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Frankenthal-Bericht

Beschreibung der Sonderhaftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal 1981

1. die allgemeine situation, wie sie für alle gefangenen gilt:

schon aus der luft sieht das ganze aus wie ein modell in der landschaft, 5 oder 6 rechteckige kästen mit einer mauer drumrum, geschlossene blöcke, zugemauerte klotze – erst wenn man näher rankommt, kann man erkennen, daß es vier stockwerke fensterreihen gibt, die aber zu 50 % mit breiten, von oben nach unten verlaufenden betonträgern ohne querverstrebungen verschlossen sind. da alles mit einem durchgehenden einheitsgrau verputzt ist, sieht es so aus, als seien die geschlossenen wände der trakte nur von länglichen, schießschartenartigen luftschächten durchbrochen; direkt davorstehend kann man sich die fabrik vorstellen, in der die fertigbauteile hergestellt werden, wie riesige maschinen rechteckige betonstücke stanzen, aus denen dann die fassade zusammengesetzt wird, schön ein kästchen neben dem andern, eins wie das andre durch sauber verputzte verbindungslinien aneinandergeklebt. »anstaltsfremde besucher« werden von mehreren wächtern empfangen, von denen einer das übliche absonden mit gezogener (wahrscheinlich konsequenterweise auch entsicherter) pistole überwacht, eine rheinland-pfälzische spezialität, laut jumi sei das »weder eine bedrohung noch eine diskriminierung bestimmter besucher oder berufsstände«, sondern diene vielmehr der »fürsorge«, und zwar »der die durchsuchung vornehmenden beamten«. es hat ja schließlich auch noch keinen mcleod gegeben. in den gängen leicht beige abgewiegelte farben, »aufgelockert« von bildern von gefangenen an der wand, in gedämpften farben gehaltene »freizeitprodukte rehabilitierter«, auf die die beamten mit verhaltenem stolz verweisen, sie unausgesprochen als erfolg ihrer arbeit deklarierend; gummibäume in plastikkästen, adrette holztischchen mit roten, blauen und grünen stühlen davor, hübsch schräg versetzt angeordnet in reih und glied im ansonstigen nichts, wahrscheinlich damit es bei besuchen »entkrampft« ist.

die zelle mehr klinisch als knastig, alles auf beruhigung abgemischt, holzboden parkett (den man dann einmal pro woche bohnern darf – fehlt nur noch der gummibaum auf der zelle), wandfarbe nicht grell weiß, sondern gekämpft abgetönt, an der fensterfront helles braun oder mattes ocker. holztischchen (70 x 70 cm), schränkchen, stuhl und übliches einheitsbett, gekachelte, leicht abgeschrägte ecke mit den »sanitären anlagen« neben der tür, über dem waschbecken badezimmerplastikschränkchen mit spiegelschiebetüren. das erste wort, das aus der 8- bis 10-köpfigen wachmannschaft verlautet, ist, daß man mit der gegensprechanlage nicht abhören könne – und dann sieht man sie erst: über der tür der lautsprecher, darunter ein rotes lämpchen, unter dem steht: hören, und ein grünes, unter dem steht: sprechen.

das ritual, das in diesem moment stattfindet, heißt »zellenübergabe«. die wächter gebärden sich feierlich, stolz und als ob man sowas luxuriöses eigentlich nicht verdient hätte, mit verhaltenem ton wird sachlich und ernst auf das mobiliar verwiesen und mit besonderer befriedigung die hiesige spezialität gezeigt: eine vierknöpfige leiste neben der tür, ganz unten licht (»da können sie dann abends früher ausmachen, wenn sie z. b. schon um 8 ins bett gehn wollen«), darüber ein lautstärkeregler fürs radio, mit dem der gewisse hoteleffekt erzeugt werden soll (»damit können sie’s einstellen, wie’s ihnen genehm ist«), dann ein programmwahlknopf (»können sie aus zwei programmen auswählen, wenn ihnen eines nicht zusagt«), und ganz oben die »ruflampe« (»können sie jederzeit drücken und melden, was sie wünschen«) – die totale fürsorge, könnte man meinen, in wirklichkeit die totale inbeschlagnahme und fremdbestimmung, nur indirekter als anderswo, das beginnt gleich mit dem wecken:

nicht um 6:30 oder 7:00 uhr wie in anderen knästen, sondern um 5:30 uhr, und zwar durch aufflackern der neonröhre über dem kopf, wem das und das bereits eine halbe stunde früher einsetzende laute reden auf dem gang, das türenschlagen und muntere pfeifen noch nicht reicht, dem gibt ein schriller, durchdringender, in seiner aufdringlichen »freundlichkeit« umso aggressiverer dreiklangton den rest. dieses frühe, jeden normalen schlafrhythmus zerstörende wecken erzeugt eine den ganzen tag anhaltende latente müdigkeit, die die abwehrkräfte reduzieren und die gefangenen damit verfügbarer machen soll, es ist symptomatischer teil sämtlicher aufeinander abgestimmter maßnahmen des gesamten derart hintergründig und indirekt funktionierenden programms. kurz vor sechs frühstück (was heißt: brot und ungenießbarer milch»kaffee«), zwischen halb sieben und sieben hofgang (was im winter heißt: bei völliger dunkelheit im licht von scheinwerfern), um 11 mittagessen, um 16 uhr abendessen, um 22 uhr licht aus.

den ganzen tag über durchsagen, die man mithören muß: »herr schladda bidde segs acht eins ahnrufen, herr schladda bidde segs acht eins ahnrufen dringend« (fränkisch mit ansätzen zum übergang ins schwäbische), oder ein aufreizender elektronischer dauerton, dem ein wiederholtes, sicherheit und ordentliches, beamtenhaft wichtiges, alles unter kontrolle habendes, entschieden warnendes und doch seltsam mechanisch tonloses »probealarm probealarm« folgt – eine der lieblingsbeschäftigungen der zentrale hier, fast jeden tag.

mehr noch die funktion, die ständige präsenz der kontrolliertheit und der aufforderung zur einbzw. unterordnung zu demonstrieren, erfüllen die stationsspezifischen und direkt nur in die eigene zelle gelegten durchsagen.

