Читать книгу Die Ewigen. Stimmen aus der Zukunft - Chriz Wagner - Страница 9

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IV

Im Grunde machte mir das Souris Valley Mental Health Hospital schon immer Angst. Eigentlich bestand es nur aus mehreren quadratischen Backsteinkästen, aneinandergereiht und in der Mitte der Haupteingang mit zwei Säulen und einem Vordach versehen. Aber wenn ich auf das ausladende Ziegelgemäuer zufuhr, hatte ich das Gefühl, als glotze es mich schon von Weitem mit seinen unzähligen Fenstern gierig an. Und lief ich die Treppe zur Haupttür hinauf, dann stellte ich mir vor, wie der einzige Zugang das letzte bisschen Verstand aus den Köpfen der Patienten fraß. Ein gigantisches Maul, das geisteskranke Zeitgenossen nur in eine Richtung durchließ. Zwar handelte es sich um ein Krankenhaus – überwiegend Menschen mit Schizophrenie wurden hier behandelt – doch in Wirklichkeit war das Souris Valley für die meisten Bewohner der letzte Ort, den sie in ihrem Leben sehen würden. Ein Oneway-Ticket in den Wahnsinn.

Die Abendluft war kühl, weshalb ich Cynthias Jacke locker über meine Schulter geworfen hatte. Ich schubste die Tür hinter mir zu und war froh, den Benzingestank meines Ford aussperren zu können, der noch immer unangenehm in der Luft hing. Der Kerl an der Pforte ließ mich mit einem „Guten Abend, Herr Adams“ durch.

Der Eingangsbereich wirkte seriös und aufgeräumt – gar nicht, wie man es von einer Irrenanstalt erwartete. Das lag vielleicht daran, dass das Souris Valley eine der ersten Kliniken dieser Art war, wo man die Spinner nicht einfach nur wegsperrte. Hier wollte man sie ernsthaft kurieren – Cynthia behauptete das.

Eine breite Holztreppe führte in die oberen Stockwerke. ZU STATION B besagte ein Schild. Und hinter zwei gewaltigen Flügeltüren in den Nebengebäuden lagen die Stationen A und C. Cynthia arbeitete auf C. In diesen Räumen behandelte man Menschen, die auf den ersten Blick völlig normal wirkten, in Wirklichkeit jedoch in ihrer eigenen Welt lebten. Und diese Traumwelt war meist ein grausamer und unnachgiebiger Nachtmahr.

*

– Das Radio spielt Wild Thing von The Troggs. –

Und dann kam Cynthia.

Sie warf die Tür auf. Und für mich war es, als hätte jemand das Licht des Vorraums abgedunkelt und den Spot eines imaginären Scheinwerfers auf ihre Gestalt gerichtet. Ihr langes, natürlich gewelltes Haar fiel lässig über ihre Augen und in ihr Gesicht. Sie trug diese kesse Jeans, oben eng und unten weit, mit den bunten Stickmustern in Blumenform auf den Oberschenkeln. Eine dicke Kordel hielt das knallig lila Hemd an der Taille zusammen.

Als sie auf mich zukam, lächelte sie mich an. Und eben dieses Lächeln erzählte mir, dass sie wirklich glücklich war, mich zu sehen. Und dass sie mir gerne in die Arme fiel.

„Hey Sweetheart“, sagte sie und drückte mir einen dicken Kuss auf.

„Hey Bunny“, erwiderte ich. Ich mochte dieses Spiel.

Sie legte mir den Arm um und schmiegte ihren warmen Körper an meine Seite.

„Alles klar zuhause?“

„Nein. Was Schlimmes ist passiert.“

Cynthia hielt inne und sah mich mit großen Augen an. Für einen Moment fiel ihr Lächeln zusammen.

„Lisa“, sagte ich und machte eine bedeutungsschwangere Pause, um es spannender zu machen. „Stell dir vor: Jetzt findet sie Jeffs Musik gut.“

Und ich lachte los.

„Du Blödmann!“, rief sie. Sie stieß mich weg, zog mir die Jacke von der Schulter und hängte sie sich um. Dann jammerte sie: „Was hab ich mich erschreckt“ und machte eine dicke Unterlippe.

