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Kapitel 6

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Beim steinernen Gemäuer des Museums angekommen passierte Charlotte wieder den gepflasterten Innenhof. Als sie den Eingangsbereich erreichte, stellte sie fest, dass mittlerweile ein rot-weißes Absperrband vor der Türe aufgespannt war. An der Tür selbst war ein Schild angebracht: „Achtung Wasserrohrbruch! Wegen akuter Reparaturmaßnahmen ist das Museum vorübergehend geschlossen. Wir informieren Sie rechtzeitig über die Wiedereröffnung. Vielen Dank für Ihr Verständnis!“ Klar, das hätte sie sich auch denken können, dass das Museum einen Tag nach dem Mord noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich war. Allerdings war das mit dem Wasserrohrbruch eine dreiste Lüge. Einen Mord konnte man schließlich nicht unter den Teppich kehren – oder doch? Sie wägte kurz ab, ob sie wieder umdrehen sollte, aber schließlich siegte der Wunsch, es ihrem Chef beweisen zu wollen. Sie schlüpfte unter dem Band hindurch und wollte schon die Eingangstür benutzen, als sie hinter sich eine Stimme hörte: „Was machen Sie da? Hier ist alles gesperrt!“ Charlotte drehte sich um. Eine Frau mittleren Alters mit krausen Naturlocken und Hornbrille starrte sie erbost an. Sie war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Unsicher duckte sich Charlotte erneut unter dem Band hindurch und lief auf die Frau zu. „Ich... bin Journalistin“ – das klang besser als ‚von der Presse‘ – „und ich... ermittle in dem Mordfall, der sich gestern Abend hier ereignet hat.“ Charlotte bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen, als wäre ihre Anwesenheit hoch offiziell. „Wäre mir neu, dass Journalisten ermitteln“, erwiderte die Frau scharf. „Außerdem gab es hier keinen Mord. Wir haben einen Wasserrohrbruch, das können Sie doch auf dem Schild lesen. Ich muss Sie bitten, jetzt zu gehen.“ Charlottes Wahrheitsliebe protestierte. „Das ist doch lächerlich. Ich war gestern hier und weiß, dass jemand umgekommen ist!“ Die hornbebrillte Frau trat einen weiteren Schritt auf Charlotte zu. „Wenn Sie jetzt nicht gehen, zeige ich Sie wegen Hausfriedensbruch an.“ Mit eisiger Miene zog die Frau ein Handy aus der Tasche. Das war genau das, was Charlotte nicht wollte. Sie überlegte schnell, wie sie sich aus der Situation retten konnte. „Wissen Sie was, ich habe auch noch ein Telefonat zu führen... ich komm dann einfach später wieder.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich ab. „Ich denke Sie kommen gar nicht wieder, sonst rufe ich die Polizei“, war die Reaktion in schneidendem Tonfall. Charlotte tat, als hätte sie es nicht gehört und lief weiter.

„Eine Frau hat mich abgefangen und mehr oder weniger zum Teufel geschickt! ‚Hausfriedensbruch‘ kam auch noch vor“, erklärte Charlotte aufgebracht ihrem Chef per Handy. Sie stand etwas abseits und hatte sich weit vom Eingangsbereich entfernt. Richling erwiderte: „Ach Gott, dann probier‘ es halt beim nächsten. Am besten bindest du demjenigen nicht gleich auf die Nase, dass du von der Presse bist.“ Charlotte protestiere: „Aber ich bin von der Presse! Und wieso sollte irgendjemand hier mit mir sprechen, wenn ich quasi nur Zivilistin bin?“ Richling schnaubte. „Charlotte, es ist doch nicht so schwer. Du kannst doch mit Worten umgehen. Lass‘ den anderen einfach glauben, du wärst von der Polizei.“ Charlotte glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Ja klar. Als ob das nicht strafbar wäre.“ „Naja...“, erwiderte Richling gedehnt. „Solange du ihnen nichts verkaufst, ist das... sagen wir mal... im Graubereich.“ „Graubereich“, wiederholte Charlotte ungläubig. „Jep. Also, ab die Post, Mädchen.“ Ohne ein weiteres Wort hatte Richling aufgelegt. Charlotte starrte einen Augenblick lang das Display ihres Handys an, dann wollte sie vor Wut ihr Telefon in den nächsten Busch schmeißen. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust mehr, hier weiter zu machen. Andererseits drohte Garten&Grünzeug. Oder Schlimmeres: nur noch Sport-Artikel. Also musste Charlotte wohl oder übel weitermachen. Zum Haupteingang traute sie sich aber nicht mehr. Die Frau war vorhin innerhalb weniger Sekunden aufgetaucht, vielleicht hatte sie einen guten Blick auf den Bereich. ‚Hier musste es doch irgendwo noch einen anderen Eingang geben‘, überlegte Charlotte. Sie lief rechterhand um das Gebäude herum und entdeckte eine unscheinbare Tür, die ins rot-braune Gemäuer eingelassen war. ‚Bingo‘, dachte sie hoffnungsvoll. Charlotte drückte die Klinke herunter, aber die Tür gab nicht nach. Sie rüttelte noch einmal an der Tür – vielleicht klemmte sie bloß? Aber nichts geschah. Charlotte beschloss, vor der Tür zu warten und den erstbesten, der rein oder raus wollte, abzufangen.

