Читать книгу Schwarze Koralle - Clarissa Sander - Страница 6

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Benommen vom vielen Sitzen trat Maren aus der klimatisierten Atmosphäre des Flugzeugs hinaus in das gleißende Licht. Dampfende Luft schlug ihr entgegen, die sich kaum in die Lungen ziehen ließ. Stand sie noch in den Flugzeugabgasen? Sie stieg die Gangway hinunter, sorgsam bedacht, nicht zu stolpern. Schwarze Arbeiter lungerten an den Servicewagen herum, lässig entspannt, scheinbar nicht begierig, sich in Aktivitäten zu stürzen. Die Luft war echt. Tropenatem. Schwer, feucht, ein bißchen modrig. Luft, die sich auf die Haut legte wie schwere Seide, die nicht stach oder einen frösteln ließ, die tausend Gerüche in sich barg. Sie kannte eine ähnlich feuchte Hitze nur aus den Gewächshäusern im botanischen Garten, in die sie an Winternachmittagen manchmal flüchtete. Sie wußte, daß sie sich in diesem Klima zu Hause fühlen würde.

In der Eingangshalle des Flughafengebäudes schwenkte eine Gruppe jamaikanischer Mädchen ihre in den Nationalfarben gemusterten Röcke und sang schläfrig und heiter einen Begrüßungssong. Maren reihte sich hinter den anderen Touristen in die Schlange vor der Paßkontrolle. Sie war so aufgeregt und übermüdet, daß sie sich wie zwei Personen fühlte: Die eine wollte das Abenteuer, wollte sich in Erlebnisse stürzen, sich Eindrücken hingeben, unbändig und ausgelassen sein, die andere wollte auf der Stelle zurück in ihr Heimatland, wo ihr alles vertraut war, wollte sich unter ihr Federbett kuscheln und schlafen. In erster Linie schlafen.

Wie eine Woge brach das Geschrei der Taxifahrer über sie herein, als sie aus dem Flughafengebäude trat. Schwarze Arme wedelten ihr vor dem Gesicht herum, Stimmen versuchten sie in einem unverständlichen Idiom von etwas zu überzeugen. Sie hielt krampfhaft ihre Taschen fest, lächelte, sozusagen zur Verteidigung, und folgte blindlings einem älteren Mann zu einem großen Chevrolet aus den sechziger Jahren, dessen Lack größtenteils abhanden gekommen war. Der Mann verstaute ihr Gepäck, sie kletterte auf die Rückbank, aus der Schaumstoff quoll, und harrte der kommenden Dinge. Wie Eberhard ihr geraten hatte, verhandelte sie kurz über den Preis. Dann setzte sich der schwere Wagen brummend und schwankend in Bewegung. Sie sah gebannt zum Fenster hinaus. Weiße Oleanderbüsche. Schlanke hohe Königspalmen. Rotblühende Poinciana-Bäume, die sie von Bildern aus Afrika kannte. Bananenstauden, von denen meterlange Fruchtstände herabhingen. Kokospalmen. Sie lehnte sich zurück, hielt sich mit einer Hand am Türgriff fest, mit der anderen ihre flatternden Haare zusammen, da die Fenster offenstanden, die Kurbeln zum Schließen aber abgebrochen waren. Sie gab sich den Bildern hin. Hier hast du mich, Jamaika. I’m ready for you.

Der Fahrer hielt sich, wie es die Verkehrsregeln der einstigen Kolonialherren verlangten, auf der linken Straßenseite, umfuhr in verwirrender Weise die Kreiskreuzungen und ordnete sich gelassen in den völlig unübersichtlichen Verkehr ein. Ratternde Mopeds, turmhoch mit Zuckerrohr beladene Laster, von denen schwarze Männer herunterwinkten, rostige, aber rasant fahrende Kleinwagen, schwankende Fahrräder, staubige Straßen voller Schlaglöcher. Der Fahrer steuerte den Wagen ungerührt durch das Gewirr auf die Straße nach Negril, eine Hauptstraße, die um die ganze Insel herumführte.