so werden die gefangenen z. b. jeden morgen nach dem frühstück in einer art sachlichem befehlston in überlautstärke aufgefordert: »abfalleimer leeren – abfalleimer leeren: ruflampe drücken« – von der entmündigung und bevormundung mal ganz abgesehen, ist damit die demonstration des ausgeliefertseins beabsichtigt, gerade in diesen anscheinend nebensächlichen kleinigkeiten. gleichzeitig ist damit das »angebot« einer kooperation verbunden, für die, geht der gefangene auf sie ein, »belohnung« winkt (siehe auch literatur zur »behavior modification« in den usa, z. b. das »24-punkte-programm « des dr. schein u. a. in »autonomie«). das erstreckt sich dann natürlich auf alle bereiche des täglichen lebens: einkaufszettel verlangen, einkaufszettel abgeben, hofgang, mittagessen ankündigen, »fertigmachen zur freizeit«, ankündigung von sondervorführungen beim video oder kirche und natürlich immer wieder verkündigung und erläuterung der neuesten »verordnungen« oder »durchführungsbestimmungen«, die in monotonem, aber »belehrendem« ton vorgetragen werden und meist mit »ende der durchsage« enden, besonders deutlich sind die direkten einzeldurchsagen, in denen anwalt, besuch, duschen oder einzelhof angekündigt wird, sämtliche anstehenden einzelfragen erledigt werden, bis hin zur frage, ob man klopapier oder seife braucht, aber auch der monatliche tabakeinkauf oder briefmarkenbestellung.

der grund, warum sowas nicht normal mündlich an der zelle besprochen wird – wie es für eine einzelangelegenheit ja anzunehmen wäre – ist ebenso einfach wie brutal: da der gefangene davon abhängig ist, daß der wächter ihn von seinem »dienstzimmer« aus sprechen läßt – denn der gefangene muß ja im wahrsten sinne des wortes grünes licht erhalten zum sprechen, ist ja nicht wie beim sprechfunk, wo jeder selbst bestimmen kann, wann er redet –, kann der wächter struktur und inhalt des gesprächs bestimmen: gibt es z. b. eine auseinandersetzung über die herausgabe von alten zeitungen oder zu langes wartenlassen auf den hofgang oder sonst irgendwas, dreht der wächter einfach die sprechmöglichkeit ab und redet selbst so lange, bis das thema auf seiner ebene ist oder er gesagt hat, was er sagen wollte, und damit ist ende, ich konnte mal verfolgen, wie sich in der nebenzelle ein gefangener darüber beschwerte, daß er nicht in die »freizeit« durfte (als »strafe« dafür, daß er nachts »zu laut« gewesen war), und je erregter er wurde, desto früher fiel ihm der wächter ins wort und brüllte in seine zelle rein – bis der gefangene fast tobte vor wut und daraufhin (er war in einer dreierzelle) zur »strafe« in eine einzelzelle verlegt wurde. unterwirft sich der gefangene nicht, werden durch solche – und mehr derartige – mittel seine aggressionen geschürt: geraten sie ihm dann außer kontrolle und er schlägt um sich – greift jemanden an oder beschimpft jemanden –, ist das die legitimation für noch härtere maßnahmen: solange, bis sein rückgrat krumm ist.

wichtig ist noch, daß die wächter ihre rolle in diesem programm nicht bewußt spielen – sie sind werkzeuge, bzw. eben »auch nur menschen«, wie mir neulich einer sagte; d. h. es ist natürlich bequemer für sie, hinter dem schaltpult mit einem zu reden, und nicht nur diese möglichkeit, das gespräch bestimmen zu können, sondern auch die ganze atmosphäre dieses »control-unit«, hinter dem sie da sitzen, mit knöpfchen und lämpchen und oft mit videomonitoren, vermittelt jenes gewisse gefühl der partizipation an der macht, mit dem die herrschenden schon seit jeher ihre handlanger und vor allem ausführenden in den untersten rängen geködert haben, und so sind sie im gewissen sinn sogar opfer:

sie können gar nicht mehr normal von mensch zu mensch mit einem reden, können einem z. b. nicht mehr in die augen sehen; und wenn sie mal nicht mehr selbst die frage nach briefumschlägen über gegensprechanlage abwickeln können, um sie dann wortlos auszuhändigen, sondern etwas direkt sagen müssen, dann ist das nur noch etwas amtliches, gerichtsbeschlossenes oder hausordnungsverkündendes, was geradezu rituell anmutend »eröffnet« wird: langzeitfolge einer solchen praxis ist eine mutation: verlust der kommunikationsfähigkeit und ihr ersatz durch elektronik, weil sie nicht mehr gebraucht wird – früher waren es nur die fußzehen, die verkümmerten, als der mensch anfing aufrecht zu gehen – auch schon schade, aber jetzt geht’s an die substanz.

über die funktion des radios und des tv als instrument zur verhinderung eigener gedanken, kreativität oder gar widerstand wäre eine extra analyse zu schreiben, vor allem in hinblick darauf, daß das, was hier läuft – gerade in dieser funktion – nur speerspitze der gesamtgesellschaftlichen funktion der medien ist. das wird da besonders deutlich, wo sich die gefangenen für ihre drei stunden täglich, in denen sie videoaufzeichnungen sehen dürfen – und es gibt nur video, was eine zusätzliche kontroll-, auswahl- und zen-surmöglichkeit ist –, auch noch selbst die dümmsten und systemimmanentesten hollywoodschinken und unterhaltungssendungen aussuchen: es gibt keinen ort der welt, wo diese unwirklichkeit und vorspiegelung falscher tatsachen krasser – und ihre funktion der verdrängung der realittät erfüllender! – hervortritt als im knast.

wenn die gefangenen dann abends nach drei stunden video mit voll-leerem kopf wieder im weißen nichts der realität ihrer zelle stehen, schreien sie ihre unzufriedenheit bis tief in die nacht zum fensterraus.

mit dem radio verhält es sich ähnlich: da macht es die menge aus, die ständige berieselung und einlullung; es gibt zwei programme: auf dem einen sender eine auswahl von musiksendungen verschiedener programme – und zwar nur musik, mein vorschlag, wenigstens auf diesem einen programm sonntagmittag werner höfer reinzumachen, weil ich den auf mittelwelle hier nicht reinkriege, wurde abgelehnt.

spitzenreiter ist das mittwöchliche wunschkonzert aus baden-baden, dessentwegen sogar das radio dann bis 24 uhr angelassen wird und erst nach dem dröhnenden abspielen der nationalhymne um null uhr sechs ausgeschaltet wird: wunschkonzerte erfreuten sich ja bekanntlich bei den nazis als perversion der brechtschen radio-thesen der zweigleisigkeit zum zweck der ablenkung größter beliebtheit.

auf dem anderen sender swf 3, das amerikanischste programm der brd. flott, süffig, glatt, geschliffen, abgeleckte ware, ständig von für sich selbst werbenden spots à la rtl unterbrochen, selbst information und nachrichten als unterhaltung, krimi oder auch nur auflockerung der musiksendungen, wie mit einem glänzend glitzernden schleifchen verpackt, z. b. »pop-shop-infos«: funky-soul-musik.

