeitalters

Und während im südlichen Sacua die Menschen einem armseligen Kult verfielen und sich zunehmend von den Mächten abwandten, denen sie eigentlich hätten untertan sein sollen, erblühte das Volk Cycalas' zu großem Glanz.

Ash-Zaharr, der Große, hatte Wohlgefallen an ihnen gefunden und an seiner Gestalt, in der er sich ihnen zuweilen zeigte. Die wahre Weisheit des Dämons bestand darin, sich nicht von den Menschen zu entfernen, die ihn anbeteten und die ihm opferten, sondern von eben jenen Mächten, die zu arrogant und zu blind waren, seine wahre Größe zu erkennen. Und doch ließ die Schlange sein Volk spüren, dass es allein sein Wille war, der ihr Leben lenkte und der entschied, was sein durfte und was nicht.

Er zeigte es ihnen auf vielfältige Weise, indem er sie strafte, wenn sie sich versündigten und indem er ihnen nahm, wessen sie nicht würdig zu sein schienen.

So holte er eines Tages die Priesterinnen des Lichts in sein Reich, denn er wollte nicht, dass sie begafft und begehrt wurden von den schwarzen Hütern der Sichel. „Ihr“, so sprach er zu seinem Volk“, „ihr seid die Kinder der Nacht, des Schattens, des Todes. Ihr sollt weder besitzen noch begehren, was euch vernichten könnte. Ihr sollt nicht verlangen nach dem, was meins ist und was euch nur Verderben bringen könnte. Ich bin der Herr der Finsternis und dennoch ist ein Teil in mir, der das Licht bändigt, denn nur so kann ich existieren.“ Und er wischte die Priesterinnen des Lichts mit einem einzigen Fluch vom Antlitz Cycalas' und nannte den Ort, an dem sie einst verweilt, die Heimstatt der Schlafenden. Denn nur die Toten sollten noch teilhaben an jenem Glanz, den die Lichtgestalten einst gebracht.

Doch Ash-Zaharr sah auch, dass sein Volk nicht wie die anderen war. Er sah ihre Stärke und ihre Kraft und dass sie nach mehr verlangten. Sie wollten nicht nur aufschauen zu einem Gott, sondern auch selbst teilhaben an der Macht, die er verkörperte.

Und er wusste, dass die sechs Mächte, die ihn nicht als einen der Ihren anerkannten, ihn noch mehr verdammen würden, wenn er mehr mit den Menschen teilte als nur seinen Anblick. War dies nicht der Zeitpunkt, sich noch weiter zu erheben und sich zu trennen von jenen Grundsätzen, die die anderen verband, ihn aber ausgrenzten?

„Sehet, ich bringe den Tod und die Nacht, ich bin das Verderben und das Leid, ich bin das Ende und das Nichts! Ohne mich gibt es keinen Tag, kein Leben, kein Licht! Und sehet, dies sind jene Menschen, die mir dienen. Ein Volk, wie es nie zuvor gesehen wurde! Und ihr werdet erbeben vor ihnen!“

So ging er wieder über in die Gestalt der alles beherrschenden Schlange, so voller Grauen und Macht, dass ein jeder erschauerte. Und er wählte sich drei Dienerinnen, die sich schon lange seine Aufmerksamkeit verdient hatten, weil sie dem, was er begehrte, näher waren als alle anderen.

„Halt ein!“ riefen da die Sechs, als sie erkannten, was Ash-Zaharr zu tun gedachte. „Gib ihnen nicht, was ihnen nicht gebührt! Sie werden auf ewig verflucht sein. Auf ewig an dich gebunden! Sie werden ein eigenes Volk werden, das uns stürzen wird!“

„Gehet und kehret mir und den Meinen weiter den Rücken!“ stellte sich Ash-Zaharr ihnen entgegen. „Ich bin die Grenze, die ihr selbst nicht ziehen könnt! Dies ist mein Volk und ich werde mit ihm enger verschmelzen, denn ich hebe mich nicht wie ihr auf einen Thron, sondern werde meine Kräfte dort einsetzen, wo sie unabdingbar sind!“

Und er wählte eine Bäuerin, da sie Land fruchtbar gemacht hatte, welches als öde und tot galt.