Horden von Schulkindern wanderten am Straßenrand entlang, in blauen, grünen, roten Schuluniformen, die kleineren lachend und ausgelassen hüpfend, die größeren betont aufrecht und stolz. Vor allem die älteren Mädchen waren sich ihrer erblühenden Schönheit bewußt, gingen trotz weißer Söckchen und flacher Schuhe wiegend, mit aufreizenden Hüftschwüngen, jederzeit bereit, aus dem Augenwinkel bewundernde Blicke aufzufangen. Bunte Spangen, Perlen, Schleifen hockten wie Käfer in dem schwarzen Haar, das zu Zöpfen, Löckchen, Türmen, Pferdeschwänzen gebändigt wurde. Lachen. Ein Lachen, das Maren nicht kannte. Die Uniformen schienen die Kinder nicht zu stören. Sie bewegten sich vollkommen unbefangen darin.

Die Stadt blieb zurück, vereinzelt lagen noch ausladende Villen oder exquisite Hotels an den Hügeln von Montego Bay; an den Zufahrten warteten livrierte Wächter auf reiche Amerikaner, auf grünen künstlich bewässerten Golfressorts schoben schwarze Caddies älteren weißen Frauen die Golfwagen hinterher.

»You’re first time in Jamaica?« sagte der Fahrer und schaute fragend in den Rückspiegel.

»Yeah«, bestätigte Maren.

»Nice country, man«, versicherte ihr der Mann. »You need driver? My cousin ...«

Maren lehnte dankend ab. Sie war nicht redselig. Eine fremde Welt brach über sie herein und nahm Besitz von ihren Sinnen.

Buckelrinder auf gelbbraunen, halbverdorrten Grasflächen. Schwarze staubige Schweine, die in den Gräben am Straßenrand herumstöberten. Weiße Kuhreiher, die dünnbeinig neben den Rindern herstaksten oder dreist auf ihrem Rücken hockten. Schwarze Ziegen, die gefährlich nah an der Straße an Sträuchern knabberten, Hundewelpen, die vor den Hütten herumtapsten. Immer wieder schloß Maren entsetzt die Augen, hörte schon die Reifen quietschen und sah eine blutige Masse vor dem Wagen liegen, ein Tier oder gar einen Menschen. Sorglos wackelten alte Männer auf Fahrrädern die unebenen Bankette entlang, unbekümmert ob der hupenden Autos. Doch nichts geschah. Man schien solche Gefahren gewöhnt zu sein.

Manchmal war die Straße überschattet von Bambushainen und hohen Palmen, dann wieder öffnete sie sich und gab den Ausblick frei auf niedrige, sanft gewellte Hügel, dicht bestanden mit leuchtend grünem Buschwerk. Knöcherige alte Bäume ragten daraus empor, zeichneten sich gegen den Himmel ab. Eine Silhouette, die ungezähmt und uralt wirkte, als habe sie sich seit den Zeiten Calico Jacks und seiner berüchtigten Piratenhorden nicht verändert.

Rauheit paarte sich mit Lieblichkeit. Nach schroffen Felswänden aus Kalk- und Lavagestein erstreckten sich Grasflächen bis an den Fuß der grünen Hügel, folgten Palmenhaine und mit roten Früchten behangene Bäume, die aussahen wie der erste Baum der Schöpfung; Ackee, die jamaikanische Nationalfrucht, erklärte der Fahrer. »Bestes Frühstück«, führte er stolz aus, »Ackee und Saltfish. Jamaikanisches Nationalgericht. Wenn Ackee nicht reif, gut für Schwiegermutter umzubringen.« Er lachte glucksend.

Einfache, zum Teil bunt bemalte und mit Sprüchen verzierte Holzhütten säumten die Straße; Kinder tollten herum, Frauen hockten breitbeinig davor, lasen Reis aus, putzten Fische und beobachteten das Geschehen auf der Straße. Wäsche flatterte im Wind – Röcke, T-Shirts, häufig auch schwarze oder rosa Schlüpfer, Unterröcke, hie und da mit einem Loch.

Maren schluckte. Die Zivilisation schien plötzlich Welten entfernt zu sein. Sie hatte Angst, spürte eine irrationale, unbegründete Furcht vor all diesem Fremden. Sie mußte nicht ganz richtig im Kopf sein. Wie konnte sie sich auf so etwas einlassen? Hier hockte sie mitten im Busch, eine weiße Touristin, mutterseelenallein, verstand die Leute nicht, kannte die Kultur nicht. Sie war einfach zu doof. Und alles nur wegen hysterischer Anwandlungen. Vielleicht hätten Frank und sie ja doch noch mal miteinander reden können. Vielleicht wäre alles wieder gut geworden. Aber sie hatte alles verderben müssen. Sie hatte es ja unbedingt wissen wollen.