abblendung auf halbe lautstärke, darüber gesprochen: »die bundesrepublik exportiert: berufsverbote jetzt auch in argentinien. die argentinische regierung verfügte, daß ab sofort keine terroristen mehr in den staatsdienst dürfen«, wieder aufblenden der funky-soulmusik, in einem richtig duften, jungen, lässigen hey-wir-sind-unteruns-anmacher-ton gesprochen, so als ob da einer noch mit den knien wackelt und mit den fingern schnalzt.

man könnte hier den ganzen tag auf dem bett liegen und die dahinsabbernde musik in sich reinlaufen lassen, abends dann noch drei stunden tv (was übrigens auch die letzten reste von gruppenstruktur unter den gefangenen verhindert, weil sie glotzen, anstatt sich zu unterhalten, was auch ein wesentliches merkmal der »behavior modification« ist), und was an aktivitäten zum weiterdahinvegetieren notwendig ist, wird von den wächtern verwaltet:

da bleibt vom »dreckeimer ausleeren« übers »fertigmachen zum mittagessen fassen« bis zur sofortigen wegnahme leerer gläser (damit man sie nicht zum fenster rauswerfen kann) oder selbstgemachter kerzen (damit man wie ein kleines kind auch um 22:00 uhr brav ins bett geht) oder dem verbot, aus der zelle zu treten, wenn man sein hemd nicht in die hose gesteckt hat, nichts eigenes mehr übrig, das ist der normalzustand, der für die gefangenen, die arbeiten, nur noch angepaßter wird, jeweils zu beginn und ende der arbeitszeit und in den pausen ertönt dann auch noch der durchdringende dreiklanggong – als ob man’s nicht auch so merken würde …

diese institutionalisierte behavior modification, diese totale fremdbestimmung und verwaltung der gefangenen (die z. b. auch so weit geht, daß in der hausordnung exakt angegeben ist, wie man sein bett machen soll, wie man den »spint« einrichten soll, wo die bücher, wo die teller etc.; auch der dezente hinweis, daß analphabeten sich ihre anträge und einkaufzettel von den wächtern ausfüllen lassen könnten, fehlt nicht – hab ich alles in noch keinem der sechs anderen gefängnisse gesehen, in denen ich bis jetzt war), die ja auch vorbildlichen mustercharakter hat (hier kommen sie aus allen möglichen gefängnissen, um zu lernen), bedeutet nicht nur die fast völlige bevormundung und entmündigung der gefangenen, sondern zielt direkt auf die zerstörung der persönlichkeit, der selbstachtung und des rückgrats der gefangenen:

nur der angepaßte, opportunistische schleimer kann hier ein einigermaßen ungestörtes leben führen – für die andern ist es die abgestufte hölle: vom entzug der bonbons à la video über verlegung in einzelzellen (vor allem für die jugendlichen schlimm) bis hin zum bunker: das sind die stationen für die, die nicht mitmachen (und was für die läuft, die am meisten widerstand leisten und bei denen das programm nicht funktioniert, kommt dann noch an meinem beispiel …).

symptomatisch für die wirkung dieses programms auf die gefangenen – gerade im unterschied zu ändern knästen, die noch nicht so weit sind, ist, wie sie abends am fenster schreien- daß geschrien wird, ist normal, nur wo in anderen gefängnissen die gefangenen noch tierische urschreie von sich geben, wie verletzte stiere brüllen, röhrend strotzende kraft (soundsoviel psychiater verdienen sich dumm und dusslig daran, den leuten beizubringen, überhaupt wieder so brüllen zu können, wie es für die meisten gefangenen eine ganz natürliche form der erleichterung und kommunikation ist, die auch kraft gibt), da ist hier auch diese quelle eigener selbstbestätigung bereits angegriffen: die gefangenen machen eine rückentwicklung zum kleinkind durch, schreien nicht, sondern wimmern wie babys, jaulen wie hunde (überhaupt die tiergeräusche – bis jetzt habe ich erst einmal einen immer muhen hören, sonst nie tiergeräusche – diese identifikation mit hunden ist natürlich bezeichnender, als man es mit worten beschreiben könnte!) oder geben stammelndes anal- und fäkalgelalle von sich, und wo andre noch nach »fotzen« und »löchern« schrien, kann man hier nur noch ab und zu was von »arschficken« hören, was aber auch schon das höchste der gefühle ist: von »scheiße«, »nieder mit den schweinen«, »macht sie fertig« oder »bambule«, die sonst geläufig sind, hab ich hier noch nichts gehört.

2. die besondere station, auf der ich bin:

aber das ist – wie gesagt – alles noch erst der »normalzustand«. die station, auf der ich bin, ist davon nochmal eine steigerung, suizidstation, »beobachtungsstation« für neuzugänge – laut anstaltsleitung ist hier außer mir keiner länger als 3-7 tage, von jugendlichen und »besonderen fällen« abgesehen –, die gefangenen am fenster nennen diesen trakt »verrücktenstation«, womit offensichtlich sowohl die gefangenen als auch die wachmannschaft gemeint sind, bereits im stockwerk drüber sei wieder »alles normal«, aber wie auch der »offizielle« name schon sagt, zeichnet sich diese station zunächst mal durch eine im vergleich zu andern stationen potenzierte überwachung aus. mehrmals stündlich – wobei sie aber nicht mal jedesmal extra kommen müssen, sondern auf den gängen sind und sozusagen nur noch nebenher immer mal wieder reinschauen müssen –, vor allem aber auch nachts, z. b. in der ersten stunde nach dem licht aus zwischen 22 und 23 uhr alle 15 minuten ein kontrollgang mit ausgiebigem reinglotzen in alle zellen, was ich bis auf eine zeitweilige spezialmaßnahme gegen uns noch nie erlebt habe, als »normalzustand« und dann auch noch für alle; meist – und auch auf den anderen stationen hier – findet nämlich außer 1-2 stichproben nichts derartiges statt; das andere hauptmerkmal dieser station ist aber die besondere wachmannschaft, es gibt überall unter 10 bewachern einen neurotiker, der versucht zu schikanieren, sich autoritär aufführt, sich wichtig macht, razzien besonders scharf macht, um einem was anzuhängen usw. usw., eben seine zerstörte persönlichkeitsstrukur innerhalb seines machtbereichs austobt.

