Читать книгу Geist & Leben 3/2017 - Christoph Benke - Страница 4
ОглавлениеJörg Nies SJ | Rom
geb. 1984, Dipl.-Theol.,
Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN
Verständig
Die Exerzitien sind wesentlich ein Betrachten des Lebens Jesu, aus dem sich Orientierung für das eigene Leben entwickeln soll. Ignatius hat zudem eigene Reflexionen und Betrachtungen für eine dynamische Entscheidungsfindung hinzugefügt. Trotz der nüchternen Sprache, die sich auf das Nötigste beschränkt, gelingt es ihm, eine Dramatik zu erzeugen, die er vornehmlich durch eine geschickte Komposition verschiedener Elemente erreicht.
Dazu nutzt er auch ein Mittel, das aufgrund der heute gebräuchlichen Exerzitienpraxis leicht übersehen werden kann. Ignatius legt den Übenden die Bibeltexte nicht direkt vor, sondern gibt deren Inhalte durch Einschübe neutestamentlicher Zitate nur paraphrasiert wieder. Ein großer Teil des Exerzitienbuches besteht daher aus Schilderungen der „Geheimnisse des Lebens Christi“. Anhand kurzer Textpassagen, die zumeist aus drei Punkten bestehen und helfen sollen, „mit größerer Leichtigkeit an ihnen sich zu besinnen und zu betrachten“ (GÜ 261) wird der Bogen von der Verkündigung an Maria bis hin zur Himmelfahrt Jesu gespannt (GÜ 261–312). Ignatius gelingt so nicht nur eine Zusammenschau der vier Evangelien, sondern er bezieht auch andere neutestamentliche Passagen aus dem Korintherbrief (GÜ 308 f., 311) und der Apostelgeschichte (GÜ 312) mit ein. Dabei folgt er zwar einer verbreiteten Frömmigkeitspraxis, wenn er etwa aus den verschiedenen Passionserzählungen – ungeachtet der unterschiedlichen Akzente der Kreuzigungsberichte – die sieben Worte Jesu aufzählt (GÜ 297), zugleich setzt Ignatius jedoch eigene Schwerpunkte, indem er etwa deren traditionelle Reihenfolge variiert.
Weit über eine Abänderung hinaus gehen jedoch die Betrachtungen zur Auferstehung. Das Exerzitienbuch thematisiert insgesamt dreizehn verschiedene Erscheinungen des Auferstandenen, davon haben zwei jedoch keinen unmittelbar biblischen Anhaltspunkt. Ignatius kannte diese Tradition durch die Vita Christi des Kartäusers Ludolf von Sachsen, doch darf im Rahmen der Geistlichen Übungen die Aufnahme dieser Schilderungen durchaus überraschen. Denn sonst finden sich für die Darstellung des Lebens Jesu immer biblische Referenzpunkte und die Interpretation als lediglich fromme Ausschmückung würde der Vorgehensweise der Exerzitien widersprechen, in denen nicht „viel erläutert und erweitert“ (GÜ 2) werden soll.
Warum hat Ignatius also diese Stellen aufgenommen? Offensichtlich waren sie ihm wichtig und doch war er sich vermutlich schon bei der Niederschrift des Textes kritischer Rückfragen bewusst. Dem Satz „Er erschien der Jungfrau“ fügt er direkt einen zweiten an: „Denn obwohl dies in der Schrift nicht gesagt wird, wird es für gesagt gehalten, wenn sie sagt, dass er so vielen anderen erschienen ist“ (GÜ 299). Dahinter ist weniger eine exegetische Aussage als der Stellenwert Marias für die ignatianische Spiritualität zu suchen. In den Exerzitien wird die und der Übende immer wieder zum Gespräch mit der Gottesmutter eingeladen. Maria wird aufgrund der Bedeutung, die sie im Leben Jesu hatte, zu einer Identifikationsfigur, durch welche sich das Geheimnis Christi tiefer verstehen lässt. Durch den Versuch, sich in das Erleben der Mutter auf dem Weg ihres Sohnes hineinzuversetzen, werden die Gefühle der Nähe und Vertrautheit angesprochen und zugleich lässt sich so angesichts des Leidens die „Einsamkeit unserer Herrin erwägen“ (GÜ 208). Aus dieser inneren Logik heraus kann der Weg und die Erschließung der Geheimnisse des Lebens Jesu nicht am Kreuz enden, sondern auch die Freude und Gelöstheit über die Auferstehung müssen durch das betende Einfühlen mit Maria lebendig werden.
Doch es folgt noch eine zweite außerbiblische Stelle zur Auferstehung. „Er erschien Josef von Arimathäa“ – und auch hier gleich eine (rechtfertigende?) Erläuterung: „wie man fromm sinnt und im Leben der Heiligen liest“ (GÜ 310). Warum hat Ignatius diese Betrachtung, die auf einer fragwürdigen Überlieferung beruht, aufgenommen? Zudem spielt dieser Josef nur eine kleine Nebenrolle in der Geschichte Jesu. Obwohl er ein Jünger war, gab er sich aus Furcht nicht als solcher zu erkennen (Joh 19,38). Alle Evangelien kennen ihn als denjenigen, der sein Grab für den Leichnam Jesu zur Verfügung stellt. Muss ihm deshalb aber der Auferstandene erschienen sein?
Ignatius fordert die und den Betenden heraus. Provokativ fügt er der ersten nichtbiblischen Szene an: „Denn die Schrift setzt voraus, dass wir Verstand haben, wie geschrieben steht: ‚Seid auch ihr ohne Verstand?‘“ (GÜ 299) Es geht um ein kritisches Fragen, das mehr als ein Überprüfen des biblischen Befundes ist. Verstehen heißt den Glauben in eine Unterscheidung miteinzubeziehen und daraus etwas logisch zu folgern. Daher kann man sich der verständigen Interpretation der Exerzitien anschließen, die besagt, dass Jesus dem Josef erschienen ist, da dieser, wenn auch aus Angst nicht öffentlich, an ihn als den Messias glaubte. Wenn aber Jesus im Leben eines Menschen die entscheidende Rolle spielt, wie könnte dieser dann keine Erfahrung mit dem Auferstandenen machen?