Eine Hibiskushecke voll strahlend zinnoberroter Blüten zog vor ihren Augen vorbei, dann, als sie nach rechts schaute, zeigte sich das Meer, sattblau, nach Tang und salziger Weite duftend. Sie atmete tief durch, schloß kurz die Augen. Der Ozean. Ferne Gestade. Tropische Nächte. Weißer Sand. Tief sinkende Blicke aus dunklen Augen. Deshalb war sie hier.

Sie kamen über eine kleine Brücke, auf der Kinder Ananas und Säckchen mit Zuckerrohr schwenkten. Kurz darauf hielt der Fahrer bei einem Bretterverschlag, von dem Bananenbündel herabhingen. »Kühlen Drink?« fragte er. Maren nickte.

Sie stiegen beide aus, Maren dehnte ihre steifen, schmerzenden Glieder und blinzelte in die Sonne. Ein schwarzweißes Zicklein hoppelte vor ihren Füßen vorbei, kläglich nach der Mutter blökend. Der Fahrer begrüßte einen jungen Mann, der am Tresen der Hütte auftauchte und Maren neugierig beäugte. Dann streckte er ihr lachend die Hand entgegen. »My name is George«, sagte er. »Yours?« Zwischen seinen Schneidezähnen blinkte ein Stückchen Gold, seine Haare fielen in einem Zöpfchenwust in seine Stirn. Maren ergriff kurz die schwielige Hand des Mannes, sagte widerstrebend ihren Namen und beschloß, beim nächsten Mal ihren zweiten Vornamen zu benutzen. Es verursachte ihr Unbehagen, Fremden ihren Namen zu nennen.

Der Fahrer drückte ihr eine kühle klebrige Flasche in die Hand. »Ginger beer«, sagte er. »For ladies.«

Maren nahm einen Schluck. Eine süße, in der Kehle brennende Limonade aus Ingwer.

Der Fahrer brach eine der winzigen, wie unfertig aussehenden Bananen von einem Bündel und reichte sie ihr. Plötzlich verstand sie, wie solche Früchte schmecken mußten: nach brauner Erde, Urwald und verschwenderischer Sonne. Süß, reif und aufregend. Sie begann anzukommen.

Das schmiedeeiserne Tor sah nach Ruhe und Abgeschiedenheit aus. Genau das, was sie jetzt brauchte. Verschwitzt und zerzaust stand sie vor dem »SamSara« und sehnte sich nach einer kühlen Dusche, einem kalten Drink und einem Ort, an dem sie sich verkriechen konnte vor all den überwältigenden Eindrücken. Vielleicht war dies hier der richtige Platz dafür. Hinter dem Gitter war ein tropischer Garten zu ahnen, und neben einem meterhohen Bambushain ragte ein schilfgedecktes Holzhaus über den Zaun empor.

Ihr Fahrer stieß, erfreut einen Bekannten anhupend, auf die Straße hinaus, und der schwere Wagen setzte sich tuckernd in Bewegung. Maren schob den Riegel des Tors zur Seite, stieß es auf und zerrte ihre beiden Taschen hoch. Gleich hinter dem Tor ließ sie sie fallen. Sie war zu erschöpft, um sie zu tragen.

Der Garten bezauberte sie auf den ersten Blick. Er war liebevoll und mit einem ausgeprägten Sinn für Harmonie angelegt. Kleine Wege schlängelten sich zwischen Bananenstauden, Fruchtbäumen und Palmen zu Hütten und einem weißen Steinhaus im hinteren Teil der Anlage. Unter einem Baum mit großen schattenspendenden Blättern stand ein weißer Steintisch mit einer Bank. Weiß und rosa blühende Oleanderstauden strahlten zwischen dem Grün hervor.

Sie ging vorsichtig, als könnte sie den Frieden des Gartens stören. Zu ihrer Linken lag das große Holzhaus. Die unterste Etage war ein einfaches Plateau, nach allen Seiten offen. Hinten führte eine Treppe zu Räumen im Obergeschoß. Am Wegrand lag eine schwarze Katze auf dem Rücken, die Pfötchen angewinkelt, und schlief. Maren blieb stehen und betrachtete sie ein wenig neidisch. Ihr schien es, als könnte sie nie mehr so ruhig und ungerührt schlafen. Als hätte es ihre Gedanken gespürt, schlug das Tier plötzlich die Augen auf und fauchte lautlos.

