Читать книгу PREDATOR X - C.J. Waller - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеEs dauert nicht lange, bis wir ein Basislager mit allen grundlegenden Notwendigkeiten errichtet haben. Brendan und ich werden zurückgelassen, um den Forscherquatsch (so nennt Marcus es) vorzubereiten, während sich die anderen paarweise auf den Weg machen, um den Rest des »Strands« auszukundschaften, doch vorgeschützter Gleichmut verbirgt ihre eigentlichen Absichten trotzdem nicht. Ich weiß, was sie in Wirklichkeit im Schilde führen.
Wir haben abgesehen von einem einzigen Stiefelabdruck in der Nähe des Ufers keinerlei Indizien für den Verbleib von Team Alpha gefunden. Außerdem ist die Tatsache, dass der Strand, den wir gerade absuchen, nicht im Geringsten dem Bereich ähnelt, den das Team gefilmt hat, bevor die Aufnahme unerklärlicherweise abbrach, ebenfalls recht verwirrend. Entweder sind wir also irgendwo ganz drastisch vom Weg abgekommen, oder das hier ist nicht die Stelle, an der sie waren – was wiederum weitere Fragen aufwirft, angefangen bei: Wo zum Henker kommt dann der Fußabdruck her?
Unser Problem besteht jetzt darin, dass wir nirgendwo anders mehr hingehen können, außer ins Wasser.
Ersten Gesteinsproben zufolge datieren viele Felsen in diesem Bereich aufs Paläozoikum zurück, was bedeutet, dass er schon verflucht lange mehr oder minder geologisch stabil ist. Falten haben sich dabei so gut wie gar nicht gebildet, und ich freue mich sehr, ein paar bestens erhaltene Fossilien von Trilobiten gefunden zu haben, über die sich die Paläontologen unter meinen Kollegen bestimmt nicht mehr einkriegen werden, falls mir ein Vorwand einfällt, um sie aus diesem System schleusen zu können. Auch Brendan springt vor Freude im Dreieck, nimmt Proben der Bakterien und stellt kleine Fallen in den Pfuhlen auf, die sich hier und dort zwischen den Felsen am Rande des Wassers gebildet haben.
»Begreifst du das denn nicht?«, fragt er mit fasziniertem Blick. »Das heißt, hier herrschen Gezeiten vor. Es handelt sich also tatsächlich um ein Meer.«
Trotz allem quittiere ich das mit einem Grinsen. Ja, Brendan, schon kapiert, dieser Ort als solcher stellt den Inbegriff des Unglaublichen dar.
Nach mehreren Stunden sind wir wieder alle zusammen und besprechen unseren nächsten Schritt. Schon seltsam, jetzt wo wir hier sind, wissen wir nicht mehr genau, was wir eigentlich tun sollen. Wir können sozusagen bestätigen, das Alpha-Team gesichtet zu haben, falls der Fund einer einzelnen Fußspur als Sichtung zählt … aber was dann?
Fi versucht, unseren Bericht zurückzuschicken, aber beim Übertragen hapert es. Vielleicht ist dem Team genau das Gleiche passiert, aber auch das zieht wieder mehr Fragen als Antworten nach sich. Schön und gut, wenn sie nichts übertragen konnten – doch wo stecken sie dann?
Ich lasse den Blick über das kalte, schwarze Wasser dieses unterirdischen Meeres schweifen. Obwohl es windstill ist, kräuselt sich die Oberfläche. Im unwirklichen Halblicht, das die Bakterien abgeben, sieht es schön aus und verstört doch zutiefst. Ab und zu höre ich es platschen, woraufhin sich mir die altbekannte Fantasie aufdrängt. Bis zu hundertsechzig Millionen Jahre von der Erdoberfläche abgeschnitten … Was um alles in der Welt könnte dort unten ruhen … und wollen wir es wirklich herausfinden?
»Sind Sie wieder auf dem Damm?« Diese Frage kommt von Janos, der sich erneut wie der Papa unserer Gruppe benimmt.
Ich nicke. »Bin bloß am Nachdenken.«
»Worüber?«
»Über das, was dort unten leben könnte. Inwiefern es anders sein könnte. Vorausgesetzt natürlich, es hat lange genug überdauert, um sich anders zu entwickeln.«
Er verzieht das Gesicht, das ist seine Art, zu lächeln.
»Es könnte alles Mögliche sein«, entgegnet er.
Ganz genau, Kumpel, du sagst es.