im allgemeinen sind solche typen noch zu verkraften, wenn die anderen einigermaßen umgänglich sind und sich zurückhalten, weil sie selbst ihre ruhe haben wollen; hier besteht die gesamte, schichtweise rotierende mannschaft nur aus lauter solchen »einen«, solche sind dann nicht nur in der lage, so eine dauerüberwachung durchzuziehen (das kotzt den normalen wächter nämlich auch an, das weiß ich authentisch), sondern sie machen es auch noch mit hingabe und vergnügen, woran man auch sehen kann, daß sie aus »dienstlichen notwendigkeiten« gezielt ausgewählt wurden.

solche »nachgemachten menschen«, wie knut mal sagte, werden ihrer besonders verantwortungsvollen aufgabe aber vor allem dadurch gerecht, daß sie die gefangenen nur noch in demütigendem und autoritärem ton anbrüllen, »zurechtweisen« oder belehren, im besten falle die jugendlichen in jugendheimleiterlicher, jovial-altväterlicher strenge ansprechen: »na, ihr buben«, leise stimmbrüchige proteste, die nicht genau zu verstehen sind, »was, männer wollt ihr schon sein, na da müsst ihr aber erst noch wachsen« – normal, soweit man davon überhaupt reden kann, können sie aufgrund ihrer mutation überhaupt nicht mehr, deswegen wird es so verquer, wenn sie trotzdem reden müssen: als ich mich mal über den ton beschwerte, wunderten sie sich ernsthaft, was ich meinte, und verstanden es überhaupt nicht, weil sie es normal finden; auf meinen hinweis, daß ich das mir gegenüber verbitte, reagierten sie dann zum teil in einer überzogenen, extra künstlich betont aufgesetzten freundlichkeit – ich kam mir vor wie in der volksschule.

damit man sich aber auch wirklich sozusagen »sinnlich« vorstellen kann, welche umgangsformen hier die ständige spannung auf einem nicht nachlassenden high-level ausdrücken (oder mitverursachen, das läßt sich kaum auseinanderhalten), muß ich noch ein paar wörtliche beispiele des alltagsbringen, selbstverständlichkeiten – für die wächter –, wie ich sie jeden tag zu hören gezwungen bin, weil ich gegenüber des »dienstzimmers« bin; sie sind zwar nicht charakteristisch für den ton mir gegenüber (manche ham’s am anfang auch bei mir so versucht, aber, bezeichnend für die ausgangslage mir gegenüber, sich diesen ton verkneifen müssen – ausgerechnet so einem terroristen gegenüber), aber allgemein wichtig, denn das ist nicht der normale ton (und die struktur), sondern ausdruck der methode, mit der gefangene, die nicht funktionieren, für den angepaßten »normalvollzug« weichgeklopft werden sollen:

– morgens wird hier zusätzlich noch jede tür aufgeschlossen und ein schneidiges »guten morgen« im barraston gewünscht (demonstration der verfügbarkeit, bei mir zum glück aus sicherheitgründen nicht, weil sie nicht genug leute haben), wer aber trotz schrillem dreiklang und grellem neonlicht noch nicht aus dem bett gesprungen ist, wird mit »los, los, dalli, dalli, aufstehn, aber ’n bißchen schnell jetzt« und ähnlichem hochgescheucht.

–leises gemurmel eines gefangenen (daran, daß ich noch nie einen gefangenen verstehen konnte, kann man ermessen, wie unnatürlich laut die wächter immer reden), antwort: »ich hab sie heut morgen schon belehrt, jetzt läuft nichts mehr, los, ab in die zelle, aber schnell, los.«

–»machen sie das hemd in die hose – so läuft man hier nicht rum.« (haben sie bei mir auch versucht, als ich auf dieser station ankam – bei der andern nicht –, »wie ein normaler mensch« solle ich rumlaufen; ich weigere mich, und nach 6 wochen haben sie es aufgegeben, mich für den weg zur besuchszelle dazu zwingen zu wollen …)

–»rechtsanwalt ist da, stehn’se vom stuhl uff, hopp, hopp.«

–»friß nicht so viel.«

–»sie sind ja zu blöd zum denken.«

–»hausarbeiter!«, pause: »hausarbeiter!!!«, ein entferntes »ja«, darauf ein charakteristischer hundepfiff (in gleichem ton einmal lang, mehrmals kurz) – und der hausarbeiter kommt: gerannt.

es gibt in anderen gefängnissen immer mal wieder dumme sprüche, aggressionen, konfrontationen – aber ich habe es bis jetzt noch nirgendwo erlebt, daß wie auf dieser station permanent höchststufe gefahren wird, das ist auch nur als sondermaßnahme gegen besondere gefangene möglich (und auch gegen die nur eine zeitlang, würden sie dauernd hierbleiben, würden sich weniger rabiate strukturen automatisch herausbilden, weil beide seiten sonst nicht überleben könnten – gegen immer neue ist das aber drin und wird von den wächtern offensichtlich als lust empfunden: »erstmal zeigen, wo der hammer hängt« etc., befriedigung von machtgelüsten), als rechtfertigung nannte ein wächter in einem der beiden gespräche, die ich bis jetzt je 5 minuten lang mal führen konnte und in denen ich einige informationen herauslocken konnte, es sei hier eine »besondere station« (welcher art genau, wollte er nicht sagen!), in der ein »besonderes kommando« seinen dienst tue, das erstens »besonders ausgebildet« sei, zweitens stärker besetzt als auf anderen stationen (drei bis vier anstatt zwei), drittens immer gleich bliebe (im gegensatz zu andern stationen) und viertens: »die gefangenen erziehen« wolle.

3. was dazu noch extra gegen mich läuft:

also genau die richtige station für einen »gefährlichen terroristischen gewalttäter«, wie ich es bin. die einzige station in diesem knast, in der 50 % der maßnahmen, die sonst extra für mich eingeführt werden müßten, strukturell schon vorhanden sind oder ohne großen zusätzlichen aufwand durchgezogen werden können – und dabei als »normal« bezeichnet werden können, auch und gerade wenn sie selbst die vom olg bestimmten haftbedingungen weit überziehen. hier bedeutet es, mehrmals pro stunde ausgiebig betrachtet zu werden, nebenher bei ihrer arbeit, insoweit sie sich sowieso auf dem gang abspielt, aber auch zusätzlich, da es ja nur drei schritte vom »dienstzimmer« zu meiner zelle sind, man kann die schritte übrigens sehr deutlich hören, wie man überhaupt alles sehr deutlich hören kann, nicht zuletzt am quietschen der gummisohlen. rekord war bis jetzt in einer stunde, in der ich mal vor wut nichts anderes machen konnte und nur darauf geachtet habe: 7 – sieben – mal, das scheint normal zu sein, denn ich achte ja nicht immer so genau drauf, und es wäre je ein zu großer zufall, wenn ausgerechnet dann mehr als sonst wäre, manchmal bleiben sie auch eine zeitlang vor der tür stehen, klappern mit den schlüsseln oder flüstern, wenn sie zu zweit sind – als ich mal mittags versuchte, etwas zu schlafen, und sie in abständen von 5 minuten zum dritten mal ankamen und ausgiebig zu zweit, flüsternd und schlüsselklappernderweise, mir beim schlafen zuschauten, habich’s dann fast platzend vor wut aufgegeben: es ist, als würde einem einer mit einer spritze tröpfchenweise aggressiv machendes aufputschmittel einflößen, es legt sich eine plastikhaut über einen und lähmt, blockiert alles; wenn du es nicht schaffst, nicht drauf zu achten, es dir scheißegal sein zu lassen (was ich die meiste zeit natürlich hinkriege, sonst wäre ich längst verrückt geworden), dann fixiert sich alles auch nur noch darauf und bläst dir jeden andern gedanken aus dem kopf, es ist eine der methoden, gezielt aggressionen zu erzeugen, um – wenn sie dann mal unkontrolliert aus dem gefangenen ausbrechen, der wächter angegriffen oder auch nur beschimpft wird, oder der gefangene was zusammenschlägt –, eine legitimation für weiteres zudrehen der schraube zu kriegen und außerdem nachträglich die begründung für die maßnahme selbst bestätigt zu kriegen, sozusagen typischer fall von »self-fulfilling-prophecy«. nachts läßt das aber nicht nach, sondern steigert sich teilweise sogar noch, da sie da überall reinglotzen und deshalb, wenn es extrem kommt, jedes mal, wenn sie eine tour durchhaben, wieder von vorn anfangen, quietsch quietsch quietsch, stop, quietsch quietsch quietsch, stop, usw., bis er dann an die eigene zelle kommt – nachts ist das ja besonders deutlich zu hören, normalerweise ist es aber z. b. zwischen 22 und 23, wo ich immer noch wach bin, »nur« viermal; besonders scharf sind sie dabei auf selbstgemachte kerzen, die übrigens in anderen knästen gang und gäbe sind – außer in düsseldorf, wo man eh so lange licht anhaben konnte, wie man wollte. ins nichts reden und aus dem nichts wütende repliken erhalten: das ist viel schlimmer als 1984: das ist 1981 normal – inzwischen kann ich nur noch weiter drüber nachdenken, wie man so schnell wie möglich ein system beseitigen kann, restlos wenn’s geht, das in kürze solche strukturen nicht nur in knästen als normalzustand haben wird.

zur überwachung gehört als letztes aber auch noch das – natürlich nicht beweisbare – abhören mit der anlage, wer das als erstes dementiert, hat allen grund dazu, warum soll das nur dann gehen, wenn ich am anfang einen knopf gedrückt habe, wenn im verlauf des gespräches selbst auch mein sprechen von außen möglich gemacht wird? und seit wann werden technische möglichkeiten (das hier ist ja auch offiziell eine »spezialanlage« – man müßte, falls es wirklich bei den anderen nicht möglich sein sollte, nur ein drähtchen umlöten) nicht ausgenutzt und dann auch noch bei uns, wo eh alles erlaubt ist? mit »flucht- und suizidprophylaxe« können sie das hinterher jederzeit rechtfertigen, wenn es rauskommen sollte.

abgesehen von diesen überlegungen habe ich aber auch schon mal was gesagt und eine antwort bekommen, ohne daß ich am anfang den knopf gedrückt hatte, durch den sie draußen erst die möglichkeit zum hören bekommen sollten, angeblich, ich glaube auch nicht, daß sie ständig abhören, sondern nur stichproben machen, erkennen läßt sich das vor allem an unregelmäßigem rauschen, knistern, pfeifen oder knacken, das ebenso unmotiviert anfängt wie aufhört, manchmal, nachdem ich gerade gerülpst, gehustet oder laut geflucht habe, weil ich mich z. b. verschrieben habe: könnte also sein, daß sie das fluchen original hören und dann mal nachhorchen, was los ist. der gipfel in dieser beziehung war bis jetzt auch einmal so ein knacken und rauschen – und dann plötzlich eine telefondurchsage:»kein anschluß unter dieser nummer« … wenn sich das einer als schikane ausgedacht hätte (ist ja ein kommunikationsgerät, das diesen inhalt einem totalisolierten mitteilt), wäre es eine meisterleistung – als querschaltung ist es ein beleg fürs abhören.

die überwachung funktioniert aber auch »umgekehrt«: durch eine art zwang zum zusammenleben – mit den bewachern! ich liege nämlich weniger deshalb gegenüber zum »dienstzimmer«, damit sie schneller zu meiner zelle kommen und z. b. mein schreibmaschinenschreiben hören und so auch eine akustische kontrolle haben, sondern ganz bewußt noch mehr, damit ich sie die ganze zeit hören muß: ich höre nämlich nicht nur auch ihre schreibmaschine, auf der sie oft bis 22 uhr wahrscheinlich irgendwelche blöden formulare ausfüllen, sondern ich bekomme ihren gesamten tagesablauf mit, vom praktisch nie aussetzenden auf- und zuschließen der traktzugangstür, was jedesmal einen lauten knall mit sich bringt und z. b. ausreicht, um jeden versuch eines (nötigen) mittagsschlafs zu verhindern, bis zum gähnen der bewacher in ihrem »dienstzimmer«.

die zigfache routine jeden tag ungefähr so: telefonklingeln im »dienstzimmer«. hörer abnehmen, »ja, nummer soundso« (die gefangenen sind fast nur nummern, klar) »auf hausnummer soundso«, (pause) »ja, ist gut … nein, nein, ich bin froh, ham wir platz, wenn nachher der schub kommt« (bezieht sich auf die neu eingelieferten gefangenen, von denen täglich neue auf die »beobachtungsstation« hier kommen), schritte vom »dienstzimmer« auf den gang, quietsch quietsch quietsch, zellenaufschluß. »so, sachen packen, los, sie werden verlegt, alles einpacken, sie kommen auf nummer soundso, ziehen sie ihre bettwäsche ab und lassen sie die bücher da. wenn sie fertig sind, ruflampe drücken«.

tür zuknallen, zuschließen, quietsch quietsch quietsch, undsoweiter undsoweiter.