Aus dem weißen Steinhaus kam eine ältere weiße Frau, die sich mit einem schwarzen Mädchen unterhielt. Sie erblickte Maren, rief »Hello« herüber und kam zu ihr. Als sie vor ihr stand, lächelte sie warm und streckte ihr schwungvoll die Hand entgegen. »Du mußt Maren sein«, sagte sie. »Mein Freund Eberhard aus Deutschland hat angerufen und gesagt, daß du kommen würdest. Willkommen! «

Maren ergriff ihre Hand, die fest und kühl war, und nickte. »Und du bist Sara, nicht?«

»Yes, my dear, ich bin Sara. Komm, ich zeige dir dein Zimmer. Wo ist dein Gepäck?« Maren deutete zum Tor. »Okay, I’ll take care of that. Alicia«, rief sie zu einem Steingebäude hinüber, das die Küche zu sein schien, »sag bitte John, er soll sich um das Gepäck kümmern.«

»Okay, Sara«, rief das Mädchen zurück.

Maren folgte der Amerikanerin die Treppe hinauf. Sie war ihr sympathisch, eine kleine drahtige Frau mit jenem sanften Blick von Menschen, die die Flower-Power-Bewegung nicht als vorübergehende Zeiterscheinung, sondern immer noch als der Weisheit letzten Schluß betrachteten. Aber obwohl Sara dieser Hintergrund anzumerken war, hatte sie keine verträumte, sondern eher eine energische Ausstrahlung. Sie mußte eine gute Geschäftsfrau sein, sonst hätte sie dieses Anwesen nicht erhalten können. Eberhard hatte erzählt, daß sie in den Sechzigern mit den Hippies in Negril gelandet und hängen geblieben sei, sich aber ganz anders in ihre Umgebung eingepaßt habe als die üblichen Aussteiger-Touristen. Das »SamSara« war ihr Werk. Sie hatte es geplant und beim Anlegen mitgeholfen. Sie sah so gesund aus, fand Maren. Kleine Lach- und Sonnenfältchen im Gesicht, das auf eine natürliche Art gebräunt war, glänzende Augen und seidige braune, von weißen Strähnen durchzogene Haare.

»So, hier ist es.« Sara schloß eine Holztür auf und wies in das Zimmer. Es war einfach eingerichtet, Holzborde an den Seiten, eine Kommode aus demselben dunklen Holz wie das ganze Haus, ein Bett mit einer bunten karibischen Baumwolldecke darauf. Ein eckiger Spiegel fürs Gesicht und über dem Bett ein schwerer alter Ventilator und ein zusammengeknotetes Moskitonetz. Filmbilder schwirrten durch Marens Hirn: Die Heldin schmachtet unter einem Moskitonetz in der Hitze, verängstigt vom Klang dunkler Stammestrommeln, doch dann betritt der junge Tropenarzt ihr Zelt und ...

»Es ist sehr schön«, sagte sie.

»Du wirst dich gut erholen hier«, versicherte Sara. »Das ist übrigens das Yoga-Zimmer. Bis später.« Sie stieg die Treppe wieder hinunter, ihre weichen weißen Gewänder flatterten ihr um den Leib.

Die eigentliche Sensation war der Balkon, der zum Zimmer gehörte. Er war mit einem runden Tischchen, einem wackligen Eisenstuhl und einer robusten Liege ausgestattet, und die Aussicht traf Maren ins Herz. Sie schluckte. Hinter dem Garten begann der Sumpf, von dem der Taxifahrer erzählt hatte. Eine wild wuchernde, flimmernde, saftiggrüne Ebene, aus der Palmen und bizarre Bäume aufragten, über der endlos und milde der Himmel hing und die in weiter Ferne von den blaßblauen, sich an die Erde schmiegenden Bergen begrenzt wurde.

Ein leichter Windhauch strich durch den Bambushain am Rande des Gartens, das zarte Rauschen mischte sich mit dem Brummen von Insekten, die sich an blaublühenden, vom Dach herabhängenden Ranken gütlich taten. Maren ließ sich auf die Liege sinken. Es war fast zu schön, um wahr zu sein.

Sie saß eine ganze Weile dort, verlor das Zeitgefühl, schaute über den Sumpf und in den Garten hinunter. Dort wuchsen Bäume mit flammend rotgrüngelb gemaserten Blättern, Pflanzen, die in Deutschland ein kümmerliches Dasein in Hydrotöpfen von Altersheimen fristeten. Hier waren sie kräftige, zähe, wuchernde Büsche, keine zahmen Topfpflänzchen.

