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Die ersten Tage waren die schwersten, sie waren oft so schwer, daß es den Gefangenen anwandelte wie Verzweiflung. Nächte, in denen er nicht schlafen konnte, konnten ihm auch keinen Mut bringen — wie sollte er so einen Tag anfangen, an dem ungewohnte Arbeit ihm fast die Knochen zerbrach? Wie arbeiten mit einem Rücken, der statt der Wirbel eine Eisenstange hatte — er konnte sich nicht mehr bücken — mit Füßen, deren Sohlen wundgelaufen waren, mit Händen, die aufgeschwollen waren vom schweren Schleppen. So elend, wie er sich am Abend niedergelegt hatte, so elend stand er am Morgen auch wieder auf. Er sagte sich: ich habe Fieber. In seinem Kopf drehte sich, wie das Rädchen in einer Uhr, einzig der Gedanke: sterben, sterben. Er aß nichts und sprach kein Wort. Aber jede Stunde lief er zum Brunnen und hielt den Mund unter das Pumpenrohr, ihn verzehrte ein brennender Durst, der Fieberdurst der Sehnsucht: nach Hause, nach Hause!

Aber als die Tochter es durchgesetzt hatte, daß der Franzose in die Knechtekammer beim warmen Kuhstall kam, wurde es besser. Sie hatte den Stiefvater und die Mutter überredet; die mußten es nun doch wohl einsehen, daß von dem Menschen nichts zu fürchten war. Das war ja so ein Stiller, der froh war, daß man ihm nichts tat. Er wollte auch gern arbeiten, mit Ängstlichkeit paßte er auf, wenn ihm etwas gezeigt wurde; daß er sich so dumm anstellte, das war nicht seine Schuld, er hatte Bauernarbeit eben nicht gelernt. Aber er würde sie lernen; dafür sorgte Christina.

Sie zeigte ihm, wie man den Stall ausmistet und dem Vieh neue Streu bereitet, sie kletterte mit ihm auf den Heuboden und wies ihn an, wie man die Heubündel herunterläßt; sie lehrte ihn auch das Melken. Und als ihm beim erstenmal die Bläß mit dem Schwanz in den Melkeimer schlug, so daß die Milch spritzte und er hintenüber vom Schemel fiel, da lachte sie so lustig, daß er mitlachen mußte, obgleich er innerlich wütend war und verzagt: ich lerne das nie. Er lernte es. Nach acht Tagen brauchte sie nicht mehr mit ihm in den Stall zu gehen, er besorgte das gut allein.

Die Bäuerin war zufrieden: der melkte wenigstens ordentlich aus. Sie sah den jungen Menschen, dessen blaßbräunliche Haut ihr ein Zeichen von Kränklichkeit deuchte, freundlicher an. Und als er jetzt anfing, etwas Appetit zu zeigen, schöpfte sie ihm so reichlich auf, daß er erschrocken „assez, assez“ rief und beide Hände schützend über seinen Teller hielt.

Ganz allmählich fing es an, sich wie Fäden zwischen der Familie auf dem Grundhof und dem Franzosen zu spinnen. Die Kinder waren die ersten, die zutraulich wurden. Das Josephche hatte sich eine Mühle gemacht aus einer alten Zigarrenkiste und Holzstäbchen; er war gar nicht ungeschickt, aber das Ding, das er auf den Gatterzaun gesteckt hatte, und das sich nun drehen sollte je wie der Wind wehte, drehte und drehte sich nicht. Da wurde er ungeduldig, wollte es schon herunterreißen, Tränen des Zorns kamen ihm, er stampfte mit den Füßen und schimpfte grob wie ein Alter. Da nahm sich der Knecht, der beim Brunnen Kartoffeln wusch, seiner an. Er bastelte mit geübten Fingern, er schnitzelte und probierte und rückte zurecht, und sieh, bald ging die Mühle. Hei, wie die sich drehte!

