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Zwei Jahre zuvor

Hans stieg aus dem Wagen, streckte sich und griff dann nach seiner Zigarettenschachtel. Sein Rücken brachte ihn um. Er wurde langsam älter, und eine Autofahrt von zwei Stunden fühlte sich für ihn bereits wie eine Tagestour an. Er verließ den Parkplatz und schlenderte durch die Straßen des kleinen Ortes, von dem er vor dem heutigen Tag noch nie etwas gehört hatte. An einem Geschäft für skandinavische Stickereien blieb er stehen und betrachtete das Angebot im Schaufenster, zumeist selbstgestickte Tücher und Deckchen. Er schüttelte lächelnd den Kopf und setzte seinen Weg fort.

Solche kleinen, inhabergeführten Läden mit ihrem doch sehr speziellen Angebot bekam man bei ihm in der Stadt so gut wie überhaupt nicht mehr zu sehen. Hin und wieder gab es in den hipperen Studentenvierteln Eröffnungen solcher Läden, die Honig von eigenen Bienen, selbstrestaurierte Möbel oder eben Handwerkskunst anboten, aber diese Geschäfte überlebten für gewöhnlich kein halbes Jahr.

So etwas funktionierte nur auf dem Land, wo einem keine Bank im Nacken saß, sowie einem der Laden und wahrscheinlich das gesamte Haus bereits in der dritten Generation gehörte.

Wenn man nur zwei der skandinavischen Deckchen im Jahr verkaufte, dann war das völlig in Ordnung. Kein Druck, kein Geschäftsplan, keine Steuererklärung. Hans spielte schon länger mit dem Gedanken, sich in einem dieser Dörfchen eine Wohnung oder ein Haus zu mieten, wenn er in Rente gegangen war. Aber er konnte sich die Frage, ob er die Hektik der Stadt vermissen würde oder nicht, noch immer nicht abschließend beantworten. Aber bis zum Ruhestand hatte er ja auch noch einige Jahre Zeit.

Hans erreichte das kleine Café, in dem er verabredet war. Er stieg die einzelne Stufe hinauf und ging hinein.

»Guten Morgen«, begrüßte ihn eine junge Frau freundlich, die ein großes, silbernes Tablett trug und an ihm vorbeiging.

»Guten Morgen«, grüßte Hans zurück und sah sich um.

In dem Café befanden sich außer ihm nur drei weitere Gäste, alles ältere Damen, die zusammen vor Kaffee und Kuchen saßen.

»Guten Morgen«, grüßten auch sie, als sie ihn sahen.

Hans nickte ihnen freundlich zu.

»Guten Morgen, die Damen.«

Die Freundlichkeit der Landbevölkerung, dachte Hans und lächelte in sich hinein, während er sich an einen Tisch in der hinteren Ecke setzte. Er hatte gerade Platz genommen, als auch schon die Frau mit dem Silbertablett vor ihm stand.

»Was darf ich Ihnen bringen?«

»Ich hätte gerne eine Tasse Kaffee. Schwarz.«

»Machen Sie bitte zwei daraus«, lächelte Kurt, der hinter der Frau erschienen war.

Hans erhob sich und gab seinem Freund die Hand.

»Hallo Kurt. Schön, dich zu sehen.«

»Freut mich auch, Hansi. Ist schon wieder viel zu lang her.«

»Da hast du recht. Aber du siehst gut aus.«

»Du auch. Hast du abgenommen?«

Hans strich sich über den Bauch.

»Aktuell schon. Magda hat gerade so eine Phase, sie fühlt sich pummelig. Und deswegen kocht sie nur noch vegetarisch und mit wenig Fett. Mein Gewichtsverlust ist lediglich der Kollateralschaden.«

»Verstehe«, lachte Kurt und zog anschließend ein kleines Päckchen aus seiner Manteltasche. »Das ist übrigens für dich. Happy Birthday.« Die Männer nahmen am Tisch Platz, und Hans betrachtete das Geschenk in seinen Händen.

»Mein Geburtstag ist aber schon zwei Monate her«, sagte er schließlich.

»Ja, ich weiß. Aber nun ja … So ist das eben.«

»Ja, so ist das eben«, wiederholte Hans und öffnete behutsam erst die Schleife, bevor er das Geschenkpapier auseinanderzog.

Zum Vorschein kam ein Buch. Dürrenmatts ›Der Richter und sein Henker‹.

Hans lachte laut auf, und die drei älteren Frauen blickten erst irritiert, dann doch lächelnd zu den beiden Männern.

»Ich bin nicht die größte Leseratte, aber ich hatte gehofft, dass es dir gefällt. Angeblich ist das eine besondere Ausgabe.«

Hans nickte.

»Oh ja, das tut es, vielen Dank.«

Hans legte das Buch beiseite und wischte sich die Tränen aus den Augen. Die Frau brachte die beiden Kaffee, und Hans nippte kurz an seinem Getränk.

»Aber«, begann er dann, »das ist doch ganz sicher nicht der Grund dafür, dass du mich hierher in die Pampa bestellst, oder?«

Kurt lächelte.

»Natürlich nicht. Der tatsächliche Grund ist der, dass ich dir gern persönlich mitteilen wollte, dass ich hinschmeiße.«

»Hinschmeißen?«, fragte Hans überrascht. »Was meinst du damit?«

»Ich meine damit, dass ich aufhöre. Ich hab’s satt, ich will nicht mehr. Ich geb die Häuser ab.«

»Das erstaunt mich wirklich. Wie kommst du dazu?«

Kurt rührte in seinem Kaffee herum.

