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2 Wo man erfährt, dass Kinobesuche sehr lehrreich sein können

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Der Film im Apollo-Kino ist eine Wucht. Normaler Weise verirre ich mich nur am Sonntagnachmittag hier her, wenn das Jugendprogramm feilgeboten wird, sonst laufen hier nur Filme die Jugendverbot, sehr oft auch welche, die ‚strengstes Jugendverbot’ oder auch ‚ausnahmslos Jugendverbot’ sind. Welcher Film in welche Kategorie fällt ist mir unklar, ein Blick auf die Voranzeigen genügt, um zu erkenne, dass es sich um den widerlichsten Mist seit Erfindung der Filmkunst im Jahr 1896 handeln muss, aber: ‚Jugendverbot’ betrifft in erster Linie Gewaltfilme und vom ‚strengstem Jugendverbot‘ sind allerlei Nackedeien betroffen, aber die Filme, die mit ‚ausnahmslos Jugendverbot’ zensiert sind, lassen sich, zumindest am ersten Blick nicht so leicht den Gewalt- und Sexfilmen zuordnen, zumindest was die Aushangfotos und Plakate betrifft. Eine Feldstudie wird demnächst von Nöten sein, um für Klarheit zu sorgen, aber im Moment ist mir das alles Powidel, da ich jetzt achtzehn bin und ich mir, sittlich gereift, jeden Schmarren gönnen kann.

Stellt euch vor, ich bin achtzehn. Ganze knusprige achtzehn Jahre alt = volljährig = nie wieder Jugendverbot!

Die Kassiererin beäugt mich kritisch.

„Hast du einen Ausweis?“

„Äh, ich bin achtzehn? Wieso?“

„Stell dich nicht dumm. Der Film ist nichts für Backfische aus der Mittelschule“, kläfft die alte Schachtel im Kassenhäuschen, ein Ventilator spendet der Mumie Frischluft und verhindert, dass der Verwesungsgeruch bis ins Foyer vordringen kann, vorläufig zumindest. Ein Pornoheft liegt aufgeschlagen neben dem Kartenblock.

Ich zücke meinen abgelaufenen Studentenausweis der Ausländeruniversität von Perugia.

„Hm?“ Die alte Schachtel gurrt und betätigt sich als Blitzrechnerin.

„Glück gehabt. Besser du kümmerst dich um Dante als umso einen Schund“, sagt die Besserwisserin.

„Dante, wer?“

Ein vernichtender Blick straft mich. Die Kassiererin sammelt das Eintrittsgeld ein und rückt die Kinokarte raus.

Der Billeteur beaugapfelt meine Beine.

„Schon achtzehn?“

„Lass die dumme Kuh rein! Sie ist zwar blöd aber sauber“, keift die Kassiererin.

„Vor mir aus. Viel Spaß. Der Film ist echt scharf und zu hundert Prozent pornographisch“, sagt der Billeteur.

Ich bedanke mich artig und rücke nach überstandener Fleischbeschau endlich in den langen schlauchartigen Saal ein.

Normaler Weise sitze ich immer hinten den Teeniepopo platt, die drei Logen sind für abenteuerlustige Pärchen reserviert. Leider hängen in der letzten Reihe schon irgendwelche Schmierfinken ab. Um Konflikten von vorne herein aus dem Weg zu gehen, gehe ich heute ganz weit nach vorne. Man/frau sei auf der Hut, in der Dunkelheit des Kinos kann so ein Ungustel im Anblick fester Mädchenbeine schon einen Steifen bekommen. In der dritten Reihe bin ich vor den Sexmaschinen sicher.

Oh mein Gott, was für eine kluge Entscheidung: Wer schon einmal die „erotischen Geschichten aus 1001 Nacht“ gesehen hat, der wird wissen, wie gut es ist, ein möglichst großes Bild vor Augen zu haben.

Nach kurzer Laufzeit stehe ich auf und wechsele in die erste Reihe.

Kein Witz. Der ideale Platz für diesen Ausbund der Frivolität ist direkt vor der Leinwand, die übermannshohen Bilder wirken prickelnden und regen den Kreislauf an.