Das Josephche war nicht wenig stolz, nun hatte er eine so schöne Windmühle, eine schönere, als alle andern Jungen im Dorf. Ob der Franzos auch noch andres machen konnte? Sowie er aus der Schule kam, war er hinter dem her. Und der einsame Gefangene war glücklich, in dem Kind einen Gefährten gefunden zu haben. Am Feierabend konnte man die beiden sehen, wie sie miteinander auf dem Bänkchen unter dem Birnbaum saßen, der noch nicht blühte, aber zu blühen versprach. Der Mai milderte die herbe Luft, strich mit freundlicherem Finger dem Mann aus Südfrankreich über das schwarze Haar und dem Eifelkind über das flächserne Blond; das dunkle und das helle Augenpaar sahen sich vertraulich an. Aufmerksam hörte der Knabe zu, was der Franzose zu ihm sprach; er sah dem unverwandt auf den Mund, so angestrengt, wie ein Tauber dem andern auf die Lippen sieht, um von denen abzulesen, was er nicht hören kann. Und der andre wiederum sprach überlaut, artikulierte nachdrücklich, buchstabierte förmlich jede Silbe: so mußte das Kind ihn doch verstehen. Aber wenn er sich noch so viel Mühe gab, sein Französisch, untermengt mit Brocken von Deutsch, verstand das Josephche nicht; doch es verstand die begleitenden Handbewegungen, verstand vor allem das, was aus den dunklen Augen freundwillig und des Sichmitteilens bedürftig zu ihm sprach. Der gute Freund schenkte dem Joseph auch einen Sou, den er noch in seiner Tasche hatte, und einen Knopf von der französischen Uniform. Das waren Besitztümer, um die den Joseph alle Schulkameraden beneideten. Er kroch dem Fremden bald aufs Knie. Und sowie das kleine Trautchen das sah, kam es auch gelaufen und kroch auf das andre Knie, und wenn man von fern nicht die fremde Uniform erkannte, so konnte man annehmen, der Bauer säße nach getaner Arbeit ausruhend vor seiner Tür und halte seine Kinder auf dem Schoß.

Der Grundbauer gab dem Gefangenen ein paar alte Manchesterhosen von sich und ein starkfädiges Drillichhemd, so ging der nun angetan wie jeder andre hierzuland auf den Acker. Die Christina war erstaunt, daß er sich da gar nicht so dumm anstellte. Er konnte freilich nicht den Zentnersack Saatkartoffeln auf dem Buckel den Berg hinaufschaffen und ihn dann noch die weite Strecke bis zur Ackerstelle tragen, wie der Mathes das gekonnt hatte; aber das tat nichts, sie nahmen eben eine Schiebkarre, und was ihm an Kraft abging, das ersetzte sein Geschick. Er riß mit der Pflugschar ganz gerade Furchen, und jedesmal, wenn er sich umschaute nach ihr, die hinter ihm die Kartoffeln legte, ob es auch nicht zu rasch sei und sie nicht zu keuchen brauche, fühlte sie dankbar die Rücksicht, die er nahm. Sie waren bald gut miteinander eingeschafft, und sie schafften auch gern miteinander. Wenn der Knecht unten blieb und der Bauer statt seiner mit hinaufkam, ging die Arbeit längst nicht so flott. Der Bauer, der selber nur langsam arbeitete, kommandierte an der Tochter herum und trieb sie beständig an, und sie sah dem Stiefvater mit bösem Blick nach: der könnte schon rascher voranmachen, so schlimm war es mit seinen Füs en gar nicht, er war nur faul.

Antoine Ducas wunderte sich selber, daß ihm die Landarbeit nicht schwerer fiel. Ob es so war, wie seine Mutter erzählte, daß die Vorfahren seines Vaters einstmals Bauern gewesen waren? Das konnte sein; und es war ja auch gar keine Schande. Von ihnen war ihm wohl der Tropfen Blut noch in den Adern, der es ihm möglich machte, hier zu leben, eine Arbeit zu tun, die von der, die er bisher getan, so völlig verschieden war. Wenn seine Pflugschar tiefe Furchen aufriß und sein Fuß in die Erde versank, dann grüßte es ihn aus deren Schoß wie etwas Vertrautes, einst Gewohntes; und Beruhigung kam über ihn hier auf dem hochgelegenen Acker in der fremden Weite. Sein Auge sah keine Alpen, das weiße Riesenhaupt des Mont Blanc tauchte nicht auf, wie man es mitunter sehen konnte nicht weit von Valence, wenn das Wetter so klar war, die Luft so durchsichtig wie heute hier. Die Sehnsucht nach der Heimat, nach der Stadt, nach der Mutter, hier kam sie zuweilen zum Schweigen. Besonders wenn das Mädchen bei ihm war. Dann hatte er aufzupassen auf ihr „hü“ und „hahr“, sie lenkte ihn mitsamt seinem Pflug wie ein gehorsames Pferd. Und was hatte sie gesprochen, was? Und was sollte er jetzt tun, was meinte sie? Seine fragenden Blicke hingen an den Lippen, die, mit freundlich gehobenen Mundwinkeln, von der Farbe der Rosenblätter waren in dem hübschen Gesicht. Sie wiederholte langsam, was sie gesagt hatte, und wies zugleich auf ein Ackerstück, das voller Steine lag. Sie bückte sich und schleuderte die ersten mit gutgezieltem Wurf weitab auf den Feldweg. Da verstand er: die Steine mußten heraus, und er machte sich emsig daran. Und so war es immer; sie hatte die Geduld, zu lehren, er die Geduld, zu lernen. Und dumm war Antoine Ducas nicht, ein heller Kopf, das hatten sie schon in der Schule gesagt; das Muß machte ihn jetzt noch schneller begreifen. Das Lehren und Lernen machte ihnen beiden Spaß; es war wie Ehrgeiz in das Mädchen gefahren: ihr Franzose sollte und mußte bald gut Deutsch verstehen. Und er wiederum kramte aus seinem Gedächtnis hervor, was an deutschen Worten jemals darin gewesen; es war doch allerlei, bei seiner Mutter hatte einmal als Chambregarnist ein Herr gewohnt, der war ein Deutscher. Und neue Worte kamen jetzt zu den alten, und neue Begriffe, und wenn die vom Grundhof auch manchesmal eine Lache aufschlugen über sein Deutsch, wenn selbst das Mädchen hell lachte, er ließ sich nicht beirren. Er würde es schon lernen. Er mußte es lernen, und darum lernte er rasch.