da sie aber auch untereinander so laut brüllen, wie sie mit den gefangenen reden, bekomme ich auch die meisten ihrer gespräche mit, ob sie über die neuen essensmarken reden, über die schichteinteilungen meckern, sich über die (gefangenen-)nummern unterhalten und sich gegenseitig ihre einschätzungen mitteilen (»herrgott, geht mir der auf den wecker«) oder übers wetter und die politik. meist gehts aber um die arbeit, von der es auch nicht zu wenig gibt, die spitze des ganzen ist ein wahrscheinlich (kehl)kopfkranker mit einer krächzenden falsettstimme, der ununterbrochen entweder im »dienstzimmer« oder auf dem gang vor sich hintobend wie ein wasserfall zu jedem und allem redet, sich über gott und die welt und vor allem die gefangenen aufregt, und wenn es mal nichts zu tun gibt, wirklich ohne abzusetzen auf seine kollegen einredet – was, kann ich meist gerade nicht mehr verstehen, aber dafür bekomme ich umso deutlicher den tonfall mit, seine sich am rande des hysterischen entlangbewegende erregung, die intensität und eindringlichkeit, mit der er auf sein gegenüber einhämmert – es ist lächerlich bis zur groteske, je mehr er sich aufregt, desto höher wird sein schwäbischer falsett, es ist ebenso bemitleidenswert wie bezeichnend für das menschenvernichtende kalkül, mit dem so ein – ja schließlich von dieser gesellschaft zerstörter – mensch zu ihrer aufrechterhaltung eingesetzt wird: so einer bekommt ja auch sonst gar keine stelle, und hier kann er auch erst richtig die durch die deformationen seiner persönlichkeitstruktur entstehenden verqueren bedürfnisse ausleben zum wohle und zwecke der unterdrückung und zerstörung der gefangenen: das ist die sorte, die mit bis zur selbstauflösung reichender hingabe zellen filzt und für den es zu den sternstunden seines lebens gehört, meine zelle filzen zu dürfen, um dadurch dem vaterland einen dienst tun zu können, und als einziger eine von mir optimal getarnte kerze in einem ausgedienten gewürzgläschen mitten unter anderen gewürzgläschen gefunden hatte, woran man sehen kann, daß er wirklich die ganze bude auf den kopf stellen mußte, denn die dinger hatten ja auch alle den deckel drauf: deswegen wird so einer hier eingesetzt; das ist auch die sorte, die, wenn ich auf dem hof bin, bei der razzia den fenstergriff so verschließt, damit das fenster nur noch schräg zu öffnen geht, und ich mir erst mal die hand verrenke, wenn ich zurückkomme und das fenster aufreißen will, um den widerwärtigen schweißgeruch der wärter auszulüften, mit dem sie der tatsache der razzia noch auf besonders penetrante weise nachdruck verleihen: grinsend wird dann auf meinen protest hin der fenstergriff wieder umgeschlossen, so dass ich es ganz öffnen kann (an den beiden fensterflügeln sind insgesamt drei schlösser! der linke flügel ist sowieso immer verschlossen), das ist auch die sorte, die verquer genug ist, nachts auf filzpantoffeln – oder auch mit besonders lauten schuhen, damit man es auch ja hört – durch die gänge zu schleichen, ob man gefangene beim onanieren »erwischen« kann (denn das zu »verbieten«, fehlt eigentlich noch in der hausordnung, da sind sie wahrscheinlich zu verklemmt zu, das offen zu verbieten) – und das ist halt die sorte, von der hier praktisch alle sind – die den ganzen tag mitzubekommen, erfordert ein höchstmaß an konzentration und abwehrenergie, denn wenn man nicht in der lage ist, sie voll aufzubringen, gerät man sofort an den rand des verrücktwerdens, es ist ja nicht nur das akustische zusammenleben mit dem direkten gegner (also den direkt physisch wahrnehmbaren organen/funktionen des gegners), der nur dazu da ist, einen am weglaufen zu hindern, weswegen jeder von ihm doppelt unerträglich ist, sondern damit ist vor allem die permanente demonstration der kontrolle und übermacht beabsichtigt, und du sollst dauernd daran erinnert werden, daß es keinen zweck hat. als »gegenmittel« bleibt dir nur noch swf 3 … (auf dem eigenen radio gibts nur mittelwelle – da ist tagsüber fast nichts brauchbares zu finden, plattenspieler und kassetten-recorder werden immer wieder abgelehnt).

besonders krass deutlich wird art und funktion dieses zwanges zum »zusammenleben« an der tatsache, daß auf der anderen seite gespräche mit den wärtern nicht möglich sind, etwas, das in anderen gefängnissen nicht nur selbstverständlich läuft, sondern meist auch gesucht wird, sei es aus neugier, sei es, um einen auszuhorchen, sei es auch nur aus dem persönlichen interesse des wärters heraus, eine einschätzung von einem zu kriegen, um zu wissen, wie sie sich verhalten sollen, und sich eventuell arrangieren zu können, daß auf beiden seiten eine ruhige kugel geschoben werden kann, aber hier wird (sogar unter inkaufnahme eines versäumten resozialisierungsversuchs, die derartige gespräche langfristig natürlich auch darstellen sollen) jeder über das nötigste technische hinausgehende kontakt verhindert, um das höchstmaß an spannung aufrechterhalten zu können; und um das mal zu verdeutlichen: in einem der anderen gefängnisse, in denen ich war, sagte mal ein wächter nach einer längeren diskussion über wohlstandsgesellschaft, psyschiche verelendung in den metropolen bei millionenfachem verhungernlassen der menschen in der dritten welt und der notwendigkeit revolutionärer gewalt, er stimme zwar nicht mit meinen methoden überein (klar), aber er empfände »größte hochachtung« vor mir, daß ich »standhaft bleibe, trotz der unglaublich harten haftbedingungen« (wörtliches zitat!) – so einer würde mich zwar nicht abhauen lassen, aber der findet keine selbstgemachte kerze, der zählt nicht nach, ob ich 21 oder auch 25 statt der erlaubten 20 bücher habe, wie es hier jeden tag läuft, und der legt auch insgesamt, soweit es in seinem rahmen geht, die haftbedingungsbestimmungen genau in der entgegengesetzten richtung exzessiv aus.

so etwas erklärt natürlich nicht nur, warum gespräche unterbunden werden müssen, sondern auch, warum sie nicht unter 2-3 mann zur zelle kommen dürfen (hier sowieso noch mit mehr), denn der hatte das natürlich gesagt, als er allein zu mir gekommen war.

aber man muß das alles als mosaiksteinchen eines gesamtprogramms sehen, das so angelegt ist, daß nicht jede dieser einzelheiten bewußt programmiert und bestimmt ist, sondern vieles sich aus der strukturellen anlage her »von alleine«, als folge von einem aus dem andern ergibt, denn abgestimmt ist das alles immer auf den gleichen zweck: die unterwerfung. wenn du mitspielst, wird dir auch »menschlichkeit« gewährt – sie sind kalt genug, das genau so zu kalkulieren, und das schwingt bei jeder auch noch so kleinen »kleinigkeit« mit.