Etwa 15 Minuten später kam ein übermüdet aussehender Mann mit dunklen Locken und 5-Tage-Bart in einem schmutzigen blauen Kittel durch die Tür. Charlotte setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf und ging auf ihn zu. „Entschuldigen Sie bitte!“ Unter schweren Augenlidern blickte er sie an. Keine Reaktion. Entschlossen sprach sie weiter. „Ich ermittle... in dem Mordfall, der sich gestern Abend hier ereignet hat.“ Immer noch keine Reaktion. Sie zeigte ihm in einer fließenden Geste ihren Presseausweis, in der Hoffnung, dass er keinen Buchstaben darauf entziffern konnte und sie einfach der Polizei zuordnen würde. Charlotte war eine miserable Lügnerin und das wusste sie. Um ihre Nervosität zu vertuschen kramte sie sogleich nach ihrem Notizblock. Während sie ihn aus der Tasche angelte, lächelte nervös. „Ich hätte ein paar Fragen an Sie.“ Der Mann verharrte einige Augenblicke, bevor er mit osteuropäischem Dialekt antwortete. „Ich mach‘ gleich Pause, wenn Sie hier kurz warten. Ich komme dann.“ „Gut, ok, ich warte hier.“ Erleichtert nickte Charlotte und konnte selbst nicht glauben, dass ihr Bluff geklappt hatte. Gleichzeitig hoffte sie inständig, ihr Verhalten würde sie nicht wegen Irreführung in die Bredouille bringen. Sie verfluchte Richling.

Zirka 5 Minuten später tauchte der Mann tatsächlich wieder auf, wischte sich beim Gehen die Hände an einem schmutzigen Lappen sauber und steuerte auf sie zu. „In Ordnung, hab‘ ich jetzt Zeit. Was wollen Sie wissen?“ Charlotte sah ihn so souverän es ging an und sagte: „Gestern Abend ist hier im Lauf der Abendveranstaltung Mord im Museum ein Schauspieler umgekommen, der den Buchhalter Rudolf Steiner gespielt hat. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wo Sie... zur Tatzeit waren und was Sie mir über das Opfer sagen können.“ Sie machte eine Pause und sah ihn an. Der Mann hatte auf den Boden geblickt während sie sprach und sah sie jetzt an. Ein undurchdringlicher Blick, als hätte er sie nicht richtig verstanden. Charlotte wollte gerade ihre Frage wiederholen, als der Mann schwerfällig zu sprechen begann. „Ich habe ihn nicht gekannt. Wegen Spiel hab’ ich nur mitgeholfen, Kulissen aufzubauen. Am Ende vom Abend hab’ ich wieder mit abgebaut. Das ist alles.“ Charlotte war enttäuscht. Dann fiel ihr auf, dass sie den Mann noch nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte. Peinlicher Anfängerfehler. „Ähm, entschuldigen Sie, aber Sie haben mir Ihren Namen noch gar nicht gesagt...“ „Sie haben nicht gefragt“, erwidere der Mann ungerührt. ‚Schlaues Bürschchen‘, dachte Charlotte und ihre Selbstsicherheit bröckelte: „Ja, ähm tut mir leid, dann hole ich das hiermit nach: Wie heißen Sie und was ist Ihre Arbeit hier im Museum?“ Unmotiviert antwortete der Mann: „Ich bin Boris Chukovina, ich arbeite hier als Hausmeister.“ Das hatte sich Charlotte schon gedacht. Dennoch notierte sie seinen Namen und fragte dann, als er wieder den Blick auf den Boden wandte und das Gespräch für ihn offenbar beendet war: „Gut, ich würde mich jetzt gerne drinnen umsehen. Können wir vielleicht gleich hier reingehen?“ Sie deutete auf die Tür hinter sich. Gleichzeitig sah sie nervös in Richtung des Haupteingangs und hoffte, dass die Frau mit den Naturlocken nicht um die Ecke kommen würde. Der Hausmeister zuckte gleichgültig mit den Schultern und ging dann zur Tür, die er mit einem Schlüssel öffnete. Dankend trat Charlotte eilig ein und lief ein paar Schritte in den Raum hinein. Die Tür hinter dem Hausmeister schloss sich so schnell, dass sie gar nicht genug Zeit hatte, sich umzusehen. Sofort wurde es um sie herum stockdunkel, und ihr stieg der Geruch von Farbe, Lösungsmitteln und Holz in die Nase. Charlottes Hals wurde eng. „Ähm, wo geht es denn hier in den Museumsbereich?“, fragte sie hastig. Sie spürte, wie sich der Hausmeister hinter ihr bewegte und sie hörte ihn sagen: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen. Am besten Sie sprechen mit Maria. Sie ist hier und holt Sachen ab. Sie spielt auch bei Mord im Museum.“ Er knipste ein Licht an, und Charlotte spürte sofort ihre Erleichterung. Jetzt sah sie, dass sie in einer Art Abstellraum standen, in der allerlei Werkzeuge, Metallgestelle, Farbtöpfe und leere Schaukästen aufbewahrt wurden. Der Hausmeister schritt durch das geordnete Chaos zur gegenüberliegenden Tür und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Hinter der Tür lag ein Korridor, der nach etwa fünf Metern in den Museumsbereich mündete, der auch für Besucher zugänglich war. Dort zeigte er auf den vor ihnen liegenden Gang und sagte: „Dritte Tür rechts, da ist Maria.“ Ohne einen Abschiedsgruß wandte er sich ab und lief zurück in den Werksraum. „Danke“, rief Charlotte ihm nach, bekam aber nur noch seinen dunklen Lockenkopf zu sehen. Dann blickte Charlotte auf die Tür, auf die er gezeigt hatte. Kurz rang sie mit sich und verspürte wieder den Drang, am besten abzuhauen, weil ihr die Sache doch eine Nummer zu groß war. Andererseits war sie jetzt schon im Museum. Also schritt sie entschlossen auf die Tür zu, klopfte zweimal und trat ohne eine Antwort abzuwarten ein.

