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Investigativ-Reporter 2.0

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Ján Kuciak ist kein Draufgänger, keiner, der diesem Bild des Reporters entspricht, das gern in Filmen oder TV-Serien gezeichnet wird. Weder trifft er am hintersten Tisch eines verrauchten Lokals besonders oft auf obskure Gestalten, die ihn mit Informationen füttern, noch nimmt er in irgendeiner Tiefgarage in Bratislava dicke Packen Dokumente entgegen. Er bringt vielmehr das mit, was wohl ein Journalist braucht, der im Internetzeitalter investigativ arbeiten will. Wie ein Maulwurf wühlt er sich online in öffentlich zugängliche Daten und Register. Im Unterschied zu Österreich, wo das Amtsgeheimnis noch immer im Verfassungsrang steht, wurde dieses in der Slowakei längst abgeschafft. Das Land verfügt über ein weitreichendes Gesetz zur Informationsfreiheit. So werden etwa Verträge der öffentlichen Hand erst gültig, nachdem sie im Internet veröffentlicht wurden. Das erleichtert seine Arbeit enorm. Parallel dazu scannt er Gerichtsurteile, durchforstet Grundbücher, hebt Firmenbuchauszüge aus, sieht sich Pfandurkunden an und stößt auf ausländische Briefkastenfirmen. Aus all dem vermag Kuciak Fäden zu spinnen, Linien zu ziehen, ein Netz zu erkennen, wo bei anderen nur Verwirrung bleibt. Das Rausgehen, die Arbeit im Terrain, wie es in der Branche heißt, kommt bei ihm im besten Fall erst am Schluss. Dann, wenn er alles gesammelt hat und die Personen im Visier mit seinem Wissen konfrontiert.

So an die Sache heranzugehen, war schon früh sein Traum gewesen. Wenngleich die Realität dann ganz anders aussah, als er vor fünf Jahren neben dem Journalismus-Studium bei der renommiertesten Wirtschaftszeitung des Landes anfing. Ein Jahr blieb er dort und füllte brav die leeren Spalten mit Meldungen. Doch an so vielen Stellen hätte er gern tiefer gegraben, härter nachgefragt und mehr erfahren wollen. „Investigativ arbeiten, bist du verrückt?“, meinte eine Kollegin einmal nur erschrocken. „So was ist doch viel zu gefährlich, gerade wenn du dabei den Falschen auf die Füße trittst.“ Kuciak musste damals nur schmunzeln: „Das Schlimmste, was dir in der Slowakei passieren kann, ist doch, dass sie dich verklagen.“

Als er im Alter von 24 Jahren die Wirtschaftszeitung verließ, war sich Ján Kuciak nicht sicher, ob es das schon war mit ihm und dem Journalismus. Er war in einem kleinen Dorf im Norden der Slowakei aufgewachsen. Außerhalb der Region kannte den Ort keiner, und die, die es doch taten, verorteten ihn nur im Tal der Hungerleider. Er also, plötzlich ein Journalist in der Hauptstadt? Dort, fünfzig Kilometer Luftlinie östlich von Wien, ballte sich der Wohlstand des jungen Landes. Immer mehr Hochhäuser kratzten am Himmel. In den edlen Broschüren der Investoren sprach man bereits von einem Dubai an der Donau, das da entstünde. Große Konzerne hatten in Bratislava ihren Sitz, und die Löhne näherten sich dem an, was gleich jenseits der Stadtgrenze, in Österreich, gezahlt wurde. Die Hauptstadt boomte und prosperierte, staute sich ins Wochenende, wuchs und machte bald Grenzorte wie Kittsee oder Hainburg zu ihren Vorstädten. Immer mehr Bewohner Bratislavas begannen, sich auf der österreichischen Seite Grundstücke und Häuser zu kaufen, da sie dort weit billiger waren als in der eigenen Hauptstadt. Passte Ján Kuciak in diese Stadt und war er bereit für das, was sich hinter den gläsernen Fassaden an Abgründen verbarg? Stoff würde es ihm genug liefern.

Im Herbst 2014 wollte Ján Kuciak es wissen. Das Tschechische Zentrum für Investigativen Journalismus veranstaltete einen Workshop, zu dem es erstmals auch slowakische Uni-Absolventen einlud. Ihr Mentor war der erfahrene Investigativ-Reporter Marek Vagovič, ein drahtiger Kerl, der in der Arbeit meist Hoodies trug und dem schon mal die Autoreifen zerstochen oder tote Katzen vor die Haustür gelegt wurden. Am Ende des Kurses sollte jedes Team eine Story so weit ausgearbeitet haben, dass sie publizierbar wäre. Kuciak geriet in sein Element. Mit den Kollegen entschied er sich, einem anonymen Hinweis zu folgen, wonach große Pharmafirmen slowakische Ärzte zu Urlauben in die Karibik eingeladen hätten. Kuciak erstellte Organigramme, aus denen klar wurde, wer die entscheidenden Player in dem Business waren, welche Verbindungen sie in die Politik besaßen und wie dort die Vergabe von Aufträgen lief. Vagovič merkte, dass Kuciak den richtigen Riecher hatte und die Gabe, Dinge zu kombinieren, wo andere anstanden. Dabei blieb er höflich, wirkte bei der Konfrontation der Ärzte und Pharma-Vertreter nie unsicher, zugleich aber auch nicht arrogant, sondern argumentierte ruhig und sachlich. Ihnen Korruption vorzuwerfen, war für einen angehenden Journalisten keine kleine Sache. Doch Kuciak war seiner Sache sicher. Die „Jäger und Sammler“, wie sich die Gruppe um ihn getauft hatte, präsentierten nach drei Monaten Recherche ihr Ergebnis und landeten auf dem zweiten Platz. Den Sieg errang Kuciak, als ihm sein Mentor Vagovič sagte: „Du kommst gleich mit mir mit und fängst bei uns an.“

Ján Kuciak und die Paten von Bratislava

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