Читать книгу Die Jagd - Christine Rödl - Страница 6
ОглавлениеHelenes Rache
Madeleine lag bereits seit über einer Stunde schluchzend auf ihrem Bett. Egal was ihre Freundinnen auch versuchten, sie ernteten dafür nur Geschrei und weitere Tränen. Stocksauer hatten sich die drei schließlich auf die Suche nach Frau Graf gemacht. Sie fanden diese in ihrem Büro im Stall. Als sie eintraten, blickte die Reitlehrerin auf.
„Kann ich etwas für euch tun?“, fragte sie freundlich. Nina wollte sie gerade schon anschreien, da meldete sich Lisa zu Wort: „Es geht um Neptun. Helene hat uns erzählt, dass sie ihn gekauft hat. Doch soweit wir wissen, stand der Norweger nie zum Verkauf! Madeleine ist deswegen fix und fertig.“
Frau Graf seufzte und nickte. „Ihr habt recht. Eigentlich stand Neptun nicht zum Verkauf und wäre es nach mir gegangen, wäre er auch noch in seiner Box. Helenes Vater hat allerdings so viel Geld geboten, dass in dieser Sache über meinen Kopf hinweg entschieden worden ist. Leider hatte er in den letzten Tagen vor den Ferien sehr häufig gebuckelt und Blödsinn in den Reitstunden gemacht. Da kam der Schule das Angebot für ihn gerade recht.“
Schweigen breitete sich in dem kleinen Büro aus. Irgendwie hatten sie gehofft, dass es sich um ein Missverständnis handeln würde. Um einen Streich, den Helene ihnen gespielt hatte. Doch Neptun war tatsächlich weg.
„Falls es euch beruhigt,“, erklärte die Reitlehrerin, „Er war, wie alle unsere Schulpferde, als Nichtschlachtpferd eingetragen. Nur für den Fall, dass eine eurer Mitschülerinnen Blödsinn erzählen sollte.“
Daran hatten die Mädchen noch überhaupt nicht gedacht! Aber die Aussage von Frau Graf beruhigte sie tatsächlich ein wenig. Vielleicht würde es ihnen helfen, Madeleine etwas aufzumuntern.
„Wieso interessiert euch das eigentlich so brennend?“, wollte die Reitlehrerin nun wissen.
„Weil sich Madeleine gerade die Augen in ihrem Zimmer ausheult“, erklärte Nina nicht sehr taktvoll. Wieder seufzte Frau Graf und erhob sich.
„Ich werde mit ihr reden“, versprach sie und trat nach draußen.
Ungeduldig liefen die Drei auf dem Flur auf und ab. Die Lehrerin war mittlerweile bereits seit über einer halben Stunde bei Madeleine im Zimmer. Schließlich öffnete sich die Tür und Frau Graf trat heraus.
„Lisa? Du gehst bitte zu deiner Freundin hinein. Und ihr beide“, sie deutete auf Nina und Iris, „geht in den Stall und macht eure Pferde, Cornet und Löwenherz fertig. Sie braucht dringend einen Ausritt, um auf andere Gedanken zu kommen.“ Mit diesen Worten stiefelte die Reitlehrerin davon. Kurz sahen sich die Mädchen an, dann gehorchten sie.
Keine halbe Stunde später ritten die vier vom Hof. Madeleines Gesicht war von der vielen Weinerei noch immer stark verquollen. Darüber täuschte auch das Make-up nicht hinweg, dass sie mit Lisas Hilfe aufgetragen hatte. Löwenherz, ein fuchsfarbener Wallach, trug sie brav und gehorsam den gesamten Ausritt über. Im Gegensatz zu Neptun machte er im Galopp keine Freudenbuckler. Seine deutlich längeren Beine verliehen ihm zwar einen kräftigen, dafür aber einen leicht zu sitzenden Trab.
Anfangs sah Madeleine noch sehr verbissen drein, doch im Laufe der Stunde, in der sie unterwegs waren, hellte sich ihre Miene langsam auf. Als sie an einem Holzstapel vorbei kamen, auf dem eine Plastikplane lag, machte ihr Reitpferd seinem Namen alle Ehre. Ein plötzlicher Windstoß erweckte die Plane zum Leben und brachte sie wie wild zum Flattern. Donny, der ganz vorne lief, sprang erschrocken zur Seite, Cornet galoppierte los und ließ sich erst nach einigen Metern wieder beruhigen, Hilde riss den Kopf hoch und wollte am liebsten Cornet hinterher. Löwenherz hingegen spitzte die Ohren und ging in seinem ruhigen Tempo weiter, ohne die Plane oder die aufgeregten Pferde großartig zu beachten. Das brachte seine Reiterin zum ersten Mal nach der schlechten Neuigkeit zum Lächeln.