Im Zimmer stand eine Frau, die Charlotte als die Schauspielerin erkannte, welche gestern Abend die Putzfrau verkörpert hatte. Überrascht verharrte sie in der Bewegung und glotzte Charlotte an. In der Hand hielt die Frau einen Bündel Kleidung. Charlotte glaubte, darin einige Kostüme der gestrigen Vorführung wiederzuerkennen. „Ja, guten Tag, Bienert mein Name“, sagte Charlotte beim Eintreten und lehnte die Tür hinter sich an. Auch hier zog sie die Presseausweis-Schwingnummer ab. Dieses Mal schon etwas souveräner. „Ich hätte ein paar Fragen an Sie zu dem gestrigen Vorfall. Sie waren noch mal Frau...?“ Offenbar fühlte die Frau sich ertappt. Sie ließ die Hand mit der Kleidung sinken und stammelte: „Maria Benthoff. I..i..ich wollte... nur ein paar Klamotten einsammeln, die wir für eine andere Vorstellung brauchen. Und Herr Chukovina hat mich reingelassen... ich weiß, eigentlich sollte ich gar nicht hier sein, aber für uns muss die Show ja auch irgendwie weitergehen. Man verdient ja nicht grade gut als Darsteller.“ Sie hörte auf zu reden und sah Charlotte an, als erhoffe sie von ihr Nachsicht. Die antwortete ausweichend. „Nun, ich müsste mich selber auch erst mal schlau machen, ob das so in Ordnung geht. Jetzt hätte ich aber erst mal ein paar Fragen zum Opfer. Wie standen Sie zu Herrn...?“, Charlotte machte eine Pause und hoffte, ihr Gegenüber würde ihr den Namen des Opfers verraten. Und tatsächlich ergänzte die Frau: „Hindler. Jakob Hindler.“ Ihr schien es nicht aufzufallen, dass Charlotte das eigentlich wissen müsste, wenn sie von der Polizei war. Stattdessen schaute die Schauspielerin betroffen zu Boden. Plötzlich klang ihre Stimme ganz leise und traurig. „Ich mochte ihn sehr. Ich kann immer noch nicht begreifen, wie das passieren konnte, oder warum. Er war so beliebt... ich weiß gar nicht, wer ihm was Böses hätte antun sollen.“ Charlotte wartete ein paar Sekunden, bevor sie zögerlich nachsetzte: „Nun ja... Herr Hindler wurde aber ermordet – das lässt ja schon darauf schließen, dass er mindestens einen Feind gehabt haben muss.“ Maria schüttelte den Kopf, dann sah sie Charlotte mit Tränen in den Augen an. „Der Jakob, der war bei uns allen beliebt. Die Christiane...“, sie zögerte. „Also wir haben uns alle gut mit Jakob verstanden und immer mit ihm rumgeschäkert. Das Spielen hat Spaß gemacht mit ihm. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wer ihn... hätte umbringen sollen!“ Sie verstummte. Charlotte fühlte, wie ihr das Gespräch entglitt und dachte fieberhaft nach. Was konnte sie als nächstes fragen? Was würde die Polizei fragen? Andererseits hatte Charlotte den Eindruck, dass sie von der Schauspielerin nichts weiter erfahren würde. Als Charlotte ebenfalls schwieg, begann Maria Benthoff wieder, Kleidung einzusammeln. „Gut. Dann danke ich Ihnen erst mal. Ähm, wegen der Klamotten...“, setzte Charlotte an. Doch weiter kam sie nicht. „Die bleiben schön hier“, tönte hinter ihr eine Männerstimme, dann wurde die Tür aufgestoßen und Kommissar Jankovich stand im Türrahmen.

Mord im Museum

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