„Du hast den Tod besiegt,, indem du mit Geschick und Wissen und harter Arbeit dagegen gekämpft hast. Komme zu mir und gebe dich hin, dann werde ich, der Tod, selbst das Leben schaffen! So wie du Samen auf toten Fels gestreut hast, werde ich dergleichen tun, indem ich einem menschlichen Körper den Gott selbst offenbare.“

Und er nahm sich die Frau und gab ihr mit seinem Blut und seiner greifbaren Gestalt jenen Samen, der ihr ein Kind schenken sollte.

„Siehe, deine Nachkommen werden die Geliebten dieser Erde sein. Sie werden das Volk am Leben halten, werden es versorgen und werden Jene lehren, die ebenfalls nach eurem Wissen streben. Mit ihnen gemeinsam werdet ihr die erste stützende Säule sein, ohne die dieses Land zugrunde gehen wird. Ich schenke euch eine unvergleichliche Macht, doch ich nehme euch zugleich die Bande zu eurem Gott. Niemals werde ich euch hören, wenn ihr mich anruft, noch werde ich erscheinen, wenn ihr mich beschwört. Ich schütze und verteidige euch, aber ich bin für euch ferner als der Mond.“

Und er nahm sich eine zweite Frau, jene, die es wie keine andere verstand, Worte zu finden, die ihm gefielen. Jene, die weise und gerecht war und bescheiden, mehr als alle anderen.

„Du hast zu mir gesprochen, wie es niemand sonst vermocht. Und doch sprichst du nicht nur zu mir, sondern auch zu den Menschen. Du sprichst Recht und Weisheit und erhebst mit deinem Wissen und deinen Worten den Geist aller. Und so wie in deinem Geiste das Wissen reift, soll in deinem Leibe auch die Frucht reifen, die ich dir schenke und deren Geist noch größer sein wird, denn sie ist ein Teil von mir.“

Und es kam, wie er versprochen hatte, denn auch ihr erschien er in seiner greifbaren Gestalt und gab ihr jenen Samen der Weisheit und des Wortes, den er ihr verkündet.

„Siehe, deine Nachkommen werden die Diener des Himmels sein. Sie werden für das ganze Volk die Säule der Gerechtigkeit und des Wissens sein. Aber überdies hinaus werdet ihr diejenigen sein, die allein zu mir sprechen dürfen. Nur euch werde ich antworten, wenn ihr ruft und nur ihr werdet meine Verbindung sein!“

So rief er zuletzt die dritte Ausgewählte zu sich. Es war jene, die mehr Feinde als jeder andere getötet hatte und welche kein Mitleid, keinen Schmerz und kein Bedauern kannte, wenn sie ein Leben auslöschte.

„Du bist die Kraft und die Rache und die Wut, du bist die Kämpferin, die sich mehr als jede andere um dieses Land verdient gemacht hat. Deine Hand nahm zahllose Leben, die sonst das Volk bedroht hätten, dein Herz schlägt mit Zorn. So werde ich diese Kraft noch steigern, denn so wie die Wut in dir erwächst, so wird nun auch mein Erbe in dir wachsen und es wird dir neben so vielem, was mein ist auch noch etwas geben, was dich belohnen wird, denn dein Durst wird unstillbar sein.“

Da nahm er sich die Dritte und offenbarte ihr seine wahre Macht und er schenkte ihr den Samen, der glühender loderte als das Feuer der Hölle und der mehr schmerzte als jede Klinge, die sie je gehalten und der sie dennoch mehr mit Befriedigung erfüllte als jede bisher geschlagene Schlacht.

„Ihr bringt die Dunkelheit über den Feind und die ewige Verdammnis. Ihr werdet die Gebieter der Nacht sein und jeder, der sich euch anschließt wird die Furcht, die andere Völker empfinden, noch weiter steigern und dem Land jenen Schutz geben, den sonst nur ich zu leisten vermag. In euch fließt mehr meines Blutes als in jedem anderen. Doch ihr seid mir so nahe, dass ich euch von mir weisen muss. Die einen können mich nicht rufen. Die einen müssen mich rufen. Aber ihr, ihr dürft es nicht. Eure Fehler und Sünden werde ich härter als die aller anderen strafen!“

Und so gebaren die drei Dienerinnen dem Großen seine Nachkommen, aus denen die drei Säulen entstanden, auf denen die Sichel ruht. Und an einer jeder Spitze stand von nun an der Herrscher der Säule, der aus den Seinen erwählt wurde.

Das Blut des Sichellands

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