»Moment mal … Das ist seltsam.« Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf Brendan. Er setzt gerade den Restlichtverstärker ein, um die Oberfläche abzusuchen, und sieht mit dem übergroßen Gehäuse komischerweise wie ein Insekt aus. »Es leuchtet bis dorthin über das Wasser, als gebe es dort irgendeine Felszunge oder so etwas in der Art.«
Wir schauen einander an. Sagen müssen wir nichts, um zu wissen, dass wir alle das Gleiche denken: Dort könnte das Alpha-Team abgeblieben sein.
»Wir sollten nachsehen gehen«, schlägt Marcus vor. Nik wirft ihm einen abfälligen Blick zu.
»Ich fände es besser, etwas mehr Zeit als nur ein paar Stunden hierzubleiben, um uns zuerst einmal einzurichten …«
»Einzurichten wofür?«, unterbricht ihn Marcus. »Viel mehr als diese Höhle gibt es nicht, weder andere noch Schächte nach unten oder Abzüge nach oben. Sie ist eine Sackgasse, und außerdem: Warum haben wir denn das Schlauchboot mitgeschleppt, wenn wir es jetzt nicht benutzen?«
Ein gutes Argument. Obwohl es deutlich leichter ist, als herkömmliche Modelle, wiegt das Gummiboot immer noch eine ganze Menge. Es mitzunehmen, ohne es einzusetzen, fände auch ich unsinnig, besonders da wir es allein aus dem Grund getan haben, um dieses Gewässer so gründlich wie nur möglich zu untersuchen. Gleichzeitig kann ich aber auch Niks Standpunkt nachvollziehen. Keine Ahnung, woran es liegt, doch diesem Meer oder See wohnt unleugbar etwas Unheilvolles inne. Vermutlich lässt es sich einfach darauf zurückführen, dass der Ort so verdammt alt und sehr lange unentdeckt geblieben ist … aber bei aller Schönheit kommt er mir trotz allem bedrohlich vor, wild und nicht zu bändigen.
Wir diskutieren noch eine Zeit lang, einigen uns aber letzten Endes darauf, etwas länger zu bleiben und weitere Proben zu nehmen – in erster Linie vom Wasser und dazu noch ein paar Felssplitter (das Credo »Nimm nichts mit außer Erfahrung« ist uns wirklich in Fleisch und Blut übergegangen), bevor wir uns darauf vorbereiten, den See etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Also, wie tief ist er?«, fragt Fi, während sie das kleine gelbe Viereck auspackt, das sich wie durch Zauberhand zu einem Vierpersonenboot aufblasen wird.
Brendan zieht die Mundwinkel hinunter. »Wie ich das angeben soll, ohne eingetaucht zu sein, weiß ich nicht, aber ich kann versuchen, es herauszufinden.«
Er nimmt ein langes Stück Seil und knotet ein Ende um einen Stein. Darüber befestigt er eine Fackel. Wir schauen zu, wie er hinaus ins Wasser watet, wobei er grinst wie ein Fünfjähriger, der zum ersten Mal vorne in einem Feuerwehrauto mitfahren darf. Was insofern ironisch ist, weil ich mit einem Mal den dringenden Wunsch verspüre, ihn aufzufordern, sofort das Wasser zu verlassen, und nein, keine Diskussionen, verdammt noch mal einfach schleunigst zurückzukommen. Ich muss mich regelrecht dazu zwingen, es nicht zu tun. Natürlich, es ist dunkel, unheimlich und abgefahren, aber wir leben weder in den Achtzigern, noch ist das hier ein Camp am Lake Crystal, also muss ich mich zusammenreißen. Er geht etwa zehn Fuß weit, bevor er bis zu den Hüften im Nassen steht. Wegen des schwarzen Wassers hinter ihm sehen wir ihn schlecht, bis er die Fackel umknickt, woraufhin alles in der Umgebung schlagartig dämonisch dunkelrot leuchtet, das Wasser rings um ihn wie Blut.
Er lässt die Fackel nun ins Wasser fallen. Sie sinkt und wird dabei immer kleiner. Währenddessen bleibt einzig ein rotes Glimmen sichtbar, ehe sie endgültig verschwunden ist.
Mehrere Minuten vergehen, dann holt Brendan das Seil wieder ein und watet zurück zu uns. Er schüttelt verwirrt den Kopf.
»Nun?«, fragt Nik.
»Es ist tief«, antwortet Brendan. »Die Leine ist fünfzig Fuß lang, und ich habe kein einziges Mal gespürt, dass sie irgendetwas gestreift hat. Das Bett fällt einfach ab, und zwar steil.«
»Wie ein Graben«, erklärte ich.
»Wie ein was?«, hakt Fi nach.