Der Kerl, der diesen Film gedreht hat, muss ein Genie und der steilste Sexgott seiner Nation sein. Wer auf solche Einfälle kommt, der muss von einem anderen Sonnensystem auf die Erde gefallen sein. Definitiv ist der Film nicht in meinem Land entstanden, denn bisher habe ich nur uralte, und vor allem erzkonservative österreichische Filme gesehen, die am Sonntagnachmittag im Patschenkino verhökert werden.

Ganz schwerer Seufzer.

Das Saallicht geht an. Der Vorhang schließt die Leinwand am Ende der Vorstellung.

Nach Tausend und einer Nacht ist es wieder Tag geworden.

Ich habe nicht gewusst, dass man/frau sich so ausgezeichnet im Kino Selbstbefriedigen kann.

Ich sehe mich um.

Scheinbar sind die Schmierfinken weit hinter mir derselben Meinung.

Stielaugen sind auf mich gerichtet.

Bevor ich blöde Angebote ablehnen muss entfleuche ich durch den Notausgang ganz vorne neben der Leinwand.

Ciao Cinema, schon bin ich auf der Straße.

Ich gehe die Seitenstraße zum Kino zurück, vor dem sich jetzt zur Hauptvorstellung schon etwas mehr Leute versammelt haben.

Ich sehe die Voranzeigen in den Auslagen an.

Hongkongware, Softsexschmus, Italowestern werden propagiert.

Hm? Nichts davon scheint wirklich interessant zu sein.

Ich sehe das Kinoplakat der aktuellen Vorstellung an.

Heute läuft den ganzen Tag „1001 Nacht“ von einem gewissen Pier Paolo Pasolini, einen Namen, den ich noch nie gehört habe, aber den ich mir einprägen sollte, wer weiß, was der gute Italiener noch so auf Lager hat, bei dem was ich gerade hinter mir habe, könnte da noch einiges sehenswerte im Kasten sein.

Der Film kommt, auch wenn er irgendwo in Arabien spielt, aus Italien, zumindest lesen sich die Namen der Schauspieler italienisch und ganz unten am Plakat steht, dass es sich um eine italienisch, französische Gemeinschaftsproduktion handelt.

Hm?

Obwohl ich nur fünfzig Kilometer von der Grenze entfernt wohne, habe ich bisher nicht mitbekommen, dass die Italiener Filme machen und schon gar nicht, dass sie solche Filme drehen. Auch während meines zweimonatigen Aufenthalts in Italien bin ich nie im Kino gewesen, ich spreche ja nicht wirklich Italienisch.

Ich hab eine echte Bildungslücke.

Frage an alle: was habe ich eigentlich im Gymnasium gelernt?

Einer der geilen Spechte, die vor dem Apollokino auf den Einlass warten ist ein Pauker aus der Mittelschule.

Ich grüße artig.

Er läuft rot an und deutet, dass ich Leine ziehen soll.

Wieso?

Ist es ihm vielleicht peinlich, dass ich ihn vor dem Sexkino erwische?

Ich wünsche einen flotten Abend und eile von dannen.

An der Straßenkreuzung drehe ich mich noch einmal um, tatsächlich, der Pauker trifft eine Paukerin, die beiden umarmen und küssen sich, sie gehen ins Kino.

Viel Spaß in der Loge, ich kann den Film wärmstens empfehlen, er ist in der Tat stimulierend. Zu schade, dass ich euch Lumpenhunde erst heute im Sexkino erwische, ein paar schmutzige Informationen wären das ideale Erpresserargument, wenn es im Gymnasium hart auf hart kommt, aber leider hilft mir mein Wissen, über die sexuellen Filmvorlieben des so genannten Lehrkörpers jetzt auch nicht mehr.

Der Teufel soll euch alle holen und dorthin schicken wo es keinen Sex gibt. Den Sex habt ihr nicht verdient, Leute eures Gleichen sollten sich nicht vermehren, ich spreche aus Erfahrung, nach acht Jahren im Gymnasium kann ich das ruhigen Gewissens publizieren.

Schwamm drüber, bitte hinten anstellen zum Arschlecken.

Ich lass mir nicht mehr den Abend von eurer Kleinkariertheit verderben.

Nur eine Illusion

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