Die Arbeit des Kartoffellegens war getan, alle Futterfrucht bestellt, jetzt kamen die andern Arbeiten an die Reihe: das Distelnstechen, das Streuen des weißen Kalkmehls aufs Land. Immer tat sie ihm die Arbeit vor, und er machte sie ihr gelehrig nach; er folgte ihr willig, williger, als er sich dem Bauern unterordnete. Der ließ freilich auch nach in seiner groben Unfreundlichkeit. Was konnte am Ende dieser Mensch dafür, daß Krieg war, daß er Franzose war und sie Deutsche waren und sich feind? Bei der Arbeit gibt es keine Feindschaft, da muß man an einem Strang ziehen, sonst wird’s nichts. Und er gönnte seinem Franzosen einen freundlicheren Blick und nickte ab und zu mit einem anerkennenden „Hm“ bei dessen Arbeitsleistung. Er wußte ja nicht, wieviel die Christina dazu beigetragen hatte.

Sie hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, dem Gefangenen Beschützerin zu sein. Der Bruder steckte jetzt in einer bösen „Bredullich“; die Kämpfe am Chemin des Dames waren schon lange schlimm, nun aber hatten die Franzosen ihr „eisernes Korps“ eingesetzt; er schrieb letzthin nur eine flüchtige Karte, die war so geschrieben, als könnte es seine letzte sein, er sagte ihnen allen lebewohl. Da wußte sie in ihrer Sorge um ihn sich nicht anders zu helfen, als daß sie Gutes an ihrem Franzosen tat.

Nachts lag sie, die früher stets ohne Unterbrechung vom Abend bis zum Morgen geschlafen hatte, jetzt oftmals wach. Dann dachte sie nach. Sie hatte vormals gar nicht gewußt, daß man nachdenken kann. Wie konnte sie es nur machen, daß der Gefangene nicht mehr so trübselig war, sich nicht immer nach seiner Mutter sehnte? Und nach seiner Freiheit. Hier war er doch so gut wie frei. Er konnte kommen und gehen, wann er wollte — er könnte sogar weit fortgehen, sich davonmachen über alle Berge, kein Aufpasser wäre da. Die Landsturmmänner, die die Gefangenen hergebracht hatten, waren längst wieder abmarschiert, alle Gefangenen gingen frei im Dorf herum. Es war doch nicht so schlimm, hier Gefangener zu sein. Aber vielleicht hatte er ein Mädchen zu Hause, eine Braut, nach der es ihn zerrte und zog, die ihm nicht aus dem Sinn kam? Christina lag hellwach in ihrem Bett, sie warf sich unruhig und zog die Stirn in Falten: sie mußte ihn wirklich einmal fragen, ob er da, wo er zu Hause war, ein Mädchen hatte. Sicherlich. Er war ja ein junger Mensch und auch ein hübscher Mensch. In ihn konnte sich wohl eine verlieben.

Und sie richtete sich in ihrem Bett halb auf — ihr buntgewürfeltes Federdeckbett war ihr heute heiß, unausstehlich heiß — stützte den nackten Ellbogen auf und hing den Kopf in die Hand, daß ihr das lockere Haar, das sich, wenn es schön gestrählt war, wie eine flimmernde Krone um die Stirn wand, verwirrt über Finger und Gesicht floß. Sie würde sich ärgern, wenn er eine Braut daheim hätte — warum ärgern? Die Antwort blieb sie sich schuldig. Sie war ein aufrichtiger Mensch, aber darauf konnte sie nicht antworten. Sie war sich selber nicht bewußt, daß sie ihn wie ihr Eigentum betrachtete, wie etwas, was von Rechts wegen nur ihr gehörte; etwas, aus dem sie machen konnte, was sie wollte.

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