Auf dem Holzgeländer vor ihr marschierte eine Reihe winziger gelbbrauner Ameisen entlang, und ein Gecko balancierte mit gemessenen Schritten auf einem Stromkabel über den Garten hinweg. Aus den hellblauen Blütenranken stieg ein süßer, benebelnder Duft auf, unter dem ein leicht fauliger Hauch lag – die Ausdünstung des Sumpfes.

Zwei weiße Reiher flogen mit ruhigem Flügelschlag über die Sumpfebene. Sie zeichneten sich wie Vögel aus alten Legenden gegen die blaugrünen Berge ab, näherten sich dem zartblauen Himmel und landeten schließlich auf einem knorrigen, rotgesprenkelten Baum. Als weiße Punkte hockten sie zwischen den roten Blüten, und kurz darauf landete ein weiterer Reiher.

»Sie sammeln sich dort, bevor die Sonne untergeht«, sagte eine sanfte Männerstimme hinter ihr.

Maren fuhr mit einem kleinen Aufschrei herum.

Am Treppenabsatz stand ein schmaler Schwarzer mit großen hellen Augen. »Oh, tut mir furchbar leid«, sagte er bekümmert. »Ich hab’ Sie nicht erschrecken wollen. Es ist nur ... ich lese sonst hier oben immer die Zeitung oder denke ein bißchen nach.«

»Ach, das macht doch nichts«, sagte Maren und bemühte sich zu lächeln. Was wollte der hier?

»Mein Name ist John«, stellte er sich jetzt vor. »Ich arbeite hier, kümmere mich um den Garten. Wenn ich störe, geh’ ich gleich wieder. Ich soll auch noch das Gepäck bringen.«

»Nein, ist schon in Ordnung«, meinte Maren. »Ich brauche nur ein bißchen Ruhe, bin grade erst angekommen. «

»Sie sind die Lady aus Deutschland, nicht wahr? Von Ihnen hat Sara erzählt. Herzlich willkommen.« Er streckte ihr die Hand hin.

Ermüdet ob all der Begrüßungen nahm sie sie, wußte nicht mehr recht, was sie nun eigentlich wollte, und ergab sich einfach. Die einzige Chance. Sich ergeben. Hier ließ sich scheinbar nichts planen, und die Umgangsformen waren so anders als bei ihr zu Hause. Distanzen, wie sie sie hielt – aus Mißtrauen oder aus Neigung -, wurden ignoriert. Keiner schien so etwas zu kennen.

Während die Sonne unterging und über den Sümpfen Schwaden von goldenem Licht und einen Himmel voll roter, rosen- und pfirsichfarbener Schleier hinterließ und schließlich ein einzelner Stern wie Platin zu schimmern begann, hörte sie John zu, wie er von sich erzählte, auf eine scheue, zurückhaltende Art. Sein gutes Englisch hatte er in England gelernt, wo er eine Zeitlang mit einem Stipendium zur Schule gegangen war, aber er war in sein Land zurückgekehrt, weil er sich hier besser fühlte. Er sei Dichter, sagte er. Ob Maren einmal seine Gedichte lesen wolle? Sie seien bei einem Lyrik-Wettbewerb in Amerika mit einem Preis ausgezeichnet worden.

Später vielleicht, sagte Maren. Sie sei müde und wolle erst einmal eine Dusche nehmen und etwas essen. Sie hockten in einer Art schweigender Intimität auf der Liege, während das Licht schwächer wurde, und sie wollte diese Nähe abschütteln. Wollte der Mann etwas von ihr? War dies eine spezielle Form von Anmache?

»Die Moskitos kommen«, sagte John und stand auf. »Alicia kocht nachher Chicken Curry. Sie wird dir Bescheid geben, wenn es fertig ist. Die Dusche ist hier drunter.« Er verschwand, so lautlos, wie er gekommen war.

Maren stand auf. Die ersten Moskitos stachen ihr in die Arme. Ein hohes Flirren und ein krächzendes Schnarren wehten von den Sümpfen herüber; gleich nach Sonnenuntergang hatten Zikaden und Grillen ihren Nachtgesang angestimmt. Dazwischen, unrhythmisch, ein helles Piepsen; sie wollte John fragen, wo das herkam.