so gibt es auch nicht nur einen zwang zum »zusammenleben«, sondern auch einen zur zusammenarbeit, nur ein beispiel: da zwischen 9 und 16 uhr, wenn viele gefangene bei der arbeit sind, hier immer das licht ausgemacht wird und außerdem vor meinem fenster ein lochblech ist, das ca. 30 % des lichts abhält (und die sonne scheint sowieso nie direkt rein), ist die zelle solange eine schummrige höhle in düsterem, zwielichtigem halbdunkel, lesen ist nur direkt am fenster möglich, augen schmerzen trotzdem bald, schreiben noch weniger, da der tisch gegenüber dem fenster steht.

auf meine mehrfache beschwerde hin wird mir licht »zugestanden« – das halbdunkel ist nämlich die direkte ergänzung zum schlafentzug, da du doppelte energie zur überwindung der latenten müdigkeit brauchst –, aber unter der bedingung, daß ich es mir jedesmal erbitte.

auch wenn ich’s mir jeden tag aufs neue »erbitten« muß, immerhin ein recht, und manchmal sogar mehrmals, denn sobald ich nicht lese oder schreibe, sondern mich nach dem mittagessen kurz hinlege oder nachdenkend auf- und abgehe, wird es wieder ausgemacht, da sie durch die dauerüberwachung auch einen ständigen überblick haben, was ich gerade mache – und das auf diese weise auch nochmals nachdrücklich demonstrieren.

sie könnten es ohne weiteres jeden tag extra für mich anmachen, denn in meiner spezialzelle ist alles extra regelbar von außen – daß sie es nicht machen, ist begründet in dem versuch, mich zur mitarbeit am überwachungs- und kontrollsystem zu zwingen (sparen sich ja einen kontrollgang, wenn ich mich selber melde bei ihnen): zur zusammenarbeit.

die alternative, vor der man hier steht, könnte wirklich das paradebeispiel aus dem lehrbuch für »behavior modefication« sein: entweder du arbeitest freiwillig am projekt der zerstörung deiner identität mit und kriegst dafür sofort äußerliche erleichterungen, oder du verweigerst es und kannst nicht mal mit grundrechten rechnen.

da ich es aus diesen gründen strikt ablehne, mir licht zu »erbitten«, bin ich gezwungen, meist stehend am fenster zu lesen oder mir eine art stehpult aus dem stuhl und der schranktür auf dem tisch zu bauen, damit die schreibmaschine so steht, daß man lesen kann, was man schreibt.

inzwischen machen sie, wenn sie sehen oder hören, daß ich schreibe – und manchmal sogar schon, als ich zeitung las – ab und zu von alleine das licht an: fürsorgliche belagerung …

aber das reicht alles noch nicht aus, um »ausreichende sicherheit bei der verwahrung eines gefährlichen terroristen zu gewährleisten«, es sind zwar schon speziell gegen mich gerichtete maßnahmen, aber sie ergeben sich alle aus der struktur frankenthal und deren spitze »verrücktenstation«, lassen sich einfach oder durch optimierung des vorhandenen durchziehen. alles bisher geschriebene bildet zusammengenommen nur die basis für das, was dann wirklich noch speziell gegen mich durchgezogen wird, die dafür »notwendige« spannung und atmosphäre, das richtige verhältnis gefangener/bewacher herstellen soll, und auch tut.

als da sind:

– unterbringung auf der suizidstation trotz gegenteiligen beschlusses des haftrichters.

– 129 a, »normalvollzug«: also alle für uns üblichen kisten von lochblech/fliegengitter über tägliche razzia bis zur trennscheibe bei besuchen, zähl ich nicht alles noch mal auf, weil es bekannt und gleichgeschaltet ist, darf man nur zwecks überblick nicht vergessen.

– unberechenbarer zustand: »das verfahren« (der haftbedingungen) »ist für die häftlinge nicht mehr kalkulierbar« (ba-wü jumi eyrich) – ein paar »verfahrens«beispiele, um diesen zustand herzustellen:

– leeres glas, bei dem ich mühsam den aufkleber weggekratzt hatte, damit es schön neutral und »eigen« aussieht, plötzlich wegnehmen, nachdem ich jahrelang kaffee oder haferflocken etc. darin aufbewahrt hatte. = »verboten bei uns«, könne ja »neues kaufen« (und wieder paar monate behalten und dann irgendwann, wenns einem paßt, weggenommen kriegen)

– ebenfalls nach monaten plötzlich shampoo rausnehmen und nur beim duschen rausrücken = »verboten«

– oder auch, nachdem sie wochenlang rumlagen: ersatzbatterien rausnehmen = »nicht gestattet«

– oder auch tagesweise ändern: ersatztauchsieder rein und wieder raus, je nach bewacher

– reinschauen in die olg-kontrollierte post

– wegnehmen großer briefumschläge

– schwankende essenszeiten, vor allem abends, wo zeitung und (wenn) post kommt, zwischen 15:30 und 18:30, bis zu 3/4 stunden nach den anderen oder zwei stunden vor ihnen – und neben der erhöhten abhängigkeit und demonstration der willkürlichen verfügbarkeit, die mit sowas hergestellt werden soll – für jeden furz brauchst du die typen –, hast du im lauf der zeit bei jedem zurückkommen vom hof, wenn sie ihre razzia gemacht haben, das angespannte gefühl, was wohl jetzt wieder ist, ob vielleicht radio oder schreibmaschine mal wieder zur »überprüfung« wegmüssen (2 wochen – das radio ist plombiert!), ob vielleicht die schere zu groß ist, die postkarten nicht »vorschriftsmäßig« an dem dafür vorgesehenen brett hängen, sondern zuviel wand verdecken oder ob vielleicht heut mal wieder »zuviel« bücher gezählt worden sind (mal wird der kalender mitgezählt oder ein minireclambuch, mal nicht …) oder »zuviel« aktenordner – alles originalbeispiele.

eines der subtilsten und garantiert wirksamsten beispiele dieser form von psychologischer kriegsführung im wahren sinne des wortes ist noch folgendes:

– türschloß »nachprüfen«: plötzlich dreht sich der Schlüssel in der tür, das ebenso bekannte wie hässliche und aufregende geräusch. da es aber außerhalb der essenszeiten ist (bei denen auch alles andere normale wie post etc. erledigt wird), sofort erhöhte alarmbereitschaft, starker adrenalinstoß: im besten falle könnte es ein unerwarteter (anwalts) besuch sein, zu rechnen ist aber meist mit irgendeiner normalerweise unangenehmen auseinansetzung mit anstaltsleitung oder deren adlati, und im negativsten fall stehen nach so einem schlüsselrumdrehn draußen acht mann vom bka und wollen »fingerabdrücke« unter zuhilfenahme von besenstangen, knien in weichteilen, haare ausreißen, kopf auf den boden schlagen und spitziges unter die fingernägel: wenn dir das zweimal passiert ist, ist der adrenalinstoß nicht mehr abzustellen, vor einiger zeit war dann auch mal wieder das bka da, ging zwar sofort wieder, aber als erinnerung reicht’s.

