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II

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Etwa fünfzehn Meilen von New Harmony den Wabash abwärts, an der Stelle, die sie das Knochenufer nannten, weil in alter Zeit dort ein Begräbnisplatz gewesen war, dessen Überreste, Tonscherben und gebleichtes Gebein, noch immer die staubige Böschung zierten; in jener Biegung des Wabash erschoss Joshua Jenkyns im August 1832 seinen ersten Mann.

Sie waren schon oft hier vorbeigekommen. Joshua mochte die Knochen nicht. Wenn er die Augen zukniff, gab ihm Vater eine Kopfnuss. Er wusste, wann Joshua blinzelte, obwohl er hinter ihm saß; das war Joshua ein Rätsel. «Augen auf, Josh», befahl Vater, «sonst lass ich dich da.» Und weil Joshua nicht wollte, dass Vater ihn daließ, irgendwo in den Wäldern am Wabash, wo die Siedler wohl nur darauf warteten, den kleinen Sohn des schrecklichen Cyrus Jenkyns über dem Feuer zu rösten; weil er bei Vater bleiben wollte, wie es sich gehörte, öffnete Josh Jenkyns die Augen und sah hin, schweigend vor Vater im Sattel.

Er sah viele Tote. Er sah weiße Knochen, verwesende Körper hier und da in der Landschaft, und er sah die frisch Gestorbenen, die mit erstauntem Gesicht in ihrem Blut lagen, während Vater nachlud. Es gehörte zusammen, die Geräusche des Nachladens und das Blut und die seltsamen Mienen der Toten; Joshua hatte das früh begriffen. Als Mutter noch lebte, hatte er sie gefragt, wie das sei mit dem Sterben, und Mutter hatte geantwortet, es sei einerlei. Die Toten gingen zu ihren Familien und blieben dort für immer, geordnet nach Geschlecht und Bedeutung und dem Datum ihres Todes. Mutter wollte das nicht weiter erklären. Und als sie dann starb, war sie fort, und vielleicht war sie in der Hölle, wie Vater behauptete, oder sie war bei ihrer Familie, wie sie selbst es behauptet hatte, bei den Rothäuten und den Geistern ihrer Ahnen.

Da Cyrus Jenkyns fand, es sei an der Zeit für Josh, hatte er in New Harmony einen Mann gefangen. Er brachte ihn zum Knochenufer und band ihn an einen Baumstamm. Joshua war ungefähr sechs Jahre alt; genau mitgezählt hatte niemand. Cyrus Jenkyns hob ihn vom Pferd und gab ihm eine Pistole.

Die Männer lachten. Ein Blick von Cyrus brachte sie zum Schweigen. Er hatte seine Leute gut erzogen, und sie saßen ab und bildeten einen Halbkreis um das schwarzhaarige Kind mit den schräg stehenden Augen, dem die Pistole noch viel zu groß war.

«Ich empfehle Gott deine Seele», sagte Cyrus Jenkyns, «schieß den Mann da tot, und wenn du es mit einer Kugel schaffst, gehört die Waffe dir.»

Joshua betrachtete den Mann am Baum. Er betrachtete ehrfürchtig Vaters schöne Pistole. «Binden Sie ihn los, Vater, ich versuch’s», sagte Josh.

Cyrus lachte. «Das ehrt dich, aber wenn ich ihn losbinde, rennt er, und dann schießt du ihn in den Rücken und das ist auch nicht besser.»

Joshua hielt die Pistole fest in beiden Händen. Er hatte fleißig Schießen geübt an den verwilderten Schweinen der Siedler, und die Schweine rannten wie der Teufel, und der Mann am Baum saß ganz still, und es war eigentlich viel zu einfach.

Der Gefesselte blickte Joshua fragend an. Er stammte aus Boston. Er hatte etwas vermessen sollen in dieser Gegend. Nun wartete er darauf, dass ein Kind ihn erschoss. Der Mann aus Boston konnte das nicht verstehen.

Joshua wünschte sich, der Gefangene würde die Augen schließen, aber er schloss die Augen nicht. Joshua blinzelte. Er wusste plötzlich nicht mehr, wie das ging mit dem Schießen. Die Pistole war schwer. Joshua zog die Nase hoch. «Mach zu, Josh», sagte Vater. Joshua sah dem Gefesselten noch einmal in die Augen und dann schluckte er und dann drückte er ab.

Er schaffte es nicht mit einer Kugel. Er schoss schlecht. Drei Männer liehen Josh ihre Waffen, damit er nicht nachladen musste, und Josh brauchte vier Kugeln, bis sich der Mann am Baum nicht mehr bewegte.

Die Männer applaudierten dennoch. Cyrus ließ sie gewähren. Er hieß seinen Sohn in die Rocktaschen des Toten schauen, ob etwas darin wäre, was man brauchen könnte. Joshua gehorchte. Er bekam blutige Finger. Er fand nur ein Schnupftuch und ein kleines Ding aus Leder und Papier. Das trug er zum Vater.