Als wir nach draußen gingen, kicherte ich noch immer. Der Pförtner schüttelte verständnislos den Kopf. Und Cynthia zwickte mir in die Seite.

*

Die Luft war kühl. Sie stopfte die Hände in die Hosentaschen, ich legte meinen Arm um ihren Körper und wir schlenderten zum Auto.

„Ihr wart wieder beim Übungsraum“, sagte sie.

„So gut wie jeden Sonntag.“

Sie schnaubte verächtlich. Ich wusste, was jetzt kam, konnte ihr beinahe den nächsten Satz Wort für Wort auf die Zunge legen.

„Ich mag es nicht, wenn er sich da rumtreibt.“

„Wie jeden Sonntag“, wiederholte ich und kicherte.

Sie stieß mich mit der aufregenden Rundung ihrer Hüfte weg. Dann zog sie eine Hand aus der Hosentasche und legte sie mir an die Brust. Dabei fiel etwas auf den Boden. Sie hauchte mir einen Kuss auf, weil auch sie schon vorher gewusst hatte, dass ich so reagieren würde. Dafür liebte ich sie. Selten war ich mit einer Frau so zu einer geistigen Einheit verschmolzen, wie es bei Cynthia der Fall war.

Sie ging in die Knie und langte nach einem silbernen Päckchen.

Ich runzelte die Stirn, hatte einen Verdacht.

„Was ist das?“, wollte ich wissen.

Ich sah zusammengeknülltes Aluminiumpapier.

„Ach nichts“, sagte sie und steckte es weg.

Da wusste ich, dass ich auf der richtigen Spur war.

„Nein, oder?“ Das sollte bewusst vorwurfsvoll klingen.

„Ach, komm schon“, maulte sie beschwichtigend.

Jetzt war ich mir vollkommen sicher.

Es war vielleicht eine Woche her, oder ein paar Tage länger, da erzählte sie mir von ihrem neuen Boss, Andrew Coleman hieß er. Und dieser Doktor Coleman hatte einen Stoff herbeigeschafft, der es den Pflegern ermöglichen sollte, sich in die Lage der Patienten zu versetzen. Lysergsäurediethylamid nannte sich das Zeug – kurz: LSD. Der Arzt war wild entschlossen, dass jeder Angestellte des Souris Valley mindestens einmal diese Chemikalie einzunehmen hatte. Ziel war es, die Probleme der Patienten besser verstehen zu können. Frei nach dem Motto „Kenne deinen Feind“ oder „Wer nie im Krieg war, sollte auch nicht über den Krieg urteilen“.

Ich hatte ihr meine Meinung zu dem Zeug gesagt und die Unterhaltung über das Thema komplett abgewürgt. Vielleicht hätte ich auch etwas verständnisvoller mit ihren Argumenten umgehen sollen. Aber ich hatte einfach das Gefühl, da redete nicht Cynthia, sondern Herr Doktor Andrew Coleman zu mir.

Und hier war es nun, das Teufelszeug.

Sie ging in die Offensive. „Rockstars nehmen es.“

„Idioten nehmen es“, entgegnete ich.

„Doktor Coleman ist ein intelligenter Mann.“

„Wenn er das nimmt, ist er ein Idiot.“

Ich konnte nicht einmal begründen, warum ich es als schlecht empfand, wenn man mit Chemikalien versuchte, sein Bewusstsein zu erweitern. Es kam mir schlicht und ergreifend falsch vor. Eine moderne Abart der Hexerei. Und ich war mir sicher: Das Einzige, was passierte, wenn man sich einen Trip einschob, war, dass man sich sinnlos den Verstand wegpustete.

„Ich nehme es einfach mal mit. Mehr nicht“, meinte sie beschwichtigend.

„Aber …“

Sie rempelte mir gegen die Brust.

„Hey“, rief ich.

„Mehr nicht!“, wiederholte sie streng.

Ich sah sie mit großen Augen an.

„Und jetzt halt die Klappe“, befahl sie frech. „Sonst trete ich dir woanders hin.“

Ich antwortete mit einem gespielten „Aua.“

Und dann lachten wir beide.

Dennoch blieb das schale Gefühl zurück, dieses Zeug könne größeres Unheil anrichten, als es auf den ersten Blick aussah …

Die Ewigen. Stimmen aus der Zukunft

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