– offen willkürliche(s) demütigung/unterwerfungsritual:

nach einer beschwerde über ein an den arsch gefaßt werden beim abtasten und einem antrag, die abtasterei ganz wegzulassen: anordnung, jedesmal ganz ausziehen, und zwar zum einzelhofgang, der von vier mann überwacht wird, im hof des verwaltungsbaus stattfindet (also nebenbei von der halben belegschaft überwacht wird) und bei dem auch sämtliche drei türen währenddessen mindestens einmal überprüft werden, ob sie auch wirklich zu sind; außerdem sich die bewacher bei jeder runde an ein anderes fenster stellen, damit ich nicht berechnen kann, wo sie stehen, oder wenn ich sie am türfensterchen stehen sehe, (manchmal nicht rechtzeitig) wegtauchen – sich dazu vorher und nachher nackt ausziehen zu müssen, kommt in etwa dem verlangen gleich, in der hocke über den hof zu hüpfen und zu bellen

– ich lehne das natürlich ab und habe seitdem keinen hofgang mehr.

– ausziehen auch zum trennscheibenbesuch, der von lka und anstalt überwacht wird – inkonsequenterweise lehne ich die besuche nicht ab. ausziehen auch – ebenfalls vorher und nachher – bei ra-be-such im trennscheibenraum mit lochblech am fenster. kann ich nicht ablehnen.

– isolation:

ich hab noch keinen gefangenen außerhalb meiner zelle gesehen, gänge werden total evakuiert, kommt man vom einen in den anderen gang, rechtzeitig vorher stop, vorhut sichert die lage, verscheucht evtl. noch rumlaufende gefangene und erst wenn alles frei ist, kann ich kommen, selbst zur essensausgabe durch die klappe müssen die gefangenen inkl. hausarbeiter in die zellen.

– die nebenzelle wird ständig umgelegt (einmal, nachdem ich extra beim besuch erwähnt hatte, daß ich mit dem nebenmann geredet hatte, weil ich wußte, daß er noch ein paar tage dort hätte bleiben müssen, wurde er am selben abend noch verlegt), im hof kann ich welche spazieren gehen sehen – der ansatz eines versuchs, mit mir zu reden, wird mit abbruchsandrohung beantwortet, meine zelle ist ja auch gleich am anfang, wo auch die bewacher stehen.

– physische gewaltandrohung/übermachtdemonstration:

4 mann, meist aber 5 oder 6, spitze waren bis jetzt 8 – acht – mann vor der tür im evakuierten gang, sobald ich den kleinen zeh aus der zelle setze, die alarmstufe eins ins gesicht geschrieben. sprechfunkgeräte umgehängt, sofort einer vor, je einer neben und einer hinter mir.

– abtasten war dann meist auch von hinten, einer »sichert«, »strategisch plaziert«, den »fluchtweg« zum gang hin (20 meter weiter die nächste verschlossene tür). einer überwacht das ganze aus überblick habender position. in dieser marschordnung dann zum hof oder anwalt. jedesmal.

das habe ich in noch keinem anderen knast erlebt und weiß es auch aus keinem anderen, das höchste sind drei wächter.

die aggressivität und einen fast physischen angriff bedeutende wirkung einer solchen situation läßt sich praktisch kaum vermitteln und ist natürlich im kontext bzw. als gipfel alles bisher beschriebenen zu sehen, da ich es ablehne, mir unter solchen umständen morgens meine zwei schweigenden brote vom essenswagen zu holen oder diese heerscharen meine zelle penetrieren zu lassen; wenn ich post kriege, laß ich mir das zeugs jetzt alles durch die klappe geben, wenigstens kleine abgrenzungsdemonstration, zu der ich mich durch die überdeterminierte wachmannschaft gezwungen sehe, selbst dann kommen sie zu dritt, aber auch nicht, ohne zu evakuieren, und nicht ohne den obersten »dienstleiter«: als ich mal nachschlag wollte, mußte ich 10 minuten warten, bis der da war, die drei von der station konnten das nicht alleine, es gibt nur ein wort für das, was da läuft: krieg.

das ist auch der grund, wieso ich das geschrieben habe, denn es macht klar, daß es nicht um eine auseinandersetzung wackernagel/ frankenthal geht, sondern um die auseinandersetzung guerilla/staat, wovon das nicht mal der schärfste ausdruck ist, siehe hochsicherheitstrakt, aber als – mehrfach so bezeichneter – normalvollzug auf andere weise umso gefährlicher, da es sich viel schwieriger vermitteln läßt; das besondere an frankenthal ist, dass für die spezielle aufgabe der zerstörung wackernagel, weil er raf ist, kein extra programm entwickelt werden muß, sondern sie paßt nahtlos in das allgemeine programm rein wie kaum woanders, das vorhandene wird nur auf höchststufe gefahren.

als ich mal vom »sicherheitsinspektor« eine änderung verlangte, mindestens so, wie es in den anderen knästen auch sei, meinte er, es läge an mir, daß ich die situation so empfinden würde, wahrschein lich habe ein bruch (wolff heißt der typ) bei mir stattgefunden, dassei normal nach drei jahren knast. ich habe mich bedankt für die offenheit, mit der er einmal mehr den zweck des ganzen auf den begriff gebracht hat.

und nochmal: auch wenn das ganze hier nur etwas deutlicher als zum beispiel gegenüber dem fast als kurhotel erscheinenden düsseldorf ist (es entspricht z. b. dem, was woanders vorübergehend nach einem fluchtversuch oder tätlichen angriff auf wächter durchgezogen wird, bloß als dauereinrichtung), ist es doch nur ein beispiel, daß es bei allen auf leben und tod geht: nicht mehr und nicht weniger.

und es zeigt, daß es nur eine möglichkeit gibt, wenn wir hier nicht wie die fliegen verrecken wollen – und zwar egal ob lebenslang oder »nur« 15 Jahre –:

die zusammenlegung.

Verlogen, dumm und unverschämt

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