Als sie zurück am Hof ankamen, wirkte Madeleine wieder ausgeglichen. Der Ausritt an der frischen Herbstluft hatte ihr gutgetan. Als sie abstiegen, trat Helene grinsend auf sie zu.
„Na? Musstest du umsatteln, Madeleine?“, fragte sie gehässig. Doch die Truppe ignorierte das Mädchen einfach. Das hatten sie sich während des Ausritts fest vorgenommen. Als Helene merkte, dass ihr Auftritt nicht den gewünschten Effekt gebracht hatte, rief sie: „Soll ich dir das nächste Mal ein Stück von Neptun mitbringen? Was hättest du denn gerne? Den Schweif? Salami?“
Die Mädchen fuhren zusammen. Frau Graf hatte ihnen doch versichert, dass Neptun nicht geschlachtet werden konnte! Madeleine kämpfte mit ihrer Beherrschung, als Iris rief: „Wenn du keine Klage an den Hals willst Helene, zisch ab! Das Schlachten eines Nicht-Schlachtpferdes ist gesetzlich verboten. Ninas Vater ist Rechtsanwalt und klagt bestimmt gerne den letzten Cent aus deinem Papa heraus! Und diese Art von Mobbing ist sicherlich ebenfalls strafbar. Also hau ab!“
Nicht nur Helene starrte überrascht zu Iris, sondern auch deren Freundinnen. Mit einem lauten „Tz“ drehte sie sich auf dem Absatz um und ließ die vier einfach stehen. Madeleine sah ihr hinterher, dann fiel sie ihrer Freundin um den Hals.
„Das war genial!“, rief sie. Lisa lobte ihren Einfall ebenfalls und Nina meinte dazu: „Das mir das noch nie eingefallen ist!“
Als Madeleine an Neptuns ehemaliger Box vorbei kam, kullerte ihr erneut eine Träne über die Wange. Sie versorgte Löwenherz im Schulstall, während sich ihre Freundinnen um ihre Pferde, in deren Stalltrakt, kümmerten. Bis jetzt hatte es sie nie gestört, dass sie hier so alleine und abgeschnitten von ihrer Clique war. Da war sie allerdings meistens Neptun geritten, der für sie eh zu ihren besten Freunden gezählt hatte. Außerdem besuchten Iris und Nina erst seit diesem Schuljahr das Internat. Davor hatten Lisa und Madeleine grundsätzlich ihre Pferde alleine versorgt. Um so schnell es ging von Neptuns ehemaliger Box weg, und zu ihren Freundinnen zu kommen, beeilte sie sich heute besonders und lief schon nach zehn Minuten hinüber zu den Offenställen.
Nina, die gerade Donnys Hufe auskratzte, staunte nicht schlecht, als Madeleine in die Stallgasse trat. „Du warst aber ganz schön flott“, stellte sie fest und setzte den Huf des Haflingers am Boden ab.
„Ich fand es doof, so alleine im Schulstall“, erklärte sie und fuhr mit der Hand über Donnys weiche Nüstern. Hilde, die neben ihm stand, dachte wohl, sie hätte ihm etwas Leckeres zugesteckt, denn sie stupste Madeleine sofort fordernd mit der Nase an. Kichernd drehte sich diese zu der Stute um und streichelte sie ebenfalls. Schon begann Cornet zu scharren und das Mädchen teilte die Streicheleinheiten auch mit ihr.
„Nimm doch das nächste Mal dein Pferd zum Putzen mit hier her“, schlug Iris vor.
„Dann muss sie die Putzsachen und den Sattel von ganz vorne bis hier hinter tragen. Das ist genauso doof“, mischte sich Lisa mit ein. Madeleine seufzte. Ihre Freundin hatte recht. Das war ja der Grund dafür, dass sie immer alleine ihr Schulpferd vorbereitete und versorgte.
„Ist doch ganz logisch!“, rief Nina. „Du brauchst einfach auch ein eigenes Pferd!“