«Oh, ein Buch», sagte Cyrus verächtlich, «du hast einen mit Buch erwischt.»

Joshua untersuchte das Ding, das Vater Buch nannte, under stellte fest, dass man es aufklappen konnte und dass Blut an dem Ding war und der Lederrücken angerissen. Wahrscheinlich hatte eine Kugel das so genannte Buch gestreift.

«Behalt’s», sagte Cyrus, «vielleicht bringt es dir Glück.» Und Cyrus Jenkyns scheuchte seine Leute auf die Pferde und hob Joshua auf das seine, und dann saß er selbst auf und ritt voran. Der Mann aus Boston blieb an dem Baum sitzen und es dauerte nicht lange, bis sein Skelett das Ufer des Wabash zierte, sauber und weiß wie die Knochen aus alter Zeit.

Joshua Jenkyns behielt das Buch. Vielleicht brauchte er ja Glück in diesem Leben. Es dauerte Monate, bis er sich traute den Professor um Hilfe zu bitten. Der Professor hieß Professor, weil er lesen konnte, und Joshua durfte mit dem Professor nicht sprechen. Der Professor war eine Art Wundarzt. Cyrus behielt ihn, weil man oft einen Wundarzt brauchte in diesem Geschäft, doch im Übrigen zog er vor ihn zu übersehen.

Auf allen vieren kroch Josh eines Nachts zum Professor, hielt ihm das Buch hin und fragte: «Bitte, was ist das?»

«Ein Buch», flüsterte der Professor. Er wollte sich nicht von Cyrus erwischen lassen, wie er mit dem Kleinen sprach. Cyrus schlief zwar, aber Cyrus schlief nie tief.

«Was für eines?», hauchte Joshua.

Der Professor schlug das Buch auf. Er hielt es zum Feuer und drehte es, bis er die Titelseite entziffern konnte. «Lord Byron, Collected Works, Volume Two.»

«Danke», flüsterte Joshua, «was ist das?»

«Schmeiß es ins Feuer, Josh.»

«Es bringt Glück!»

Der Professor stöhnte.

«Lesen Sie was», bat Joshua.

Der Professor stellte sich vor, was wohl geschähe, wenn ihn Cyrus Jenkyns dabei ertappte, wie er seinem Sohn aus einem Buch vorlas. Der Professor legte keinen Wert darauf, das zu erleben.

«Bitte», flüsterte Joshua.

Der Professor schüttelte den Kopf.

«Nur ganz kurz. Bitte!» Joshua wurde lauter. Der Professor hatte Angst, jemand könne aufwachen. Er schlug das Buch in der Mitte auf und las die ersten besten zwei Zeilen:

«If solitude succeed to grief

release from pain is slight relief –»

Und Josh konnte tun, was er wollte, bei diesem Vers ließ es der Professor bewenden.

Joshua merkte sich den seltsamen Satz. If solitude succeed to grief … Vieles war einfacher, seit Josh den Satz hatte. Er verstand ihn nicht, aber er war Geheimnis und Trost und Gesellschaft, und man konnte sich still unterhalten mit dem Satz, wenn sonst niemand mit einem reden mochte.

Irgendwann verlor Joshua das Buch. Der Satz blieb ihm. Er sagte ihn lautlos her, wenn er vor Vater im Sattel saß, und er sagte ihn noch immer, als er längst sein eigenes Pferd ritt. Mit Byron feierte er den Tag, als er seine erste Pistole bekam, und dann sein erstes Gewehr. Er sagte den Satz, als er schoss, auf Schweine und dann auf Männer, und als Joshua elf Jahre alt war und zum ersten Mal merkte, dass es Spaß machte, auf Männer zu schießen, da jubelte er in Gedanken, und auch hierzu nahm er den Vers des Lord Byron, denn etwas anderes stand ihm nicht zur Verfügung.

Josh war ein Wunderkind. Mit zwölf schoss er besser als Cyrus. Und als man den alten Jenkyns dann fing und erhängte, auf einem Hügel bei Decatur am Sangamon River, und als der ungefähr vierzehnjährige Joshua sein Erbe antrat und sich sehr betrank vor Freude und Entsetzen: Da gab er sich selbst die Sporen mit elf Worten Byron, und er schrie, wie er es manchmal tat, schrie einen sprachlosen Schrei hinein in die große leere Landschaft, denn Joshua mochte diese Welt und er würde Spaß haben in seinem Geschäft, und er beherrschte die Sache ohnehin schon längst besser als Vater.

If solitude succeed to grief … Plötzlich wurde Joshua das langweilig. Er holte den Pfarrer von Decatur aus der Hütte, die ihm als Kirche diente, und nahm ihn mit, und als der Pfarrer endlich aufhörte zu zittern, musste er Josh Jenkyns das Lesen beibringen. Ein aufmerksamer Schüler, das Gewehr auf den Knien. Die Männer wagten nicht einmal zu grinsen.

Missouri

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