»Wann bist du dir das letzte Mal alt vorgekommen?«, fragte er schließlich.

Hans lächelte.

»Gestern Abend. Zumindest ein bisschen.«

Auch Kurt lachte wieder.

»Bitte verschone mich mit deinem klebrigen Eheleben.«

»Du hast gefragt.«

»Ich werde zukünftig auf meine Formulierungen achten.«

»Das predige ich dir schon seit der Schule.«

»Ja, ja, ja … Aber mal im Ernst. Hast du das mit dem Nina mitbekommen?«

Hans nickte.

»Ja, davon habe ich natürlich gehört. Vollständig ausgebrannt. Tut mir übrigens sehr leid.«

»Danke. Aber das war kein verdammter Kurzschluss, auch wenn das überall herumgetratscht wird.«

»Das dachte ich mir schon.«

Kurt zog den Löffel aus seinem Kaffee und beobachtete die Tropfen, die von ihm zurück in die Tasse fielen.

»Früher gab es in der Bar meines Bruders so einen Typen, den haben alle immer nur ›Django‹ genannt. Ich hab keine Ahnung, wie der wirklich hieß, ich glaub, keiner wusste das.«

»Django?«, fragte Hans.

»Genau, Django. Weißt du, wieso er so hieß?«

Hans schüttelte den Kopf.

»Weil er immer einen Revolver bei sich getragen hatte.«

»Verstehe.«

»Eigentlich war er ein ganz netter Typ, würde ich sagen. Hat keiner Fliege was getan, sondern immer entspannt mit den Mädels bis in die Morgenstunden Whisky getrunken. Vielleicht war er sogar etwas einsam, wer weiß das schon. Trotzdem hatte ich immer eine Heidenangst, wenn Django in die Bar gekommen ist. Ich hab mich dann gefragt, ob heute vielleicht der Tag ist, an dem er diesen einen Whisky zu viel trinkt und anfängt, um sich zu ballern.«

»Tja, ist lange her«, sagte Hans und trank einen Schluck Kaffee.

»Allerdings. Allein letzten Monat hat man auf zwei meiner Sicherheitsleute geschossen. Einer liegt immer noch im Koma. Von den unzähligen Messerstechereien und Schlägereien will ich gar nicht reden. Früher hat man alles noch halbwegs ehrenhaft unter Männern klären können. Ja, vielleicht mit den Fäusten, aber was auch immer vorgefallen war, meistens war danach alles geklärt. Wenn du heute jemanden nicht in den Laden lässt, weil er zu betrunken ist, dann stehen die Chancen gut, dass er mit einem verdammten Messer auf dich losgeht. Er nimmt in Kauf, dich umzubringen! Weil du ihn nicht hineinlässt! Das ist verrückt … die Leute sind verrückt.« Kurt sah seinem Freund wieder ins Gesicht.

»Na ja, wie auch immer. Ich höre auf und übergebe den ganzen Bums an Dustin. Soll er sehen, wie er zurechtkommt.«

»Dustin?«, fragte Hans. »Der ist doch noch ein halbes Kind.«

»Na und? Er ist die nächste Generation, und da ich selbst keine Kinder habe, muss eben der Neffe ran. Abgesehen davon ist er schon seit einiger Zeit ganz wild darauf, von mir beerbt zu werden.«

»Trotzdem, Kurt. Drei Läden, ist das nicht ein bisschen zu viel für ihn?«

»Nein, nein, nur ein Laden. Das Nina hat man mir ja abgefackelt, und ich werd’s auch nicht wieder aufbauen. Ich nehme das Geld von der Versicherung und damit ist der Fall für mich erledigt. Das Pinta lief sowieso nicht mehr ganz so gut, deswegen habe ich’s schon vor ein paar Monaten verkauft. Bleibt nur noch das Santa Maria, um das darf sich Dustin ganz nach seinen Vorstellungen kümmern.«

»Gut«, sagte Hans ernst. »Aber in dem Fall kann ich dir nicht weiter garantieren …«

Kurt unterbrach ihn.

»Kein Problem, das ist alles geklärt. Ich habe schon mit Dustin darüber gesprochen. Er würde sich natürlich sehr über deine Hilfe freuen, gerade wenn es um Hausbesuche geht, aber er rechnet nicht damit.«

»Ich bin dein Freund, nicht seiner«, sagte Hans, wechselte dann aber wieder zu einem fröhlicheren Tonfall. »Und was machst du jetzt? Gehst du in Rente?«

»Ganz im Gegenteil. Von der Versicherungskohle habe ich mir eine kleine Kette von Sexshops gekauft. Da steckt immer noch Geld drin, auch wenn die Goldgräbertage natürlich vorbei sind. Aber so ein armer Krüppel musste verkaufen, da hab ich zugeschlagen. Also lasse ich es von jetzt an schön entspannt und ruhig angehen.«

Hans lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah an die Decke.

»Meine Schicksalsschläge langweilen Sie doch hoffentlich nicht?«, fragte Kurt lachend.

»Aber gar nicht«, lächelte Hans und blickte wieder seinen Freund an. »Mich wundert nur, dass der kleine Kurt langsam erwachsen wird und sich aus dem Geschäft für zwielichtige Leute zurückzieht.«

»Ich bleibe zwielichtig, aber wie ich immer schon gesagt habe: Hauptsache, was Eigenes.«

»Das freut mich wirklich. Dann muss ich demnächst auch nicht mehr durch das halbe Land fahren, um einen alten Freund zu sehen.«

Hasi

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