Eigentlich war es eine Idylle, ein Traum. Sie saß in diesem tropischen Garten, der mit Laternen beleuchtet war, unter einem Lebensbaum, aß würziges Essen, genoß die Gesellschaft eines netten Dichters und dreier schwarzer Katzen, die erwartungsvoll ihre Pfoten auf den Tisch legten und auf die Hühnerknochen starrten, und Grillen und Baumfrösche – sie gaben die hohen kindlichen Töne von sich – erfüllten die Nachtluft mit einer exotischen Geräuschkulisse. Aber sie fühlte sich unwohl. Sie hörte John schweigsam zu, stocherte in dem köstlich gewürzten Essen, weil sie Angst hatte, daß Käfer hineingefallen waren, die sie in dem schwachen Licht nicht sehen konnte, schrie leicht auf, als eine der Katzen wie ein Schatten ihren Arm streifte, und fühlte sich lebensunfähig. Eine zickige Stadtkuh. Jämmerlich. Erbärmlich. Ein Reinfall, die Reise. Eine Schnapsidee. Sie war eine verkrampfte Vollniete.

John gab ihr einen Pint Appleton-Rum mit aufs Zimmer. »Da kannst du gut schlafen«, meinte er zwinkernd, als er mitbekam, daß Maren keinesfalls noch ausgehen wollte. Sie fürchtete sich. Nun lag sie unter ihrem Moskitonetz, die Decke bis ans Kinn gezogen, trank Schluck für Schluck den Rum, der sonnig, warm und tröstlich schmeckte, und versuchte ihrer Angst vor Nachtfaltern Herr zu werden. Überall gab es Ritzen in den Wänden, dieses Haus war so offen. Die Geräusche drangen herein, als seien keine Wände um sie herum. Zu den hohen Tönen der Baumfrösche hatte sich eine Art Tenor gesellt, ein kehligeres, langsameres Quaken. Von der Straße entferntes Lachen, röhrende Motorräder.

Langsam wurde sie schwer und ruhig. Wie ein Stein ruhte sie auf ihrem Laken und sagte sich: Alles wird gut werden. Ihr Atem begann sich zu lösen, wurde regelmäßiger, Zuversicht durchströmte sie. Ihr war jetzt auf eine wohlige Art warm, ihr Blut schien wieder richtig durch ihren Körper zu fließen, und die großen Lippen zwischen ihren Beinen zuckten ein bißchen, plusterten sich auf, wurden seidig und lebendig. Maren räkelte sich, ihre Hand rutschte dorthin, zu der heißen Stelle, und begann sie zart zu streicheln, zu kosen, anzuheizen. Das tat so gut, auch ihre schmerzenden Schultern fühlten sich plötzlich weniger klobig an, eine weiße Ruhe senkte sich in ihre Augen, dann rosa, fleischfarbene Bilder, ihr Mäulchen öffnete sich hungrig, sonderte Saft ab, klar und glitschig. Plötzlich war da ein Mann unter ihren Augenlidern, schwarz, muskulös, schweißglänzend, der keuchend auf ihr lag und ein mächtiges, blauschwarz schimmerndes Glied kraftvoll und tief in sie stieß, ihre Finger lockten, drückten die lüsterne Spalte, ihre Nippel ragten empor, rieben sich am Laken, hart wie Erz, stramm, fordernd, ihr Becken kreiste und hob sich, sie öffnete ihre Beine weit, der schwarze Speer sollte freien Zugang haben, sie füllen und stoßen können, wie es ihm beliebte. Längst hatte sich ein See zwischen ihren Beinen gebildet, ihre Finger ertranken fast, die Konturen der weichen Täschchen hatten sich aufgelöst, eine warme endlose Fleischmasse mit tausend kochenden Nervenspitzen, jetzt wurde er schneller und noch härter, er berührte ihr Innerstes, und ihre Finger tobten, tauchten hinein, schlugen über ihr zusammen. Erleichtert zuckte sie und ergoß sich und biß sich auf die Lippen, um nicht zu stöhnen, obwohl diese Nacht solche Töne aufnehmen konnte, sie paßten hierher. Ob John sie gehört hatte? Sie wußte, daß er in dem Büro unter ihrem Zimmer saß. Er las bei schummrigem Licht ein »Newsweek«-Heft und bewachte das Anwesen. Sie fand John zwar nicht sehr attraktiv, aber dennoch. Ihre Gedanken verloren sich in watteweiche Dunkelheit.

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