»Ein Graben. Senkrecht nach unten, als wenn man an den Rand eines Riffs gelangt, das unvermittelt abbricht.«
Brendan nickt. »Ja, exakt so ist es. Das Wasser, das hochsteigt, ist außerdem recht kalt, ein weiteres Anzeichen dafür, dass es tief hinuntergeht.«
»Wie tief?«, beharrt Nik.
»Das weiß nicht. Könnten hundert oder tausend … ja, verdammt, sogar noch viel mehr Meilen sein. Ohne anständige Ausrüstung ist Ihre Schätzung so stichhaltig, wie meine.«
»Folglich sind wir also auf ein unterirdisches Meer gestoßen, das Tausende Fuß tief ist?«, rekapituliert Fi.
Brendan tut gelassen. »Möglicherweise.«
»Wahnsinn.« Sie strahlt. »Wer als Erster im Boot ist.«
***
Bis es sich aufgeblasen hat, vergeht keine ganze Minute. Nik wird uns hinüberrudern. Die kurzen, roten Paddel sehen ein bisschen abgenutzt aus, aber er ist sich ziemlich sicher, dass sie ihren Zweck noch erfüllen, auch weil das Wasser ruhig zu sein scheint. Wir kommen überein, zuerst Marcus, Brendan und Fi zu befördern. Dann wird Nik zurückkommen, um mich und Janos mitnehmen, nicht zu vergessen den Großteil unserer Gerätschaften, falls sich herausstellt, dass das Boot es tragen kann.
Während sie sich in das winzige Ding zwängen, scherzen und lachen sie viel. Vorübergehend kommen uns Zweifel daran, dass es überhaupt oben bleibt, doch sobald alle Platz genommen haben, tritt Nik die heikle Fahrt über das Wasser zu dem Leuchten hin an.
Janos und ich reden nicht, sondern beobachten, wie die Kegel ihrer Kopflampen auf der Oberfläche glitzern. Bald sind sie nur noch stecknadelkopfgroß, die Strahlen hauchdünn und blass weiß im endlosen Schwarz des Gewölbes. Ich zittere. Wie ich schon sagte, verfüge ich nur über wenig Erfahrung in Sachen Höhlen, finde das schiere Ausmaß dieser Kaverne aber sogar noch beeindruckender als die verschiedenen Felskamine, Röhren und Kriechgänge, die zu überwinden ich auf dem Weg hierher gezwungen war. Dass dies der Fall sein könnte, hätte ich nicht gedacht, was einmal mehr beweist: Man kann nie wissen.
Als plötzlich ein Schrei aus der Ferne erklingt, fährt Janos sofort hoch.
»Nik?«, ruft er in die Dunkelheit hinaus.
Es klatscht laut, dann huscht das Licht einer einzelnen Kopflampe wild hin und her. Janos läuft auf das Wasser zu, wohingegen ich mich nicht vom Fleck rühre, während mir das Blut in den Ohren rauscht.
Endlich sieht man das kleine, gelbe Schlauchboot wieder. Janos greift nach seiner Fangleine und zieht es ins seichtere Wasser.
Nik sieht blass aus und macht große Augen.
»Was ist passiert?«, fragt Janos.
»Ich weiß es nicht«, erwidert Nik. »Etwas … etwas ist gegen das Boot gestoßen. Es wackelte, und ich dachte … du weißt schon … wir würden kentern …«
»Wahrscheinlich nur Turbulenzen«, argwöhnte Janos.
Nik nickt, sieht aber nicht allzu überzeugt aus. »Ja, du hast bestimmt recht. Ich meine, was hätte es sonst sein können, nicht wahr?« Er nimmt sich einen Augenblick Zeit, um wieder ruhig zu werden, während ich mit Janos die Ausrüstung zusammentrage – unsere leeren Rucksäcke, ein paar Aufnahmegeräte, nichts besonderes – und sie vorsichtig in die Mitte des Bootes lege. Dann steigt er ein und streckt eine Hand nach mir aus. Normalerweise würde sich jetzt die alte Feministin in mir wieder zu Wort melden, aber etwas an Janos kommt mir auf charmante Weise altmodisch vor. Allem Anschein nach gelten gute Manieren immer noch etwas, egal aus welchem ehemaligen Ostblockland (er hat es mir einmal gesagt, aber es existiert im Grunde genommen nicht mehr) er ursprünglich stammen mag.
