Читать книгу Blau Rot Grün - Hinter den Kulissen eines Machtwechsels - Christoph Bumb - Страница 4
ОглавлениеVorwort
„Journalismus ist ein erster Rohentwurf von Geschichte“, wird der verstorbene Herausgeber der „Washington Post“, Philip Graham, zitiert. Im besten Fall bestätigt die spätere Forschung die Zeitungsartikel vom Tag des Geschehens. Die Bedingungen, diesem Anspruch wirklich gerecht zu werden, sind jedoch nur selten vereint. Die Hauptakteure geben in der Regel lediglich preis, was ihnen genehm ist. Originaldokumente werden meist noch unter Verschluss gehalten und dem Journalisten sitzt derweil der Redaktionsschluss im Nacken.
Doch was heute geheim ist, wird regelmäßig schon kurze Zeit später plötzlich eingestanden. Die Informationen, die laufende Verhandlungen noch gefährden könnten, verlieren nach deren Abschluss oft schnell an Brisanz. Und das Detail, zu dem man in der Hitze des Gefechts nicht stehen will, wird Monate später schon mal zur gern erzählten Anekdote. Diese Eigenart machen sich Journalisten regelmäßig zu eigen, um ihrem Anspruch, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, besser gerecht zu werden, indem sie, sozusagen im Nachgang, an den Ort des Geschehens zurückkehren und die Haupt- und Nebendarsteller erneut zu Wort kommen lassen.
Diese Vorgehensweise liegt auch diesem Buch zu Grunde. Christoph Bumb, zweifelsohne einer der vielversprechendsten Luxemburger Journalisten seiner Generation, hat die Wahlen von 2013 als Reporter begleitet. Doch er wollte sich mit dem „ersten Rohentwurf“ nicht zufriedengeben. Als Redaktion haben wir beschlossen, ihm den nötigen Freiraum zu bieten, die Kulissen des Machtwechsels tiefer zu erforschen. Er hat dieses Vertrauen zu nutzen gewusst.
Sein Buch erzählt die Geschichte eines Epochenwechsels. Im Dezember 2013 wurde nicht nur eine neue Regierung vereidigt. Zum ersten Mal kam es zu einer Dreierkoalition. Erstmals seit 1979 kam es somit nicht zu einer weiteren großen Koalition. Zusätzlich hat eine neue Generation die Regierungsgeschäfte übernommen. Und, vor allem: Erstmals seit 34 Jahren blieb die CSV, obwohl weiter stärkste Partei, außen vor. Dass 2018, am Ende der laufenden Legislaturperiode, die LSAP in den vorangegangenen 34 Jahren genauso lange an der Macht gewesen sein wird wie die CSV, ist dabei nur ein Schönheitsfehler.
Sein Buch erzählt auch die Geschichte eines Königsmords. Die Ursache des Bruchs der CSV-LSAP-Koalition, nach 24 Jahren an der Macht in den drei vergangenen Jahrzehnten, ist natürlich zuerst in der Affäre um den Geheimdienst zu finden. Doch auch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Geschehnisse von 2013 sollten nicht unterschätzt werden. Ausschlaggebend war aber am Ende der Wille, die Dominanz von Jean-Claude Juncker zu brechen. Der Christsoziale war so lange die prägende Persönlichkeit der luxemburgischen Politik, dass er die politische Sozialisierung der meisten der heutigen Regierungsmitglieder maßgeblich geprägt hat. Es war das Ziel, sich seiner zu entledigen, das den Koalitionären schlussendlich den Mut gab, trotz des Risikos, mit ihrer knappen Mehrheit tatsächlich zu versuchen, eine Regierung zu bilden.
Das Buch von Christoph Bumb hat schließlich viel von der Geschichte der Kassandra. Wie in der Mythologie hat auch die CSV die Gefahr, die das Dreierbündnis für sie darstellen könnte, frühzeitig erkannt, wenn nicht sogar heraufbeschworen. Doch wie der tragischen Heldin im alten Griechenland gelang es der Partei dennoch nicht, die Bedrohung abzuwehren. Sie legte sich am Abend des 20. Oktober ohne Koalitionspartner schlafen und beging somit einen Fehler, dessen Schwere wohl auch dem unbedarftesten Lokalpolitiker hätte bewusst sein müssen.
Die Bilanz von Blau-Rot-Grün wird zu einem späteren Zeitpunkt zu ziehen sein. Doch schon jetzt ist klar, dass die Dreierkoalition das Land langfristig prägen wird. Sie hat die politische Alternanz erzwungen, was der Luxemburger Demokratie so oder so auch über 2018 hinaus guttun wird. Die Jahrzehnte der fast immer gleichen Koalition hatten, zumindest bei den Veränderung fordernden Wählern, ein Gefühl der Machtlosigkeit hinterlassen. Beim nächsten Urnengang hingegen wird es eine klare Alternative zum „weiter so“ geben. Und das zeichnet eine gesunde Demokratie aus.
Jean-Lou Siweck
Chefredakteur des „Luxemburger Wort“