Wir brauchen etwa eine Minute, um uns hinzusetzen, dann nimmt Nik die Ruder wieder auf. Er schert nach rechts aus, um die Stelle zu meiden, an der er vorhin fast in Teufels Küche geraten wäre, falls es sich wirklich um Turbulenzen gehandelt hat … aber wer weiß das schon an diesem Ort? Wir jedenfalls nicht, denn hier unten funktioniert nichts so, wie es eigentlich laufen sollte, zumal es nie zuvor jemandem gelungen ist, so tief unter der Erde ein erwähnenswertes Gewässer zu finden. Nik unternimmt gerade einige Anstrengungen, um ihnen nun auszuweichen. Ich schaue dabei zu, wie er die Paddel ins dunkle Wasser taucht und dadurch Wellen schlägt, die sich nach draußen fortpflanzen, sodass sich unser Weg vom Ufer zurückverfolgen lässt, als mir plötzlich etwas ins Auge fällt.
»Hey, haben Sie das gesehen?«
Nik und Janos blicken zu mir auf, beide mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. Offensichtlich haben sie nichts gesehen.
Ich schaue wieder ins Wasser, während ich versuche, die schwarzen Schichten mit den Augen zu durchdringen und einen weiteren Blick darauf zu erhaschen, aber dort ist nichts. Mir kommt es so vor, als hätte ich etwas Blasses vorbeigleiten sehen. Nichts Spezifisches, nur der Schatten einer möglichen Form, doch es ist fort, falls es überhaupt jemals da war.
»Vergessen Sie es«, sage ich.
Nik rudert weiter. Mittlerweile erkennt man das Schwelen in der Ferne deutlicher, und ich bin mir ziemlich sicher, die gezackten Umrisse eines Felsausläufers ausmachen zu können. In der Nähe von dessen Fuß zucken drei Lichtstreifen herum – der Rest unseres Teams, oder zumindest gehe ich davon aus. Wir müssen noch ein Stückchen zurücklegen, wobei das leise Platschen, wenn Nik die Paddel durchzieht, als einziges Geräusch die Stille stört.
Mir stockt der Atem, als das Boot über eine Reihe leicht unruhiger Wellen fährt und einen plötzlichen Satz macht. Janos runzelt die Stirn, während Nik nervös in alle Richtungen schaut.
»Eine andere Strömung?«, fragt Janos.
Nik ist unschlüssig und antwortet: »Ich gehe davon …«
Seine Antwort wird von etwas abgeschnitten, das an der Unterseite des Bootes vorbeischrammt.
Er reagiert sofort, zieht die Paddel ein und erstarrt.
»Was war das denn?«, flüstere ich, während automatisch form- und farblose Wesen in meinem Kopf herumspuken.
»Eine Sandbank?«, erwägt Janos.
»Sehen Sie denn eine?«, halte ich dagegen.
Jetzt liegt es an ihm, unschlüssig zu sein.
»Ich sehe kein … oha!«
Das Schlauchboot wirbelt nun herum, als habe jemand den Bug ergriffen und zur Seite gerissen. Ich packe die kurzen Führungsleinen, die längs an der Bordwand verlaufen, und halte mich gut fest. Für möglich gehalten hätte ich es nicht, aber Nik wird noch weißer im Gesicht. Janos andererseits betrachtet derweil die Oberfläche ganz genau, um die Ursache zu finden.
»Nik, fahr weiter«, verlangt er. »Bring uns hier sofort raus.«
Sein Freund kann jedoch nicht weiterrudern, denn er ist erstarrt, genauso wie ich. Wir blicken uns gegenseitig an und wagen es nicht, über das Wasser zu schauen. Erneut hebt sich das Boot, dann bricht ohne Vorwarnung etwas Massiges durch die Oberfläche und klatscht laut wieder auf. Es ist, ohne zu übertreiben, so groß wie das Boot und blassgrau gesprenkelt. Vielleicht habe ich am Ende ja doch nicht gesponnen.
Das rüttelt Nik endgültig auf, jetzt kann er gar nicht mehr schnell genug paddeln. Dabei behilft er sich allerdings nicht mehr jenes gleichmäßigen, selbstsicheren Ruderschlags von zuvor. Nun legt er sich so erbittert ins Zeug und wühlt das Wasser auf, dass wir uns im Kreis drehen. Janos taumelt rückwärts und beginnt, in einer Sprache zu fluchen, die ich nicht verstehe (jedenfalls klingt es so, als fluche er, falls er es nicht tut, ist seine Muttersprache die furchterregendste, die ich je vernommen habe). Er braucht einen Moment, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, bevor er Nik eines der Paddel aus der Hand reißt. Er hält es vor sich wie eine Waffe, weshalb ich mir nicht sicher bin, ob er helfen will, uns in Sicherheit zu bringen, oder zum Angriff auf das übergehen möchte, was auch immer gegen unser Boot gestoßen ist. Bevor ich mich für eine Möglichkeit entscheiden kann, spüre ich, wie sich der Gummiboden unter mir wölbt. Ich will schlucken, aber meine Kehle fühlt sich plötzlich an wie Schmirgelpapier. Als ich einen Fuß anhebe, steht die ganze Welt auf einmal kopf.
Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes.
Nach einem orangefarbenen Blitz stellt sich eine allumfassende Finsternis ein, die so kalt wirkt, dass mein Herz fast stehen bleibt. Selbst das dicke Neopren an meinem Körper kann sie nicht fernhalten. Sie schwappt in meinem Mund und entfacht einen Brand, der mir bis in die Lunge reicht. Ich realisiere gedanklich nur verzögert, was geschehen ist, und als es geschieht, steigt augenblicklich Panik in mir auf. Wo ist oben und wo unten? Ich schlage um mich und widerstehe dem Wunsch, zu schreien. Als ich in Richtung Oberfläche strebe, packt mich auf einmal etwas am Arm. Ich wehre mich dagegen, doch statt loszulassen, zieht es mich hoch. Als mein Kopf auftaucht, wird mir klar, dass es Janos ist. Seine stoische Maske hat er ausnahmsweise einmal abgelegt, seine dunklen Augen wirken riesig und seine Lippen sind vor Angst verkrampft. Eigenartig, dass einem solche Kleinigkeiten auffallen, wenn man um sein Leben kämpft. Es ist, als wolle der Verstand die Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken, damit er sich in Ruhe verabschieden und wimmernd in eine Ecke verziehen kann.
Ich versuche, Luft zu holen, muss dann aber husten, weil ich klirrend kaltes Wasser eingeatmet habe, das wieder hinaus muss. Janos hält sich jetzt an etwas fest, das aussieht wie ein Teil unseres Bootes, einer der Schwimmkörper, glaube ich. Der Rest treibt zerfetzt rings um uns herum. Von links ruft uns jemand. Kleine Lichtpunkte zucken herum, und ich höre es abermals platschen.
»Was zur …«
»Ist niemand verletzt?«
»Scheiße, was war das?«
Die durcheinander gestellten Fragen bringen mich nun endlich zur Besinnung: Zwar nur ein klein wenig, aber das genügt mir, um mich endgültig zusammenreißen zu können. Was das Boot auch getroffen haben mag, hat sich bewegt, und das heißt, ich muss schleunigst aus dem Wasser kommen. Ich rudere mit den Armen und trete mit den Beinen, während ich mich bemühe, mir meine Schwimmfähigkeit wieder ins Gedächtnis zu rufen. Dann spüre ich plötzlich einen merkwürdigen Zug, so als sei ich in eine Strömung geraten. Ich schaue mich um, erkenne aber nichts in der Dunkelheit.
»Schwimmen!«, schreit Janos und lässt die Überreste des Bootes nun los.
Ich bin keine sonderlich gute Schwimmerin. Wenn es um langsamen Brustschlag geht, macht mir für gewöhnlich niemand etwas vor, aber das war es dann auch schon. Trotzdem bin ich wie eine Olympionikin gekrault, um das Boot hinter mir zu lassen, und Janos zum Licht hin gefolgt – an den Strand, wie ich hoffe. Hinter mir spritzt erneut eine Fontäne hoch, und es knallt ohrenbetäubend laut, als die letzte Luftkammer in den Schläuchen unter … ja, was auch immer nachgibt. Ich kann mir nicht vorstellen, was es ist, und will es auch gar nicht wissen, sondern ich will einfach nur weg davon. Ich trete hektisch mit den Beinen und verdränge das Wasser mit den Händen, bis meine Finger endlich Felsen berühren. Dann wird mir klar, dass ich aufstehen kann. Ich laufe und torkele zu gleichen Teilen ins seichte Wasser, wo mich Marcus schließlich abfängt.
»Das darf doch nicht wahr sein, Meg!«, ruft er mit Augen, so groß wie Untertassen. »Was ist denn da gerade bitteschön passiert?«
Ich kann ihm keine Antwort geben, weil es mich gerade große Anstrengungen kostet, mehrere Mundvoll Salzwasser zu erbrechen und wieder Luft zu holen. Janos tut das Gleiche.
»Wo ist Nik?«, fragt Fi.
Ich richte mich schwankend auf.
»Er … er war … gleich hinter mir«, ringt sich Janos ab.
Ich bekomme einen weiteren Hustenanfall, als würde sich die Angst wie klebrige Ranken um meinen Hals schlingen. Niemand spricht, während wir das Ufer absuchen.
Doch Nik ist nirgendwo zu sehen.